BlogStaatlich finanzierter Heuschnupfen

Staatlich finanzierter Heuschnupfen

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Sicheltannen - hier in Kashima (Chiba)
Sicheltannen – hier in Kashima (Chiba)
Jedes Jahr im Februar geht es los: Die Zahl der Maskierten steigt sprunghaft an. Manche können einem regelrecht Angst einjagen, wenn sie plötzlich mit kompletter Gesichtsmaske und Taucherbrille vor einem stehen. Die japanische Variante von Zorro? Oder haben die Leute panische Angst vor radioaktiven Partikeln, wie einige Reporter nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima mutmassten? Eher nicht. Der Grund lautet in den meisten Fällen 杉 Sugi, inoffiziell Japanische Zeder und offiziell Sicheltanne genannt. Der vulgäre Lateiner nennt sie Cryptomeria japonica. Und dieser Baum ist der Verursacher einer besonders heftigen Variante des Heuschnupfens. Schätzungen gehen davon aus, dass 25 bis 40 Millionen Japaner unter Sicheltannenheuschnupfen leiden. Wenn eine Krankheit hier den Namen „Volkskrankheit“ verdient hat, dann diese. Viele können zwischen Februar und April kaum noch aus ihren Augen schauen und schweben irgendwo zwischen dieser und einer anderen Welt. Wenn ich es genau bedenke, kenne ich in meinem Umkreis wahrscheinlich mehr Menschen mit dieser Pollenallergie als Menschen ohne.
Heute habe ich bei der Sendung TV Tackle von Takeshi „Beat“ Kitano erfahren (und das Fernsehen lügt ja bekanntlich nicht), dass man in Japan trotz allem Jahr für Jahr 15 Millionen neue japanische Zedern pflanzt. Ganz offiziell – 70% der Zedernforst wird zudem mit Steuergeldern bezahlt. Das sind viele Millionen Euro pro Jahr. Als man – wie oben beschrieben von weitem identifizierbare – Pollenallergieopfer mit diesen Fakten konfrontierte, waren diese verständlicherweise hellauf begeistert: Die eigene, alljährlich wiederkehrende Krankheit wird mit ihren eigenen Steuergeldern lanciert. Der Verdruss ist verständlich. Sicher, die Bäume werden grösstenteils in den Bergen gepflanzt, aber man hat festgestellt, dass die Pollen gut und gerne 300 km weit fliegen können.
Natürlich gibt es Gründe für die Baumwahl: Die Bäume wachsen sehr schnell, sind äusserst stabil und das Holz eignet sich hervorragend zum Bauen, und in Japan wird ja bekanntlich sehr, sehr viel mit Holz gebaut. Keine schnell wachsenden Bäume = erhöhte Hangrutschgefahr (die fast überall in Japan latent ist) = Eigenversorgung mit Holz als Baumaterial in Gefahr. Aber makaber ist das Ganze schon, denn die Kosten für das Gesundheitssystem sowie die Arbeitsausfälle dürften erstaunliche Dimensionen erreichen. In diesem Sinne wird sich so schnell also wohl nichts ändern.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

7 Kommentare

  1. Ich war/bin extrem allergisch auf Gräser und Getreide. Gut 4 Monate im Jahr habe ich mich daher immer zu Hause eingeschlossen. Schon das Fenster öffnen hat Dauerniesen verursacht (von zugeklebten Augen etc. mal ganz abgesehen).
    Vor nunmehr 6 Jahren gabs dann etwas, das man sich unter die Zunge tropft – jeden Tag (ich für ca. 7-8 Monate im Jahr). Schmeckt absolut scheußlich, wenn man es nach 3 Minuten dann runterschluckt, und eine halbe Stunde hat man eine juckende „Wattemasse“ unter der Zunge, aber dafür war ich dann selbst draußen im Hochsommer fast beschwerdefrei, wenn ich noch eine Tablette genommen habe.
    Ich hoffe, sowas wird auch für andere Allergien entwickelt.
    Was im Artikel leider nicht steht: Neuauforstung für existierende Wälder oder neue Fläche oder…? Das wäre aj auch von Bedeutung. Ob das die Allergien verschlimmert oder „nur“ nicht verbessert.

    • Gut zu wissen dass es Medizin zu geben scheint, die hilft. Würde mich mal interessieren, ob das auch bei japanischen Zedern hilft… und was es hier kostet.
      Neue Fläche ist nicht gemeint – es gibt kaum freie Flächen für Aufforstung, da die meisten Berge bereits bewaldet sind. Wenn aber irgendwo abgeholzt wird (oder Wälder durch Hangrutsch oder Taifune verschwinden), wird gern mit diesen Bäumen aufgeforstet.

      • Ich glaube nicht, dass es sowas (im Moment) gibt. Ich habe es nicht im Kopf, aber es sind nur einige Allergien, bei denen es diese Art Medikament gibt. Und da waren glaube ich keinerlei Bäume dabei.
        Das Problem ist halt, dass für jedes Allergen (oder zumindest Gruppe ähnlicher Allergene/Proteine) ein eigenes Medikament erforscht werden muss.
        Die Kosten unterscheiden sich nicht wesentlich von der Hyposensibilisierung. Beides teuer ;) Ich glaube eine 3-Monatspackung hat knapp so viel gekostet wie die Hypo-Spritzen. Gut, da ich mindestens 2 dieser Packungen brauche ist das dann teurer im Jahr.

  2. Ich meine irgendwo eine Werbung gesehen zu haben, ob nun im Fernsehen oder der Bahn, das habe ich vergessen, in der eine Firma die bestehenden Sugi abgeholzt hat und dafuer welche pflanzten, die keinen Heuschnupfen verursachen.

    • Das kam in der Tat auch zur Sprache: Rund 10% der neuen Sugi sind wohl allergenarm oder ganz ohne Allergene. Man kommt aber wohl mit den Setzlingen nicht hinterher, weshalb der Großteil aus normalen Sugi besteht.

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