BlogHauptsache TPO!

Hauptsache TPO!

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Das schöne an Sprachen ist, dass es immer wieder etwas Neues zu entdecken gibt – das kann die Entdeckung sein, dass man seit Ewigkeiten etwas falsch macht oder … andere etwas die ganze Zeit falsch machen.
Da wurde mir von einer Angestellten in der vergangenen Woche ein Dokument zur Begutachtung eingereicht – auf der ersten Seite stand dabei ganz gross das Wort シュミレーション (Shumireeshon). Da mit Katakana geschrieben, handelt es sich im Japanischen i.d.R. um ein Fremdwort. Interessanterweise wusste ich auch sofort, was gemeint war – „Simulation“ (englisch ausgesprochen) – doch irgend etwas revoltierte in meinem Gehirn: Das kann nicht richtig sein. Ich rief die Verfasserin des Schreibens (Japanerin) zu mir und sagte: これがあっている自信がありますか – „Bist Du sicher dass das richtig ist?“ Das mag für den einen oder anderen vermessen klingen, aber ich muss dazusagen, dass ich seit langem auch unsere Newsletter korrekturlese, und meistens auch etwas finde – und häufig freilich auch etwas dazulerne.
Im Japanischen überrascht mich eigentlich nicht mehr allzu viel, deshalb fragte ich auch vorsichtig nach. Danach die übliche Prozedur: Im englischen Wiki „Simulation“ eingeben, dann zur japanischen Seite springen. Die sagte: „シミュレーション“ (Shimyureeshon), und das klingt um ein Vielfaches logischer. Nun irrt jedoch auch die Wikipedia gelegentlich – bzw. versucht man mit der Wiki näher an der Logik zu sein als an der Wirklichkeit (in Sachen Wortnutzung).
Hilfreich ist in dem Fall, bei Google nachzuschauen, wie viele Hits die jeweilige Schreibweise hervorbringt:
シュミレーション (Shumireeshon): 2’640’000 Hits
シミュレーション (Shimyureeshon): 13’700’000 Hits
Klarer Fall: Shimyuureeshon als Schreibweise ist eindeutig verbreiteter, doch die falsche Schreibweise scheint auch sehr verbreitet zu sein. Und das ist kein Einzelfall: Aus irgendeinem Grund bezeichnen sehr viele Japaner eine Avocado als „アボガド“ (Abogado). Das „b“ ist in Ordnung – bei Fremdwörtern wird aus „v“ oft „b“, aber das „g“ klingt schlichtweg falsch. Die korrekte Schreibweise lautet アボカド (Abokado). Abogado findet man mit Google 737’000 Mal, die korrekte Schreibweise 1’470’000 Mal: 2 von 5 Hits benutzen also die falsche Schreibweise.
Das „falsch“ müsste man jedoch eigentlich in Anführungszeichen setzen: Es gibt keine zentrale, offizielle oder auch inoffizielle, Institution in Japan, die bestimmt, was orthographisch richtig oder falsch ist. Und da Fremdwörter im Japanischen aufgrund der Silbenstruktur sowieso meist stark verfremdet werden, ist es schwer, ein „richtig“ oder „falsch“ zu bestimmen. Extrem wird es dabei bei der Benutzung des „ー“: jener verlängert bei Fremdwörtern den vorangehenden Vokal, wird dabei jedoch oft nach Gusto benutzt. So schreiben die einen „User“ auf Japanisch „ユーザ“ (yuuza), die anderen „ユーザー“ (Yuuzaa). Was ist richtig? Keine Ahnung. Es gibt keine offizielle Version.
Mehr schöne Beispiele (für Japanischkundige) gibt es bei 誤字等の館 (Gojira no Yakata).
——-
Neulich stolperte ich bei einem Manuskript – verfasst von einem Japaner auf Japanisch und Englisch – auf den folgenden Satz:
„Why don’t you wear a Yukata? It’s nice and suits TPO“
Yukata ist ein leichter Sommerkimono – so weit, so gut, aber WTF is TPO? Klingt Englisch, ist es auch – aber irgendwo auch wieder nicht. TPO bedeutet „Time, Place and Occasion“ (Zeit, Ort und Umstand). Der Begriff wurde 1978 von einem japanischen Modedesigner geschaffen und bedeutet „Ort, Zeit und Umstand (angemessen)“ – bei einem Feuerwerk in Japan ist somit ein Yukata definitiv TPO-angemessen. Jogginganzüge im Supermarkt sind entgegen anderslautender Gerüchte hingegen definitiv nicht TPO-angemessen!
Das Wort des Tages: 和製英語 wasei eigo. „Wasei“ bedeutet „In Japan produziert“, „eigo“ ist Englisch. In Japan kreiertes Englisch. Für Japaner irreführend, weil die meisten nicht wissen, was nur in Japan existiert und was nicht.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

10 Kommentare

  1. Ja, die Umwandlung fremdsprachiger Ausdrücke ins Japanische … eine schwierige Angelegenheit, vor allem weil man es aus seiner (nicht-japanischen) Sprachgewohnheit heraus oft auch noch anders schreiben würde. Bspw. バレーボール.

    Wird für mich eigentlich nur noch übertroffen durch die manchmal seltsam anmutenden Onomatopöeia (Lautmalerei), die ja auch meist in Katakana geschrieben wird (Bsp.:
    雨がザーザーと降っている – Es regnet in Strömen).

  2. Also ich freue mich über jedes Wort das vom englischen ins japanische verformt wurde. Die lerne ich nämlich in der Regel viel einfacher und genauso wichtig vergesse sie auch nicht so schnell wieder.

  3. Bezüglich Jogginganzug im Supermarkt… da warst noch nicht in Bochum im Supermarkt. ;-)

    Aber ich habe auch schon hier in manchen Ecken Damen und Herren in ganz weiten schlabbrigen Jogginghosen mit Sweater oder „Muskelshirt“ und dazu Addidas Badelatschen gesehen. Ich erwarte da immer die Mantaflotte vor der Tür dann.
    Aber ich stimme dir da mit TPO dann zu.

    Den Begriff TPO an sich finde ich hingegen hat was. Auch wenn es wieder so ein 3L-Akronym ist. ;-)

  4. Die Frage nach der „richtigen“ Schreibung ist ja erstmal sekundär, primär ist doch die Lautung. Ein Wort wurde da eben in verschiedenen lautlichen Variationen entlehnt und daß die sich dann im Schriftbild zeigen, ist nur eine Folge davon. Alternativ könnten sich diese Variationen auch erst nachträglich herausgebildet haben durch lokale Einflüsse und ähnliches. In Deutschland existiert ja eine (nichtverbindliche) Orthographie und damit zumindest eine gewisse schriftliche Uniformität, lautlich sind wir aber genauso vielfältig.

    Sehr schönes Blog übrigens, ich lese schon länger, schreibe allerdings zum ersten Mal.

    Grüße,
    wakaranu

  5. Vergleichbar wie das TPO ist mir in der Vergangenheit die Verwendung des Satzes „im wahrsten Sinne des Wortes“ zu unpassenden Gelegenheiten aufgefallen, wie z.B. „Der Bauer ist mit seinem Feld verwachsen, im wahrsten Sinne des Wortes“

  6. Was? Kein Duden? Japanisch lernen lass ich da mal lieber. Hab mit der deutschen Richtigschreibung schon genug zu tun.

    Werden Fremdwörter denn in japanischen Wörterbüchern aufgeführt? Vielleicht nach einiger Zeit?

  7. Gerade im jap. Wikipedia-Artikel über Deutschland über ルートヴィヒ (Ludwig van Beethoven) gestoßen. Warum schreibt man das Rūtovihi, also mit ヒ am Ende, hätte da eher ein gu erwartet???

  8. Die Aussprache „Ludwich“ ist die Standardaussprache gewesen und würde erst jüngst vielerorts durch „Ludwik“ verdrängt, das aus dem süddeutschen Raum stammt. Im Japanischen würde man das dann aber mit ク umsetzen, eine Aussprache mit „g“ wäre äußerst undeutsch (sogenannte Auslautverhärtung, wer ein Stichwort zum Googeln braucht).

  9. @wakaranu

    Interessant, hab‘ mal die Aussprache nachgeschlagen. In Deutschland wird es tatsächlich luːt.vɪç ausgesprochen, wobei im engl. Sprachraum lʊdvɪɡ, also g statt k. Ich merke im Deutschen geht ein g am Ende häufig Richtung k, wie z.B. bei Lustig.

  10. @Juergen

    Nicht nur ein g, letztlich alle Obstruenten wie b,d,g werden im Deutschen am Silbenende stimmlos gemacht, das trifft eigentlich generell zu, eine Ausnahme ist mir noch nie untergekommen; das Schriftbild täuscht darüber gerne hinweg.
    Rein aussprachetechnisch liegt bei „lustig“ übrigens der gleiche Fall vor wie bei „Ludwig“.

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