Stan, Stan, Stan: Teil 5 (Taschkent – Buchara)

0
23

Auch heute geht es relativ zeitig los, aber nicht zu zeitig: Heute geht es nämlich nach Usbekistan. Und ich hatte bei der Reiseplanung lange gehadert, wie ich das angehen soll. Am liebsten wäre ich natürlich quer durch Kirgisistan immer weiter nach Westen gefahren – das sieht machbar aus, aber der ganze Westen ist so bergig, dass es keine Grenzübergänge gibt. Man müsste über Tadschikistan fahren, quer durch diverse Gebirge, und das würde letztendlich Tage dauern. Die schnellste Verbindung verläuft fast komplett durch Kasachstan, doch auch dann sind rund 650 Kilometer – rechnet man dann noch die Zeit ein, die man bei zwei Grenzübertritten vertrödelt, ist das an einem Tag kaum zu schaffen. Die Alternative wäre gewesen, unterwegs in Taras oder Schymkent zu übernachten, aber dann hätte Tadschiskistan nicht in den Plan gepasst. Schweren Herzens hatte ich deshalb letztendlich einen Flug gebucht – von Bischkek nach Taschkent. Der Flug startet um 11:40 – und landet um 12 Uhr mittags in Taschkent, denn es gibt eine Stunde Zeitverschiebung. Passt also. Der internationale Flughafen von Bischkek liegt ein paar dutzend Kilometer außerhalb der Hauptstadt, auf halbem Weg zur kasachischen Grenze, und heißt Manas International Airport. An der Rezeption des Hotels lag ein Zettel, auf dem angeboten wird, für 1500 Som ein Taxi zum Flughafen zu organisieren. Da ich aufgrund der begrenzten Fähigkeiten meiner Sim-Karte noch immer nicht Yandex installieren konnte, fragte ich also den Rezeptionisten, mir ein Taxi zu organisieren. Und so ging es gegen halb neun los. Das Taxi war eher kein Taxi sondern ein Abholservice – ein schönes, neues, koreanisches Auto. A propos Auto: In der Gegend gibt es, kaum überraschend, sehr vikoreanische und chinesische Autos, und der Anteil von elektrischen Autos ist erstaunlich hoch. Das einzige Manko des sehr bequemen Wagens war die Navi, denn die kannte nur Südkorea und zeigte deshalb permanent die gleiche koreanische Siedlung (muss dann wohl die nordwestlichste Gemeinde gewesen sein) und schlug immer wieder vor, in der Siedlung dort irgendwohin zu fahren.

Orthodoxe Kirche in Bischkek
Orthodoxe Kirche in Bischkek
Und raus geht es, Richtung Manas International Airport
Und raus geht es, Richtung Manas International Airport

Wir fahren an einer größeren Kirche vorbei – die erste, die ich in Kirgisistan sehe – und verlassen relativ flink die Hauptstadt. Auf einer kerzengeraden Schnellstraße geht es dann quer durch eine weite Ebene gen Norden. Sicherheitshalber hatte ich eine Stunde für die Fahrt zum Flughafen eingeplant, doch wir brauchen letztendlich keine 45 Minuten bis dorthin. Der Flughafen ist erwartungsgemäß eher klein und nicht allzu voll. Um hineinzugelangen, muss man sein Gepäck scannen lassen. Die Anzeige sagt, das mein Flug plangemäß starten soll, aber zum Check-in gibt es keine Informationen. Ich laufe einmal quer durch den Flughafen – das dauert nicht allzu lange – verlasse noch mal den Flughafen, um draußen einen Kaffee zu fassen und laufe unter anderem auch an der Ankunft vorbei. Dort kommen tatsächlich gerade Fluggäste an, die sofort von zahlreichen Taxifahrern umringt werden. Überall das Gleiche! Gegen 10 Uhr finde ich endlich die Schalter, an denen ich mich einchecken lassen kann – im Gegensatz zu den anderen Flügen steht aber keinerlei Information auf den Bildschirmen. Ich fliege mit Tez Air, einer kirgisischen Fluggesellschaft. Das Einchecken ist kein Problem – der Pass reicht, und da ich im Gepäck nun vor allem viel kirgischen Honig habe, gebe ich das lieber als normales Gepäck auf, damit mir die Security nicht alles vor dem Boarden abnimmt.

Das Tor nach Kirgisistan: Manas International Airport
Das Tor nach Kirgisistan: Manas International Airport
Mit Tez Jet auf nach Taschkent
Mit Tez Jet auf nach Taschkent

Vom Manas Airport gibt es viele tägliche Flüge nach Osh (in Kirgisistan) und Istanbul sowie internationale Flüge nach Seoul, Moskau, Ankara, Novosibirsk, Kasan, Ürümqi, Baku, Sharjah und so weiter. Flüge in die Nachbarländer sind eher selten – es gibt offensichtlich keinen Flug nach Tadschikistan, und Flüge nach Usbekistan sind auch selten. Nun gut. Die Ausreise verläuft unkompliziert, und so habe ich fast zwei Stunden Zeit im Terminal. Dort gibt es ein paar Cafes sowie ein paar Duty Free-Läden, die aber extrem überteuert sind. Ein T-Shirt für Kind #2 kaufe ich aber trotzdem, denn wer weiß, wann ich sonst Zeit haben werde, um Souvenire zu finden. Dank – mäßigem – Wifi im Terminal vergeht die Zeit auch recht schnell, und schon geht es mit dem Bus zum Flugzeug. Selbiges ist eine Avro RJ85 (früher BAe 146), ein Kurzstrecken-Passagierflugzeug, das nur bis 2003 produziert wurde. Die Maschine ist also schon ein bisschen älter. Meinen Fensterplatz finde ich schnell, und ich bin erstaunt, dass das Flugzeug zu 100% ausgebucht ist. Und es geht tatsächlich pünktlich los – auf nach Usbekistan!

Schneebedeckte Berge im Westen von Kirgisistan
Schneebedeckte Berge im Westen von Kirgisistan
Traditionelle, dichte Bebauung in Taschkent
Traditionelle, dichte Bebauung in Taschkent

Dank Fensterplatz und heruntergeladener Google Maps Karte wird es nicht langweilig. Es geht Richtung kasachische Grenze, und dann immer an der Grenze entlang, ohne diese zu überfliegen – das ist klar, man müsste ja sonst Überflugsrechte bezahlen. Die Ebene haben wir schnell verlassen – und schon fliegen wir über schneebedeckte Berge. Die reichen bis zur usbekischen Grenze – dahinter werden die Berge deutlich niedriger, und es wird eindeutig semiarid, sprich, sehr trocken. Von dort ist es dann auch nicht mehr weit, denn Taschkent liegt im äußersten Osten von Usbekistan, in einem kleinen Zipfel am Rande des Ferghana-Tals, zwischen Kasachstan und Tadschikistan – bis Kasachstan sind es nur 15 Kilometer, bis Tadschikistan 60 Kilometer und bis Kirgisistan 85 Kilometer.

Taschkent sieht beim Überflug interessant aus: Es gibt neue Neubauviertel, aber es überwiegen traditionelle Häuser, die alle einen kleinen Innenhof haben. Wir landen pünktlich – vor einem Terminal, der noch ein bisschen nach Baustelle aussieht. Also raus aus dem Flieger, rein in den Bus, und die Treppen hinauf zum eigentlichen Terminal gehen – der erinnert hier eher ein bisschen an einen Bahnhof. Man landet sofort bei der Immigration, aber unser Flieger scheint der einzige gewesen zu sein, und zahlreiche Schalter haben offen, weshalb es relativ zügig voranging. Kaum hat man die Einreise passiert, wird man schon von SIM-Karten-Verkäufer begrüßt. Ich schalte mein Handy an und schaue, ob meine eSim hier halbwegs funktioniert – und nein, das tut sie natürlich nicht. Die am Flughafen angebotenen eSim sind nicht allzu teuer, also beschliesse ich, mir vorsichtshalbe eine zuzulegen. Der Angestellte scheint es eilig zu haben – er erklärt irgendwas, gibt mir auch eine große, echte SIM-Karte und sagt irgendwas von Bonus, und obwohl die Einstellung meines iPhones Japanisch ist, manövriert er problemlos durch all die Einstellungen. Und siehe da – es funktioniert. Mit den paar chinesischen Passagieren scheint es ein paar mehr Probleme zu geben – zumal eine chinesische Dame resolut auf Englisch auf den überforderten Verkäufer einredet, was bei beiden Seiten zu Frustratiion führt.

Gepäckdilemma am Flughafen von Taschkent
Gepäckdilemma am Flughafen von Taschkent
Ab ins Terminal vom Flughafen von Taschkent
Ab ins Terminal vom Flughafen von Taschkent

Okay, Bargeld. Ich sehe einen Schalter, an dem man Geld wechseln kann. Kirgisische Som? Nimmt man nicht. Schade, denn ich habe noch mehr als 3000 davon. Ist ja auch nur das Nachbarland. Kirgisische Som und Tadschikische Somoni kann man in Almaty umtauschen – aber nirgendwo in Usbekistan. Hier wird es übrigens etwas schwieriger mit der Rechnerei, denn für einen Euro bekommt man sage und schreibe 15’000 Som. Für mich wird es hier wieder einfacher, in Yen zu rechnen – ich brauche die Beträge nur durch 100 zu teilen und schon habe ich ungefähr den Betrag in Yen. Und hier wird es auch schon Zeit, sich an die ganzen Apostrophen zu gewöhnen, die im Usbekischen inflationär benutzt werden: Früher, bis 2005, benutzte man das kyrillische Alphabet, doch heute fast nur das lateinische. Und da gibt es zwei Varianten des Vokals „o“: Einmal das einfach o, und dann das o‘ – ersteres wird wie unser handelstypisches „o“ wie in „offen“ gesprochen, Letzeres eher dunkler, gerundeter, wie das in „Pott“. Ein kleiner Unterscheid also. Und so schreibt man Usbekistan in der Landessprache „O’zbekistan“ und die Währung „Som“ wird So’m geschrieben. Und eine Handvoll davon, genauer gesagt eine Million, ziehe ich mir erstmal am Geldautomaten.

Usbekischer 50'000 So'm-Schein
Usbekischer 50’000 So’m-Schein

Am hinteren Ende der Empfangshalle und auf gleicher Ebene befinden sich die Gepäckbänder – und da sehe ich auch schon meine Tasche liegen. Das Band dreht sich schon gar nicht mehr, denn die meisten Passagiere sind mit Handgepäck geflogen – die anderen hatten wahrscheinlich nicht das Problem, Geld abheben zu müssen. Ausgerechnet vor meinem Koffer hat sich jedoch eine Militärkapelle aufgebaut – beiderseits eines roten Teppichs. Und sie beginnen zu spielen. Also, das freut mich ja nun wirklich, dass man sich so auf meinen Besuch gefreut hat, doch das wäre nun wirklich nicht nötig gewesen! Und wie komme ich jetzt an meine Tasche!? Ich höre ein paar Minuten zu, und verstehe auch, dass der zu erwartende Gast noch nicht eingetroffen ist – also schlängele ich mich dann doch irgendwie durch und rette meine Tasche. Der Zoll winkt mich freundllich durch, und schon bin ich draußen – wo ich von Temperaturen über 35 Grad, prallem Sonnenschein und einer Heerschar Taxifahrer erwartet werden.

Von Taxis am Flughafen habe ich vorerst genug, weshalb ich die Schar hinter mir lasse. Immerhin weiss ich bereits, dass der Flughafen recht zentrumsnah liegt – da gibt es doch sicherlich Busse. Also lasse ich den Flughafen hinter mir und laufe zwei, dreihundert Meter, bis ich an eine sehr große Straße gelange. Dort gibt es eine Bushaltestelle, und am ersten Bus, an dem irgendwas mit Bahnhof dransteht, steige ich ein. Und wie schön: Man braucht nur seine Kreditkarte (bzw. das Handy mit Apple Pay, zum Beispiel) an ein kleines Gerät halten, und schon hat man bezahlt: Die Fahrkarte kostet gerade mal 17’000 So’m, also 12 Cent. Der Bus ist sehr modern, und er braust los Richtung Norden – auf Google Map kann ich schnell ausmachen, dass er tatsächlich zum Hauptbahnhof der Stadt fährt. Die Idee: Vom Bahnhof erstmal mit der U-Bahn zu dem Hotel fahren, das ich für die Nacht drei Tage später gebucht habe, um dort die Hälfte des Gepäcks (Honig!) abzustellen, damit ich das Zeug nicht überall mit hinschleppen muss. Durch einen langen, dunklen und menschenleeren Tunnel geht es vor dem schönen Bahnhof von Taschkent zur U-Bahn-Station. Schnell das Gepäck gescannt, wieder 17’000 So’m mit dem Handy bezahlt, und schon brause ich mit einer relativ neuen U-Bahn nach Norden, zur Station „Gafur Ghulyam“. Die U-Bahn-Stationen sind wunderschön – so, wie ich sie auch aus Moskau und anderen ehemals sowjetischen Städten kenne.

Die meisten U-Bahnen in Taschkent sind neu, aber es gibt auch noch ein paar der alten, schönen Wagen
Die meisten U-Bahnen in Taschkent sind neu, aber es gibt auch noch ein paar der alten, schönen Wagen
Schönes Mosaik in einer der U-Bahn-Stationen
Schönes Mosaik in einer der U-Bahn-Stationen

In Gafur Ghulyam geht es wieder an die Oberfläche – dort kreuzen sich zwei sechsspurige Prospekte, flankiert von Wohnhäusern aus der Sowjetzeit. Ich laufe ein paar hundert Meter an einer langen Baustelle vorbei, und es ist wirklich brennend heiß draußen. Aber keine 10 Minuten später stehe ich in der kühlen Lobby des Hotel Inspira-S Tashkent, das einzige Hotel auf dieser Tour, für das ich mehr als 50 Euro (gute 60 Euro, um genau zu sein) ausgegeben habe. Und zwar weil dies die letzte Station der Reise sein wird. Die Angestellten sind superfreundlich, und natürlich ist es kein Problem, ein Teil meines Gepäcks hierzulassen. Wie schön. Wesentlich erleichtert geht es wieder nach draußen, in die Hitze – zurück zur U-Bahn-Station. Dieses Mal fahre ich nur eine Station weit – bis Alisher Navoi, um von dort schnurstracks durch die Stadt zu marschieren. Zeit habe ich, denn es ist erst gegen 2 Uhr nachmittags, und mein Zug nach Buchara fährt erst 19:44 ab. Das sind also fast sechs Stunden, um Taschkent, einer Stadt mit immerhin 3 Millionen Einwohnern, zu erkunden. 6 Stunden werden dafür nicht reichen – aber in drei Tagen werde ich ja insgesamt noch einmal einen ganzen Tag hier verbringen.

Typisch sowjetisch: Die U-Bahn-Stationen sind wahre Paläste
Typisch sowjetisch: Die U-Bahn-Stationen sind wahre Paläste
Hier erinnern die Lampen an Baumwolle – ein wichtiges Anbauprodukt in Usbekistan
Hier erinnern die Lampen an Baumwolle – ein wichtiges Anbauprodukt in Usbekistan

Ich verlasse die Metro und laufe los – und merke schnell, dass das Zentrum riesig ist, denn alles ist eine Nummer größer geplant als in „normalen“ Städten – und alles ist um ein Vielfaches größer als im sehr kompakten Tokyo. Riesige Straßen, riesige Parks, riesige Regierungsgebäude. Es geht erstmal Richtung Süden, und dann die ebenfalls sehr breite Afrosiab-Straße Richtung Osten. Bald überquere ich einen Fluss und laufe dann am Islam Karimov-Museum vorbei – dieser war der erste Präsident von Usbekistan nach der Unabhängigkeit 1991. Er regierte immerhin 25 Jahre lang bis zu seinem Tod 2016, und er gewann alle Neuwahlen mit mehr als 90%. Na, das ist doch toll, wenn das ganze Volk so vereint hinter seinem Führer steht. Angeblich gab es viele Unregelmäßigkeiten – so wurden wohl alle ungültigen Wahlzettel – sowie alle Wahlzettel, die aufgrund von Nichtteilnahme an den Wahlen nicht abgegeben wurden, automatisch als Ja-Stimmen gewertet. Es gab Berichte von Folter, Korruption und dergleichen – und laut dem britischen Botschafter von 2002 bis 2004, Craig Murray, wurden wohl 2002 zwei Gefangene hingerichtet, indem man sie bei lebendigem Leib kochte.

Das Islam Karimov-Museum und Denkmal im Herzen von Taschkent
Das Islam Karimov-Museum und Denkmal im Herzen von Taschkent
Diese Stare sieht man überall in Zentralasien
Diese Stare sieht man überall in Zentralasien

Überhaupt — bis vor nicht allzu langer Zeit hatte ich ein eher schlechtes Bild von Usbekistan, und liest man sich einiges durch über die Zeit von 1991 bis 2016, erschrickt man: In Sachen Menschenrechte, Pressefreiheit und anderen Dingen befand sich das Land im internationalen Vergleich ganz weit unten — in unmittelbarer Nähe zu Nordkorea. Doch in den letzten 10 Jahren scheint sich Vieles zum Besseren gewendet zu haben. Das geht sogar so weit, dass das Land mit einer gut gemachten Werbekampagne international um Besucher wirbt. Zurecht, denn es gibt sehr viel zu sehen.

Weiter geht es, in sengender Hitze, am Staatlichen Puppentheater vorbei — zu einem schönen, schattenspendenden Park. Mit dem klangvollen Namen Taschkent Park Nummer 5. Er hatte sicher früher einen anderen Namen. Hier gibt es auch Mioske, an denen man Getränke, Spielzeuge und dergleichen kaufen kann. Überall lungern Stare herum — Hirtenmaina heißen die wohl auf Deutsch, und sie sind ziemlich groß und laut. Das viele Grün in Taschkent erfordert eine ordentliche Bewässerung, und kaum ist der Wasserwagen durch, baden die schwarzbraunen Vögel mit Freude in den Pfützen. Mich lockt jetzt allerdings weniger kühles Nass, sondern mehr etwas zu essen, denn es ist schon nach drei Uhr. An der wunderschönen Oper vorbei geht es also schnurstracks zu einem Restaurant, dass mir mein japanischer Reiseführer aufgrund der schönen Atmosphäre ans Herz legt: Navvat. Das Restaurant ist riesig,  mit einem großen Innenhof, und es ist sehr touristisch, aber durchaus geschmackvoll eingerichtet. Aufgrund der Uhrzeit gibt es auch so gut wie keine Gäste.

Teil des späten Mittags: Lamm-Kebab und Non, das traditionelle Brot Usbekistans
Teil des späten Mittags: Lamm-Kebab und Non, das traditionelle Brot Usbekistans
Gut zum Schlendern: Die Mustafa Kemal Atatürk-Strasse
Gut zum Schlendern: Die Mustafa Kemal Atatürk-Strasse

Nach dem nicht allzu üppigen, aber durchaus leckeren Mahl geht es wieder raus – immerhin habe ich noch mehr als 3 Stunden Zeit. Erstmal geht es die Atatürk-Strasse, eine Art Mini-Arbat, lang Richtung Ankhor-Park und Gedenkpark für die Opfer des 2. Weltkrieges. Von dort geht es westwärts, quer durch den Qashqar-Park, wo viele ältere Menschen Bilder, Münzen und Devotionalien aus Sowjetzeiten verkaufen. Das ist durchaus interessant, zumal auch sowjetische Pässe angeboten werden, aber ich widerstehe der Versuchung und schleppe mich weiter durch die Hitze. Bis zum Amir Timur-Platz, ein gewaltiger, grüner Platz mit einer riesigen Ringstraße rundherum. Der im 14. Jahrhundert lebende Feldherr und Eroberer schaffte es, durch viel Geschick einen von Nepal bis nach Anatolien reichenden Staat zu schaffen – dementsprechend ist man in Usbekistan besonders stolz auf diesen in Samarkand gebürtigen Nationalheld. Der Amir Timur-Park nebst Denkmal in der Parkmitte unterstreicht die Wichtigkeit dieser historischen Figur für das Land eindrucksvoll.

Amir Timur-Denkmal in der Stadtmitte von Taschkent
Amir Timur-Denkmal in der Stadtmitte von Taschkent
100% Sowjetarchitektur: Das in die Jahre gekommene Hotel Usbekistan
100% Sowjetarchitektur: Das in die Jahre gekommene Hotel Usbekistan

Das ganze Herumlaufen macht irgendwann ziemlich fertig, aber immerhin ist es nun schon 17 Uhr, und so laufe ich gemächlich Richtung Bahnhof. Dabei komme ich an der Taras Schewtschenko-Straße vorbei, einer kleinen Strasse mit zahlreichen Straßenrestaurants, -cafes und – einem Irish Pub. Na sowas. im Kaffee Bon! lasse ich mich erstmal nieder, denn meine Handybatterie neight sich langsam dem Ende zu – und da es immer komplizierter wird, mit einer Powerbank in ein Flugzeug einzuchecken, habe ich auch nicht vor, mir eine zu kaufen. Die Kaffeehauskultur ist offensichtlich auch in Taschkent angekommen – es gibt vernünftigen Kaffee aus teuren, italienischen Maschinen und westliche Backwaren. Und Steckdosen (die übrigens genau wie die deutschen Steckdosen sind – zum Glück habe ich die passenden Adapter dabei). Dann also erstmal etwas ausruhen, ein paar Emails von der Arbeit lesen – und die Beine strecken. Ich glaube, jetzt bin ich wirklich in Usbekistan angekommen.

Bis zum Bahnhof ist nicht mehr allzu weit. An der Staatlichen Universität von Taschkent vorbei geht es über ein paar Umwege zum Bahnhof mit dem riesigen Bahnhofsvorplatz. Auch hier heißt es: Alles Gepäck scannen lassen, erst dann geht es rein. Die Fahrkarte für den Zug hatte ich schon Wochen vorher gekauft – es geht mit dem Afrosiyob-Express-Zug von Taschkent bis ins immerhin 600 Kilometer entfernt liegende Buchara. Dieser Express-Zug vom Typ „Talgo“ (aber mit russischer Spurbreite) verkehrt hier seit 2011 und ist bis über 200 Kilometer pro Stunde schnell – so braucht „mein“ Zug bis Buchara nur gut 4 Stunden. 3 Minuten nach Mitternacht soll ich laut Fahrplan ankommen.

Das staatliche Mueum der Timuriden
Das staatliche Mueum der Timuriden
Die schöne Oper von Taschkent
Die schöne Oper von Taschkent

Bei meiner Planung stieß ich auf die Schnellzugverbindung — und war überrascht, denn das hatte ich in dieser Ecke nicht erwartet. Und wenn ich die Wahl habe zwischen Zug und Flugzeug, bevorzuge ich die Bahn. Außer in Deutschland, aber das ist eine andere Geschichte. Glücklicher- und neugierigerweise hatte ich dann schon mal nachgeschaut, wie es zu dieser Schnellverbindung gab — und stieß dabei schnell auf den Hinweis, dass die ausbeine kaum etwas davon haben, da die Plätze oft Monate im Voraus ausgebucht sind — von Reisegruppen und Weiterverkäufern. Oh. Das wäre aber schade. Schnell nachgeschaut, und siehe da – man kann die Fahrkarten ganz bequem online bei der Usbekischen Eisenbahn kaufen. Der Zug war am eigentlich geplanten Reisetag nach Buchara tatsächlich zwei Wochen im Voraus ausgebucht, doch eine kleine Umstellung der Planung, und siehe da — ich konnte tatsächlich einen Platz buchen. Der Spaß kostet fast eine halbe Million So‘m, also rund 30 Euro.

Der Bahnhof von Taschkent - man benutzt das russische Wort "Voksal" dafür
Der Bahnhof von Taschkent – man benutzt das russische Wort „Voksal“ dafür
Der Afrosiyob-Expresszug donnert mit mehr als 200 km/h durch die Steppe
Der Afrosiyob-Expresszug donnert mit mehr als 200 km/h durch die Steppe

Im schönen Bahnhof gibt es nicht allzu viel zu tun. Es gibt ein paar Kioske, an denen man Souvenirs, Gebäck, Kaffee und dergleichen kaufen kann. Und Massagesessel, die man für ein paar zehntausend So‘m benutzen kann. Ist ja fast wie in Japan! An einem Kiosk mit Souvenirs bedient aushilfsweise ein kleines Mädchen, um die zehn Jahre alt. Ich suche Fallbleistifte, denn Kind #2 sammelt die. Doch wie erkläre ich das? Mir fällt nicht einmal das russische Wort für Bleistift ein, aber als ich auf einen Bleistift zeige, sagt sie sofort „карандаш!“ (karandasch). Wow. Sofort habe ich einen Flashback und fühle mich in die dritte Klasse versetzt. Das muss eines der ersten zehn russischen Wörter sein, die ich damals gelernt habe! Das nutzt mir jetzt allerdings nichts, denn Fallbleistifte gibt es offenbar nicht. Und dann ist es auch schon fast halb acht abends — der Expresszug fährt ein, und nach Vorzeigen eines QR-Codes auf dem Handy darf ich den Bahnsteig betreten. Und wie scheinbar noch immer üblich, hat jeder Waggon einen eigenen Schaffner, der nochmal die Fahrkarte kontrolliert.

Das Innere: Sehr bequem. Da kann man auch als häufiger Shinkansen-Nutzer nicht meckern
Das Innere: Sehr bequem. Da kann man auch als häufiger Shinkansen-Nutzer nicht meckern
Wie Gott in Usbekistan: Ein kühles Bllondes im Restaurantwagen
Wie Gott in Usbekistan: Ein kühles Bllondes im Restaurantwagen

Der Zug ist äußerst bequem, und ich sitze am Fenster. Allerdings ist es jetzt fast schon Nacht. USB-Anschlüsse gibt es auch, ebenso reguläre Steckdosen. Und es geht pünktlich um 19:44 los. Auf nach Buchara, der sagenumwobenen Stadt an der Seidenstraße! Mangels Aussicht beschließe ich, ein bisschen zu arbeiten und einen Blogeintrag zu verfassen, aber das Internet funktioniert so gut wie gar nicht, auch das Mobilfunknetz erlaubt keine Arbeit im Internet. Das bemerkt auch die junge Frau neben mir, die Gerade beginnen wollte, irgendwelchen Code zu testen. Ah, eine Kollegin! Wenige Minuten später fragt sie mich irgendwas, und wir kommen ins Gespräch. Wie sich herausstellte, studierte sie, ihres Zeichens Usbekin, eine Zeit lang in Berlin an einer englischsprachigen Schule, und sie arbeitet als IT-Fachfrau für das größte Verkaufsportal in Usbekistan. Mit anderen Worten, es wird richtig interessant, denn wir können uns über viele verschiedene Dinge unterhalten. Und zwar fast drei Stunden lang. Aber irgendwann treibt es mich dann doch in den Speisewagen, denn 1) habe ich Hunger, 2) liebe ich Speisewagen und 3) tut mir die junge Frau etwas leid, denn sie schien nach dem ganzen Reden auch etwas müde zu sein. Im Speisewagen gibt es nicht viel, aber mangels Alternativen genehmige ich mir ein paar ominöse Würstchen und ein kühles Bier. Wenig später, wir sind nun nur noch weniger als eine Stunde von Buchara entfernt, ist meine angenehme Nachbarin an ihrem Ziel. Wir verabschieden uns, und der Rest der Fahrt vergeht dann auch wie im Fluge.

Der Zug erreicht pünktlich und kurz nach Mitternacht Buchara. Das Problem: Der Bahnhof Buchara 1 liegt gar nicht in Buchara, sondern in der Nachbarstadt Kogon, und von hier sind es knapp 15 Kilometer bis zum Stadtzentrum. Natürlich fährt nachts nichts mehr, und das wissen die Taxifahrer natürlich. Ich hatte mich vorher bei meiner Unterkunft informiert, was denn ein Taxi ungefähr kosten sollte – die Antwort war um die 25’000 So’m, also weniger als 2 Euro. Kaum ist man aus dem Zug, wird man auch schon von Taxifahrern überfallen. Wie viel? „Nur 240’000 So’m!“ Wow. Mal eben so das Zehnfache! Das nenne ich dreist. Also beginne ich mit einem besonders feisten Exemplar an zu diskutieren. Ich sage ihm, dass ich den Yandex-Preis kenne, und das seine genannte Summe einfach viel zu viel ist. Es dauert mehr als 5 Minuten, bis ich ihn endlich auf 80’000 So’m runtergehandelt habe. Immer noch zu viel – aber bis zum Zentrum laufen möchte ich auch nicht.

Also geht es los. Es ist spürbar trockener – und trotz der späten Uhrzeit wärmer hier. Die Straßen sind sauber und überall ein bisschen kaputter. Der Taxifahrer lamentiert immer noch, sagt, dass er ja für das Geld Sprit kaufen muss und dergleichen und dass man in anderen Ländern wie in Europa oder Japan ja wesentlich mehr zahlt für Taxis, warum also nicht auch hier. Ich frage ihn, ob er eine Ahnung hat, was Sprit, Wohnung, Bildung und dergleichen in den genannten Ländern kostet? Als ich ihm sage, dass ich zur Zeit rund 2000 Dollar pro Monat allein für die Bildung meiner Kinder ausgebe, wird er ruhig und sagt „oh, das ist viel“. Ja, ist es. Während wir so diskutieren – wir sind mittlerweile in Smalltalk abgedriftet – kommen wir in Buchara an – und er beginnt, das Auto durch sehr, sehr enge Straßen zu manövrieren. Das sieht schon mal sehr abenteuerlich und spannend aus. Und dann sind wir endlich da: Vor dem Nanosh East Hotel. Dort hat mich ein Zimmer rund 40 Euro gekostet, denn die Bewertung war ausgezeichnet, der Preis beinhaltet Frühstück und es liegt direkt im Zentrum. Ich will den Fahrer bezahlen – habe aber nur zwei 50’000 So’m-Scheine. Er fragt mich, ob ich wirklich das Restgeld zurückhaben möchte. Sorry, ja, das war ja schließlich so vereinbart (und in Usbekistan gibt man in der Regel kein Trinkgeld – dafür sind aber vielerorts 15% Bedienung im Preis inbegriffen).

Nun aber ins Hotel. Der Manager des kleinen Hotels ist sehr freundlich und wusste ja bereits, dass ich erst nach Mitternacht antanze. Er zeigt mir, was ich wissen muss, und überreicht mir die Schlüssel. Ich frage ihn, ob in einen seiner Kühlschränke in der kleinen Lobby auch kaltes Bier wohne. Er schaut nach – und sagt mit traurigem Blick „Bier ja, kalt leider nein“. Kein Problem. Ab ins – schnuckelige und genügend große – Zimmer, und ab unter die wohlverdiente Dusche. Kurze Zeit später klopft es – und der Manager steht mit, nunmehr genügend kühlem, Bier vor der Tür. Und er sagt, ich solle mir unbedingt die Dachterrasse anschauen. Was ich auch gerne mache – eine Treppe später öffne ich die Tür und bin erstmal baff:

Blick vom East Nanosh-Hotel auf die Altstadt von Buchara
Blick vom East Nanosh-Hotel auf die Altstadt von Buchara

Einfach Wahnsinn – die halbe Altstadt erstreckte sich vor mir, und das auch noch bei strahlendem Mondlicht. Gut, die seltsame Diskobeleuchtung hinter der Alstadt ist Geschmackssache, aber es ist ein erhabener Anblick. Der mich stark an meine Tour nach Jerusalem erinnerte – dort hatte ich, ebenfalls, vom Dach eines kleinen Hotels, einen schönen Blick auf das Damaskus-Tor, die Stadtmauer und einen Teil der Innenstadt. Ein Anblick, bei dem einem ein wohliger Schauer über den Rücken läuft. Ich bin glücklich. Das war ein langer Tag, und dies hier war ein gebührender Abschluss. Ja, die Reise hat sich gelohnt, allein für diesen Anblick.

Das Zimmer im East Nanosh: Sehr sauber, und definitiv ausreichend
Das Zimmer im East Nanosh: Sehr sauber, und definitiv ausreichend
Historisches Bauwerk gleich neben dem Hotel: Buchara ist in der Sicht sehr authentisch
Historisches Bauwerk gleich neben dem Hotel: Buchara ist in der Sicht sehr authentisch

LEAVE A REPLY

Please enter your comment!
Please enter your name here

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.