Stan, Stan, Stan: Teil 3 (Bishkek)

0
19

Uh-oh. Einer der Jägermeister, Wodka oder Biere von gestern muss schlecht gewesen sein. Nein, so schlimm ist es nicht, aber ich verschiebe die Weckzeit dann doch vorsichtshalber von 8 Uhr morgens auf 8:30. Kaffee machen, Sachen packen und aufräumen – schnelll noch ein Gang zum WC, und just klopft es an der Tür. Was? Eine energische Stimme fragt, ob ich fertig bin. Ah, die Vermieterin. Die, die gestern fragte, wann ich losziehe, und als ich sagte „zwischen 9 und 10 Uhr“, sagte, dass ich den Schlüssel in den Briefkasten werfen solle. Was sucht sie also um 8:58 hier? Ich sage ihr, dass ich überrascht bin – und dass ich noch ein wichtiges Geschäft vorher zu erledigen habe. „Ya shdu“ – „Ich warte“ war die Antwort. Ganz toll. Als alles erledigt ist, gebe ich ihr den Schlüssel – und sie sagt, ich könne schon losziehen. Ich frage, wie das eigentllich gehen soll ohne Schlüssel, schließlich muss man zwei Türen beim Verlassen entriegeln. Sie lacht und schüttelt den Kopf, aber es ist dieses hämische „Was bist Du für ein Idiot“-Lachen. „Gut, ich komme mit“. Sagt sie. Und drückt an der unteren Tür – dort ist es übrigens zappenduster – einen unsichtbaren Knopf. „Das habe ich Dir gestern aber gezeigt“, sagt sie. Nein, ganz bestimmt nicht. Sie zeigte mir zwar, wie ich reinkomme, nicht aber, wie ich rauskomme. Eine so unhöfliche Person habe ich schon lange nicht mehr erlebt – zuletzt wahrscheinlich 2003 in der Ukraine. Ach nein, in Deutschland war da auch noch jemand. Später schaue ich mir noch mal die Unterkunft auf Booking com an und lese mir nun alle Bewertungen durch. Es gibt ein paar 10-Sterne-Bewertungen, jeweils aber nur mit eins, zwei Worten wie „Fantastic“. Und es gibt ein paar sehr schlechte Bewertungen – gut begründet wohlgemerkt – diese schlechten Bewertungen wurden dann jeweils auf fast schon beleidigende Weise von der Vermieterin kommentiert. Alles klar! Ich lasse es mir ein paar Tage später nicht nehmen, ebenfalls zu bewerten. Und siehe da, keine Stunde später folgt eine Antwort, ebenfalls nahezu beleidigend. Nun, ich schrieb unter anderem, dass die Vermieterin sehr unhöflich ist, und das hat sie mit ihrer Antwort eindrucksvoll belegt. Quod erat dēmōnstrandum.

Ab in den Schlund: Metrostation in Almaty
Ab in den Schlund: Metrostation in Almaty
Weniger prunkvoll da erst 2011 vollendet: Metro von Almaty
Weniger prunkvoll da erst 2011 vollendet: Metro von Almaty

Aber dadurch wollen wir uns den Tag nicht vermiesen lassen – heute geht es weiter, nach Kirgisistan, zur Hauptstadt Bishkek. Die Reise beginnt mit einem Fußmarsch bis zur U-Bahn-Haltestelle Abai. Die U-Bahn von Almaty besteht nur aus einer Linie – und sie wurde erst 2011 in Betrieb genommen. Deshalb ist sie etwas anders als die anderen Metros der ehemaligen Sowjetunion, die in der Regel durch tiefe Bahnhöfe und prunkvolle Bahnhöfe auffallen. Wie auch am Bahnhof Almaty wird das Gepäck beim Betreten der Bahnhöfe kurz gescannt und untersucht. Eine einfache Fahrt kostet lediglich 120 Tenge – man kauft sich dazu einen Talon oder bezahlt mit einer App. Ich will nur 4 Stationen mit der Metro fahren – gen Westen, nach Sairan, denn dort befindet sich der Busbahnhof mit Bussen nach Kirgisistan. Und nach nur gut 10 Minuten bin ich auch schon da. Ich kehre zurück zur Oberfläche und suche nach der Bushaltestelle. Zwar heissen Busbahnhof und Metrobahnhof beide Sairan, doch sie liegen 3, 4 Kilometer auseinander. Um Zeit zu sparen, suche ich nach einem Bus. Und ich finde auf der Webseite der Busgesellschaft eine Linie – doch das ganze ist verwirrend, zumal hier, in diesem tristen Neubauviertel am Stadtrand, unzählige Linien fahren. Endlich kommt ein passend erscheinender Bus, ich steige ein – und stelle nach zwei, drei Stationen fest, dass er natürlich in die falsche Richtung fährt. Klasse. Also so schnell werde ich mit dem Busnetz von Almaty nicht warm. Schnell ausgestiegen, nochmal recherchiert – und endlich finde ich den richtigen Bus, Auf geht’s!

Busbahnhof Sayran in Almaty
Busbahnhof Sayran in Almaty
Formidabler Snack: Samsa
Formidabler Snack: Samsa

Der Busbahnhof ist nicht allzu groß, auch wenn er auf den ersten Blick so aussieht. Ein paar erste „Marshrutka“-Fahrer sprechen mich an – ich sage ihnen, dass ich ihnen nach Bishkek will, und sie lassen ab und sagen mir, dass ich die Fahrkarten im Hauptgebäude kaufen kann, Gesagt, getan. Vor mir wartet eine ältere Frau, der am Schalter Wörter wie „Bishkek“ und „fährt nicht“ gesagt werden. Echt jetzt? Laut Anzeige soll es 10 Uhr, 12 Uhr, 14 Uhr (und noch zwei, drei andere Zeiten) Busse nach Bishkek geben. Nur für den Fall, dass ich mich verhört habe, frage ich sicherheitshalber noch mal nach, aber es stimmt wohl: Der Bus um 12 Uhr fährt nicht. Und das bringt meinen straffen Zeitplan durcheinander – es ist kurz nach 11 Uhr, und 3 Stunden hier zu verplempern wäre viel zu schade. Die ältere Frau vor mir entpuppt sich jedoch als Retterin in der Not: Sie fragt mich, ob ich dabei wäre, ein Taxi zu teilen. Ja, aber hallo! Von der Option hatte ich gehört. Sicherheitshalber frage ich nach dem Preis – 12’000 Tenge, also 20 Euro. Nicht schlecht, denn bis zum Grenzübergang in Korday sind es mehr als 200 km. Der Bus hätte 5000 Tenge gekostet. Die lebhafte und sehr freundliche Frau sagt, sie müsse nur noch ihre Tochter einsammeln. Und die erscheint auch kurz darauf. Wie sich herausstellt, hatte die ältere Frau durchaus ihre Hintergedanken, aber die waren durchweg positiv: Die Tochter ist 19 Jahre alt, hat just begonnen, IT zu studieren – und sprach sehr gutes Englisch. Die Mutter wollte einfach nur, dass ihre Tochter ihr Englisch benutzen – und Informationen sammeln kann, was das Studium im Ausland anbelangt. Das sollte mir recht sein, warum nicht.

Moschee irgendwo in der kasachischen Pampa
Moschee irgendwo in der kasachischen Pampa
Unendliche Weiten – leider waren die Scheiben des Taxis getönt
Unendliche Weiten – leider waren die Scheiben des Taxis getönt

Ich erklärte der jungen Frau, dass im Prinzip alles in Ordnung sei – ich vor der Abfahrt jedoch irgendwo schnell einen Bissen besorgen möchte, denn die Fahrt konnte sich ja Stunden hinziehen. Das war kein Problem – in einer Imbissbude vor dem Busbahnhof holte ich mir zwei Samsa, sehr leckere Teigtaschen mit Fleischfüllung – ein typisch uigurisches Gericht, das man in dieser Gegend überall findet. Die Mutter war derweil ein Taxi suchen – und das fand sie auch bald, nebst vierten Mitfahrer. Und so konnte es losgehen.

Die Tochter hatte viele Fragen. Ich verstand sie halbwegs, aber nicht immer komplett, weshalb sie immer wieder ihrer Tochter „perevodi!“ – ”Übersetze!“ zurief. Also übersetzte sie, und ich antwortete – manchmal wartete die Mutter jedoch noch nicht einmal die Antwort ab sondern begann schon mit der nächsten Frage. Das war zwar anstrengend – aber beide waren äußerst sympathisch und unterhaltsam. Ich hatte kaum Zeit, die Fahrkünste des Taxifahrers zu bestaunen, denn der bretterte mit uns in Wahnsinnsgeschwindigkeit mit zahlreichen gewagten Überholmanövern durch die kahle aber sehr sehenswerte Gegend. Linkerhand ragten in der Ferne die Berge in die Höhe, rechterhand erstreckte sich die endlose Steppe – hier und dort gab es ein paar Pferdehorden und ein paar kleine Siedlungen, meist nebst Moschee. Wie ich erfuhr, war die Mutter Uigurin – die größte uigurische Minderheit außerhalb Chinas lebt in Kasachstan, immerhin fast eine Million Menschen. Ihr Ehemann war oder ist, da wollte ich nicht nachbohren, Kasache. Die Tochter war dementsprechend muslimisch erzogen – ebenfalls ein Thema, über das ich mit beiden völlig ungezwungen reden konnte. Nach knapp zwei Stunden, wir hatten beinahe die Grenze erreicht, bot mir die Mutter an, bei ihnen in Bischkek zu übernachten, aber ich lehnte höflich ab. Wäre ich richtig lange unterwegs, hätte ich vielleicht ja gesagt, aber bei nur 10 Tagen wollte ich vor allem eins sein: Frei, nicht abhängig von Anderen. Ich schlug allerdings vor, dass wir ja vielleicht zusammen Abendessen könnten – in irgendeinem Restaurant in Bishkek. Und so vernetzten wir uns über Instagram. Und nach gut zwei Stunden erreichten wir auch schon den kasachisch-kirgisischen Grenzübergang.

Auf Wiedersehen, Kasachstan
Auf Wiedersehen, Kasachstan
...und Hallo Kirgisistan
…und Hallo Kirgisistan

Die Ausreise war etwas chaotisch: Nur wenige Schalter hatten geöffnet, und vor diesen Schaltern bildeten sich große Menschentrauben – von einer Schlange keine Spur. Aber nach geschätzen 30 Minuten war ich an der Reihe und verliess somit Kasachstan schon wieder. Viel zu früh, aber mit dem Wunsch, wiederzukommen. Dann ging es zu Fuß weiter auf die kirgisische Seite – die Einreise hier war in rund 5 Minuten beendet und überhaupt kein Problem. Also verliess ich das Abfertigungsgebäude – dort gab es ein paar Kioske, eine Bushaltestelle und zahlreiche Taxifahrer, die auf „Beute“ warteten. Ich sagte ihnen, dass ich auf jemanden warten muss, denn ich hatte mich mit Mutter und Tochter dazu verabredet, auf der anderen Seite wieder ein Taxi bis zur Hauptstadt zu teilen. Irgendwann kamen sie dann auch. Ich hob schnell Geld ab – die Währung hier heißt Som (Kyrgystani Som, KGS, um genau zu sein), und der liess sich in Euro sehr leicht umrechnen, entspricht ein Som doch einem Eurocent. Die resolute Mutter fragte den ersten Taxifahrer – der sagte 800 Som (also 8 Euro) – pro Person, wohlgemerkt, und das, obwohl es von hier bis Bishkek nur gute 10 Kilometer sind. Die Mutter war darüber recht erbost – der Taxifahrer senkte zwar schnell den Preis, aber sie war nicht zu beschwichtigen und beschloss deshalb für uns alle, den Bus zu nehmen. Ich hatte kein Kleingeld – aber sie hatte eh schon für uns drei bezahlt und liess sich partout nicht bezahlen. Der Bus fuhr auch ziemlich bald ab – und da war ich also, in Kirgisistan bzw. Kirgisien bzw. Kirgistan – an den offiziellen Namen „Kirgisistan“ kann ich mich bis heute nicht wirklich gewöhnen.

Kirgisischer 1000-Som-Schein
Kirgisischer 1000-Som-Schein

Ein Blick aus dem Busfenster machte mir sofort klar, dass dieses Land wesentlich ärmer ist als Kasachstan. Und siehe da – das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner ist in Kasachstan gleich sechs Mal höher als in Kirgisistan. Das Land ist sehr gebirgig und seit der Unabhängigkeit 1991 gab es zahlreiche Unruhen im Land – aus politischen und ethnischen Gründen. Für mich hat das Land ein bisschen etwas Mystisches – ein kleiner Staat (knapp halb so groß wie Deutschland, aber nur 7 Millionen Einwohner) mit riesigen Gipfeln, mitten in Zentralasien. Der Südosten ist kaum besiedelt da sehr gebirgig (immerhin bis 7,439 m Höhe), im Nordosten liegt der große Issyk-Kul-See, der dichter besiedelte Westen hat ein paar usbekische und tadschikische Exklaven, mit denen es immer wieder Streit gibt. Ich mache mich aber erstmal auf in die Hauptstadt Bishkek, zu Sowjetzeiten unter dem Namen Frunse bekannt. Der Bus kommt an einer Art Busbahnhof etwas abseits des Zentrums an, und ehe ich bis drei zählen konnte, hatte mir die Mutter schon ein Taxi organisiert – und schon hiess es „Auf Wiedersehen“, vielleicht zum Abendessen.

Wesentlich ärner, chaotischer und religiöser: Bishkek, Hauptstadt von Kirgisistan
Wesentlich ärner, chaotischer und religiöser: Bishkek, Hauptstadt von Kirgisistan
Riesige Baugrube im Herzen von Bishkek
Riesige Baugrube im Herzen von Bishkek

Der Taxifahrer war jung und scheinbar nicht sehr mit der Stadt vertraut. Trotz Navi fuhr er an meinem Hotel vorbei und hielt zwei Blöcke entfernt. Egal. Ich bezahle und laufe – hier ist es deutlich wärmer als in Almaty – zum Hotel. Das Check-in verläuft problemlos, mein Zimmer für die nächsten beiden Nächte sieht passabel aus. Also schnell die Tasche auf das Bett geworfen und schnell wieder raus, denn es ist schon nach 4 Uhr. Immerhin: Zwischen Kasachstan und Kirgisistan gibt es eine Stunde Zeitverscheibung – während es in Kasachstan im Juni gegen 19:30 dunkel wird, ist dies in Kirgisistan erst eine Stunde später der Fall. Mir bleiben also gute 4 Stunden zur Erkundung der Stadt. Mein Hotel liegt relativ zentral – nur ein paar Hundert Meter entfernt befinden sich ZUM und GUM, die wichtigsten Kaufhäuser der Stadt. Zwischen den Kaufhäusern befindet sich eine riesengroße Baugrube – es sieht so aus, als ob hier das halbe Zentrum abgerissen und neu gebaut wird. Bishkek hat ziemlich genau eine Million Einwohner und ist damit wesentlich kleiner als Almaty, aber immer noch groß genug, um sich zu verlaufen. Ich folge vorerst den Menschenmassen entlang der Baugrube – es ist Sonntag und alles scheint in eine gewisse Richtung zu flanieren. Dabei fällt vieles auf: Definitiv größere Armut, die man so in Almaty kaum sieht. Und mehr Religion – alle Spielarten islamischer Kleidung findet man hier, und man sieht hier deutlich mehr Frauen mit Burkha. Und Kinder. So viele Kinder! Im kinderarmen Japan habe ich fast komplett vergessen, wie viele Kinder es eigentlich in den meisten Ländern gibt. Alles in allem ist es auch deutlich schmutziger und – so denkt man zumindest zwangsläufig – etwas gefährlicher, aber eigentlich fühle ich mich hier auch nicht wesentlich unsicherer als anderswo.

Brachial: Postamt & Telekom von Bishkek
Brachial: Postamt & Telekom von Bishkek
Das nenne ich doch mal einen ordentlichen Flaggenmasten
Das nenne ich doch mal einen ordentlichen Flaggenmasten

Es geht weiter, immer den Chuy-Boulevard Richtung Westen. Kurz hinter der Baugrupe lande ich vor einem Platz, der von der Architektur her sowjetischer nicht sein kann – das „potschtamt“ (Postamt) steht hier und das Gebäude der kirgisischen Telekom. Eine Orgie in Beton. Kurz dahinter folgt der Platz der Märtyrer der Revolution und ein paar hundert Meter weiter verstehe ich, warum so viele Menschen in die gleiche Richtung strömen: Am zentralen Ala-Too-Platz und auf der gegenüberliegenden Seite, vor der Manas-Statue, findet offensichtlich in den folgenden Stunden ein kostenloses Konzert statt. Warum, weiß ich nicht – es ist Sonntag, aber kein Feiertag, aber vielleicht ist ja das in 4 Tagen anstehende Opferfes Eid al-Adha der Grund, denn das wird auch in Kirgisistan gefeiert. Die beiden sich gegenüberliegenden Plätze werden vom zentralen Flaggenmast dominiert: Der ist gigantische 100 m hoch, wurde in der Türkei hergestellt und schließlich hier im Jahr 2024 installiert. Er ist also sehr neu (und ersetzte den vorherigen, 40 m hohen Flaggenmast). Oben weht eine riesige, 20 mal 15 m hohe Staatsflagge. Als Kind liebte ich es, Flaggen auswendig zu lernen und zu malen. Die kirgisische Flagge gab es damals noch nicht, aber es wäre eine echte Herausforderung geworden, denn die Sonne im Inneren mit den 40 Strahlen (die sollen die 40 alten, kirgisischen Stämme repräsentieren) und den sich kreuzenden Streifen in der Mitte (Tunduk genannt, soll die obere Öffnung einer Jurte darstellen) sieht ziemlich kompliziert aus. Natürlich ist die Flagge rot – „kyrgyz“ bedeutet wohl einfach nur „rot“.

Unter dem Flaggenmast, mit der Flagge in der Mitte, befindet sich ein kleines Häuschen – und da stehen tatsächlich zwei Ehrengarden drin, die alle 60 Minuten abgewechselt werden. Und zwar im lupenreinen Stechschritt – das erinnert ganz stark an die Wachablösung an der Ewigen Flamme in Berlin, Hauptstadt der DDR. Als Kind betrachtete ich das Prozedere immer mit einer gesunden Mischung aus Ehrfurcht, Neugier – und ein bisschen Angst. Klar, es sieht irgendwie „cool“ aus, aber möchte man das selber machen? Hier gibt es übrigens einen interessanten Bericht eines ehemaligen Gardesoldaten am Flaggenmast vom Ala-Too-Platz, auf Englisch. Die Gardesoldaten müssen übrigens mindestens 1,80 Meter groß sein.

Zünftige Wachablösung am Flaggenmast
Zünftige Wachablösung am Flaggenmast
Volksfeststimmung am Ala-Too-Platz im Herzen von Bishkek
Volksfeststimmung am Ala-Too-Platz im Herzen von Bishkek

Nach dem Gewühle am Zentralen Platz entscheide ich mich, zum weiter südlich gelegenen Bahnhof zu laufen – rein aus Gewohnheit, denn Bahnhöfe ziehen mich immer irgendwie an. Auffällig in Bischkek sind Verkäufer, die zumindest im Zentrum an fast allen Straßenecken drei verschiedene Getränke aus Kübeln verkaufen: Maksym, Tschalap, Aralasch und Kwass. Die kosten jeweils 1,20 Euro pro Liter beziehungsweise 24 Cent für 0.2 Liter. Maksym ist ein Hefegetränk, dass aus Gerste, Mais und Weizen gebraut wird – quasi ein alkoholfreies, leicht prickelndes Bier. Tschalap (auch einfach nur Tan genannt) ist fermentierte Kuhmilch, ebenfalls leicht kohlensäurehaltig und säuerlich (vom Geschmack her ähnelt es Ayran). Aralasch ist eine Mischung aus Maksym und Tan. Und Kwass ist auch außerhalb Kirgisistans berühmt – hergestellt aus vergärtem Brot, ist das ebenfalls kohlensäurehaltig, aber etwas süßlich. Die Verkaufsstände stammen alle von der Firma „Schoro“. Und gefühlt alle Kirgisen trinken es – das ist auch verständlich, denn zumindest Aralasch ist im Sommer eine echte Wohltat.

Bischkek 2, der Bahnhof gefällt mir
Bischkek 2, der Bahnhof gefällt mir
Das Wapoen "Kirgische SSR" in der Bahnhofskuppel versucht man gar nicht zu entfernen
Das Wapoen „Kirgische SSR“ in der Bahnhofskuppel versucht man gar nicht zu entfernen

Auf dem Weg zum Bahnhof sehe ich zahlreiche Bauprojekte, so auch die für höhere und luxuriös aussehende Büro- und Wohnhochhäuser. So gesehen scheint sich Bischkek gerade in einer Übergangsperiode zu befinden: Noch ein paar Jahre, dann sieht die Stadt vielleicht genau so aus wie alle anderen Städte in der Größeren Chinesischen Wohlstandssphäre. Aber noch ist es nicht so weit. Bishkek ist noch immer sehr sowjetisch, und es besticht durch viel Grün im Zentrum. Einzig das Bishkek-Wärmekraftwerk am östlichen Stadtrand sieht ein bisschen bedrohlich aus (und erinnert etwas an Ulan Baator).

Stadtzentrum mit Heizkraftwerk im Hintergrund
Stadtzentrum mit Heizkraftwerk im Hintergrund
Gibt es an jeder Straßenecke: Maksym, Tan, Aralasch & Kwass
Gibt es an jeder Straßenecke: Maksym, Tan, Aralasch & Kwass

Vom Bahnhof geht es langsam wieder zurück, Richtung Hotel, und ich gratuliere mir noch immer, vorher die Google Maps Offline-Karten im Flughafen von Seoul heruntergeladen zu haben, denn meine angeblich fast überall funktionierende eSim war zw in Kasachstan sehr hilfreich, doch hier funktionierte sie überhaupt nicht: Sie zeigte zwar ständig mäßigen Empfang in einem 3G-Netz an, doch in Wirklichkeit passierte gar nichts. Da fiel mir auch ein, dass ich mich möglicherweise abends mit Mutter nebst Tochter zum Abendessen verabreden wollte, doch ohne Empfang war das natürlich schwierig.

Ich schaute kurz noch im ZUM vorbei, dem „Zentralen Universellen Magazin“, wie die besten Kaufhäuser in sowjetischen Städten oft hießen, um kurz zu sehen, ob es brauchbare Souvenire gibt, aber nichts sprach mich so richtig an – einzig der Food Court im obersten Stock faszinierte mich ein bisschen. Food Courts bin ich aus Ostasien gewohnt – sie sind zwar meistens nichts Besonderes, aber wenn man mit Familie unterwegs ist, sind sie einfach sehr praktisch, da man nicht lange diskutieren muss, was heute gegessen wird. Nun aber zurück zum Hotel – es ist schon fast 20 Uhr. Und siehe da, die Tochter hatte sich gemeldet und gefragt, ob ich abends noch frei bin. Aaargh… klar, im Prinzip schon, aber das ist jetzt wohl schon etwas spät. Ich antworte „ja, bin ich, aber sorry, dass es schon so spät ist — morgen ginge aber auch bei mir“. Eine Antwort darauf erhielt ich nie — vielleicht liegt das aber auch daran, dass es bei Instagram nicht ganz so ersichtlich ist, wenn man zum ersten Mal von Jemandem eine Nachricht erhält. Nun gut. Nun macht mir noch etwas Anderes Sorgen — was mache ich nur am kommenden Morgen? Tag, meine ich natürlich. Ich bleibe ja zwei Nächte hier, denn einen Tag möchte ich raus, in die Natur. Ich hatte die ganze Zeit schon überlegt, ob ich einen Taxifahrer ansprechen soll, um auszuhandeln, was ein ganzer Tag kostet. Aber ich entscheide mich dann doch für die langweiligere Methode und schaue im Internet nach, welche Touren angeboten werden. Ah ja, da sieht doch gut aus: Ala Archa-Nationalpark, Gut 60 km entfernt vom Zentrum, mit einem englischsprachigen, naturkundigen Guide. Kostenpunkt: 13000 Yen, also rund 80 Euro. Klick.

Viele Häuser im Zentrum werden zur Zeit abgerissen...
Viele Häuser im Zentrum werden zur Zeit abgerissen…
In ein paar Jahren wird man Bishkek vielleicht nicht mehr wiedererkennen
…um Platz für Neues zu machen. In ein paar Jahren wird man Bishkek vielleicht nicht mehr wiedererkennen

Nach dem ganzen Gelaufe habe ich jedenfalls Kohldampf und frage an der Rezeption nach einer guten „Чайхана“ (Tschaichana), was sicherlich mal „Teehaus“ hieß, aber heute gern auch als Bezeichnung für Restaurants mit lokaler Küche benutzt wird. Man empfiehlt mir das Mubarak – die seien sehr gut, haben zwei, drei Restaurants in Bishkek und gerade erst ein Neues aufgemacht, und zwar gleich hinter dem Hotel. Alles klar.

Also gehe ich aus der Lobby heraus und nach draußen – doch plötzlich klingelt mein Telefon. Völlig überraschend, schließlich habe ich ja meine SIM entfernt. Whatsapp scheint aber zu funktionieren – geistesgegenwärtig nehme ich trotz der mit +996 beginnenden Nummer ab. Und siehe da: Es ist der vor wenigen Minuten gebuchte Guide, der mir mitteilt, dass er mich morgen um 8 Uhr vom Hotel abholen wird. Das war Glück, denn nur 10 Sekunden später hätte ich vorläufig wieder kein Netz gehabt.

Das Mubarak ist in der Tat nagelneu, sehr groß – und brechend voll. Ich schreibe mich auf eine Warteliste, und man sagt mir, dass es rund 20 Minuten dauern wird. Das MUBARAK wird ganz offensichtlich von Moslems betrieben – es gibt viele Teesorten, keinerlei Alkohol und alles ist Halal. Nach einer halben Stunde werde ich platziert – ich bestelle лагман (Laghman), ein ebenfalls eigentlich uighurisches Gericht, gebraten, mit Rindfleisch und etwas Schärfe. Sowie für die Gesundheit einen ordentlichen Salat. Die beiden Gerichte kosten zusammen 600 Som – die Qualität und Atmosphäre sind top, weshalb der niedrige Preis etwas überrascht.

Laghman im Mubarak in Bishkek: Sehr empfehlenswert
Laghman im Mubarak in Bishkek: Sehr empfehlenswert
Arpa - ein leichtes, kirgisisches Bier
Arpa – ein leichtes, kirgisisches Bier

Bettreif bin ich noch nicht nach dem Mahl. Auf Google Map fiel mir ein „Steinbräu Pub“ auf – mitten in einem Wohngebiet etwas südlich des Zentrums. Also spaziere ich dorthin – und nach etwas Suchen finde ich tatsächlich eine nagelneue Brauanlage nebst Tresen. Nur, um gegen 21 Uhr gesagt zu bekommen, dass man just geschlossen hat. Na toll. Ich tapere zu einer weiteren Kneipe, mit sehr netten Angestellten, und von dort, des Spasses wegen, zu einem Pub namens „Munchen Pub“. Der ist ebenfalls anfangs etwas schwer zu finden, da er im 5. Stock liegt. Ich fahre hoch, und werde sofort einer verschärften Sicherheitskontrolle unterzogen. Ich muss alles öffnen und rausholen. Echt jetzt? Die Security hat eine volle Tarnuniform an. Wo bin ich denn hier gelandet? Obwohl ich der einzige vor der Tür bin, schnüffelt er an allem herum – und ich muss mich zusammenreissen um nicht zu lachen, als er meinen tragbaren Aschenbecher aufmacht und kräftig daran riecht. Nein, das hat ihm offensichtlich nicht gefallen. Nach ein paar Minuten ist er endlich fertig – ich wollte doch nur ein Bier trinken! – ich will die Tür aufmachen, doch da sagt er: „Wait, dress code check!“ Über Funk ruft er eine Frau, die mich – ein verschwitzter Tourist, offensichtlich – kurz mustert, reinwinkt, und die Security anschnauzt, warum er so ein Aufheben macht.

Wie auch immer – ich betrete einen riesigen Pub, mit Bühne, auf der ein Duo irgendwas vor sich hinsingt. Zwei Gäste sitzen am Tresen, ein paar andere sitzen irgendwo in einer dunklen Ecke. Mit anderen Worten ein Fest der Langeweile. Immerhin gibt es aber sehr gutes Bier, und entgegen meiner anfänglichen Vermutung kostet das ganze nicht einmal Eintritt. Das reicht dann aber auch – nach einer Pinte geht es zurück ins Hotel. Wieder fast 25 Kilometer gelaufen, wie schon am Vortag. Aber es hat sich gelohnt.

LEAVE A REPLY

Please enter your comment!
Please enter your name here

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.