BlogBlaue Impulse, ein dummes Volk und eine durchwachsene Eröffnungsfeier

Blaue Impulse, ein dummes Volk und eine durchwachsene Eröffnungsfeier

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Nun haben sie also begonnen, die Olympischen Sommerspiele in Tokyo. Um ein Jahr verschoben, heftig diskutiert und von der Mehrheit der Bevölkerung letztendlich abgelehnt, da die Coronalage noch immer zu undurchsichtig sind.

Die 開会式 kaikaishi, die Eröffnungsfeier, begann um 20 Uhr, aber für viele Hauptstädter begann das Spektakel eigentlich schon kurz nach Mittag, als die Kunstflugstaffel Blue Impulse der Japanischen Luftwaffe ihre Runden über die Stadt drehte, dabei die Olympischen Ringe in die Luft zeichnete (aufgrund der Wetterlage verflüchtigten sich die Streifen allerdings zu schnell) und farbigen Rauch über der Stadt abliess. Dank Funk und Fernsehen sind die bei Sendai stationierten Blue Impulse in Japan sehr beliebt. Um Menschenaufläufe zu vermeiden, wurde der genaue FLugplan übrigens nicht bekanntgegeben, aber das war nicht nötig – ganz richtig schätzte man, dass der Zeitplan gleich wie bei der Generalprobe am 21. Juli sein wird, und die Luftwaffe gab auf Twitter bekannt, das man gleich starten wird. Die Blue Impulse-Piloten benutzen übrigens das Trainingsflugzeug „Kawasaki T4“, das man nur in Japan findet.

Blue Impulse-Staffel über Tokyo
Blue Impulse-Staffel über Tokyo

Zu den zahlreichen Skandalen und Skandälchen rund um die Olympischen Spiele gesellte sich nun auch Natsuno, ein Gastprofessor an der renommierten Waseda-Universität. Dieser wartete gleich mit zwei Bonmots auf: Zum einen ging es um die Diskussion darüber, ob Zuschauer zu den Spielen zugelassen werden sollten, denn ein Argument lautete: „Es wäre ungerecht, wenn Schulsportfeste und Präsentationen ohne Zuschauer stattfinden – bei den Spiele aber Zuschauer zugelassen werden“. Mit Präsentationen sind die in Japan 発表会 happyōkai gemeint, bei denen man das Gelernte (das kann alles sein – Tanz, Klavier, Sport usw) der Öffentlichkeit vorstellt – diese besteht natürlich zumeist aus Freunden und Verwandten aller Beteiligten. Natsuno kommentiere das mit den Worten:

Wen interessiert denn schon so eine Scheiß-Klavierpräsentation. Es ist doch bloss wegen den anstehenden Wahlen, dass man sich dem idiotischen Gefühl des Volkes, so etwas mit den Olympischen Spielen vergleichen zu müssen, beugt

Ebenfalls im Hinblick auf die Olympischen Spiele meinte Natsuno vorher

Es braucht doch nur ein Japaner eine Goldmedaille zu bekommen, und schon wird sich die Stimmung drehen

— mit drehen ist „zum Besseren wenden“ gemeint. Diplomatisch drückt sich Natsuno offensichtlich nicht aus, und er entschuldigte sich auch für die Kraftausdrücke. Das Dumme ist allerdings, dass man seine Bemerkungen nicht ganz von der Hand weisen kann. Denn die Entscheidung, null Zuschauer zuzulassen, ist in der Tat nur ein Zugeständnis der Politik an „das Volk“, um diffuse Sorgen zu zerstreuen. Und sicher – sobald die ersten japanischen Medaillen auftauchen, wird sich auch die Stimmung bessern. Ganz nach dem Prinzip „jetzt wo die Olympischen Spiele begonnen haben“.

Die Eröffnungsfeier, die immerhin fast vier Stunden dauerte, fand in Japan ein reichlich geteiltes Echo. Mit zahlreichen Einlagen konnten viele Menschen nichts anfangen. Warum Stepptanz? Muss wirklich so viel Ausdruckstanz gezeigt werden? Was sind das für alberne Kostüme, und was für Menschen, die dort für die Sportler Spalier standen, hüpften und winkten? Man musste unweigerlich an Disneyland denken. Liest man sich so die Kommentare durch, dann waren die Highlights der Veranstaltung:

1) Die Piktogramm-Vorstellung (die an „Kinchan’s All Japan Kasō Grand-Prix“ erinnert)
2) Der Drohnenflug
3) Die kasachische Fahnenträgerin Olga Rypakova, die sofort von unzähligen Kommentarschreibern für ihre Schönheit gepriesen wurde
4) Gekidan Hitori’s Auftritt in der Kommandozentrale der Olympischen Spiele

Die Show war voller Persönlichkeiten, die jenseits von Japan eher unbekannt sind. Rührend war der Auftritt vom Baseballtrainer Nagashima, der zum Schluss zusammen mit Hideki Matsui die Fackel trug. Nagashima ist eine Legende, aber schwer von einem Schlaganfall vor 17 Jahren gezeichnet. Der 85-jährige sollte bei seinem Auftritt sicher die Alten und Gebrechlichen in der Gesellschaft darstellen, und das tat er auch, ganz ungeschönt und schwer vom Leben gezeichnet.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

5 Kommentare

  1. Hallo,
    dieser Herr Natsuno drückt sich ja wirklich sehr offen und überdeutlich aus, eigentlich fast unjapanisch, wahrscheinlich stand ihm das ganze bis Unterkante Unterlippe Tendenz steigend :-).
    Das mit der Flugshow ist wieder seltsam, warum überhaupt wenn man nicht will das die Leute zuschauen?
    Ich habe die Eröffnungsfeier nicht gesehen, kein Interesse, aber sollten sich Japaner über alberne Kostüme aufregen?

  2. Danke! Die Seite, die ich nach einigem Googeln gefunden hatte, hat wohl das „kuso“ weggelassen, deshalb gab es Streit mit meinem Mann, der meinte, „er wollte doch nur sagen, dass die armen Bürger getäuscht werden“. *augenroll*

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