HokkaidoNibutani - Ainu-Kultur hautnah erleben

Nibutani – Ainu-Kultur hautnah erleben

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Region 北海道 Hokkaidō
Bezirk 日高 Hidaka
Rang 3 von 5 Sternen: Durchaus sehenswert
Name Nibutani – (ni) bedeutet „zwei“, (bu) ist der „Wind“ und (tani) das „Tal“. Wie bei so vielen Ortsnamen auf Hokkaido sind diese Schriftzeichen jedoch lediglich 当て字 „ateji“ – man hat also einfach Schriftzeichen mit ähnlicher Lesung ausgesucht, um den vorher bestehenden Namen mit Zeichen schreiben zu können. Der ursprüngliche Name lautete „Niptani“, was in der Ainu-Sprache wohl so viel wie „Ort mit viel Holz“ bedeutet.
Lage Nibutani liegt gute 20 Kilometer landeinwärts, in einem kleinen Flusstal, gut 100 km südöstlich vom Internationalen Flughafen Chitose sowie knapp 200 km südöstlich von Sapporo. Damit liegt Nibutani etwas abseits der grossen Strassen und Autobahnen der Insel.
Ansehen Das Ainu-Kulturmuseum Nibutani der Stadt Biratori mit grossem Freilichtmuseum. Das Kayano-Shigeru-Ainu-Archiv. Den Staudamm, so man Staudämme mag.

Nibutani – Beschreibung

Der Ort Nibutani ist ein 字 aza – eine kleine Verwaltungseinheit, die in Deutschland einem „Ortsteil“ entspricht. Der Ort gehört zur ländlichen Region Saru-gun (rund 16,000 Einwohner), und dort wiederum zum Ort (keine Stadt) 平取町 Biratori-chō mit knapp 5,000 Einwohnern. Der Ortsteil Nibutani hat lediglich 395 Einwohner und ist damit winzig klein und kaum der Rede wert – wäre es nicht der Ort mit dem höchsten Anteil von Ainu, den Ureinwohnern, von Hokkaido (beziehungsweise ganz Japan). Rund 80% der Einwohner gehören der Minderheit an.

Nibutani liegt am Nibutani-Staudamm, der hier den Saru-Fluss aufstaut und rund 3 Megawatt Energie produziert. Die Staumauer ist gute 30 Meter hoch. Begonnen wurde mit dem Bau 1973, doch es sollte fast 25 Jahre dauern, bis er fertiggestellt wurde. Grund dafür war unter anderem der große Widerstand seitens der Ainu, denn der Ort ist heiliges Land, und der Stausee verschluckte neun Häuser sowie mehr als die Hälfte des Ackerlandes. Über die Umsetzung des Bauwerks und Entschädigungen wurde jahrzehntelang vor den Gerichten gestritten.

Der umstrittene Nibutani-Stausee
Der umstrittene Nibutani-Stausee

Nibutani hat seine eigene Grundschule (1. bis 6. Klasse), aber die hat nur 17 Schüler (2012), die von 6 Lehrkräften betreut werden. Die Schule ist bereits 120 Jahre alt.

Die Gegend hatte früher bedeutend mehr Einwohner. In den 1960ern lebten in Biratori fast drei Mal so viele Menschen, und auch vor mehr als 100 Jahren gab es hier mehr Menschen – vor allem mehr Ainu. Die Siedlung wurde erstmals 1808 von den immer weiter nach Norden vorstoßenden Japanern „entdeckt“ und tauchte 1826 zum ersten Mal unter dem heutigen Namen auf einer Karte auf. Zu jener Zeit zählte der Ort gut 100 Einwohner, und in der näheren Umgebung gab es weitere 古丹 kotan, wie die Ainu-Dörfer genannt werden. Die Gegend war bekannt für die lebendige Ainu-Kultur. So schickte Japan zum Beispiel eine traditionell gekleidete (und tätowierte) Ainu-Familie aus Biratori zur Weltausstellung nach St. Louis im Jahr 1904. 1930 zog der schottische Anthropologe und Mediziner nach Nibutani, wo er ein Krankenhaus unterhielt und die Ainu erforschte. Dort verstarb er auch 1942 im Alter von 78 Jahren, und er bat in seinem Testament um ein Begräbnis auf Ainu-Art.

Nibutani: Dorfzentrum mit Souvenirladen und Bus mit traditionellem Ainu-Ornament
Dorfzentrum mit Souvenirladen und Bus mit traditionellem Ainu-Ornament

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Ainu-Kulturmuseum Nibutani der Stadt Biratori 平取町立二風谷アイヌ文化博物館

Der Hauptgrund, diesen Ort zu besuchen, ist das Ainu-Kulturmuseum, das aus einem Außen- und Innenbereich besteht. Im Außenbereich stehen etliche originalgetreu aufgebaute cise (Wohnhäuser), pu (Lagerhäuser), nusa sowie traditionelle Toiletten – und kleine Bärenzwinger. Die Käfige heissen heper-set (Heper bedeutet Bärenjunge). Für die Ainu gab beziehungsweise gibt es zwei, koexistierende Welten – die der Ainu (auch: Aynu), was einfach nur „Menschen“ bedeutet, sowie die der „Kamui“ (auch: Kamuy), die Welt der Götter. Mit einem Ritual, dem sogenannten iomante, wurden zum Beispiel die Seelen von Tieren in die Götterwelt zurückgeschickt. Ein Bärenjunges einzufangen war Tradition, und der Bär wurde für ein Jahr im Dorf gehalten, bevor er getötet und seine Seele mittels iomante zurückgeschickt wurde. Eine ausführlichere Beschreibung des Rituals und der Spiritualität der Ainu im allgemeinen findet man zum Beispiel hier (Englisch).

Die Häuser sind während der Öffnungszeit (9:00 – 16:30) geöffnet und beinhalten diverse Alltagsutensilien und Erklärungen dazu.

Im hinteren Teil des Museums, zwischen dem Freilichtmuseum und dem Staudamm, steht das Hauptgebäude des Museums, in dem allerlei Kleidung, Kunstgegenstände, Waffen und dergleichen ausgestellt sind. Der Eintritt in das Museum kostet 400 yen für Erwachsene, Kinder bis 15 zahlen 150 yen. Die offizielle Webseite des Museums befindet sich hier: www.town.biratori.hokkaido.jp/biratori/nibutani/.

cise - traditionelles Wohnhaus der Ainu in Nibutani
cise – traditionelles Wohnhaus der Ainu in Nibutani
Hauptgebäude des Ainu-Museums
Hauptgebäude des Ainu-Museums

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Kayano-Shigeru-Ainu-Archiv Nibutani 萱野茂二風谷アイヌ資料館

Quasi auf der anderen Seite der Straße, gegenüber des Museums, steht das Kayano-Shigeru-Archiv (das bei meinem Besuch leider wegen Corona geschlossen war). Das Archiv ist sicherlich interessant — interessanter ist aber auf jeden Fall die Vita von Shigeru Kayano. Jener wurde 1926 in Nibutani geboren und von seiner Großmutter in die Traditionen und Sprache der Ainu eingeweiht. Fortan widmete er sein Leben der Erforschung der Ainu, und er kämpfte für die Rechte der bisher stark unterdrückten Minderheit. Dieser Kampf war manchmal erfolgreich – so wurden dank seiner Initiative einige diskriminierende Gesetze abgeschafft und zahlreiche Schulen gegründet, in denen die Sprache gelernt werden kann. Manchmal war der Kampf nicht erfolgreich – so konnte Kayano nicht den Bau des Staudamms in Nibutani – und damit die Flutung einer heiligen Städte – verhindern.

Kayano verfasste rund 100 Bücher rund um das Thema Ainu, und einige dieser Bücher wurden auch ins Englische übersetzt. Er schaffte es auch als erster Ainu ins japanische Parlament, wo er auch schon mal gelegentlich Fragen in der Sprache der Ainu stellte. Sein Ziel war, die Ainu und deren Sache so weit es geht bekannt zu machen, denn noch immer wissen viele Japaner so gut wie gar nichts über die Ureinwohner des japanischen Nordens.

Leider ist die Sprache der Ainu akut vom Aussterben bedroht. Früher gab es drei verschiedene Ainu-Sprachen: Das Sachalin-Ainu, das Kurilen-Ainu und das Hokkaido-Ainu. Die ersten beiden Varianten sind bereits ausgestorben, und Schätzungen der Menschen, die Ainu als Muttersprache sprechen, reichen von 2 bis 10 Sprechern, wobei diese alle bereits hochbetagt sind. Erschwert wird die Belebung der Sprache dadurch, dass es früher keine Schrift gab. Zudem ist Ainu eine Inselsprache – Versuche, sie einer Sprachfamilie zuzuordnen oder eine zumindest ähnliche Sprache zu finden scheiterten bisher. Dass die Sprache vom Aussterben bedroht ist, geht einzig und allein auf die Kappe der Japanischen Politik: Bis 1997 durften Ainu nicht ihrer Traditionen nachgehen. Die Sprache war bis 2009 quasi verboten. Aus Sorge vor Nachteilen gaben deshalb die meisten Ainu ihre Sprache und Traditionen nicht an ihre Kinder und Enkel weiter. Viele Ainu wissen nicht einmal, dass ihre Vorfahren Ainu waren – andere verstecken dies auch bewusst. Die Lage ist heute etwas besser, und das ist zu einem guten Teil dem unerlässlichen Wirken von Kayano Shigeru zu verdanken.

In Nibutani gibt es auch ein auf Ainu-Speisen spezialisiertes Restaurant - 2021 war allerdings nicht klar, ob es noch in Betrieb ist
In Nibutani gibt es auch ein auf Ainu-Speisen spezialisiertes Restaurant – 2021 war allerdings nicht klar, ob es noch in Betrieb ist
Bärenzwinger. Hier wurde ein Bär ein Jahr eingesperrt, bevor er in einem "Iomante" genanten Ritual getötet und so in das Reich der Götter zurückgeschickt wurde
Bärenzwinger. Hier wurde ein Bär ein Jahr eingesperrt, bevor er in einem „Iomante“ genanten Ritual getötet und so in das Reich der Götter zurückgeschickt wurde

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Anreise

Der nächstgelegene Bahnhof ist 鵡川 Mukawa, seit einer verheerenden Flut im Jahr 2015 Endstation der Hidaka-Linie. Von Sapporo braucht man bis hierher knapp 2 Stunden. Von dort kommt man mit dem Bus nach 平取 Biratori (rund 45 Minuten), und von dort fahren schliesslich ein paar wenige Busse pro Tag nach Nibutani (knapp 10 Minuten). Mit anderen Worten – Nibutani ist mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht ganz einfach zu erreichen.

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Übernachtung

In Nibutani steht das „Nibutani Guest House Yanto“, mit Mehrbettzimmern. Ob das gut ist kann ich nicht aus erster Hand beurteilen, aber preislich ist die Unterkunft für den angebotenen Standard eher teuer.

Zu allgemeinen Übernachtungstipps siehe Übernachtungstipps Japan.

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tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

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