BlogWeniger Arbeit für fast Alle

Weniger Arbeit für fast Alle

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Was Politik und Änderungen im Lebensstil bisher nicht vermochten, hat die gegenwärtige Wirtschaftskrise in kurzer Zeit geschafft: Die Zahl der Überstunden hat drastisch abgenommen – im Vergleich zum Vorjahr um ca. 40 Prozent.
Dies hat das Ministerium für Gesundheit, Arbeit und Soziales vorgestern als Ergebnis einer aktuellen Studie bekanntgegeben. Allerdings gilt der drastische Rückgang nur für das produzierende Gewerbe – im Dienstleistungsbereich gab es einen leichten Anstieg.
Laut Studie – die allerdings nur Firmen mit mehr als 5 Angestellten einbezog – betrug die durchschnittliche Anzahl an monatlichen Überstunden 9 Stunden. Was sehr wenig erscheint, aber zum einen handelt es sich wie gesagt um das produzierende Gewerbe, zum anderen sind hier nur „offizielle“, gesetzlich erlaubte und in der Regel bezahlte Überstunden gemeint.
Dementsprechend sanken die Beträge stark, die Firmen für Überstunden bezahlten. Was wiederum heisst, das immer mehr Arbeiter immer weniger Geld in den Taschen haben. Und sich so mancher Arbeitnehmer plötzlich fragt, was er mit all der vielen Freizeit anstellen soll.
Den kompletten Bericht kann man hier einsehen – auf Japanisch natürlich.
Das Wort des Tages: 所定外労働時間: shoteigai rōdō jikan – „ausserordentliche Arbeitszeit“, also Überstunden. Der offizielle Begriff. Die meisten verwenden den Begriff 残業 (zangyō), was so viel bedeutet wie „übrig gebliebene Arbeit“. Ein perfider Begriff, impliziert er doch eine gewisse Mitschuld des Arbeitenden daran, dass nicht alle Arbeit in der gesetzten Zeit geschafft werden konnte. Dementsprechend ist Zangō in der Regel „サービス残業“ – Service-Überstunden – und damit unbezahlt.

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tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

8 Kommentare

  1. Ich denke auch, dass es sich bei den neun stunden um die „außerordentliche Arbeitszeit“ handelt. Daneben wird sicher genügend „Arbeit übrig bleiben“. Diese Unterscheidung offenbart wieder diese wohl japantypische „Untertänigkeit“. Ich kann mich einfach damit nicht abfinden, dass alles einfach so hingenommen wird.

    Mal abgesehen von der derzeitigen Weltwirtschaftslage, wie hoch ist denn der tatsächliche Druck auf die Arbeitnehmer in Japan? Ich sehe immer als Vergleich Südkorea – die machen ja immer erst mal ein Fass auf, wenn seitens der Arbeitgeber der Druck erhöht wird. Und dann sind auch gleich alle mit dabei.

    So nebenbei: was ist eigentlich aus den Leiharbeitern geworden?

  2. @ Michael Hess

    Vielen Dank für deinen sehr ausführlichen Bericht die Arbeitsverhältnisse in Japan betreffend. Das mit der Arbeitseffizienz habe ich schon von verschiedenen Seiten gehört, nichtsdestotrotz fällt es mir schwer dies zu glauben. Die von mir gepflegten Japan-Klischees sind einfach stärker. :D

  3. Mich würde interessieren was so die üblichen Wochenarbeitszeiten in den verschiedenen Berufssparten in Japan sind ?
    Und auch wieviel vom Lohn für Miete; Krankenkasse und Steuer im Durchschnitt abgeht. Wobei die offizielle Wochenarbeitszeit von der real geleisteten wohl ziemlich abweichen kann. Ist es auch in Eurer Firma üblich das die Belegschaft erst geht wenn der Chef gegangen ist ? Und wie oft müssen/gehen die Mitarbeiter nach Feierabend noch zusammen auf einen Umtrunk? Und nicht zu vergessen wie schaut es mit Boni und Extrazahlungen aus. Das ist ja bei uns ein grosses Thema in Europa und insbesondere der Schweiz.Der Griff in die Firmenkasse der oberen Kader scheint in Japan kein Thema zu sein. Heydal

  4. Mir erscheinen schon die 9 Überstunden pro Monat sehr viel. Das wären ja ca. 2 Stunden extra pro Woche. Als Schüler ist man es eher gewohnt, dass man pro Woche 2 Minusstunden macht :D

  5. Naja man muss bei der Überstunden Diskussion auch sehen was die Herren
    Angestellten sonst so in ihrer Arbeitszeit machen und damit meine ich
    nicht nur, P0rn0 im Internet, Nickerchen und sonstiges ;-)
    Ein japanischer Bekannter hat mal ein halbes Jahr in der italienischen
    Filiale seiner Firma gearbeitet (amerikanischer chipproduzent) und
    meinte zu mir „Boahhh die Jungs machen in 8h das was wir so in 10-12
    machen…“
    Und das kann ich für den Teil den ich kennengelernt habe bestätigen.
    Dienstleistung mag da definitiv was anderes sein.
    Viele Arbeitnehmer hier scheinen aber auch die Überstunden gerne
    abzuleisten wegen dem extra Geld.

    @Heydal
    normale Arbeitszeit ist so 40h die Woche alle Abzüge zusammen kommen auf
    maximal 20% des Gehalts.
    Normale Arbeitszeit ist dann so bis 50h, das hatte ich aber auch fast
    immer in Deutschland mit seinen 38h auf dem Papier und ohne Ausgleich.
    Hier in Japan hatte ich auf dem Gehaltsstreifen 50000 Yen für die
    „üblichen“ Überstunden schon drauf. ;-)

    Umtrunk… kann von 0 (bei mir) bis 1mal pro Woche gehen.
    Meist ist es aber wohl wenn dann eher 1mal pro Monat.
    Extrema mögen existieren ;-)

    Bonus… naja 2-3 mal pro Jahr ein Monatsgehalt ist normal, drückt aber
    das restliche Monatsgehalt da eben halt das per anum Gehalt durch 15
    geteilt wird.
    Hat wohl steuerliche Vorteile auf beiden Seiten und für die Firma den
    grossen Vorteil das sie über diesen Bonus Gehalt einsparen können wenn
    das Geschäft wie jetzt schlecht geht.
    Leider planen viele Familien ihre Angelegenheiten aber doch mit 15
    Gehältern (weil sie bislang fast nie die gestrichen haben) weswegen es
    in der letzten Wirtschaftskrise und auch jetzt dann Stress gibt wenn die
    Bonus zahlungen wegbleiben.
    Es gibt Firmen natürlich die durch dieses Bonus system Leute ausnutzen,
    Bonus versprochen baer dann „wegen schlechter Geschäftslage“ doch nicht
    gezahlt.
    Leider kann man da nix gegen machen weil eben der Bonus halt ein
    flex.Zahlung ist und kein Anspruch daruf besteht.

    Alles hat seine Vor-, Nachteile und Schattenseiten.

    Aber es stimmt die Managergehälter sind wohl im Vergleich zur USA und
    Deutschladn hier eher extrem niedrig.
    In der NZZ war da mal ende letzten Jahres ein Artikel… habe leider den
    Link verlegt :/

  6. @ Heydal
    Das Problem ist… es ist ansteckend! :-/
    Weil man bekommt ab uns zu nämlich einen auf den Deckel wenn man mit dt. Effizienz einfach zu früh fertig ist und die Kollegen dann „dumm da stehen“.

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