Shanghai – Riyadh – Istanbul: Teil 2 (Shanghai – Riyadh)

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Mein nächster Flieger startet mittags, um 12:10, doch vorher will ich von Shanghai zumindest ein kleines bisschen sehen. Also heißt es morgens um 7:30 Uhr aufstehen, Kaffee fassen, Sachen packen und losmarschieren. Der Plan: Vom Hotel Richtung Volkspark laufen, und von dort irgendwie querfeldein bis zum berühmten “Bund” laufen. Gesagt, getan. Noch schläft so ziemlich jeder – es ist Freitag, aber mitten in der Goldenen Woche, weshalb viele frei haben. An einem modernen Platz mit Shopping-Centern vorbei geht es eine schmalere Straße entlang, in der noch ein paar alte Häuser erhalten sind. Mit “alt” meine ich übrigens Häuser von vor 1980 – also aus der Zeit, in der China noch tiefrot, sprich sehr kommunistisch eingestellt war. Das steht im Gegensatz zu “altalt”, also Häuser aus der Kaiserzeit, vor dem 2. Weltkrieg (historisch etwas ungenau, ich weiss). Bald komme ich zur Stadtautobahn, bei der ich Richtung Osten einschwenke. Dort liegt auch der Volkspark, aber der entpuppt sich als weniger interessant. Im Prinzip ist die Gegend rundherum äußerst langweilig und könnte sich (fast) überall in Ostasien befinden. Was zudem bereits nach 15 Minuten Fußmarsch nervt, ist die extreme Schwüle: Es ist knapp 30 Grad warm und die Luftfeuchtigkeit macht beinahe das Atmen schwer. Egal. Die breite Straße mit der Stadtautobahn darüber würde mich zwar zum berühmten “Bund” bringen, aber hier gibt es ja unterwegs einfach gar nichts zu sehen. Also schwenke ich irgendwann rechts ein, denn da gibt es scheinbar irgendwas. Zum Beispiel ein Haus, an dem die Kommunistische Partei Chinas zum ersten Mal zusammenkam. Die Gegend rund um dieses Haus ist sehr gut gesichert durch dutzende, wenn nicht hunderte Polizisten und Straßensperren. Direkt daneben gibt es ein Ensemble alter, kleiner Häuschen aus Ziegelsteinen, allesamt nett anzusehen und sicherlich schon etwas älter. Im Prinzip wie das, was die “Red Brick Warehouses” für Yokohama sind.

Lustiges Toilettenhäuschen in einem Park in Shanghai
Lustiges Toilettenhäuschen in einem Park in Shanghai
Gut, das könnte genauso gut in Tokyo (und vielen anderen Städten) sein
Gut, das könnte genauso gut in Tokyo (und vielen anderen Städten) sein

Die allgemeine Richtung muss ich dann aber doch im Auge behalten, und so schwenke ich wieder gen Osten. Und laufe durch eine gigantische Baustelle. Hier ist man grade dabei, größere, ältere Wohnviertel komplett niederzureißen, um dort etwas Neues zu bauen. Es sind wirklich riesige Flächen. Hier und dorrt stehen noch ein paar der älteren Häuser – teils leben Menschen darin, teils sind kleine Geschäfte und Werkstätten darin untergebracht. Vor ein paar Häusern schlürfen alte Männer im Peking-Bikini ihre morgendliche Nudelsuppe. Hinter der Häuserzeile: Eine riesige Baugrube mit teils komplett, teils zur Hälfte abgerissenen Häusern. Klar, Baugrundstücke im Herzen von Shanghai sind sicherlich viel Geld wert, aber das die Bewohner nur ungern wegziehen wollen, dürfte auch klar sein. Die Tatsache, dass das hier bald alles komplett verschwunden sein wird, stimmt mich etwas traurig. Hier wird es also bald aussehen wie überall. Das erinnert mich ein bisschen an eine Idee, die Politiker einst in der DDR hatten: Man überlegte damals ernsthaft, die Stadtzentren aller 15 Bezirksstädte der DDR quasi komplett einzuebnen und mit den gleichen Neubauten neu zu bebauen. Lediglich ein “Symbol” sollte dann die Stadt charakterisieren: Zum Beispiel etwas, was an ein Boot erinnert, für Rostock, da ja Küstenort (es kann auch etwas anderes gewesen sein, aber die Idee stimmt jeweils) oder eben eine riesige Karl-Marx-Büste im Zentrum von Karl-Marx-Stadt, sprich Chemnitz. Genau. Eigentlich sollten letztendlich alle Bezirksstädte aussehen wie Chemnitz oder Frankfurt/Oder, mit irgendeinem neuen Symbolbau im Zentrum. Eine absolute Horroridee, aber viele Großstädte weltweit driften in diese Richtung: Glas, Beton, Stahl, Granit. Alles sieht gleich aus, mit den gleichen Shopping Malls und den gleichen Fast Food-Ketten. Was das “Lokalkolorit” anbelangt, so hat man in Shanghai zum Beispiel die alte Bausubstanz an der Tempelanlage 上海Shànghǎichéng隍庙huángmiào stehengelassen beziehungsweise restauriert – und zu einem kulinarischen Mittelpunkt der Stadt entwickelt. Die Leute kommen zum Essen hierher, und das hat in Ostasien schon immer gezogen: Fressmeilen gehen immer, ob in Seoul, Tokyo oder Shanghai.

Teile des alten Peking sind noch da... aber eher in Form eines Freilichtmuseums
Teile des alten Peking sind noch da… aber eher in Form eines Freilichtmuseums
Szenen wie diese werden immer seltener im neuen Stadtbild von Shanghai
Szenen wie diese werden immer seltener im neuen Stadtbild von Shanghai

Hinter dem alten Viertel – daneben gibt es auch einen kleinen, kostenpflichtigen historischen Park, den 豫园Yùyuán – liegt der 古城Gǔchéng公园 gōngyuán , der “Altstadtpark” – laut Beschreibung ein nagelneuer Park, dem irgendwas weichen musste. Die Bewohner nehmen den Park scheinbar dankbar an und vollführen hier früh am Morgen ihre Taichi-Übungen. Von hier ist es auch nicht mehr weit zum Fluss – mit dem hochmodernen Shanghai am anderen Ufer, mit zahlreichen Wolkenkratzern und dem so markanten Fernsehturm. Die Uferpromenade ist schön und sehr breit und lädt wirklich zum Spazierengehen – und nach einer Weile ist man dann auch schon am 外滩Wàitān – dem “Bund” – einem Ensemble kolonialistischer Prachtbauten, die es tatsächlich geschafft haben, die Irrungen und Wirrungen Chinas im 20. Jahrhundert zu überstehen. Für Europäer ist der “Bund” allerdings nur begrenzt interessant, denn Bauten wie die am “Bund” gibt es eigentlich in den Großstädten Mitteleuropas zuhauf.

Der alte Tempelbezirk beim Yu-Park im Herzen von Shanghai
Der alte Tempelbezirk beim Yu-Park im Herzen von Shanghai
Hier fand der erste Nationalkongress der KP Chinas statt
Hier fand der erste Nationalkongress der KP Chinas statt

Nach rund zwei Stunden strammen Marsches durch die Innenstadt wird es langsam Zeit, sich Richtung Flughafen zu begeben. Also laufe ich, an einer alten und sehr schönen Backsteinkirche vorbei, zur U-Bahnstation an der Nanjing-Road, quasi der Ku-Damm oder die Kö von Shanghai. Es geht zurück zur Longyang-Station, wo ich aus Zeitgründen wieder eine Karte für den Transrapid kaufe. Und der fährt auch tatsächlich in ein paar Minuten ab, so dass ich kurz nach 10 Uhr zurück am Flughafen bin. Dank Online-Checkin und der Tatsache, dass man mein Gepäck bis nach Riyadh schickt, kann ich direkt zur Security + Ausreise gehen, und das dauert nicht allzu lange. Jedoch: Zeit zum Essen ist nicht, denn mein Gate ist wieder am äußersten Ende des Flughafens – man muss wieder mit der flughafeninternen Bahn fahren, und in der Gegend des Terminals gibt es kaum Essgelegenheiten. Nun gut, ein Restaurant und eins, zwei Cafes (sowie eine Craft-Beer-Bar!) gibt es, aber so richtig Zeit ist dafür nicht. Stattdessen schlage ich mich lieber mit den Getränkeautomaten herum: In diesem Fall Kühlschränke mit verschlossenen Türen. Man muss mit Alipay einen Code scannen, etwas auswählen, zahlen, und dann sollte sich die Tür öffnen. Tut sie aber nicht, und andere Passagiere verzweifeln ebenfalls daran -– es kann also nicht nur an mir liegen. Ach ja: Vor dem Flug werde ich doch noch schwach und buche einen Transfer vom Flughafen in Riyadh bis zum Hotel, denn das ist fast 20 Kilometer entfernt, und laut vorheriger Recherche muss ich dazu drei oder vier Mal in der U-Bahn umsteigen – und dann auch noch mit dem Koffer eine ganze Weile laufen. Das klingt nicht sehr verlockend mit Koffer und bei 30 Grad am Abend, wenn schon alles dunkel ist. Der Transfer soll mich rund 25 Euro kosten, und in Anbetracht der Entfernung und der so gewonnenen Zeit scheint das ein guter Deal zu sein.

Der berühmte Bund von Shanghai - hier sieht es sehr europäisch aus
Der berühmte Bund von Shanghai – hier sieht es sehr europäisch aus
Am anderen Ufer des Huangpu-Flusses: Das moderne Shanghai mit dem markanten Oriental Pearl Fernsehturm
Am anderen Ufer des Huangpu-Flusses: Das moderne Shanghai mit dem markanten Oriental Pearl Fernsehturm

Das Flugzeug ist wieder so gut wie voll, mit vielen Chinesen, aber auch mit einigen Arabern, Indern, Bangladeshi und so weiter. Japaner und westliche Ausländer sehe und höre ich jedoch keine. Und so geht es pünktlich, ein paar Minuten nach 12 Uhr mittags, los. Saudi-Arabien, ich komme! Aber wieso eigentlich Saudi-Arabien? Nun es mag ein bisschen mit dem “Mauergefühl” zu tun haben. Als 14~15-jähriger war ich im Internat und fuhr im Schnitt alle zwei Wochenenden nach Hause – der Zug fuhr dabei ein Stück weit an der Berliner Mauer vorbei. Dort konnte man problemlos auf die weißen, etwas sonderbar gebauten Wohnviertel in Westberlin schauen, die zwar sehr nah waren – aufgrund der Mauer allerdings auch so fern. Ich war neugierig. Wie mag es da drüben, nur ein paar hundert Meter entfernt, wirklich aussehen? So viel stand damals schon fest: Irgendwann werde ich es persönlich herausfinden, egal wann und wie. Das war 1988/89, und siehe da, ein Jahr später erfüllte sich der Traum. Im Jahr 2000 wiederum kletterte ich im Rahmen einer Tour allein durch den Nahen Osten des nächtens auf den Mosesberg bzw. Mount Sinai auf der gleichnamigen Halbinsel in Ägypten. Dort kann man dann vom Gipfel den Sonnenaufgang erleben – die Sonne taucht dann blutrot hinter den Bergen Saudi-Arabiens auf der anderen Seite des Roten Meeres auf. Doch Saudi-Arabien war damals absolut unerreichbar; Wer kein Moslem war oder kein Mitarbeiter in der Ölindustrie (oder US-Soldat) durfte einfach nicht ins Land, basta. Touristenvisa gab es nicht, nicht einmal für Reisegruppen. Und so stand ich auf dem Gipfel des Mt. Sinai und dachte mir: “eines Tages!”. Und siehe da, 2009 begann sich das Land langsam, aber stetig zu öffnen. Es gibt Touristenvisa, und bis auf die heiligen Städte Mekka und Medina darf man sich als Tourist nunmehr frei im Land bewegen. Einziger Wermutstropfen: Man muss sich vorher ein e-Visa besorgen, Das geht zwar relativ flink und ist in ein paar Minuten erledigt, doch mit gut 90 Euro Visagebühr ist es eher ein teurer Spaß.

Im Flieger gibt es Bordunterhaltung, und die Temperatur beträgt gefühlte 18 Grad oder weniger, aber das mag nach Monaten der Hitze täuschen. Zwei Mal gibt es Essen – kurz nach dem Start und dann noch mal zwei, drei Stunden vor der Ankunft. Das Essen ist eher mäßig aber es geht auch schlechter. Doch der Flug zieht sich – ich habe keinen Fensterplatz, und die Leute an den Fenstern werden sowieso gebeten, die Fensterläden herunterzuziehen. Der Flug zieht sich allerdings vor allem deshalb, weil ich es kaum erwarten kann, anzukommen. Dass ich keinen Fensterplatz habe, bereue ich gegen Ende des Fluges, denn nachdem wir China, Indien und den Oman überquert haben, geht es direkt über das “Empty Quarter” beziehungsweise “Rub’ al Khali” – eine Wüstengegend fast doppelt so groß wie Deutschland, in der es aufgrund der lebensfeindlichen Bedingungen keinerlei Menschen gibt. Das fand ich schon immer faszinierend – und immerhin kann ich durch das Fenster ganz hinten im Flugzeug dann doch ein Foto machen.

Rub al Khali oder das "Empty Quarter", wie die menschenleere Wüstengegend im Osten vpon Saudi-Arabien heisst
Rub al Khali oder das “Empty Quarter”, wie die menschenleere Wüstengegend im Osten vpon Saudi-Arabien heisst

Und das tun wir endlich auch: Pünktlich und gegen halb zehn Abends kommen wir nach knapp 10 Stunden Flug an. Allerdings gibt es zwischen China und Saudi-Arabien einen Zeitunterschied von vier Stunden – es ist hier also erst 17:30 und die Sonne ist gerade im Begriff, unterzugehen. Die Grenzkontrolle verläuft kurz und schmerzlos – dazu muss ich nur meinen Pass sowie ein Screenshot des eVisas zeigen, welches ich rund einen Monat im Voraus online erworben hatte. Weiter geht es zur Gepäckausgabe – auch dort muss ich nicht allzu lange warten. Und man ist dort sogar raucherfreundlich. Während man in den meisten Flughäfen erst rauchen kann, wenn man durch alle Institutionen, inklusive Zoll, durch ist, gibt es hier in der Halle mit den Gepäckbändern bereits ein Zimmer für Raucher. Vorbildlich, zumal das auch Stress abbaut: So manch Raucher wird nach einem 10+ Stunden-Flug, gefolgt von Einreise, Gepäck und Zoll, schnell mal ungeduldig. Glücklicherweise – schliesslich hatte man mir ja bei der Security in Shanghai das Feuerzeug abgenommen – gibt es in dem Zimmer sogar Raucher mit einem Feuerzeug.

Mit dem Gepäck laufe ich los Richtung “Ich habe nichts zu verzollen” grünen Kanal und wundere mich, wie das mit dem Alkoholverbot läuft, denn Import und Konsum sind in Saudi-Arabien strengstens verboten. Des Rätsels Lösung ist sehr wahrscheinlich eine lange, hypermodern aussehende, weiße Wand, an der man vorbeilaufen muss: Sicher sind hier hochmoderne Sensoren integriert, die bei auffälligen Kontrabanden Alarm schlagen. Alles andere wäre zu einfach. Aber was passiert nun, wenn jemand alkoholhaltiges Parfüm oder Rasierwasser – oder eine Packung Mon Cheri – dabei hat? Fragen über Fragen. Aber immerhin bin ich jetzt draußen. Beim “Arrival” gibt es auch ein paar Menschen, die mit Schildern mit Namen drauf auf die Passagiere warten. Mein Name ist nicht darunter, ich muss also meinen gebuchten Fahrer irgendwie anders finden. Doch hier gibt es das erste Problem: Der Flughafen hat offensichtlich Wifi – doch sobald man sich verbinden möchte, wird man nach der Telefonnummer gefragt, denn der Zutritt muss mit einer SMS bestätigt werden. Zu allem Übel besteht das System dann auch noch auf eine saudi-arabische Handynummer, aber das ist auch relativ egal, denn:

  • Um meine nur in Saudi-Arabien gültige eSim und damit Mobilfunkempfang freizuschalten, brauche ich Internet
  • Um Internet zu bekommen, muss ich mich ins Flughafen-Wifi einzuloggen, aber dazu brauche ich – Mobilfunkempfang

Wie sagte Deichkind so schön? “Merkste selber, oder?”. Und ohne Internet werde ich ganz sicher nicht den gebuchten Fahrer finden bzw. er mich nicht. Also gehe ich zur Information, einer Säule mit einem schwarzen Schreibtisch drumherum, besetzt von einer nett lächelnden und nicht von Kopf bis Fuss bekleideten jungen Dame. Sie versteht sehr schnell das Problem, denn ich bin sicherlich nicht der Erste, und ihr Englisch ist sehr gut. Sie benutzt ihr Handy, um den Zugang auf meinem Handy zu bestätigen – und siehe da, ich kann meine eSim dank des Wifi aktivieren. Prima. Sicherheitshalber will ich mir nun auch noch etwas Bargeld besorgen, und hoffe insgeheim, dass ich hier ein paar der in China übrig gebliebenen Renminbi aka Yuan umtauschen kann. Bank und Umtauschschalter Nummer 1 sagt: Nee, bei mir nicht, aber fragen sie mal beim Schalter da hinten nach, die können das bestimmt! Alles klar. Und da höre ich exakt das Gleiche: “Nee, bei mir geht das nicht, fragen sie mal bei dem anderen Schalter, die können das bestimmt”. Ah ja. Das alte, früher hätte ich es “wir fragen in China nach dem “Bahnhof”. heute würde ich es “wir fragen AI nach einer Antwort”-Paradox Man bekommt mit hoher Wahrscheinlichkeit eine falsche Antwort präsentiert, aber das mit einem enorm gesunden Selbstvertrauen. Nun gut, dann hebe ich eben ein bisschen Geld am Automaten ab. Mein Fahrer kontaktiert mich währenddessen über Whatsapp und sagt, er sei an der Säule 15 ausserhalb der Ankunftshalle – dazu gibt es ein Foto von Säule 15 sowie eines seines Nummernschildes. An besagter Säule herrscht große Hektik und es gibt viele Autos – nur nicht das auf dem Foto. Also schreibe ich nochmal den Fahrer an, der dann versichert, in ein paar Minuten da zu sein. Und das ist er dann auch. Also schnell das Gepäck verstaut und los geht’s. Der Flughafen liegt rund 10 Kilometer nordöstlich der Stadt – bis zu meinem Hotel sind es aber fast 20 Kilometer. Und das mit dem Hotel ist so eine Sache: Ich hatte mich letztendlich für das Riyadh Park Inn by Radisson entschieden – und zuerst eine Nacht für umgerechnet etwa 80 Euro gebucht. Das ist eigentlich mehr als geplant, aber letztendlich buchte ich das gleiche Hotel auch noch für die nächsten zwei Nächte, denn die knappe Zeit in Riyadh wollte ich nicht mit Umzügen zwischen Hotels verplempern, und da der Trip schon anstrengend genug werden dürfte, war der Preis letztendlich in Ordnung.

Auf einer breiten, autobahnähnlichen Straße brausten wir los. Erster Eindruck: Ziemliches Chaos, sehr viel Verkehr, obwohl es schon nach 8 Uhr abends ist, und es ist sehr geräumig. Die Autos brausen alle mit mehr als 100 km/h durch die Gegend, Mittellinien gibt es eher selten, und die Strassen sehen spiegelglatt aus. Das liegt sicher an der üblichen grossen Hitze und der Tatsache, dass es hier so gut wie nie regnet. Zumindest in dieser Jahreszeit nicht. Mit rund 28 Grad ist es selbst jetzt, nach Einbruch der Dunkelheit, ziemlich warn, aber es ist wesentlich angenehmer als in Shanghai, denn die Luft ist sehr trocken. Schnell wird mir klar: Das hier ist eine Autogesellschaft. Und das ist nicht allzu verwunderlich. Saudi-Arabien ist reich an Erdöl, die Entfernungen sind groß und ein Liter Benzin kostet umgerechnet gerade mal 50 Cent. Entlang der Straßen geht es halbwegs ordentlich zu: Dies ist nicht Dubai oder Abu Dhabi, aber es ist eben auch kein Dritte-Welt-Land, sondern ziemlich entwickelt. In regelmäßigen Abständen gibt es Moscheen und ansonsten große Geschäfte, Bildungseinrichtungen und dergleichen. Und nach circa 45 Minuten erreichen wir das Ziel: Das Hotel hat eine markante, gut beleuchtete Fassade, die man nachts von Weitem erkennt. Ich verabschiede mich vom Fahrer, und jemand vom Hotel geleitet mich nach drinnen. Check-In. Die Angestellten in der typisch saudi-arabischen Kleidung – dem “thawb” (langes, weißes Gewand), der “ghutra” (rot-weiß kariertes Tuch auf dem Kopf, fixiert mit einer “agal” genannten, schwarzen Kordel, sprechen ausgezeichnetes Englisch und sind extrem freundlich. Sie hatten mich schon erwartet. Und sie fragen nun nach dem Reisepass. Schultertasche geöffnet – reingegriffen, und – die schwarze Mappe mit dem Pass ist nicht da! Wie jetzt?

Ankunft in Riyadh pünktlich zum Sonnenuntergang
Ankunft in Riyadh pünktlich zum Sonnenuntergang
Willkommen in Saudi-Arabien, wo der Liter Sprit noch 50 Cent kostet
Willkommen in Saudi-Arabien, wo der Liter Sprit noch 50 Cent kostet

Okay, ganz ruhig bleiben. Am Flughafen war die kleine, schwarze Tasche noch dort. Habe ich sie vielleicht in die schwarze Tragetasche geworfen? Alles durchwühlt – nein, nicht dort. In der kleinen, grauen Schultertasche ist sie definitiv auch nicht. Und im Koffer kann sie nicht sein, denn den habe ich noch nicht geöffnet. Dann ist sie mir vielleicht im Auto beim Aussteigen runtergefallen? Die Angestellten gehen die Situation noch mal mit mir durch und schlagen vor, den Fahrer zu kontaktieren. Das kann ich aber nicht, da die Installation der eSim-Karte im Flughafen nicht funktioniert hatte. Aber ich habe die Telefonnummer – und so rufen die Angestellten den Fahrer an, und er kommt tatsächlich nach mehr als 10 Minuten – es fühlte sich wesentlich länger an – zurück. Ich entschuldige mich bei ihm, und wir durchsuchen gemeinsam das Auto. Nein, nicht da. Das kann doch nicht wahr sein! Da komme ich Freitag spät abends in Saudi-Arabien an und verliere den Pass. Mal angenommen, er taucht nicht wieder auf – was dann? Die Botschaft hat sicherlich nicht am Wochenende geöffnet. Doch einer der Angestellten beschwichtigt: Keine Sorge, in Saudi-Arabien wird nichts geklaut. Das erscheint logisch, denn hier wird die Scharia angewandt, und die sieht für Diebstahl drastische Strafen vor. Ich muss also in den sauren Apfel beissen und zum Flughafen zurück. Der Fahrer erklärt sich einverstanden. Das Gepäck kann ich im Hotel lassen, und so brausen wir wieder los, den gleichen Weg zurück, nachts um halb zehn. Aaaarrrghhh! Nun komme ich auch mit dem Fahrer etwas mehr ins Gespräch. Er kommt aus Pakistan, lebt schon seit etlichen Jahren als Taxifahrer hier und ist sehr freundlich. Rauchen im Auto ist auch kein Problem, denn er raucht eigentlich auch. Und so kommen wir irgendwann nach 22 Uhr wieder am Flughafen an. Und in der Zeit ging ich die Ankunft noch mal durch. Der Pass beziehungsweise die kleine schwarze Mappe muss entweder am Geldautomaten liegen – oder bei der Information, bei der ich nach dem Internetzugang fragte. Aber haben die um die Zeit noch offen? Ich laufe mit dem Fahrer erstmal zur Information, denn die können mir ja sicherlich wenigstens sagen, wo es ein Fundbüro gibt. Und siehe da: Die Angestellte an der Info erkennt mich aus ein paar Meter Entfernung, winkt mir zu… ich frage, ob sie meine Mappe gesehen habe – und sie bejaht das sofort und gibt an, es beim Fundbüro hinterlegt zu haben, welches sich nur ein paar Meter entfernt befindet. Mir fällt ein großer Stein vom Herzen. Genau, beim Einrichten des Internets habe ich die schwarze Mappe auf den schwarzen Tresen der Information gelegt und die Mappe deshalb nicht beim Gehen bemerkt.

Die Fußgängerbrücke ist nicht zu übersehen. Man beachte auch die spiegelglatt erscheinende Straße
Die Fußgängerbrücke ist nicht zu übersehen. Man beachte auch die spiegelglatt erscheinende Straße
Das Park Inn in Riyadh
Das Park Inn in Riyadh

Auch beim Fundbüro arbeiten zwei Frauen. Sie hatten scheinbar schon auf mich gewartet – zeigten mir die Mappe und fragten, ob dies meine sei. Yep, das ist sie. Sie sagten mir, das sie eine ganze Weile damit beschäftigt gewesen seien, denn sie müssen den Inhalt untersuchen und, so vorhanden, das Geld zählen. Und ich habe die dumme (nun nicht dumme, aber seltsame) Angewohnheit, Restgeld von meinen Reisen in der Mappe zu hinterlegen, denn wer weiß, vielleicht kann man es ja irgendwo umtauschen. Da sammelt sich einiges an – in der Mappe befanden sich rund 2 oder 3 dutzend Geldscheine – aus der Mongolei, aus Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisien, China, Malaysia, den USA… und das mussten die Frauen mehrfach zählen. Oh je. Aber sie lachten darüber – und ich entschuldigte mich damit, dass ich eben viel reise. Sie meinten dazu: “That’s obvious”. Ich nahm die Mappe, schaute sicherheitshalber, ob der Pass wirklich drin ist, ist er, und bedanke mich. Sie fragten noch, ob ich das Geld nicht nachzählen wolle – doch die Beträge sind eher gering, vielleicht insgesamt weniger als 100 Dollar, und so genau weiss ich auch nicht, was drin sein sollte. Wird schon stimmen. Der Fahrer freut sich mit mir… und schon brausen wir wieder Richtung Hotel. Ich überreiche ihm 300 SAR – das sind umgerechnet ziemlich genau 75 US-Dollar, und frage, ob das okay ist. Es ist mehr als das Doppelte dessen, was ich vorher für die einfache Fahrt bezahlt hatte. Er ist damit einverstanden, und so kann ich endlich einchecken. Gottseidank!

Extrem sterile Fischtheke im örtlichen Supermarkt in Riyadh
Extrem sterile Fischtheke im örtlichen Supermarkt in Riyadh
Das Angebot alkoholfreien Bieres in Saudi-Arabien hat es in sich. Echtes Bier: Natürlich Fehlanzeige
Das Angebot alkoholfreien Bieres in Saudi-Arabien hat es in sich. Echtes Bier: Natürlich Fehlanzeige

Ich erhalte meine Schlüsselkarte und ziehe ins erwartungsgemäß relativ große und gemütliche Zimmer. Und verlasse selbiges wieder, um zum Supermarkt auf der anderen Strassenseite zu gehen – die Straße ist in beiden Richtungen jeweils vierspurig und die Autos fahren hier ebenfalls, selbst nach 22 Uhr, mit mehr als 100 durch die Gegend, aber zum Glück gibt es eine schöne Fußgängerbrücke. Dummerweise haben natürlich die normalen Restaurants, aber davon gibt es hier scheinbar sowieso nicht viele, bereits geschlossen. Ich gehe in den Supermarkt, der sehr modern ist und deutschen oder japanischen in absolut gar nichts nachsteht, und schaue nach Getränken. In der Tat: Es gibt keinen Tropfen Alkohol, aber es gibt ein großes Sortiment alkoholfreier Biere: Darunter ein paar von Holsten – so auch eins mit Granatapfelgeschmack. Ich kaufe drei verschiedene Sorten zum Probieren – alkoholfreies Bier habe ich nie getrunken (nun gut, ein Mal, aber auch nur einen Schluck – und ich fand es furchtbar). Aufgrund großen Hungers ging ich dann noch – mangels Alternativen – zum benachbarten Burger King, um mir dort eine Ladung frittierte Käse-Jalapeno-Stücken zu holen. Die waren sogar verhältnismäßig teuer, aber da ich schon sehr viele Jahre nicht mehr in einem Burger King (oder McDonalds) war, fehlen mir die Preise zum Vergleich. Die Menge war allerdings genau richtig und der Tag war sicherlich aufregend und lang genug. Immerhin war ich fast 20’000 Schritte gelaufen. Und am nächsten Tag sollte es viel zu sehen geben. Beim Entspannen nach der Dusche dann die Feststellung: Holsten Alkoholfreies mit Granatapfelgeschmack schmeckt richtig gut!

3 COMMENTS

  1. Stimmt, es ist schon verwunderlich, das ausgerechnet Kolonialbauten in China die Zeit überstanden haben und sogar zu Wahrzeichen wurden.
    Den Schreck, ohne Papiere im Ausland zu stehen möchte ich nicht mit dir teilen. Wir haben von unseren Dokumenten immer Kopien dabei. Ob es hilft weiß ich nicht.
    Meine Empfehlung ein auffälliges kreischbuntes Mäppchen benutzen.

    • Ja, (digitale) Kopien habe ich spätestens seit 2000 dabei, als mir an der Grenze von Jordanien zu Israel mein Flugticket geklaut wurde… es wäre trotzdem ein Riesenaufwand geworden. Ein kreischbuntes Mäppchen ist AUF jeden Fall die bessere Wahl – meine unauffällige schwarze Mappe war wenig hilfreich.

      • Digital ist gut, aber wie heißt es so schön “doppelt gemoppelt” hält besser. Darum haben wir immer noch ganz altmodisch Papierkopien dabei. Zu oft haben wir Leute gesehen die ihre Tickets auf dem Smartphone nicht gefunden haben. Blöd, wenn im entscheidenen Moment der Akku aufgibt.

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