BlogDie Hochzeitsfabrik

Die Hochzeitsfabrik

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Hatte ich es doch fast vergessen – am vorletzten Wochenende war Hochzeit angesagt. Meine „Schwester“ heiratete – zumindest nach japanischem Verständnis meine Schwester. Auf Deutsch glaube ich eher Schwägerin.
Der Ort war erlesen – das altehrwürdige 八芳園, eine grosse Anlage mit schönem Innenpark mitten in Tokyo. Eine regelrechte Hochzeitsfabrik, denn am gleichen Tag wurden an diesem Ort 30 (!) Paare getraut. Alle komplett mit Zeremonie, Fotoshooting im Park, Bankett usw. usf.
Straff organisiert wurden die allesamt grossen Gesellschaften durch das Parkour gehetzt – mit sagenhafter Professionalität. Die vor allem dann gefragt ist, wenn Kleinkinder mit am Start sind.
Es ist schon interessant, mit anzusehen, bis zu welchem Grad Hochzeiten in Japan automatisiert werden.
Berühmt ist zum Beispiel, dass der Vater bei der Hochzeit seiner Tochter weint. Um den Erwartungen gerecht zu werden, werden während des Banketts alle Lichter ausgeschaltet und die Eltern regelrecht an den Pranger gestellt: Im Scheinwerferlicht müssen sie minutenlang an einer Wand stehen, während ihre heiratenden Kinder herzzerreissende Reden schwingen. Das nennt man Auskosten.
Auch das Glockengeläut vom Band in der Kapelle und die Frage, ob ein echter Pfarrer eigentlich nicht in die Hölle kommen müsste, wenn er all die Heiden hier traut, blieben lange im Raum stehen.
Aber ich will kein Hochzeitsfeierkritiker sein. Man versucht ebend einfach nur alles, um diesen Tag unvergesslich zu gestalten. Mit ein bisschen Wehmut dachte ich jedoch an die eigene Hochzeitsfeier zurück – komplett organisiert von zahlreichen Freunden, die sich wirklich enorm ins Zeug gelegt hatten.
Und noch eins hatte ich vermisst (da des öfteren auf japanischen Hochzeitsfeiern erlebt): Sturzbetrunkene Eltern, die irgendwann die albernsten Sachen machen. Es blieb dieses Mal gesittet – man will ja keinen falschen Eindruch hinterlassen.
Das Wort des Tages: 結婚式 – kekkonshiki. „Kekkon“ ist die Hochzeit, „-shiki“ die Zeremonie.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

6 Kommentare

  1. die frage nach deiner eigenen hochzeit viel mir auch während des lesens dieses hochinteressanten kulturellen artikels ein. hast du ja schon ein wenig gucken lassen, wer denn da schuld an dem gelingen der feierlichkeiten hatte. aber sind die hochzeiten, wie oben dargestellt, so der „mainstream“ oder gibt es auch buddhistische (oder in anderer weise traditionelle) trauungen? und wer traut sich denn so (mal abgesehen vom königshaus)?

  2. Gerade letzte Woche das Wort kekkonkinenbi kennengelernt :-). Ich glaube ich werde in Zukunft regelmäßig in dein Blog hineinschauen. Das wird mir die Zeit bis zu meinem nächsten Japanbesuch verkürzen.
    PS: Was gibt es eigentlich (für einen IT-Menschen) für Möglichkeiten mal ein Jahr in Japan zu verbringen?

  3. @Terry
    Durchaus Mainstream. Buddhistisch heiratet eigentlich kaum jemand – für Hochzeiten ist in Japan eher der Shintōismus zuständig. Prinzipiell gilt jedoch: Freestyle. Christlich. Shintoistisch. Egal. Religion spielt da keine Rolle, es ist eher eine Geschmacksfrage.

    @Michael
    Na mit ca. einer Million Yen bei 40 Leuten sollte man schon rechnen. Da sind Photos und all der Kleinkram aber noch nicht dabei.

  4. Echt sugoi ist es ja wie die Moderatorin durch das Hochzeitsbankett führt als wär’s eine TV-Show. Da darf kein Fehler passieren, alles ist von A-Z top organisiert und läuft wie am Schnürchen ab. Nach spätestens 1 Std. Dauermoderation hört man aber nicht mehr zu, ausser wenn gerade Ehrengäste oder engste Freunde des Paares zu Wort gebeten werden. Jeder kommt rausgeputzt wie für eine Celebrity-Hochzeit und gibt natürlich das Beste von sich. So eine Hochzeit ist echt ein Erlebnis, bis hin zu den Abschiedsgeschenken an die Gäste – die indirekt selbst bezahlt sind, denn jeder der Gäste bringt ein hm nennen wir es mal fies „Eintrittsgeld“ mit um das junge Paar bei den immensen Kosten zu entlasten. Das können schon mal 150-200 Euro pro Person sein.

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