BlogNeue Tsunami-Art? Tonga-Vulkanausbruch verblüfft Geowissenschaftler

Neue Tsunami-Art? Tonga-Vulkanausbruch verblüfft Geowissenschaftler

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Am Sonntag, kurz nach Mitternach (japanischer Zeit) ging es los: Alle Handys im Haushalt fingen an zu klingeln und zu vibrieren, und alle Fernsehsender schalteten das Programm ab und begannen mit Sondermeldungen: Ein Tsunamialarm wurde ausgelöst, und zwar für die gesamte Pazifikküste, von Okinawa bis Hokkaido. Die erwartete Höhe lag zwischen 3 Metern (Tokara-Insel, Amami-Inseln und 20 Zentimetern (Bucht von Tokyo). Grund war der heftige Vulkanausbruch des Hunga Tonga-Hunga Ha’apai in Tonga – rund 8,000 Kilometer südlich von Japan. Die ungefähre Ankunftszeit ist halbwegs berechenbar, da man ja weiss, wie tief das Meer überall ist. Je tiefer, desto schneller der Tsunami – dieser kann dabei Geschwindigkeiten von bis zu 800 Stundenkilometern erreichen.

Doch der Tsunami kam nicht. Jedenfalls nicht zur berechneten Zeit. Er kam teilweise ein paar Stunden später – und nicht nur ein Mal, sondern immer wieder, mehrere Stunden lang. Bei der Höhe hat man sich zum Glück nicht zu sehr verrechnet – die Schäden hielten sich so in Grenzen, aber allein ein 1 Meter hoher Tsunami kann kleinere Schifferboote in Häfen zum Kentern bringen, und das geschah auch mehrfach. Der Tsunami war quasi überall im Pazifik meßbar – von Südamerika über Nordamerika bis eben nach Japan. Selbst in der Karibik konnte ein kleiner Tsunami gemessen werden – und das ist etwas besonderes, denn bekanntermaßen liegt die Karibik auf der anderen Seite des Festlandes.

Tsunamis entstehen, wenn plötzlich ein großer Raum frei wird – zum Beispiel, wenn infolge eines Erdbebens plötzlich eine Platte absinkt. Oder wenn der Krater eines Vulkans unter Wasser einstürzt. Tsunamis entstehen auch, wenn plötzlich gewaltige Mengen eines Materials ins Wasser stürzen – kalbende Gletscher können die Ursache sein, aber eben auch wieder Vulkanausbrüche. Doch der Tsunami am Sonntag war anders: Auf Tonga, in unmittelbarer Nähe des Vulkans, war er nicht wesentlich höher als in Japan. Und er geschah wie erwähnt nicht ein Mal, sondern mehrmals.

Diese Tsunami-Art ist neu, und man vermutet dahinter 空振 kūshin – „Luftschwingungen“. Bei den Satellitenaufnahmen des Ausbruchs sind die Druckwellen deutlich sichtbar, und der Ausbruch war wohl selbst im 800 Kilometer entfernten Fidschi zu hören. Wetterstationen registrierten Luftdruckschwankungen bis plusminus 0.5hPa, und diese Schwankungen kamen wellenförmig. Die Theorie: Die gewaltige Druckwelle dellte quasi das Meer rund um den Vulkan ein – und das nachströmende Wasser generierte so einen kleinen Tsunami, der durch die mehrfachen Druckwellen amplifiziert wurde.

Wahrscheinlich war der Vulkanausbruch der stärkste seit über 30 Jahren – und er hat das Potential, das Wetter in den kommenden Jahren maßgeblich zu beeinflussen. Manche Medien in Japan warnen schon vor einem 令和米騒動 reiwa kome sōdō – den „Reis-Unruhen der Reiwajahre“. Das ist keinesfalls an den Haaren herbeigezogen – 1918 gab es die „Taishō-Reisunruhen“ und im Jahr 1993 die Heisei-Reisunruhen (wobei „Unruhen“ etwas überspitzt ist). Der Sommer im Jahr 1993 war ungewöhnlich kühl und regnerisch und sorgte für eine extrem schlechte Reisernte – dementsprechend stiegen die Reispreise enorm und sorgten für viel Ärger. Der Grund dafür war der Ausbruch des Pinatubo auf den Philippinen im Jahr 1991, und das kann sich durchaus wiederholen, aber um das richtig einschätzen zu können, muss man noch ein paar mehr Daten sammeln.

Diese bisher nicht beobachtete Form des Tsunamis wird vom jetzigen Vorhersagemodell nicht beachtet. Das ist vielleicht auch nicht unbedingt nötig, da Luftdruckschwankungen wahrscheinlich nur kleine Tsunamis erzeugen können. Trotzdem darf das natürlich nicht unterschätzt werden, denn selbst ein zwei Meter hoher Tsunami kann bereits große Schäden anrichten.

Titelphoto: Durch den Tsunami gekenterte Fischerboote in einem Hafen in der Präfektur Kōchi. Photo von Mainichi Shimbun.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

2 Kommentare

  1. Danke für den Bericht wie der Tsunami in Japan wahrgenommen wurde.

    Der Vulkanausbruch hat sich sogar hier in Europa bemerkbar gemacht, denn auch in der Schweiz konnte die Druckwelle festgestellt werden. An praktisch allen Wetterstationen der Schweiz gab es kurz vor 21 Uhr einen Druckanstieg um rund ein Hektopascal und danach einen Druckabfall um etwa zwei Hektopascal. Das war aber nur die erste Druckwelle. Weil diese ja konzentrisch ausgelöst wurde, kam nach dieser ersten von Norden rund vier Stunden später wurde die Druckwelle aus der Gegenrichtung. Diese fiel allerdings schwächer aus.

    Hinsichtlich der Befürchtung, dass das Klima sich kurzfristig abkühlt und es zu Reisunruhen kommt: gemäss einem Schweizer Wissenschaftler ist das eher unwahrscheinlich, weil die Menge an ausgeworfenem SO2 wohl zu gering war. Nach Schätzungen etwa 100 kt gegenüber 17000kt beim Pinatubo.

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