BlogErdbebensicher? Schau auf den Bushaltestellennamen!

Erdbebensicher? Schau auf den Bushaltestellennamen!

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Da hat mir doch jetzt tatsächlich eine Geowissenschaftlerin, Mariko Kawai von der Nagoya University, die Idee geklaut, eine Korrelation zwischen Ortsnamen und dem Gefährdungsgrad durch Erdbeben (und Überschwemmungen) herzustellen¹. Eine Idee, die eigentlich auf der Hand liegt.
In nahezu allen Ländern und Sprachen dieser Erde gibt es unzählige Ortsnamen, die quasi nicht mehr tun, als die topgraphische Lage zu beschreiben: Kapstadt, Nürnberg, Hongkong, Freital und so weiter. Burg und Berg? Oben. -au, -wiesen, -tal? Unten. Die Liste ist lang. Und das ist auch in Japan nicht anders. Es ist sogar einfacher in Japan, da Schriftzeichen bzw. sogar Teile von Schriftzeichen oft schon Auskunft geben über die Lage. Während dieses Hintergrundwissen in Deutschland keine allzu grosse Rolle spielt (wobei es natürlich nützlich ist, zu wissen, ob man in einer ehemaligen Flussaue lebt oder nicht), ist dieses Wissen in Japan jedoch überlebenswichtig. Beziehungsweise sehr hilfreich, wenn man überlegt, sich ein Haus zu kaufen, denn das sollte ja nach Möglichkeit auf stabilem Untergrund stehen und nicht beim nächsten Taifun fortgespült werden.
Die Idee, dazu Ortsnamen zu benutzen, ist gut und schön. So merkt man schon am Stadtnamen Urayasu, dass hier viel Wasser mit im Spiel ist (ura = kleine Bucht). Um jedoch im kleineren Maßstab arbeiten zu können, hat der Wissenschaftler nun Bushaltestellennamen benutzt, und das ist natürlich genial. Die Haltestellen liegen in der Stadt keine 300 Meter weit auseinander und erlauben so ein viel exakteres Bild. So zum Beispiel bei einer Buslinie, die ich gelegentlich benutze: Sie startet in 溝の口 Mizonokuchi (= Mündung des Wassergrabens), geht erst mal durch flaches Land, über die Haltestelle „平 Taira“ (Ebene), gefolgt von der Haltestelle „初山 Hatsuyama“ (=erster Berg), dann bis 潮見台浄水場 Shiomidai Jōsuijō (Meeresblickplateau-Wasseraufbereitungsanlage) bis 鷲ヶ峰 Washigamine (Adlerpass). Auf der Strecke werden zwar nur rund 100 Höhenmeter bewältigt, aber die Haltestellennamen dramatisieren die Morphologie auf eindrucksvolle Weise. Und wo kauft man also nun ein Haus? In Mizonokuchi? Oder Taira? Oder doch lieber am Plateau? Natürlich kauft der Großteil lieber in Mizonokuchi, denn erstmal ist das bequemer, und zweitens näher dran an Tokyo. Dass die Gefährdung durch Erdbeben und Fluten hier wesentlich höher ist, sollte jedoch klar sein.
Natürlich ist das Raster mit den Bushaltestellennamen zu grob. Ein -tal (-ya wie im Shibuya, oder -tani) bedeutet ja nicht, dass das ganze Gebiet gefährdet ist – schliesslich ändert sich die Lage am Talhang umgehend. Man muss sich also die Gegend schon selbst ansehen – mit einem Mindestmass an Logik (Wasser fliesst immer abwärts, die Schwerkraft siegt immer usw.) – um zu ahnen (!), wie gefährdet ein Gebiet ist. Oftmals ist die Lage aufgrund der dichten Bebauung jedoch nicht so offensichtlich – da fallen 5 Meter Höhenunterschied nicht auf und äussern sich nur im Ortsnamen, der meistens entstand, bevor alles zugestellt wurde.
Die Karte der Bushaltestellennamen, unterteilt in „sichere“ und „unsichere“ Ortsnamen, weist dabei in der Tat eine Korrelation auf mit zum Beispiel der Schwere der Erdbebenschäden nach dem grossen Kanto-Erdbeben 1923. Östlich, vor allem aber nordöstlich der Ginza, tauchen vermehrt Ortsnamen mit Schriftzeichen auf, in denen das Radikal Wasser enthalten ist. Und in der Tat: Diese Gegend ist besonders gefährdet, durch Überschwemmungen und durch Erdbeben. Das ist letztendlich auch der Grund, warum ich mir dort kein Haus kaufen würde. Im Westen von Tokyo, Kawasaki und Yokohama sieht es dann ganz anders aus: Da gibt es ganz viele „Berge“, Hänge“, „Gipfel“ und „Plateaus“.
Für Interessierte hier eine kurze, unvollständige Liste von „guten“ und „schlechten“ Schriftzeichen in Ortsnamen:
Eher stabil:
山 (yama, san) 尾 (-o), 岳 (-dake), 峰, (mine), 嶽 (gaku), 嶺 (mine)
岡 丘 (beides: oka) 台 (dai) 坂上 (sakagami) 坂 阪 (beides: saka) 岩 (iwa) 盤 (ban) 曽根 (sone) 森 (mori) 林 (hayashi, rin) 高 (taka, kō) 上 (ue, kami)
Eher instabil:
崎 (saki) 岬 (misaki) 浜 (hama) 洲 (su) 潟 (gata) 島 (shima) 岸 (kishi, gan) 潮 (shio) 入 (iri) 湾 (wan) 谷 (tani, -ya) 窪 (kubo) 袋 (fukuro) 坂下 (sakashita)
Wie man sieht, eigentlich ganz logisch: Ortsnamen, die eher instabilen Untergrund / eine instabile Lage versprechen, enthalten oft das Radikal „Wasser“ (氵 ); stabiler hingegen erscheinen Ortsnamen mit dem Radikal Erde ( 土 ) und Berg ( 山 ). Natürlich gibt es genügend Ausnahmen: Das Schriftzeichen 島 shima (Insel) zum Beispiel enthält das Radikal für Berg, deutet hingegen auf Wasser hin – taucht jedoch auch in Ortsnamen fernab der Küste auf.
¹Siehe hier (PDF, Japanisch).

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

2 Kommentare

  1. Toller Eintrag!
    Ganz unbekannt ist die Theorie bei Japanern aber auch nicht, mir wurde bei der Wohnungssuche davon abgeraten, an Orten mit eben jenem Wasser-Bezug auch nur in Betracht zu ziehen.
    Jetzt wohne ich in 馬場, da kommt immerhin 土 drin vor ^^

  2. Meine Frau klärte mich auch über dieses Prinzip auf.
    Da ging es aber um die Wahl der Kanji für den Namen unseres Kindes.
    Wegen diesem Prinzip wurden viele Orte umbenannt. Es lohnt sich also auch ein Blick in die Historie der Orte. :)

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