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Starres festhalten an den Olympischen Spielen – wer ist der Buhmann?

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Es ist eine vertrackte Situation — anders kann man es nicht beschreiben. Das Corona-Virus wütet noch immer in vielen Ländern, auch wenn sich immer mehr abzeichnet, dass die Impfungen einen Ausweg versprechen. Eine kurze Anmerkung an dieser Stelle: Kommentare im Sinne von „das ist alles Schwindel, und mit den Impfungen werdet ihr nur versklavt“ und dergleichen schalte ich nicht frei. Das ist keine Zensur, sondern einfach ein kleiner Filter, um absoluten Nonsens von diesem eigentlich eher seriösen Blog fernzuhalten. Jan Böhmermann und Olli Schulz haben dazu neulich in ihrem Podcast eine sehr schöne Feststellung gemacht: „Nehmen wir mal an, die Impfgegner haben recht, und alle Geimpften sterben nach ein paar Jahren plötzlich an den Folgen. Möchtest Du dann wirklich zusammen mit diesen Menschen überleben?“. Aber ich schweife ab.

Trotz dieser noch immer schwierigen Lage, die auch noch dadurch erschwert wird, dass das Gastgeberland noch immer weit mit den Impfungen hinterherhinkt, wird stur an der Ausrichtung der Olympischen Spiele beginnend Ende Juli festgehalten. Das IOC machte seine Position dazu auch sehr deutlich: Bei einer Pressekonferenz beantwortete John Coates vom IOC die Frage, ob die Spiele selbst dann, wenn in Tokyo Ausnahmezustand herrschen sollte, stattfinden werden, mit einem deutlichen „Ja“. Das brachte viele Japaner – zurecht – auf die Palme und einige Leute sogar auf die Strasse.

Wo liegt eigentlich das Problem? Es wurde ja bereits beschlossen, dass ausländische Zuschauer nicht zu den Spielen zugelassen werden. Man rechnet trotzdem damit, dass rund 100,000 Menschen – nämlich die Sportler und deren Entourage, sowie der Pressetross – in Japan einreisen werden. Vor allem in der Bevölkerung stösst das auf wenig Gegenliebe – viele befürchten, dass die Ausländer verschiedene Virusmutationen einschleppen werden, von denen man natürlich auch in Japan längst die Nase voll hat. Wissenschaftler weisen, zu recht, wie ich meine, daraufhin, dass es wohl weniger die Ausländer sein werden, die einen neuen Anstieg befürchten lassen, sondern die Menschenströme, die die Spiele zwangsläufig verursachen werden.

Wahrscheinlich wäre die Akzeptanz höher, wenn die Impflage besser aussehen würde, und das hat Ministerpräsident Suga auch erkannt. Offensichtlich sieht er seine Felle davonschwimmen, denn in den vergangenen Wochen regierte er in Sachen Corona beinahe ausschliesslich per Dekret, unter Umgehung der üblichen Kommandostrukturen. Doch da liegt sein Dilemma. Als langjähriger Kabinettsminister unter Abe war er die graue Eminenz, die im Hintergrund dafür sorgte, dass die Vorhaben auch umgesetzt werden. Damit machte er sich einen Namen. Selbst nun Ministerpräsident, fehlt jetzt aber eine solche Figur in der Regierung. Sprich, Suga will, aber keiner kann. Es ist noch immer fraglich, ob seine beiden grossen Versprechen umgesetzt werden können – bis Ende Juli alle 36 Millionen über 65-jährigen zwei Mal geimpft zu haben, und, um dies zu erreichen, mindestens eine Millionen Menschen am Tag zu impfen. Immer wieder heisst es dazu: „Jetzt geht es aber richtig los“. So zum Beispiel am vergangenen Montag, denn nun standen statt nur einem Impfstoff plötzlich drei zugelassene Impfstoffe zur Verfügung, doch die Zahl der Impfungen erhöhte sich nur wenig, von 250,000 auf rund 350,000 pro Tag. Das würde bedeuten, dass man noch rund 80 – 90 Tage, also bis Ende August, für die Erreichung des Ziels brauchen würde.

Der Widerstand regt sich nun immer deutlicher. Die Ärzteschaft in Japan ist dagegen – sie befürchtet zum Beispiel die Entstehung einer „Olympiamutation“, wenn viele verschiedene Viren aufeinandertreffen. Erste Hauptsponsoren, darunter der Zeitungsverlagsgigant Asahi Shimbun, rufen offen zur Absage auf. Es gibt Petitionen mit hunderttausenden Unterschriften. Das alles lässt die Politiker und den IOC jedoch kalt. Dabei verweisen nicht wenige darauf, dass der eigentliche Buhmann das IOC ist, denn eine einseitige Absage der Olympischen Spiele würde Japan schätzungsweise fast 14 Milliarden Euro kosten – so zumindest eine Simulation. Doch so einfach ist das auch wieder nicht, denn man muss auch vom worst-case scenario ausgehen – nämlich eine neue Infektionswelle, ausgelöst durch die Olympischen Spiele, die dann die Wirtschaft noch mehr schaden könnte.

Passend zur momentanen Lage kam nun am 21. Mai die Meldung hinzu, dass die USA die höchste Reisewarnung für Japan herausgegeben hat (diese höchste Stufe, Stufe 4, gilt allerdings auch schon seit längerem für Deutschland und die meisten anderen europäischen Länder). Über den Grund kann man nur mutmaßen, denn die Lage ist ja in Japan momentan nicht dramatischer als sie vorher war. Möglicherweise kann man sie als Schuss vor den Bug betrachten, damit Japan langsam in die Gänge kommt. Als Maßnahme an sich hat die Meldung jedoch keinen Wert, denn Japan hat schon seit langem die Visafreiheit ausgesetzt, womit Touristen zum Beispiel ohnehin nicht nach Japan reisen können.

Was ich an der gesamten Situation vermisse, ist nicht nur gesunder Menschenverstand beim IOC, sondern vor allem Solidarität. Frankreich, Ausrichter der nächsten Spiele im Jahr 2024, hat schon mal deutlich erklärt, dass man die Spiele im eigenen Land auf gar keinen Fall verschieben kann (denn das wäre ja eine Option gewesen – man setzt 2020 ganz aus und verlegt alles um vier Jahre nach hinten). Wäre es denn nicht eine sportliche Geste, wenn das IOC sowie die nationalen Olympischen Verbände beschliessen würden, dass Japan nicht für das Corona-Virus verantwortlich ist, und deshalb die Olympischen Spiele wegen vis maior, also höherer Gewalt, abzusagen sind, um Menschenleben zu schützen? Und dass es folgerichtig nicht fair wäre, Japan auf den Kosten sitzen zu lassen, sondern diese gemeinsam zu schultern? Das wäre doch im Sinne des Olympischen Eides, der Fair Play fordert. Doch diese Option scheint noch nicht mal erörtert zu werden, und das ist sehr schade.

Wie wird das ganze ausgehen? Bei den Online-Wettdiensten wie zum Beispiel Bookies.com stehen die Chancen bei 5 zu 2 dass die Spiele ausfallen, und bei 1 zu 5 dass sie nicht ausfallen. Sprich, bei den Wettbüros rechnet man momentan noch fest mit der Ausrichtung. Mal sehen wie lange noch.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

2 Kommentare

  1. Hallo,
    die einfachste Lösung währe wohl die Sportler + Anhang vorher zu Impfen, und vor der einreise in Quarantäne zu stecken, aber da ist wohl auch wieder jemand gegen, aber egal. Verschieben wird sicher nicht passieren ( ich meine um 4 Jahre) denn bei Geld, und nur darum geht es den Regierungen, hört bekanntlich die Freundschaft auf. Den Sportlern wäre das, aus anderen Gründen, wohl auch nicht recht, da einige die dieses Jahr mitmachen könnten 2024 wohl raus wären, und da Olympia der Traum jedes Sportlers ist, kann man das sogar nachvollziehen.
    Mir persönlich ist es wuppe, da ich kein irgendwie geartetes Interesse daran habe anderen beim Sport zuzuschauen.
    Übrigens, Daumen hoch für die Einleitung, nachdem ich vor kurzem eine Doku über die Flache Erde Bewegung gesehen habe, und daraufhin mal auf FB und Google geschaut habe ist meine Idiotentoleranz deutlich gesunken, sorry aber anders lässt sich das nicht ausdrücken,
    Gruß
    Micke

  2. Tja, ich glaube auch, Olympia ist eine Sackgasse, aus der Japan nicht so einfach raus kommt.
    Ich weiß nicht, was letztlich die beste Lösung wäre, aber es fühlt sich definitiv so an, als müsste jetzt Japan für eine Ausrichtung von Olympia geradestehen und hat keine Wahl, aber riskiert viel. Ich hatte ja gehofft (aus rein touristischen Gründen :) ), dass Japan wegen der Olympischen Spiele Fahrt aufnimmt bei den Impfungen. In Ländern wie den USA, GB oder im Zweifel auch Deutschland wäre das alles besser vorstellbar.
    Ich denke, dass Athlet_innen großteils geimpft sind (Biontech hat den Impfstoff gesponsert) und selbstverständlich die ganze Zeit quasi in Quarantäne verbringen. Da wird es keinen Kontakt geben mit der Bevölkerung. Schön werden die Spiele so für niemanden, man hätte sie wirklich absagen sollen.

    Und Danke für Deine Einleitung. Wir haben in Deutschland genug Schwurbler, das hat man jetzt ausreichend gehört. Und irgendwie schön zu wissen, dass Du Dich in Japan ebenso über Böhmermann und Schulz freuen kannst wie ich in Deutschland. :)

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