Ein neuer Tag bricht herein – und es ist bereits der letzte in Saudi-Arabien. Der Aufenthalt ist in der Tat viel zu kurz – ich habe jetzt so richtig Lust, noch um die zwei Wochen durch dieses riesige Land zu touren (und noch mehr Lust, über Land nach Istanbul zu fahren!). Mein Flug startet erst um 15:25 vom King Khalid-Flughafen, ich kann es also im Prinzip ruhig angehen, zumal ich das Gefühl habe, das meiste in Riyadh gesehen zu haben (sicherlich eine falsche Annahme, aber das hochmoderne Riyadh interessiert mich weniger). Am Vortag hatte ich allerdings eine Anzeige in der U-Bahn gesehen: “Die Metro ist die bequemste Art, zur Riyadh Book Fair zu gelangen”. Stimmt, da war doch was: Die Riyadh Book Fair ist eine der größten Büchermessen der Welt, und da ich beruflich mit Büchern zu tun habe (ich bin ja schliesslich auch beruflich unterwegs, denn ich will zur Frankfurter Buchermesse), wäre ein Abstecher dorthin ideal. Und wie es der Zufall so will, findet die Riyadh Buchmesse immer noch statt.
Der Plan: Ich fahre mit vollem Gepäck zur Buchmesse, stelle es dort irgendwo ab und fahre dann von dort direkt zum Flughafen. Klingt zwar etwas riskant, aber Flughafen, Ausstellungsgelände und Hotel liegen in gänzlich anderen Richtungen und weit auseinander. Ich schaue noch mal im Internet nach und finde eine Webseite der Buchmesse: riyadhrb.com/event/riyadh-international-book-fair-2025/. Dort befinden sich die Eckdaten der Buchmesse sowie ein Link zum Veranstaltungsort – sie soll in der King Saud-Universität stattfinden. Also kopiere ich den Link – und zwar diesen hier (öffnet Google Map) – und gebe ihn in der Uber-App ein. Das Auto kommt auch bald und fährt mich mit meinen sieben Sachen quer durch die Stadt bis zum 15 Kilometer entfernten Zielort. Und dort gibt es im Prinzip nur eine ziemlich neue Straße, eine große Baustelle – und Wüste. Andere Leute oder irgendwelche Bauten, die nach Messegelände aussehen? Fehlanzeige. Ganz toll.
Der Fahrer fragt mich, ob ich wirklich hier raus will. Nein. Ich bitte ihn, ein Stück zurückzufahren, zu einem Gebäude mit Pförtnern drin. Und die schauen mich etwas verdutzt an, als ich aussteige. Ich packe meinen Koffer aus, lasse den Fahrer ziehen und versuche den Wachleuten klarzumachen, wo ich eigentlich hin will. Nach einer Runde Schulterzucken und längerer Suche im Internet finden wir irgendwie gemeinsam raus, dass die Buchmesse in diesem Jahr ganz woanders stattfindet – und zwar in der Princess Nourah Bint Abdulrahman Universität. Und die liegt, man glaubt es kaum, rund 22 Kilometer von meinem jetzigen Standort entfernt. Habe ich schon erwähnt, dass Riyadh ziemlich groß ist? Immerhin liegt diese Uni ziemlich nah am Flughafen, ich muss also ohnehin in die Richtung.
Die Wachleute halten ein Auto an, welches gerade das Universitätsgelände verlassen will. Sie reden mit dem Fahrer und deuten dann an, einzusteigen. Der Fahrer weiss nicht so richtig, was er mit mir anfangen soll – und ich weiss nicht, was das eigentlich für ein Mensch ist. Ein Lehrer? Ein Schüler? Ein Taxifahrer? Er fährt erstmal los, und es dauert nicht lange, bis wir an einer U-Bahn-Station vorbeikommen – die Trasse verläuft hier oberirdisch. Dort bitte ich ihn, mich rauszulassen. Pro forma biete ich ihm 10 Riyal an, und die nimmt er auch an.
Ich schaue mir kurz die U-Bahn-Verbindung zur anderen Universität an und stelle fest, dass diese einen riesigen Umweg bedeuten würde. Vor der Haltestelle warten, als ob sie es geahnt hätten, ein paar Taxifahrer. Also bitte ich einen von ihnen, mich zum nächsten Ziel zu fahren. Und gebe ihm die Koordinaten der Buchmesse – so, wie sie auf einer anderen Webseite angegeben sind. Wir brausen los. Schon von weitem ist die Prinzessin-Nour-Universität ausgeschildert. Wie ich später erfahren sollte, ist dies die größte Frauenuni der Welt, mit mehr als 30’000 Studentinnen. Ein riesiges Gelände, mit eigenem Zugnetz. Irgendwo auf dem Gelände, beziehungsweise exakt dort, wo die Koordinaten hinführen, steht ein großes Gebäude, auf dem etwas mit Bibliothek steht. Ich bedanke mich beim Fahrer und will meine Sachen auspacken, als jemand aus der Bibliothek raustritt und mich fragt: “What are you doing???”. Oh je. Ich erkläre, wo ich hin will – und er sagt, das sei ganz woanders. “Kruzdietürken nochmal!” will ich sagen, aber da fällt mir ein, dass ich ja heute noch in die Türkei gelassen werden möchte. Der Mensch erklärt, wir müssen so fahren und dann so, und dann noch mal so. Und das machen wir. Und dann werden wir wieder zurechtgewiesen. Es geht von Pontius bis Pilatus. Aber dann sehen wir eine Bushaltestelle mit langer Schlange – und an der Bushaltestelle steht “Shuttle Bus to the Book Fair”. Endlich.
An der Haltestelle warten fast ausschließlich jüngere Frauen – sicherlich Srudentinnen – und zwar vollverschleiert. Nach einer gefühlten Ewigkeit kommt auch ein – viel zu kleiner – Bus, und wir zwängen uns irgendwie rein. Ein paar Frauen lassen ihre Schleier fallen, und siehe da: Bunt gefärbte Haare, Schmuck hier, Piercings da, und Schminke sowieso. Aber das war ja auch irgendwie zu erwarten. Nach rund zehn Minuten Fahrt kommen wir an – quasi in der Wüste stehen ein paar riesige Hallen, und davor gibt es ein großes, schwarzes Tor. Geschafft. Ich laufe mit meinem Gepäck zum Tor und sehe, wie die Anderen alle ihr Handy vorzeigen und ein Code gescannt wird. Nanu? Dann bin ich an der Reihe. Ticket? “Aber auf der Webseite steht doch Eintritt frei!?” – kurzes Schweigen, dann sagt jemand hinter dem Türsteher: “Ja, das ist in Ordnung”. Hmm. Ich nehme mal an, die englische Webseite stimmt in vielerlei Hinsicht nicht. Erste Hürde geschafft – nächste Station: Gepäck scannen lassen, wie am Flughafen. Man zieht mich beiseite, wo sich dann folgender Dialog abspielt:
- Er: Sie haben eine Kamera im Gepäck?
- Ich: Ja… wieso?
- Haben Sie eine Erlaubnis dabei?
- Was?
- Na eine Erlaubnis! Um eine Kamera mit reinzunehmen, brauchen Sie eine Erlaubnis der saudi-arabischen Botschaft!
- Smartphones sind aber in Ordnung?
- Ja, die sind auch ohne Erlaubnis okay.
- Hmm. Das wusste ich nicht. Nein, ich habe deshalb keine Erlaubnis.
- Dann dürfen sie nicht rein.
- Kann ich denn die Tasche, oder auch nur die Kamera, für 1, 2 Stunden hier bei Ihnen lassen? Ich will nur mit ein paar Verlegern sprechen!
- Nein, das geht nicht, tut uns leid.
- Wirklich? Ich bin extra für die Buchmesse aus Tokyo angereist!
- Tut uns leid, aber das geht nicht.
Ich frage noch nach seinem Chef, und der wird auch gerufen – und der bestätigt das Ganze: Ich darf nicht rein, nicht mit der Kamera. Ich bin zu verblüfft, um noch weiter zu diskutieren. Okay, Smartphones mit Zoom und dutzenden Megapixeln und Videofunktion und allem sind okay, aber eine schlichte Nikon Z50, eine zwar sehr brauchbare, aber nicht gerade professionelle Kamera geht also nicht. Aber das geht ja eigentlich noch. Dass ich nicht die Kamera oder die Tasche am Eingang für eine Stunde abgeben kann, wurmt mich noch viel mehr. Aber das hilft nun alles nichts. Ich trolle mich frustriert von dannen, zurück zum Bus. Mit dem geht es zur Metro-Haltestelle, und von dort direkt zum Flughafen, wo ich nun drei Stunden Zeit habe.
Der nächste Flug ist mit Flyadeal, eine relativ junge, saudi-arabische Billigairline, die viele Flugziele in Saudi-Arabien, aber auch etliche ausländische Flugziele bedient – zur Hajj gibt es sogar Direktflüge zum Tschad, nach Niger, Nigeria usw. Interessant. Das Check-in verläuft problemlos, bei der Security werde ich jedoch zurückgepfiffen. Der Beamte schreibt etwas auf einen Zettel, klebt es auf meinen Pass und schickt mich zu einem Büro. Wie jetzt? Im Büro ist aber kein Beamter – aber es warten schon ein paar andere Leute dort. Es riecht ein bisschen nach Chaos, denn die paar Leute stehen nicht an, sondern irgendwie herum, und warten auf Irgendjemanden. Ich zücke mein Handy, um den handgeschriebenen Zettel zu übersetzen. “Transit” steht da. Das ist aber eigentlich nicht richtig, da ich ja in Istanbul aussteige, einen Tag bleibe und mit einer anderen Airline weiterfliege. Ich gehe zurück zu dem Mann, und sage ihm, dass ich nicht Transit-Passagier bin. Er schickt mich trotzdem wieder zurück, aber da taucht schon ein Beamter auf, schaut sich meinen Pass an, hakt den Schriebs ab und schickt mich zurück. Jetzt darf ich durch. Vorher nimmt man mir noch mein Feuerzeug ab – so richtig steige ich da sowieso nicht hinter. Hier sind Feuerzeuge erlaubt, da nicht. Hier sind Getränke erlaubt, da nicht.
Gut, nun habe ich wenigstens Zeit, etwas zu essen. Und Zeit, um nach ein paar Souvenirs Ausschau zu halten, aber ich finde nichts wirklich Brauchbares. Das macht nichts, dann muss ich nicht so viel schleppen. Danach verläuft alles zeitplanmäßig – gut 30 Minuten vor Abfahrt fahren wir mit Bussen auf das Rollfeld zum Flugzeug, und auch dieses ist vollbesetzt. Pünktlich heben wir ab. Na dann, مع السلامة! Auf Wiedersehen! Der Abstecher nach Saudi-Arabien war eine gute Idee, die ich auf gar keinen Fall bereue.
Ein Entertainment-System gibt es natürlich nicht, da Billig-Airline. Das macht aber nichts: Ich sitze am Fenster, und das auch noch ziemlich weit vorn. Die Tragflächen sind also nicht im Weg. Und ich kann mir ungefähr vorstellen, wie die Flugroute verlaufen wird. Eine allzu große Auswahl gibt es nicht: Es wird sicherlich Israel und Syrien vermeiden und deshalb über das Rote Meer, Ägypten und dann über das Mittelmeer fliegen. Was mich in erster Linie interessiert: Werde ich von oben einen Teil der Neom-Baustelle sehen? Ich nehme die Antwort vorweg: Leider nein. Es entstehen aber trotzdem ein paar interessante Fotos, wie ich finde.
Wir überfliegen unter anderem den Suez-Kanal sowie, nicht viel später, das Nildelta, wo wir dann auf das Mittelmeer zusteuern. Der Gazastreifen ist von hier nur gute 200 Kilometer entfernt… es ist wirklich schwer zu verdauen, was sich da beinahe in Sichtweite seit 2 Jahren abspielt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Während wir das Mittelmeer überfliegen, wird es auch allmählich dunkel – die ersten Berggipfel der südlichen Türkei sind gerade noch so im Dämmerlicht erkennbar. Und so erreichen wir bald das Schwarze Meer und drehen nach Süden, um auf dem neuen Flughafen von Istanbul zu landen.
Ach, Istanbul. Als 16-jähriger war ich 1990 mal mit meinen Eltern in Burgas, Bulgarien – das war wenige Wochen nach der Währungsreform und eins, zwei Monate vor der Wiedervereinigung. In Burgas stand an einem Reisebüro “Tagesausflüge nach Istanbul”. Bis 1989 war eine Stadt wie Istanbul einfach nur ein exotischer Ort, zu dem man einfach nicht reisen konnte. Nun war es plötzlich möglich. Haben wir die Busreise gemacht? Nein. Letztendlich kamen wir nicht dazu. Aber ich hatte mir schon damals fest vorgenommen, das irgendwann nachzuholen. Und zwar, genau, von Burgas aus, denn ich wollte überland dorthin fahren. Im August 1995 war es dann so weit. Zusammen mit meiner japanischen Begleitung ging es dann von Burgas, und von dort weiter quer durch das Strandscha-Gebirge bis Malko Tarnovo und von dort zum Grenzübergang. Damals hatte ich sogar noch meinen DDR-Pass, aber man liess uns trotzdem, nach mehrmaliger Prüfung, rein. Von dort ging es per Anhalter weiter, mit Kraxen auf dem Rücken. Ein Pickup-Truck hielt bald an, und auf dem konnten wir hinten aufspringen. In Kırklareli machten wir kurz Rast, um von dort mit einem Bus weiter nach Istanbul zu fahren. Wir kamen ziemlich spät abends an – an einem Busbahnhof vor den Toren der Stadt, und natürlich ohne einen Plan, wo wir übernachten könnten. Obwohl mit sehr geringem Budget ausgestattet, sprachen wir mit einem Taxifahrer. Es stellte sich aber schnell raus, dass er nichts so richtig mit uns anfangen konnte. Wir erklärten ihm, dass wir zum nächstgelegenen Campingplatz wollten, aber er wusste offensichtlich nicht, wo sich einer befindet. Er hatte ein Mini-Langenscheidt-Wörterbuch Türkisch-Deutsch dabei und fing an, darin zu blättern. Dann las er vor: “mein – haus”. Das verstanden wir nicht ganz – aber er fuhr dann wirklich nach Istanbul rein, zu seiner Wohnung, und lud uns ein, dort zu nächtigen. Nach einer Weile kam ein anderer Mann dazu, der ebenfalls dort wohnte und Taxi fuhr. Dieser Mann konnte ein bisschen Englisch sprechen. Und jetzt wurde es lustig. Wir assen zusammen Abendessen, und tranken diverse Sachen, bis der zweite Fahrer, es muss so gegen 2 Uhr morgens gewesen sein, auf die glorreiche Idee kam, uns unbedingt Istanbul zeigen zu müssen, und zwar genau jetzt. Gesagt, getan: Ziemlich angetütert fuhr er mit uns los, und nach einer Weile liessen wir uns am Ufer des Bosporus nieder, um dort weiterzutrinken. Und um danach zurückzufahren.
Am nächsten Morgen weckte man uns – mit einem türkischen Frühstück, auf dem Balkon. Wir wollten den beiden Männern definitiv nicht weiter zur Last fallen, und sagten ihnen, dass wir heute weitermüssen. Das kauften sie uns nicht ab. “Ihr ward noch nie in Istanbul, und reist nach einer Nacht weiter? Das glaube ich euch nicht! Nichts da, ihr bleibt zumindest noch eine Nacht hier!”. Widerspruch war scheinbar zwecklos. Wir erkundeten also die Stadt…. und fuhren abends zur Wohung zurück. Natürlich kauften wir ein paar Sachen zu essen und Getränke, um uns wenigstens ein bisschen zu revanchieren. Am nächsten Morgen dann die Verabschiedung – bei der sich der erste Fahrer mehrfach entschuldigte, dass er leider den Betrag vom Busbahnhof bis zu seiner Wohnung einfordern müsse, sonst gebe es Ärger mit seiner Firma. Aber das war ein sehr geringer Betrag. Und eine unglaubliche Erfahrung. Damals fuhren wir übrigens weiter nach Ankara, dann nach Kuşadası. Von dort wollten wir eigentlich nach Edirne und dann nach Griechenland weiterfahren, aber daraus wurde nichts – in Keşan musste ich meine Begleitung ins Krankenhaus einweisen lassen, wegen enormer Magenprobleme. Erzähle ich die Geschichte mit dem Taxifahrer in Istanbul in Japan, ist die Reaktion immer die Gleiche: Faszination und Bewunderung ob der enormen Gastfreundschaft. Erzähle ich die Geschichte einem Türken, ist die Reaktion auch immer die Gleiche: “Ja, und? Das ist normal. Ist eben so”.
2002 ging es wieder nach Istanbul. Meine damalige Freundin – und seit 2005 meine geliebte Ehefrau – wollte in die Türkei. Ich stimmte zu – aber nur unter der Voraussetzung, dass wir auch woanders hinfahren. Also flogen wir nach Istanbul, und reisten dann, wieder überland, erst nach Trabzon, dann nach Georgien, Armenien und von Kars mit dem Dogu-Express zurück nach Istanbul. Sowohl zu Beginn als auch am Ende dieser Reise verbrachten wir ein paar Tage in Istanbul. Rein rechnerisch ist dies also mein 4. Besuch in Istanbul, wobei der letzte Besuch nun schon 23 Jahre her ist.
Am riesigen Flughafen von Istanbul zieht sich die Einreise ein bisschen hin – ebenso das Einrichten der eSim, denn ich muss erst rausfinden, wie das mit dem Wifi funktioniert. Es gibt Automaten, an denen man eine Nummer zieht, mit dem man sich dann in das Flughafen-Wifi einloggen kann. Danach muss ich erstmal rausfinden, wie man mit der U-Bahn fährt, aber das geht relativ schnell. Dann fahre ich mit der U-Bahn bis Gayrettepe, wo ich dann mit der Metro-Linie M2 Richtung Yenikapı weiterfahren soll, bis zum Taksim-Platz. Das Umsteigen erweist sich als furchtbar kompliziert – ich irre eine ganze Weile herum und frage viele Leute, bis ich endlich die Station finde, aber dank einiger sehr netter Leute finde ich sie dann doch.
Gegen halb zehn abends komme ich dann doch endlich am Taksim-Platz an. Bisher habe ich immer auf der anderen Seite, in der Topkapi-Gegend, übernachtet – der Taksim-Platz war bisher nicht auf meinem Radar. Da der Platz aber in den letzten Jahren immer wieder als Aufmarschplatz für Demonstranten in den Nachrichten war, wollte ich mich dieses Mal hier umsehen. Von der Taksim-Moschee einmal abgesehen sieht der Platz aber nicht sonderlich attraktiv aus – das könnte aber auch am Wetter liegen, denn es ist regnerisch, bei geschätzten 14 Grad. 14 Grad! Das hatte ich seit April nicht mehr! Eine echte Wohltat. Mein kleines Hotel finde ich auch relativ schnell – es liegt in einer Seitenstrasse des Taksim-Platzes, und in der gibt es viele weitere Hotels und auch Restaurants. Ich frage den Rezeptionist/Betreiber, ob er ein empfehlenswertes Restaurant kennt, das jetzt noch geöffnet hat. Ja, klar, lautet die Antwort. Er schickt mich zum Al Madina-Restaurant Hatay Medeniyetler Sofrası, rund 10 Minuten zu Fuss entfernt. Ich bestelle nach ausführlichem Studium der Speisekarte ein Tabbouleh (ein für die Region typischer Salat mit Bulgur, Tomaten, Petersilie, Zwiebel, Zitronensaft usw.)) sowie ein Fırında Kağıt Kebab, ein im Ofen gebackenes, sehr flaches Stück Hackfleisch im Brot. Und ein Bier. Ein echtes Bier! Jetzt bin ich glücklich. Das letzte Bier hatte ich ja schliesslich in Shanghai, und das kommt mir vor als ob es zwei Wochen her gewesen ist. Das Restaurant ist ein bisschen teurer – wenn ich mich recht erinnere, waren es umgerechnet fast 20 Euro, aber die Qualität stimmt auf jeden Fall.
Ich laufe danach noch ein bisschen durch die Straßen – es ist nun schon beinahe Mitternacht, aber irgendwo könnte ich noch eins, zwei Efes-Bier vertragen. Als ich so durch die Straßen herumstromere, spricht mich ein Türke an, und sagt, dass er gelegentlich aus der Provinz nach Istanbul kommt und auch auf der Suche nach einem Bier ist. Wir unterhalten uns ein bisschen über dies und das – und er meint, er kennt einen netten Ort. Hmm. Okay. Wir gehen in die zweite Etage eines Hauses – und landen in einem Mini-Club, in dem ein paar Frauen gelangweilt vor sich hin tanzen. Die Atmosphäre ist irgendwie… seltsam. Wir setzen uns auf eine halbrunde Sitzreihe, und jetzt merke ich auch, dass hier etwas nicht stimmt – denn plötzlich sitzen zwei Frauen neben uns – eine neben ihm, eine neben mir, und sie rücken sehr nahe. Auf dem Tisch liegt eine einfache Getränkekarte: Bier: 200 Lira, also 4 Euro. Ein Glas Sekt; 10’000 Lira. Also 200 Euro. 200 Euro für ein Glas Sekt! Halleluja! Ich ziehe mein Handy aus der Tasche, öffne eine Email, mache ein verdutztes Gesicht – und erkläre den dreien, dass ich gerade eine unerwartete Nachricht bekommen habe, und deshalb leider sofort ins Hotel zurückmüsse. Ich begebe mich also zum Ausgang – und ignoriere den giftigen Blick des muskulösen Mannes, der die Frauen an unseren Tisch geschickt hatte. Das war knapp. Lektion gelernt: Ja, auch in der Türkei kann man abgezogen werden – das ist mir hier noch nie passiert, aber es war ja klar, dass es so etwas auch hier geben muss. Mir reicht das dann auch, und ich ziehe mich ins Hotel zurück, um dort den Abend ausklingen zu lassen.
Am nächsten Morgen kann ich es etwas ruhiger angehen lassen – mein Flieger startet erst 16:40, und zwar vom Sabiha Gökçen-Flughafen auf der asiatischen Seite Istanbuls. Ich habe also reichlich Zeit für einen Spaziergang und laufe so ab 8 Uhr morgens gemächlich die Istiklal-Straße entlang. Hier tobt sowohl nachts als auch am Tag der Bär – so viele Restaurants, Geschäfte. Cafes… und dann die ganzen Läden, die türkische Süßigkeiten anbieten! Wahnsinn. Als ich türkische Süßigkeiten zum ersten Mal probiert hatte, fand ich sie nicht besonders. Es war mir alles irgendwie zu süß oder zu klebrig – oder beides. Aber dann habe ich irgendwann mal gutes Baclava gegessen, und da war es dann dahin mit mir… denn gut gemachte türkische Süßigkeiten sind wirklich absolute Leckerbissen. Überhaupt türkisches Essen – da bin ich schon seit meinem ersten Aufenthalt in der Türkei ein großer Fan, weshalb ich mich an den ganzen Läden nicht satt sehen kann.
Natürlich gibt es auch hier und da die berühmt-berüchtigten Eisverkäufer, die aus der Eisausgabe eine lange Show machen. Das Eis selbst ist aber so überhaupt nicht mein Ding. Ich laufe immer weiter – es regnet noch immer – bis zum Galata Kulesi, dem berühmten und weithin sichtbaren Galata-Turm aus dem 14. Jahrhundert. Der ist seit 2020 für Touristen zugänglich, aber man lässt sich den Spaß einiges kosten: 30 Euro. Immerhin gibt es dazu Bluetooth-Kopfhörer dazu, also neue, die man auch behalten kann. Da der Turm gleichzeitig Museum ist, und da ich nicht weiss, wann ich mal wieder hier bin, bezahle ich den Eintritt und stiefele nach oben. Und es sollte sich lohnen, denn von oben hat man ein 360-Grad-Panorama der Stadt vor sich. Faszinierend – vor allem die vielen Wolkenkratzer am Horizont überraschen mich, denn ich bin mir ziemlich sicher, dass die vor 20 Jahren noch nicht da waren. Aber ich mag mich irren – schliesslich hatte ich vor 20 Jahren keinen so guten Blick auf ganz Istanbul.
Der Abstecher nach Istanbul hat sich auf jeden Fall gelohnt – es hat sich zwar vieles verändert, aber die Menschen sind nach wie vor äußerst nett – und das Essen ausgezeichnet. Ich entdecke auch etwas, was ich vorher noch nie probiert habe: Şalgam, ein tiefroter Saft, bestehend aus fermentierten Steckrüben, Möhren und anderen Gemüsen. Klingt irgendwie… gesund? Nun, das ist es sicherlich auch. Aber ich mag die angenehme Schärfe und Säure. Das könnte ich durchaus öfter trinken.
In der Nähe des Taksim-Platzes gibt es auch viele Wechselstuben, die sich scheinbar damit brüsten, wie viele Währungen sie umtauschen können. Die möchte ich nun auf die Probe stellen, denn ich habe noch 3000 kirgisische Som dabei, die ich nirgendwo umtauschen konnte. Das sind umgerechnet um die 30 Euro. Die erste Wechselstube bietet nach vielem Suchen am Computer, denn kirgisische Som gehören nicht zum Programm, umgerechnet 20 Euro. Eine zweite bietet 24 Euro – und da sage ich nicht nein, denn wer weiss, wann ich wieder die Gelegenheit habe, kirgisisches Geld umzutauschen.
Nach einem herzhaften Mittagessen geht es auch schon wieder langsam zum Flughafen – der liegt etwas außerhalb, ist aber auch schön leicht mit der Bahn erreichbar. Check-in, Security – alles geht relativ zügig vonstatten, und so geht es dann auch pünktlich mit Pegasus nach Berlin.
Das war mal eine ganz andere Route von Japan nach Deutschland. Drei Zwischenstopps, 5 Tage. Sehr schön, aber auch ziemlich anstrengend, zumal man ja letztendlich nicht nur viel Zeit in Flugzeugen, sondern auch auf Flughäfen bzw. den Weg dorthin verbringt.
Nach rund zehn Tagen in Deutschland – mit Zwischenstationen in Berlin, Frankfurt/Oder, Słubice (Polen), Halle, Frankfurt/Main, Koblenz, Idar-Oberstein, Speyer und Worms – ging es schließlich mit MIAT, der mongolischen Airline, zurück nach Tokyo – dieses Mal aber nur mit einem und auch nur zwei Stunden dauernden Aufenthalt in Ulan-Baator (-19 Grad!).


























