BlogWas wäre wenn... Russland die Südkurilen zurückgäbe?

Was wäre wenn… Russland die Südkurilen zurückgäbe?

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Nur wenigen ist bekannt, dass es seit Jahrzehnten einen offenen territorialen Disput zwischen der Sowjetunion beziehungsweise später Russland und Japan gibt. Es geht um die Südkurilen – zwei grössere und zahlreiche kleinere Inseln nordöstlich von Hokkaido. Diese waren einst von den Ureinwohnern, den Ainu, besiedelt, bevor sie von Japan vereinnahmt wurden. Sie blieben auch Jahrhunderte in japanischem Besitz, bis die Sowjetunion in den letzten Kriegswochen des Zweiten Weltkrieges Japan den Krieg erklärte und hernach, die besagten Inseln okkupierte – nach Abwurf der Atombomben, wohlgemerkt. Die japanischen Bewohner wurden daraufhin vertrieben. Japan erkannte das jedoch nie an und versucht seither, mit Russland über die Rückgabe der Inseln zu verhandeln. Diese Inseln werden auf Japanisch 北方領土 hoppō ryōdo, in etwa „Nördliche Territorien“, genannt. Die beiden grössten Inseln haben durchaus ihre Grösse: Etorofu (Iturup) ist grösser als das Saarland, und Kunashiri (Kunashir) ist doppelt so groß wie Hamburg.

Schild mit der Aufschrift "Gebt das Nordterritorium zurück" in Nemuro
Schild mit der Aufschrift „Gebt das Nordterritorium zurück“ in Nemuro

Die Inseln gehörten einst zur Stadt Nemuro im äußersten Osten von Hokkaido (und Japan) – und wohin man auch schaut in der Stadt – überall in der Stadt stehen Schilder mit der Aufschrift „Gebt die Inseln zurück“. Es ist auch fester Bestandteil der japanischen Landkarten sowie der Schulbildung: Diese Inseln gehören zu Japan. Es gab bei den Verhandlungen sogar mal einen Fortschritt – so soll Russland Japan angeboten haben, die kleinere Insel Shikotan sowie die Habomai-Inseln zurückzugeben, wenn Japan für immer und ewig seine Ansprüche auf Iturup und Kunashor aufgibt, doch die USA drängten wohl Japan, nicht darauf einzugehen. Das russische Angebot ist interessant, suggeriert es doch ein gewisses Eingeständnis, dass an den Ansprüchen etwas dran sein könnte.

Russische Habomai-Inseln, von Nosappu aus gesehen

Vom östlichsten Punkt Japans, dem Kap Nosappu, kann man die Habomai-Inseln sehr gut sein – schliesslich sind diese nur 7 bis 15 Kilometer entfernt. Viel gibt es jedoch nicht zu sehen, da besagte Inseln sehr flach sind. Doch was würde passieren, wenn Russland plötzlich die Inseln zurückgeben würde?

Nemuro ist eine Kleinstand, und aufgrund der Lage kann man getrost behaupten, dass sie am A**** der Welt liegt. Im Osten Russland, im Norden und Süden das Meer – alles andere ist einfach weit entfernt. Die Stadt (besser gesagt der Verwaltungsbezirk) hat rund 25,000 Einwohner – Tendenz stark rückläufig. Bis in die 1970er waren es noch über 40,000. Der Ort zerfällt zunehmend, überall gibt es verlassene und zusammengefallene Bauwerke. Wie überall auf dem Land. Die Landflucht ist zu gross, die Geburtenrate zu klein, die Überalterung extrem. Das ist normal in der japanischen Provinz – leider – doch man fragt sich unweigerlich, ob Japan die Rückgabe überhaupt verkraften würde. Es geht zwar „nur“ um rund 17,000 Einwohner, die auf den bestrittenen Inseln wohnen, doch die Kosten, die Inseln unter japanische Verwaltung zu bringen, wären enorm hoch – noch problematischer ist dann die Verwaltung und Instandhaltung der Infrastruktur, denn das Klima ist rau (so wird diese Gegend in den Wintermonaten alljährlich von Treibeis umschlossen).

Zerfall allerortens - leider keine Seltenheit in Nemuro Stadt
Zerfall allerortens – leider keine Seltenheit in Nemuro Stadt

Ein weiteres Problem wäre: Wer will dort wohnen? Japaner, die auf diesen Inseln wohnten oder dort geboren wurden, sind heute mindestens 76 Jahre alt. Die Zahl derer, die sich noch an ihr Leben auf den dortigen Inseln erinnern können, dürfte maximal dreistellig sein. Und da noch nicht einmal jemand in Nemuro leben möchte (so sieht es jedenfalls aus), wäre es wohl schwer, jemanden für das Leben dort zu begeistern. Man könnte die Insel maximal mit den japanischen Selbstverteidigungskräften und ein paar hartgesottenen Ultranationalisten besiedeln (keine schlechte Idee!).

Zerbröselt zusehends: Aurora Tower am Kap Nosappu
Zerbröselt zusehends: Aurora Tower am Kap Nosappu

AM Kap Nosappu gibt es unzählige Gedenksteine und Mahnmale, die an die verlorene Heimat erinnern. Hohe Symbolkraft in der Angelegenheit hat dort allerdings der Aurora Tower – ein riesiger, 96 Meter hoher weisser Aussichtsturm. Der zerfällt jedoch zunehmend und bietet einen traurigen Anblick. Mit dem Verfall der japanischen Provinz und dem Aussterben der einstigen Inselbewohner scheint das Interesse an den Nördlichen Territorien zu schwinden. Einzig die Politiker und die Ultranationalisten halten noch das Banner hoch. Wirtschaftlich gesehen wäre die Rückgabe der Inseln hingegen eine außergewöhnliche Belastung und erinnert an das Korea-Dilemma: Sicher, Südkoreaner wünschen sich eine Wiedervereinigung. Doch viele haben auch – berechtigte – Angst davor.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

8 Kommentare

  1. Ein Blick in die Geschichtsbücher dürfte wohl für Ernüchterung sorgen. Ich wüsste nicht, dass es in der Geschichte Russlands bzw. der Sowjetunion es je eine Augenblick gegeben hätte, in dem freiwillig ein Stück Land oder Gebiet an die Nachbarn oder den ehemaligen Herren zurückgegeben wurde. Solche groben und fatalen Fehler wie Alaska, oder zu Jelzins Zeiten nach Auflösung der UdSSR, wird man nicht mehr machen.
    Wenn ich daran denke, dass die Heimat meiner Großeltern mit den 2+4 Gesprächen für immer verloren war … ist vielleicht auch ganz gut so, dass man die Zeit, in territorial Hinsicht, nicht zurückdrehen kann. Das gäbe bloß wieder böses Blut.

  2. Hallo,
    ich denke das ein Militär Stützpunkt auf den Inseln einer der Hauptgründe ist das die Inseln nicht zurückgegeben werden, von der Tatsache, das man behält was man hat mal abgesehen. Und da dort scheinbar keine S… leben möchte, und es keine nennenswerten Bodenschätze oder Fischgründe gibt ( gäbe es die wäre die Rückgabe deutlich unwahrscheinlicher ) wird wohl ein Solcher Stützpunkt die einzige Installation auf den Inseln sein, vermutlich auch noch von der USA, naja, aber ich denke nicht das es dazu kommt.

    • Die Fischgründe sind schon nicht unerheblich. Und das mit den Stützpunkten liesse sich lösen – Japan und Russland könnten sich ja darauf einigen, dass die Inseln zurückgegeben werden, aber nur unter der Bedingung, dass sie militärfrei bleiben. Könnte mir vorstellen, dass Japan damit leben kann. Aber hier geht es wohl eher ums Prinzip.

  3. Du hattest vor gewisser Zeit mal einen ähnlichen Blogeintrag. Leider hat sich an der Situation nicht viel verändert. Japan wird auf die Rückgabe noch sehr lange warten müssen sofern es denn überhaupt passiert.

  4. Als ehemaliger Stammleser bin ich heute aus einer Laune heraus mal wieder darauf gestoßen und habe gleich diesen hoch interessanten Artikel gefunden. Danke, dass es den Blog noch gibt und er scheinbar immer noch so faszinierend ist wie früher!

    Ich selbst bin inzwischen Papa und mein Traum davon, irgendwann nach Japan zu ziehen, ist für die nächsten Jahrzehnte aufgeschoben bzw., um ehrlich zu sein, eher aufgegeben, aber es macht mich richtig nostalgisch, über Japan zu lesen und irgendwann möchte ich zumindest noch die Sprache richtig zu beherrschen lernen und einige Reisen machen.

    Jedenfalls schön, wieder hier zu sein. :-)

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