Okay, hätte ich noch eine Woche Zeit, würde ich jetzt definitv noch eins, zwei Tage in Duschanbe bleiben, um die Umgebung zu erkunden, und dann würde ich definitiv quer durch die Berge nach Chorog fahren, im Südosten des Tadschikistans. Was wohl nicht so einfach ist, denn Badakschan und weitere – insgesamt die Hälfte des Landes – ist etwas unsicher und ohne spezielle Genehmigung der Behörden ist es Ausländern nicht erlaubt, dorthin zu reisen. Hätte ich noch zwei Wochen Zeit, würde ich definitiv nach Afghanistan weiterfahren, was beim Stand 2025 wohl kein so großes Problem mehr ist. Hätte ich noch einen Monat Zeit, würde es dann über Pakistan und Indien bis nach Nepal gehen. Hätte hätte. Leider habe ich nur noch zwei Tage Zeit, und mein Rückflug ist bereits morgen Abend, und zwar von Taschkent. Deshalb geht es heute wieder mit de Flugzeug weiter, mit der tadschikischen Somon Air. Der Flug startet 10:10, also stelle ich mich darauf ein, gegen 10 am Flughafen einzutreffen. Er ist relativ zentrumsnah. Ich frage den Hotelmanager, ob es einen Bus gäbe oder ob ein Taxi besser wäre – Taxi sei wohl besser, und die Fahrt dorthin dauert wohl vom Hotel keine 10 Minuten. Ja, das ist in der Tat nah! Er bietet an, ein Taxi zu rufen – aber es scheint ewig zu dauern. Der Grund: Wir sind mitten im Eid al-Adha, dem „Opferfest“, und da machen fast alle frei. Er bietet deshalb an, mich mit dem Auto selbst zum Flughafen zu bringen. Wow. Ich nehme dankend an und wir ziehen los – und in der Tat, es dauert keine 10 Minuten.
Security und Check-in sind schnell erledigt – auch hier brauche ich wieder nur meinen Pass vorzeigen, und alles in Ordnung. Der Flughafen ist – das ist nicht überraschend, sehr klein. Es gibt nur eine kleine Empfangshalle und gerade mal 6 Gates. Pro Jahr besuchen wohl rund 1,5 Millionen Touristen das Land – von denen sind aber mehr als 90% aus der ehemaligen Sowjetunion (und von denen wiederum fast alle aus Usbekistan). Gerade mal 100’000 Touristen aus anderen Ländern finden hierher. Dementsprechend passen alle Flüge des Tages vom größten Flughafen Tadschikistans auf einen Bildschirm: Es gibt internationale Flüge nach Istanbul, Moskau, Taschkent, Nowosibirsk, Samara, Astana, Ürümqi und Ekaterinenburg. Erstaunlich ist die schlechte Anbindung an die Nachbarländer – Flüge nach Usbekistan sind selten, und das liegt an den nicht idealen Beziehungen: Ein Tadschike, mit dem ich am Vortag sprach, sagte, dass die Usbeken Samarkand und Buchara „geklaut hätten“, denn die in der Tat vornehmlich von Tadschiken bewohnten Städte gehörten ursprünglich zu Tadschikistan. So leicht ist das zwar nicht zu sagen, aber in den Augen einiger Tadschiken zumindest gibt es da ungelöste Gebietskonflikte mit dem Nachbarn. Flüge zum Nachbarland Kirgisistan gibt es auch nicht – auch Flüge nach Kabul gibt es nicht, dabei leben in Afghanistan sehr viele Tadschiken.
Natürlich gibt es nicht viele Passage am Flughafen – es gibt nur 4 Flüge am Vormittag. EIn paar Duty Free-Geschäfte und Cafes gibt es, aber die Duty Free sind hoffnungslos überteuert. Die Zeit bis zum Flug will nicht vergehen – besser gesagt bereue ich, so früh zum Flughafen gefahren zu sein, denn das ist vertane Zeit. Immerhin beginnt das Boarding (fast) pünktlich, und so startet der Flieger kurz nach 10. Leider sitze ich direkt neben der Tragfläche und sehr diesig ist es auch – es gibt also nichts zu sehen. Ziemlich genau eine Stunde später landen wir in Taschkent, und ich reise – wieder – in Usbekistan ein. Das Prozedere kenne ich ja nun, und da dies auch mein zweiter Besuch ist, wartet dieses Mal kein Armeemusikkorps auf mich. Rund eine Stunde später bin ich wieder an der Metrostation vor dem Bahnhof – und ich habe Hunger. Ich erinnerte mich, in der gemütlichen Taras-Schewschenko-Straße ein interessantes Restaurant gesehen zu haben – das Afsona Schewschenko. Mit der Metro ist das nur eine Station entfernt – also auf nach Oybek, und von dort knapp zehn Minuten gelaufen. Das Restaurant hat geöffnet und ist ziemlich leer. Ich werde sofort platziert, und es duftet köstlich – die Küche, inklusive traditionellem Brotofens, ist gut einsehbar. Und alles auf der Speisekarte (das Menü kann mir einsehen) sieht fantastisch aus – hier gibt es traditionelle Küche der Region. Plötzlich höre ich am Tisch schräg hinter mir, wie eine Frau mit leiser Stimme zu sich selbst sagt „Hmm, was soll ich nur nehmen“. Und zwar auf Japanisch. Das überrascht mich dann etwas – ich drehe mich zu ihr um und frage auf Japanisch, ob sie auch hier als Tourist unterwegs ist. Sie ist etwas perplex, dann freut sie sich, und fragt, ob sie sich zu mir an den Tisch setzen kann. Klar, warum nicht. Sie ist fast Mitte 50, eine echte Frohnatur, und bereits seit mehreren Wochen auf der Spur – erst in Georgien, Armenien und Aserbaidschan, und jetzt eben seit Wochen in Usbekistan. Es wird eine interessante Unterhaltung über das Reisen an sich – sie schreibt, so wie ich, über das Reisen im Allgemeinen und UNESCO-Weltkulturerbestätten im Speziellen. Nach dem – ausgezeichneten – Essen ziehen wir wieder unserer Wege – sie fliegt am Abend nach Japan zurück, ich mache mich auf den bereits bekannten Weg zum Hotel, wo ja ein Teil meines Gepäcks schon auf mich wartet.
Kurz nach 14 Uhr komme ich am Hotel an – und ich darf sogar schon einchecken. Im Zimmer fällt mir ein Formular für Wäsche auf – super, dann kann ich hier ja meine Wäsche machen lassen und muss nicht mit einer Tasche voll mit durchschwitzten Sachen zurückfliegen. Die Wäsche soll wohl sogar auch am Abend fertig sein. Der Spaß kostet zwar 8 Euro, aber das ist es mir wert. Im Foyer begegne ich zufällig dem Hotelmanager, ein Usbeke, der gerade in fast makellosem Japanisch telefoniert. Als er fertig ist – und mich auch noch freundlich grüßt, unterhalten wir uns ein bisschen. Er lebte wohl lange Zeit in Japan und hat auch ein Haus auf Okinawa. In Japan traf er wohl Investoren, die ihn damit betraut haben, ein Hotel nach japanischem Standard in Taschkent zu errichten, und das ist ihm auch gelungen. Das Hotel liegt zwar etwas abseits, kann aber wirklich definitiv mit Hotels der gehobeneren Klasse in Japan mithalten.
An der Hotelbar in der Lobby sind auch schon die ersten Gäste versammelt, mit denen ich, während ich auf meinen Kaffee warte, kurz ins Gespräch komme – ein australisches Pärchen, das eine Reise durch 5 Stan-Länder macht und kurz vor dem Ende der Reise steht. Im Verlauf der Tour waren sie auch in Turkmenistan – und sie erzählten, dass es dort wirklich sehr strikt war. So wurde ihnen in der historischen Stadt Mari quasi verboten, abends allein durch die Stadt zu laufen – sie mussten in der Hotelanlage bleiben. Genau wie ich hatten sie das Ziel, einmal alle 15 ehemaligen Sowjetrepubliken abzuklappern. Ihnen fehlten jetzt nur noch die drei baltischen Staaten, und die sind ja nun sehr einfach zu bereisen. Mir fehlen jetzt nur noch zwei – Aserbaidschan und Turkmenistan, aber gerade Turkmenistan wird wohl schwierig werden. Angeblich gibt es wohl ein 10-Tage-Transitvisum: Das wäre natürlich toll. Dann könnte ich noch mal nach Usbekistan, und von dort quer durch Turkmenistan und dann weiter nach Aserbaidschan und Iran. Aber eins nach dem Anderen.
Ein paar Stunden Tageslicht habe ich noch, also verlasse ich das Hotel schnell wieder, um die Zeit zu nutzen. Das Ziel: Chorsu Basar, ein wohl sehr bekannter Markt. Es ist mittlerweile etwas bewölkt, und das kommt mir ganz gelegen, denn es ist damit wesentlich erträglicher draussen. Auf dem Weg zum Basar passiere ich „Sirk“ – ein rundes, weiß-blaues Gebäude, das einen Zirkus beheimatet. Das Bauwerk hat definitiv schon bessere Tage gesehen und ist eine Hommage sowjetischer Brutalismus-Architektur an die zentralasiatischen Gepflogenheiten, denn es erinnert stark an ein Ger. Weiter. Rund 20 Minuten später komme ich dem Chorsu-Basar näher – er ist schon von weitem erkennbar und ähnelt ein wenig dem Zirkus, weshalb ich anfangs auch dachte, dass der Zirkus der Markt sei. Chorsu Basar ist schon ziemlich alt und offensichtlich seit vielen Jahren zu klein, denn um das eigentliche Marktgebäude erstreckt sich ein großer, äußerer Markt, auf dem hauptsächlich Obst und Gemüse verkauft werden – jedoch, auch heute ist noch Eid al-Adha, das islamische „Opferfest“, und aus dem Grund sind nur rund 10% der Geschäfte geöffnet. Etwas schade, aber andererseits kann man so auch ein bisschen in Ruhe schauen. Das eigentliche Marktgebäude hat zum Glück geöffnet, aber auch hier ist fast alles geschlossen. In der Mitte der Kuppel werden hauptsächlich Fleisch und Fleischprodukte verkauft, aber die meisten Händler sind nicht da – dennoch liegen hier und da unverkaufte Fleischstücken. Auf der Galerie im zweiten Stock hingegen werden hauptsächlich Gewürze, Trockenfrüchte und Tee verkauft. Das sieht gut aus und riecht auch gut – besser als die Fleischabteilung – und die meisten Händler sind auch am Feiertag da, aber hier ist ganz offensichtlich Vorsicht angesagt, denn die Gewürz- und Teehändler stehen den usbekischen Taxifahrern in nichts nach, was gewaltige Preisaufschläge für Ausländer anbelangt. Ich kann der Versuchung trotzdem nicht wiederstehen und kaufe usbekischen Tee, eine Lagman- und eine Schurpa-Gewürzmischung, um damit zu Hause etwas herumzuexperimentieren.
Nach dem Marktbesuch – definitiv eine der Hauptattraktionen von Taschkent – laufe ich weiter, nach Norden, und entferne mich somit vom Zentrum. Eine riesige Moschee fiel mir dort von der Ferne auf, und die möchte ich nun von Nahem sehen. Es geht eine Straße entlang, die immer mehr usbekisches Alltagsleben offenbart – und das ist ärmer, als man vermuten würde, wenn man die Stadtzentren von Taschkent, Buchara oder Samarkand so sieht. Ärmlich, aber nicht bitterarm, wie es scheint. Ich scheine mich der Vorstadt zu nähern, doch ein Blick auf die Karte offenbart, dass ich eigentlich noch im Zentrum bin. Eigentlich kein Wunder: Taschkent ist 630 Quadratkilometer groß – Berlin ist mit 890 Quadratkilometer zwar etwas größer, aber Berlin ist ja riesengroß – und Taschkent mit seinen 3 Millionen Einwohnern ist natürlich auch sehr groß und erstreckt sich fast bis zur kasachischen Grenze.
Die große Moschee, die ich aus der Ferne gesehen hatte, gehört zu dem Hazrati Imam-Komplex. Taschkent hat streng genommen zwei fast perfekte Ringstraßen, eine rund um das Zentrum, die andere etwas weiter außerhalb. Vom Zentrum gehen , radialförmig, verschiedene sehr breite Straßen ab, entlang derer man zu den Ringstraßen gelangt. Eine dieser fast kerzengeraden Zubringer ist die Karasaray-Straße, und zumindest im Jahr 2025 war diese ein Paradebeispiel moderner usbekischer Stadtplanung: Die gesamte Straße ist gesperrt beziehungsweise sogar restlos entfernt — und man ist fleißig dabei, die alten Wohngebiete entlang dieser Achse abzureißen, denn während Taschkent im Zentrum sowjetisch-postsowjetisch sehr modern ist, bestehen die meisten Distrikte entlang der Peripherie aus traditionellen, meist eingeschossigen Wohnbauten, die jeweils über einen schattenspendenden Innenhof verfügen. Doch das muss vielerorts weichen. Entlang besagter Karasaray-Straße nun entsteht ein gewaltiges islamisches Zentrum. Die Bauwerke in dem Komplex stammen aus dem 16. bis 20 Jahrhundert — richtiger ist aber eher bis zum 21. Jhd., da man ja immer noch baut. Hazrati Imam soll übrigens 72 Sprachen gesprochen haben. Hut ab. Es gibt Menschen, die gerade Mal 72 Wörter sprechen können, aber wie sagte einst ein Professor mal zu mir: Die ersten 10 Sprachen sind die schwersten, danach wird es einfacher. Zu dem Bereich gehören heute mehrere Medressen, das Hazrati Imam-Museum, ein Islamisches Institut und mehr. Die große, 2007 fertiggestellte Moschee darf, außerhalb der Betzeiten, versteht sich, auch von Besuchern betreten werden — die Regeln, was man darf und was nicht, sind vorbildlich mit Piktogrammen erklärt, aber man kann dennoch sehen, wie vor allem chinesische Touristinnen zurückgepfiffen werden, weil sie nicht verstanden haben, dass Frauen durch einen separaten Eingang — und in einen separaten Teil gehen müssen.
Nach dem Abstecher geht es gemächlich und quer durch das, was von den alten Wohnvierteln noch übrig ist, zurück zum Hotel. Plötzlich rasen auf der großen, breiten Straße vor dem Hotel mehrere Polizei-, Feuerwehr- und andere Wagen in einer Kolonne heran, machen eine 180-Grad-Wendung und halten vor meinem Hotel. Am hinteren Ende der Kolonne: Der Lackierung nach der Mannschaftsbus der usbekischen Fußballnationalmannschaft. Und die hat, was für ein Zufall, just am Vortag zum ersten Mal in der Geschichte des Landes das Ticket für die nächste Weltmeisterschaft gelöst. Alle Achtung. Und diese Jungs übernachten also im gleichen Hotel.
Und schon ist es wieder fast 19 Uhr – wie die Zeit verkehrt. Ein bisschen laufe ich noch durch das Neubauviertel (neu = wahrscheinlich in den 1970ern gebaut) nördlich des Hotels, streife durch ein paar Geschäfte und geniesse die Tatsache, dass ich immer noch ein bisschen ganz für mich allein durch Taschkent streifen kann. Als ich aus einem Supermarkt rauskomme, liegt vor dem Eingang eine Katze. Ein schönes Tier. Aber so, wie sie da liegt, könnte man meinen, sie sei tot. Kann aber nicht sein, denn ich bin ja erst vor ein paar Minuten durch die gleiche Tür gegangen. Das Bild sieht man öfter in der Gegend – sicher suchen die Mietzekatzen einfach nur einen Hauch kühle Luft. Und ganz offensichtlich haben sie mit Menschen keine schlechten Erfahrungen gemacht, sonst würden sie nicht so mir nichts dir nichts herumliegen. Sicherheitshalber schaue ich aber nun trotzdem mal nach, und siehe da: Das Katertier blinzelt mich an. Müde, aber offensichtlich völlig gesund.
Und so nähert sich auch dieser, letzte Tag dem Ende. Ich mache etwas, was ich normalerweise nicht mache: Ich gehe zum gleichen Restaurant wie Mittags, denn dort kann man schön draußen sitzen, und das Essen war wirklich großartig. An meinem Nachbartisch sitzen… zwei Japanerinnen. Beide leben in Taschkent – eine von ihnen ist gar Tourismusbeauftragte, und das führt zu einer interessanten Diskussion über die Zukunft des Tourismus von Japanern in Usbekistan – denn das ist definitiv ausbaufähig, wäre es doch ein bisschen leichter, hierherzukommen. Nach einem weiteren hervorragenden Mahl geht es noch kurz auf einen Absacker in den einzigen Irish Pub der Stadt, gleich neben dem Restaurant. Dort komme ich noch mit zwei lustigen Russen ins Gespräch, bevor ich mich auf den Rückweg zum Hotel mache.