Es ist seit langem mein erklärtes Ziel, alle 15 ehemaligen Sowjetrepubliken mindestens einmal besucht zu haben. Die Älteren erinnern sich. Der Zähler steht bei 9, und das nun schon seit 20 Jahren, denn seit ich nach Japan gezogen bin, ergab sich einfach keine Gelegenheit. Doch irgendwann muss es mal sein. Und wann wenn nicht jetzt. Was noch fehlt sind Aserbaidschan und alle 5 -stan Länder.
Die Planung erwies sich schon mal als recht kompliziert: 10 Tage Zeit sind nicht gerade üppig. Und es stellte sich schnell heraus, dass es von Japan nicht einen einzigen Direktflug in die Region gibt – wie man es auch dreht, man muss irgendwo umsteigen. Sei es in Doha, Istanbul, irgendwo in China – oder, überraschenderweise, in Seoul. Oder: Man fliegt von Japan direkt nach Ürümqi in Westchina und fährt von dort weiter mit Bahn und Bus und Auto. Sicherlich die attraktivste Variante – aber nicht in der kurzen Zeit. Nach langem Grübeln entstand so letztendlich die folgende Idee: Mit dem Flugzeug über Seoul nach Almaty (früher Alma Ata), dann mit dem Bus nach Bishkek (früher Frunse), von dort ein kurzer Flug nach Taschkent, dann mit dem Zug weiter nach Buchara, dann Samarkand, dann – irgendwie – überland nach Dushanbe, wieder ein kurzer Flug zurück nach Tashkent, und von dort soll es wieder zurück nach Japan gehen – über Astana und Seoul.
Turkmenistan ist dieses Mal nicht dabei, denn das Nordkorea Zentralasiens ist nicht so ohne Weiteres machbar: Alle Ausländer, also auch jene der Nachbarländer, müssen einen triftigen Grund angeben, warum sie dort hinwollen. Das geht nur in Form einer Gruppe und mit Hilfe von Agenturen. Die anderen -stan-Länder der ehemaligen Sowjetunion können von deutschen Staatsbürgern ganz ohne Visum und nur mit gültigem Reisepass – ohne jegliche Voranmeldung – besucht werden.
Quanto costa? Nun, der Flug Tokyo – Seoul – Almaty kostete umgerechnet 413 Euro, der Rückflug von Tashkent über Astana und Seoul nach Tokyo 364 Euro, der Flug von Dushanbe nach Tashkent 108 und der von Bishkek nach Tashkent 105 Euro. Flüge buche ich mal hier, mal dort. Dieses Mal suchte ich sie über Trip.com raus. Und so viel vorneweg: Alles hat bestens geklappt. In allen Fällen brauchte ich lediglich den Reisepass, um ins Flugzeug zu kommen – keine Buchungsnummern, kein Papierkram. So muss das sein.
Gesagt, getan. Der erste Flug beginnt am Flughafen von Narita – um 12:05 mittags, aber da man bis Narita eine Weile braucht, heißt es halb sieben morgens raus aus den Federn. T’Ways heisst die Airline – ein koreanischer LCC, der aber interessanterweise nicht vom Terminal 3 (ich nenne das lieblos zusammengeschweißte Ikea-Terminal gern »Cholera-Terminal«) startet, sondern vom regulären Terminal 2. Mitten im Berufsverkehr geht es mit nur einer rund 7 kg schweren Tasche nach Narita. Dort sind im Terminal so wenig Menschen unterwegs, dass ich mich in Corona-Zeiten zurückversetzt fühle. Mit dem Unterschied, dass alle Geschäfte geöffnet haben. Der Check-in verläuft reibungslos, zumal ich kein Gepäck aufgeben muss. Auch bei der Security und bei der Ausreise ist nichts los. Faszinierend. Der Flieger ist dann aber doch vollends ausgebucht – und es ist eng, aber was soll man Anderes erwarten.
Wir starten pünktlich – und landen pünktlich gut zwei Stunden später am Incheon International Airport. Und dort heißt es nun, knapp 5 Stunden Zeit totschlagen. Die ganze Zeit im Transit herumhängen liegt mir nicht, also begebe ich mich zur Ausreise, und die hilft schon mal, rund 45 Minuten Zeit zu verschwenden, denn die Schlange an den Einreiseschaltern für Inhaber ausländischer Pässe ist hunderte Meter lang. Aber die Behörden arbeiten zügig. Auf der Einreisekarte soll man auf jeden Fall seinen Aufenthaltsort in Südkorea mit voller Adresse eintragen – ich schreibe einfach die Adresse des Flughafens rein und das funktioniert. Diese Regel, dass man die Hoteladresse eintragen soll, ist sowieso Unsinn: Da es nicht kontrolliert wird, kann man jede x-beliebige Adresse eintragen, so man denn Böses im Schilde führt. Warum also der Aufwand.
Hunger. Ich hätte auch was im Flugzeug kaufen können, aber so lange kann ich dann doch warten. Die Preise für Snacks und Getränke an Bord waren interessant: 8000 Won oder 800 Yen oder 8 Euro oder 8 Dollar: In Wahrheit sind 8000 Won jedoch 835 Yen oder 5.80 Dollar oder 5.10 Euro. Merke: Bei T’Way hat man nur mit Yen oder Won geWONnen.
Als ich endlich draußen bin, ist es schon nach 15 Uhr. Ich laufe zum Bahnhof neben dem Flughafen und kaufe eine Fahrkarte bis Unseo – lediglich zwei Stationen bzw. knapp 10 Minuten vom Terminal entfernt. Die Karte kostet 1650 Won – allerdings sind 500 Won davon Pfand für die solide Plastikkarte, die man als Ticket erhält. Die kann man nach Verlassen der Bahn dann in einen Automaten stecken, und schon bekommt man den Pfand zurück.
Unseo ist ein ziemlich moderner Stadtteil von Incheon – es gibt auch zahlreiche Restaurants, wobei 90% von diesen entweder auf Koreanisches BBQ oder auf gebratenes Hühnervieh spezialisiert zu sein scheinen. Der Großteil hat jedoch zu, und das geht so: An der Tür steht als Öffnungszeit 11-22 Uhr. Und Google Maps zeigt das auch an. Taucht man jedoch gegen 16 Uhr auf, kleben handgeschriebene Zettel draußen dran – »machen gerade Pause«. Nach einigem Herumgelaufe finde ich dann doch ein offenes Restaurant. Spezialität: »Black Chicken«. Gebackene, und in der Tat schwarze Hühnerfetzen, die sogar richtig gut schmecken (und wohlgemerkt nicht einfach nur verkokelt sind), aber wie fast immer in Korea ist die Portion viel zu groß – koreanische Restaurants gehen scheinbar nach wie vor davon aus, dass niemand hier alleine ist. Nun ist es bereits auch schon 17 Uhr – der nächste Flug geht um 19:30, und wenn bei der Ausreise genau so viel los ist wie bei der Einreise, ist es an der Zeit, sich zu sputen. Also schnell zurück zum Bahnhof, und zum Abreiseterminal gelaufen. Der Check-in der nächsten Airline ist schnell gefunden: Von Seoul soll es mit Eastar nach Almaty gehen, ebenfalls ein LCC. Ich habe dieses Mal nicht bewusst LCC gewählt – es gab einfach keine Alternativen, denn die Reisezeit, oder sagen wir mal besser die Flugzeit, war mit der Verbindung über Seoul mit Abstand am günstigsten. Am Schalter wartete … niemand. Das erlebt man auch selten. Eine Angestellte winkt mich heran, fragt nach dem Pass – und plötzlich will sie den Rest der Reiseroute wissen und ob ich denn schon alle Flug- und Bus- und Bahntickets bereit habe. Mir dämmert schon, worauf sie hinaus will: Zahlreiche Länder verlangen nämlich einen Nachweis, dass man bereits die Ausreise gebucht hat. Auch das ist eigentlich unsinnig, schließlich könnte man das ja später ändern, aber nun gut. Für die Ausreise aus Kasachstan habe ich aber nun gerade keinen Nachweis, denn der Plan ist, von Kasachstan auf dem Landweg, mit dem Bus oder einer Marshrutka, gen Kirgisistan zu verlassen – doch das kann man nicht im Voraus online kaufen. Nachdem die Angestellte lange nach irgendwelchen Informationen mit ihrem Handy sucht und letztendlich ihren Boss konsultiert, gibt sie nach rund 15 Minuten endlich grünes Licht. Das wäre ja was geworden: Einreise nach Kasachstan in Südkorea abgelehnt. Etwas ähnliches war mir ja vor langer Zeit mit meiner damals künftigen und heute gegenwärtigen Frau passiert: Man hatte ihr damals kurzerhand die Ausstellung eines Visums für Moldawien verwehrt – statt nach Moldawien ging es dann spontan von Rumänien nach Serbien und Mazedonien…
Danach kam es wie es natürlich kommen musste: Security und Ausreise waren in weniger als 10 Minuten erledigt. Ist ja klar, wenn man sich beeilt. Dann also ein ausgelassener Spaziergang durch den riesigen Flughafen, der aus Terminal 1, Terminal 2 und dem »Concourse« genannten Mittelteil besteht. Insgesamt 291 Gates gibt es, und die einzelnen Bereiche sind soweit voneinander entfernt, dass es eigens einen Zug gibt. Gegen den Flughafen von Incheon wirkt der BER geradezu winzig klein.
Kurz nach 19 Uhr beginnt nun auch endlich das Boarding. Die Passagiere sind ziemlich gemischt – aber fast alle sind Koreaner, mit ein paar Kasachen hier und da, die entweder koreanisch, kasachisch (nehme ich zumindest an) oder russisch reden. Auch dieser Flieger ist so gut wie ausgebucht. Aber auch nur so gut wie: Rund 15 Euro hatte ich springen lassen, um einen halbwegs anständigen Sitz wählen zu können. Scheinbar haben das nicht allzu viele Passagiere gemacht, denn meine Sitzreihe bleibt komplett frei, und da die Sitze extra kosten, wird eigens darauf hingewiesen, dass der Sitzplatzwechsel nicht erlaubt ist. Das soll mir recht sein. Doch nun geht es endlich – mit einer guten halben Stunde Verspätung – los – quer über ganz China, nach Kasachstan. Almaty, ich komme! Nur noch 6 ½ Stunden…
Die fast 7 Stunden sollten lang werden. Inflight entertainment gab es natürlich nicht, und dank der Verspätung war es draußen nun auch schon zappenduster. Aus Langeweile entschied ich, vom „Bordcafe“ etwas zu bestellen, aber dir Stewardess sagte, dass sie mit dem Wagen durchkommen würden. Und zwar beginnend von hinten. Dann könne ich bestellen. Sitz A2 – das wird wohl eine Weile dauern, zumal der Verkauf ständig wegen Turbulenzen unterbrochen wurde. Nach über 3 Stunden kam dann der Wagen doch noch vorbei. Nun wurde es chaotisch. Natürlich war das, was ich wollte, ausverkauft. Also etwas anderes. Dann akzeptierte man meinen 5000-Won-Schein, der bis vor 5 Stunden noch im Geldautomaten schlummerte, nicht, da eine kleine Ecke abgerissen war. Also bezahlte ich im Yen und bestellte noch ein Wasser dazu, um die 1000 Yen vollzumachen. Das Wasser gab man mir sofort — dann wollten sie weiterziehen. Was ist mit den anderen Sachen? „Oh! Hier sind dir Chips“. Ähem, und das Getränk? Ach, das haben wir auch vergessen? Das passte prima zum genervten Gesicht der Stewardess beim Erklären der Sicherheitshinweise. Das Personal war offensichtlich überfordert, nicht sehr motiviert – entweder weil sie überarbeitet waren oder schlecht bezahlt wurden. Lektion gelernt: Eastar vermeiden.
Aus der Luft war die westchinesische Großstadt Ürümqi sehr gut zu erkennen. Ebenso die Chinesisch-Kasachische Grenze bei Alashankou, denn bis zur Grenze ist es leuchtend hell, dahinter spürbar dunkler.
Wir kommen kurz nach Mitternacht endlich an – Mitternacht in Ksachstan, wohlgemerkt, denn nach der japanischen Zeitzone war es bereits 4 Uhr morgens. Eine gewisse Müdigkeit war nun zwar vorhanden, aber die wurde schnell von der Neugier und einem »geschafft!«-Gefühl verdrängt. Also raus aus dem Flieger und zum Einreiseschalter. Das geht relativ reibungslos. Und da ich nur mit Handgepäck reise, muss ich auch nicht auf Gepäck warten. Der Zoll winkt mich auch durch, und so bin ich keine 15 Minuten nach Landung draußen. Kaffee! Bargeld! Das brauche ich erstmal. Sofort ist ein Taxifahrer an meinen Fersen. Ich erkläre ihm erstmal, dass ein paar andere Sachen höhere Priorität haben, aber er hat vollstes Verständnis – sprich, er will mir partout nicht von der Seite weichen. Er zeigt mir auf einer Webseite für internationale Taxireservierungen die Preise: Flughafen bis Bahnhof I von Almaty: 21500 Tenge. Das wären fast 50 Euro… und das klingt sehr viel. Mangels Alternativen und der Tatsache, dass es nun wirklich schon sehr spät ist, willige ich widerwillig ein. Immerhin kann ich vorher ein bisschen örtliches Geld, »tenge« genannt, abheben – und einen Kaffee bekomme ich auch – randvoll, und brühend heiß.
Geld abzuheben ist gar nicht so einfach. Am Automaten steht zwar “Visa”, aber so richtig will er nicht mit dem Geld rausrücken. Erst am zweiten Automaten und nach mehrfachen Versuchen klappt es – endlich halte ich ein paar Tenge, 60’000, um genau zu sein, in der Hand: Ein Euro entspricht knapp 600 Tenge, aber für mich ist es wesentlich leichter, in Yen zu rechnen, denn ich brauche den Betrag nur durch 3 zu teilen. Als langjähriger Sammler von Geldscheinen (ich weiß, wer sammelt sie nicht…) und Münzen kann ich dabei gleich bestätigen, dass die kasachischen Scheine wirklich außergewöhnlich schön sind. Man möchte sie gar nicht aus der Hand geben — aber da macht mir der Taxifahrer natürlich einen Strich durch die Rechnung.
Das Taxiproblem hätte sich leicht lösen können – Yandex heißt die Lösung. Der russische Provider von fast allen unterhält unter anderem die russische Version von Uber: Man gibt Start und Ziel ein, bekommt den Preis angezeigt und kann so schnell ein Taxi rufen, ohne um den Preis feilschen zu müssen. Dafür braucht man eine Yandex ID und eine Verifikation via Telefonnummer, und das ist das Problem, wenn man mit einer eSIM ohne Telefonnummer reist.
Vor dem Internationel Flughafen von Almaty herrscht gepflegtes Chaos: Die Autos stapeln sich, wildes Gehupe, und das trotz so später Stunde. Das Auto ist relativ schmutzig und alt – egal, rein ins Gedränge. Stop & Go und ein gnadenloses Gedränge. Millimeterarbeit. Bei jeder kleinen Beschleunigung denkt man: Jetzt stößt er aber zusammen! Nein, jetzt! Aber es passiert nicht. Der Fahrer ist sehr gesprächig – und darin liegt der Unterschied zu Yandex-Fahrern, denn die sind eher schweigsam und darauf aus, so schnell wie möglich die Fahrgäste loszuwerden. Fahrer, die mehr Geld abknöpfen als üblich, sind weitaus gesprächiger – vielleicht, weil sie ein schlechtes Gewissen haben.
Mein Botel heißt „Grand Erbil Hotel“ — das klingt auf jeden Fall schon mal türkisch — und liegt unweit des Bahnhofs Almaty 1, welcher wiederum in etwa zwischen Flughafen und Zentrum liegt. Laut Taxifahrer, mit dem ich mich angestrengt auf Russisch unterhalte, versichert mir, dass es ein gutes Hotel sei — mit Bar, Restaurant und allem. Schön. Je nachdem, wo man schaut und für welchen Tag man bucht, kostet ein Einzelzimmer dort zwischen 15 und 35 Euro. Und nach einer knappen halben Stunde kommen wir auch endlich an. Der Taxifahrer hat offensichtlich ein leicht schlechtes Gewissen, denn plötzlich versichert er mir, dass 20 Tausend Tenge genug seien. Das glaube ich gern, denn er hat wirklich gut abkassiert.
Das Hotel entschädigt jedoch umgehend: Im Erdgeschoss gibt es zwei Restaurants, und im hinteren Teil einen riesigen Partyraum, in dem gerade zünftig gefeiert wird. Kurzhaarige, meist nicht sehr große Muskelpakete rennen herum — und in der Regel dralle, ordentlich geschminkte junge Frauen. Russendisko! Die Ausstattung der Restaurants kann man nur mit „opulent“ beschreiben. Plüschsessel, riesige Tische. Kronleuchter — das ganze Programm. Der Check-in verläuft schnell und reibungslos, und das Zimmer ist in etwa 5 Mal so groß wie das eines japanischen Businesshotels. Sauber ist es auch. Jetzt heißt es aber erstmal Tasche ins Zimmer werfen und schnell wieder ins Erdgeschoss. Ja, Essen könne ich bestellen, und Bier natürlich auch. Die Speisekarte ist bebildert, es gibt verschiedene Küchen — Russisch ist dabei, Türkisch, Georgisch, Italienisch und Chinesisch. Die meisten Gerichte kosten um die 2000 bis 3000 Tenge. Und es gibt tschechisches Bier vom Fass. Ich wähne mich kurzzeitig im Paradies. Letztendlich entscheide ich mich für ein paar meiner heiß geliebten, georgischen Khinkali und einen griechischen Salat. Ein guter Start. Und nach einer guten halben Stunde verschwindet auch allmählich das Brummen der Flugzeugmotoren aus meinem Kopf. Zeit zum Schlafen.