Nun weiß ich also erstmal, wohin, doch wie? Bis zum Ziel sind es ein paar Kilometer und da würde ich viel Zeit verlieren, aber ein Uber zu rufen ist auch zu einfach. Also suche ich die nächstgelegene U-Bahn-Station, in meinem Fall die Station GOSI. Dazu laufe ich erstmal durch eine Art Gewerbegebiet – dort befindet sich unter anderem auch eine größere Abfüllanlage von Pepsi Cola. Apropos Pepsi: In Sachen Produkt- und Restaurantvielfalt scheint Saudi-Arabien extrem amerikanisch zu sein. Wohin man auch schaut, überall steht entweder ein McDonalds, Burger King, Starbucks, KFC, Dunkin‘ Donuts und wie sie alle heißen. Fast Food in allen Spielarten, natürlich auch mit zahllosen Pizzerien usw. Und an Getränken dominieren Coca Cola & Co sowie Pepsi & Co. Kulinarisch gesehen scheint Saudi Arabien also, nun ja, Herausforderung zu sein, denn man findet kaum etwas Vernünftiges.
Hinter dem Gewerbegebiet folgt ein Wohngebiet. Alle, aber scheinbar auch wirklich alle Wohnhäuser sind wüstensandgelb, mit meist winzigen Fenstern, was angesichts des Klimas verständlich ist. Die meiste Zeit des Jahres ist es brüllend heiß draußen, da möchte man seine Wohnung nicht auch noch durchs Sonnenlicht aufheizen. Balkons sieht man selten – wahrscheinlich ist auch das der Hitze geschuldet. Die ist allerdings jetzt, Anfang Oktober, durchaus erträglich — klar, die Sonne brennt, aber die Temperatur muss irgendwo bei knapp über 30 Grad liegen. Und nach rund 20 Minuten komme ich auch schon an eine weitere, sehr breite Straße mit viel Verkehr. Bald finde ich dort auch die U-Bahn-Station. Diese ist sehr neu, extrem sauber und beginnt mit einem riesigen Foyer. Von zwei freundlichen Wachleuten erfahre ich, dass ich kein Ticket brauche sondern einfach nur mit dem Handy oder mit Kreditkarte zahlen kann – vorbildlich. Und siehe da – es macht piep, und mit einer Zahlung von 4 SAR, also knapp einem Euro, kann ich nun zwei Stunden lang frei mit allen Metros herumfahren. Super, so muss das sein. Die Wachleute fragen, wo ich hinwolle, und schicken mich erstmal in die falsche Richtung, aber das bekomme ich zum Glück schnell selbst raus – wahrscheinlich verstanden sie „Finanzministerium“ falsch und dachten, ich will zum Bildungsministerium. Das kann ich nachvollziehen – wer will schon freiwillig zum Finanzministerium.
Die Station tief unter der Erde ist selbstmördersicher: Auch in Tokyo hat man sich zum Glück seit den letzten Jahren darauf verlegt, Sicherheitstüren an den Bahnsteigen anzubringen, die sich erst öffnen, wenn die Bahn hält. Ein riesiger Fortschritt, denn vor diesen Maßnahmen gab es kaum einen Tag, an dem nicht irgendjemand vor die Bahn sprang (oder betrunken auf die Gleise fiel), was jedes Mal für großes Chaos sorgte. Hier muss ich allerdings erstmal schauen, wo ich überhaupt einsteigen darf: Es gibt eine 1. Klasse, eine Klasse für Familien und – schau an – eine Klasse für „Single Male“, also männliche Erwachsene ohne Familie. Ich gehe sicherlich richtig davon aus, dass sich das nicht auf den Familienstatus, sondern auf die Reisesituation bezieht, und steige dementsprechend in letzterem ein. An dieser Stelle ist es auch wert, zu erwähnen, dass so ziemlich alles in Saudi-Arabien auf arabisch UND englisch ausgeschildert ist/angesagt wird. Man findet sich also bestens zurecht.
Mein erstes Ziel soll das Nationalmuseum sein, und das ist auch die Endstation meiner Linie, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass das Museum noch nicht geöffnet hat, und so steige ich eben eine Station vorher, an besagtem Finanzministerium aus. Das Gebäude ist massiv und so hässlich, dass es fast schon wieder schön ist. Gemächlich laufe ich durch menschenleere Straßen – es ist Wochenende, genau genommen sonnabends, denn das saudische Wochenende findet am Freitag und Sonnabend statt. Bald erreiche ich das Museum nebst großem Park und schaue sicherheitshalber mal im Internet nach: Es öffnet 9 Uhr, ich habe also noch etwas Zeit. Also laufe ich weiter, zu einem Bereich, der auf Google Maps als Geschäftsviertel markiert ist. Mittendrin befindet sich ein Busbahnhof, und ein Busfahrer ist auf der Suche nach Fahrgästen. „Baghdad?“ fragt er mich. Wow! Es gibt Busse von hier bis Baghdad… das ist hochinteressant, und natürlich tickert es gleich in meinem Kopf, was wäre, wenn ich zwei, drei oder mehr Wochen Zeit hätte. Nach Baghdad wäre doch mal was – und dann vielleicht weiter über Erbil in die Türkei, wenn das zur Zeit überhaupt geht. Aber zurück zum jetzt. Nach dem ganzen Gelaufe habe ich Durst, und so halte ich an einem Minirestaurant im Viertel Al Amal – dort bestelle ich neben einem Wasser für einen Riyal auch gleich noch einen normalen Kaffee.
Im Viertel Al Amal sieht es schon wesentlich ärmer aus. In einer Straße werden Sachen genäht, in einer anderen Teppiche gewebt, in einer weiteren wird geschmiedet und dahinter ist ein ganzes kleines Vierteil einzig Autowerkstätten vorbehalten. Es ist ziemlich schmutzig, es riecht mitunter unangenehm und die Häuser sind nicht die neuesten. Bei circa 35 Grad ist das noch alles in Ordnung, aber bei rund 50 Grad im Sommer muss es hier wirklich heftig sein. Hier und da gibt es auch ein kleines Einkaufszentrum – und ab und an auch mal ein Restaurant, aber es sind verhältnismäßig wenige, und wenn dann meist indische. Langsam ist es aber auch schon 9 Uhr, also bewege ich mich zum Nationalmuseum – ein großer und moderner Komplex an der Ecke König Faisal/König Saud-Straße. Noch sind nur sehr wenige Besucher da – nur zwei oder drei. Auf Anweisung gebe ich meine Sachen an der Garderobe ab und erfahre, dass das Museum keinen Eintritt kostet. Ich begebe mich hinein – und stehe erstmal vor einem sehr großen (Durchmesser ungefähr 1 Meter) Meteoriten. Der Wabar-Meteorit wiegt wohl immerhin mehr als 3 Tonnen. Bei der Ausstellung geht es erstmal wirklich um den Anfang von allem: Woher Meteoriten kommen, wie die Erde entstand und vor wie viel Milliarden Jahren usw. Hier und da steht ein Zitat aus dem Koran – und das macht mich dann neugierig. Es ist ja bekannt, dass fundamentale Kreationismus-Anhänger die ganze Angelegenheit mit den Dinosauriern und dergleichen als Hokus-Pokus betrachten und der festen Überzeugung sind, dass die Erde erst vor ein paar tausend Jahren erschaffen wurde. In Saudi-Arabien praktiziert man ja den Wahhabismus und andere sehr konservative Strömungen des Islam – wie hält man es wohl dort mit der Geologie und Archäologie? Das interessiert mich nun sehr und ich frage einen der Wächter, aber er versteht nicht, was ich will, und verweist mich zu einer Person am Eingang – die versteht aber auch nicht, worauf ich hinauswill. Wahrscheinlich ist der Kreationismus aber auch unbekannt hier – in dem Fall wird es wohl wirklich etwas zu kompliziert. Also gebe ich auf. Religion ist ein heikles Thema, und eine Diskussion darüber wahrscheinlich etwas schwierig in dieser Gegend.
Das Museum ist letztendlich so interessant, dass ich fast anderthalb Stunden darin verbringe – vor allem die Abteilung über die vorislamische Zeit, aber auch der Beginn des Islam sowie der Bereich über die Staatsgründung Saudi Arabiens sind sehr lehrreich. Ebenso interessant sind die verschiedenen Artefakte über all die Schriftsysteme, die in der Region entstanden beziehungsweise benutzt wurden, bis das heutige Arabisch Fuß fasste.
Was mir auffällt: Es gibt nur wenige Besucher, aber die wenigen Besucher sind so ziemlich alle Chinesen. Und einige von ihnen nehmen mit semiprofessionellem Gerät jedes einzelne Exponat auf, während sie etwas in ein Mikrofon murmeln. “Gesättigt” verlasse ich das Museum wieder gönne mir erneut einen Kaffee und verlasse das Museum durch den Hinterausgang, denn dort liegt der “Murabba Historical Palace” – eine sehr schöne Anlage, die allerdings, wie ich gleich herausfinden sollte, um 17 Uhr öffnet. Das ist aber schade, aber man kann auch so einen größeren Bereich erlaufen. Und dabei die vielen Katzen bewundern. Muslime sind ja keine wirklichen Haustierfreunde – Hunde sind zwar nicht “haraam”, also unrein, aber im Prinzip erlaubt der Islam nicht das Halten von Hunden im Haus. Auch Katzen werden wohl nicht zu Hause gehalten, da das als unhygienisch gilt. Man sieht deshalb in Riyadh zum Beispiel keinen einzigen Hund (genauer gesagt habe ich während meines gesamten Aufenthalts in Saudi-Arabien nicht einen einzigen Hund gesehen), aber es gibt sehr viele Katzen – und es gibt durchaus auch ein paar Araber, die die Katzen streicheln. Die Katzen sind fast alle sehr zutraulich – was nur eines bedeuten kann: Sie werden gut behandelt und bekommen sicher auch genug Futter.
Riyadh ist eine riesengroße Stadt – sie ist halb so groß wie das Bundesland Berlin beziehungsweise doppelt so groß wie die Stadt Berlin, und sie hat 7 Millionen Einwohner. Wenn es aber einen Bereich geben soll, den man sehen sollte. dann sicher die Gegend am Nationalmuseum und die Gegend gleich südlich davon. Denn von dem schönen Murabba-Palast sind es nur rund 2 Kilometer beziehungsweise weniger als 30 Minuten Fußmarsch bis zum Al Masmak-Palast – jener wurde in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts errichtet und ist heute ein Museum. Hier fand 1902 die “Schlacht von Riyadh” statt, wobei der Begriff “Schlacht” etwas übertrieben ist – an dem Gefecht waren weniger als 70 Saudis und 80 Vertreter des Osmanischen und eines verbündeten Reiches beteiligt – die Saudis gewannen. Das läutete einen rund 30 Jahre andauernden Kampf für die Unabhängigkeit Saudi-Arabiens ein – was 1932 erreicht wurde. An der Schlacht war auch Abdulaziz bin Abdul Rahman Al Saud beteiligt – er wurde 1932 zum ersten König Saudi-Arabiens gekrönt und blieb bis zu seinem Tod 1953 an der Macht. Seine Familie regiert das Land auch heute noch, und das mit fester Hand. Salman bin Abdulaziz Al Saud – König von Saudi-Arabien seit 2015 – ist der 25. Sohn von Abdulaziz und regiert das Land auch heute noch (zumindest de jure, Stand 2025, doch de facto leitet sein Sohn Mohammed bin Salman, kurz MbS, das Land schon seit Jahren).
Vor dem Palast liegt der weitläufige Alsafat-Platz – hier gibt es auch ein paar schattenspendende Palmen, Cafes und Geschäfte. Am Platz liegt auch die – ziemlich moderne – Imam Turki Bin Abdullah-Moschee, mit rund 17’000 Plätzen für Betende eine der größten Moscheen von Saudi-Arabien. Nachdem ich auch noch das Palastmuseum gesehen habe, setze ich mich auf eine Bank und lasse die Szenerie auf mich wirken – und siehe da, genau dann beginnt auch der Muezzin sein Gebet zu rufen. Das ist sehr lautstark – und interessant, setzen doch nach und nach all die anderen Moscheen in der näheren Umgebung ein. Das fand ich damals in Jordanien und anderen islamischen Ländern schon faszinierend: Ein Land, in dem (fast) alle dem gleichen Glauben anhängen und zur gleichen Zeit das Gleiche tun. Natürlich möchte ich nicht unbedingt in so einem Land leben, aber wenn man von Kindesbeinen so aufwächst, ist das sicher eine andere Sache, die unsereins nie vollständig verstehen wird.
Vor der Burg/dem Museum treffe ich die ersten Deutschen auf dieser Reise – zwei reisende Frauen, die anscheinend auf einer Rundreise in der ganzen Region sind. Vereinzelt sieht man auch Franzosen und andere Nationalitäten, aber alles in allem sind sehr wenige Touristen unterwegs. Höchstens mal ein paar Chinesen – und Russen, aber das sind auch nicht viele.
So, jetzt wird es langsam knapp. Es ist fast schon Mittag, und ich muss gegen 14 Uhr am Treffpunkt sein, und der liegt ziemlich weit entfernt von dem Ort, an dem ich gerade bin. Also laufe ich los, auf der Suche nach einem Restaurant. Und wie es so ist, kann ich mich mal wieder nicht entschieden. Auf Fast Food habe ich keine Lust, auch nicht auf Indisch. Das kann ich auch in Japan und anderswo essen. Ich trabe so die sehr laute und breite Al Bathaa-Straße Richtung Norden und bin richtig schön “lost”, denn bei den Restaurants hört die Zweisprachigkeit auf: Ich habe keine Ahnung, ob ein Restaurant saudi-arabische, jemenitische, syrische, pakistanische oder sonstwas für Speisen serviert. Aber irgendwas muss rein in den Magen nach dem ganzen Rumgelaufe.
Also gehe ich einfach irgendwo rein, wo es nicht südasiatisch aussieht. Ich schaue auf die Speisekarte wie ein Schwein ins Uhrwerk – Google translate ist da auch nur bedingt hilfreich. Es zeigt mir immerhin die Fleischsorten an, aber mit dem Namen der Gerichte kann ich nicht viel anfangen. Ich entscheide mich für eine Art Stew mit Lammfleisch und bestelle entsprechend “Hüstel-Räusper-mit-Lamm” und zeige auf eines der undefinierbaren Fotos der Speisekarte. Und erfahre umgehend, dass es gerade kein Lamm gibt. Na toll. Dann also Rind. Dazu noch eine Art Limonade, für den Durst. Ich soll eine Etage weiter oben Platz nehmen – dort gibt es drei Tische auf der einen und Sitzgelegenheiten auf Teppichen auf der anderen Seite. Der Tisch wird vorbereitet: Eine Folie wird auf dem ganzen Tisch ausgebreitet, fertig. Besteck gibt es nicht. Und dann kommt es – mein offensichtlich mit Tomaten, Chilies, Zwiebeln und etwas Gewürzen geschmortes Rindfleisch in einer Aluschale, dazu ein großes Tamees genanntes, traditionelles Flachbrot.
Tamees
Ich hatte so etwas schon geahnt, denn ich hatte die anderen Gäste schon beobachtet – auch bei Reisgerichten gibt es keinerlei Besteck, und das Essen von Reis mit irgendwelchen Saucen und Beilagen entwickelt sich schnell zum ausgewachsenen Kindergeburtstag. Wie in Indien, doch in Indien fand ich die Technik, Reis und Beilagen geschickt mit der rechten Hand zu mundgroßen Happen zu formen, sehr imposant – in Saudi-Arabien macht man das scheinbar nicht. Man isst einfach nur mit den Händen. Deshalb auch die Folie auf den Tischen – sind die Gäste fertig, nimmt der Kellner einfach die Folie an allen vier Seiten und räumt so in Sekunden die … Sauerei weg, denn der Reis und alles verteilt sich überall.
Das Gericht schmeckt, aber es ist nur mild gewürzt… und ich hatte auf Lamm gehofft, aber es hat nicht sollen sein. Wie man bei der Menge des Fleischgerichts das riesige Brot schaffen soll, war mir etwas ein Rätsel, weshalb letztendlich auch ein bisschen von dem Brot übrig blieb. Aber ich war satt, und das ist erstmal wichtig. Ich zahlte mein Essen, es waren um die 12 Riyal, und verliess den Laden. Nun war es noch etwas zu früh, um sich zum Treffpunkt zu begeben – ich hielt also ein Taxi an und liess mich zum Hotel fahren. Die meisten Taxis haben Taximeter, und man kann darauf bestehen, dass es auch angeschaltet wird. Mein Fahrer scheint aber etwas Probleme mit der Navigation zu haben, weshalb ich ihn auf die letzten zwei, drei Kilometer lotsen muss.
Am Hotel angekommen merke ich jedoch, dass ich nicht allzu viel Zeit habe – nach einer guten Viertelstunde muss ich eigentlich auch schon weiter, nutze aber die Zeit, um mein Handy und die Batterie der Kamera zu laden, denn ich bin mir sicher, dass ich heute noch viele Fotos machen werde.
Was ich vorhabe? Nun, ich habe eine Tour bei “Riyadh Hiking” gebucht, zum “Edge of the World”, also dem “Rand der Welt”, eine traumhaft schöne Wüstenlandschaft rund 100 Kilometer nordwestlich von Riyadh. Die Tour beinhaltet englischsprachige Führung, der Besuch einer Kamelfarm, sowie ein gemeinsames Abendessen. 43 Euro kostet der Spaß. Ich hatte mich natürlich vorher etwas belesen – darunter über die Optionen, dorthin zu gelangen. Mit einem eigenen Gefährt ist das wohl riskant, erst recht ohne Allradantrieb, doch die Option hatte sich sowieso erledigt, da man mit einem in Japan ausgestellten, internationalen Führerschein nicht in Saudi-Arabien fahren darf. Und öffentliche Transportmittel gibt es auch nicht, denn der Ort liegt mitten in der Wüste. Angeblich geht es mit Allradvehikeln dahin – wenigstens ist es also keine Busreise.
Flink bestelle ich ein Uber, und die entpuppen sich in Saudi-Arabien als sehr praktisch. Uber habe ich vorher nie benutzt, da es in Japan aufgrund der gesetzlichen Lage keinen Unterschied zwischen Uber und Taxis gibt, und Taxis gibt es reichlich in und um Tokyo. Die Tatsache, dass ich auch in Saudi-Arabien im Voraus bezahlen kann, den Zielort vorher bekanntgebe und sehe, wann und wo genau das Auto hält, ist ja wirklich praktisch. Ich bin begeistert… hätte man das nur auch in Usbekistan nutzen können, aber da gibt es nur Yandex, und ohne lokale Handynummer gelang es mir nicht, mich dort anzumelden.
Treffpunkt für die Tour ist der Parkplatz vor der King Salman Oasis-U-Bahnstation, die etwas außerhalb des Zentrums liegt. Die Tour soll wohl 15 Uhr losgehen, aber die Veranstalter empfehlen, gegen 2 Uhr aufzukreuzen, da man möglichst früh aufbrechen möchte – wegen Stau und so. Da ich nicht sicher bin, ob ich den Parkplatz und die Leute sofort finde. Finde ich aber – sie stehen vor dem Eingang zur Station am Parkplatz. Ich scheine einer der ersten zu sein. Die Veranstalter sind sehr freundlich – und humorvoll. Da jetzt aber doch scheinbar etwas Zeit ist, frage ich, ob es okay ist, wenn ich für 20 Minuten verschwinde, und das ist kein Problem. Ich habe nämlich in der Nähe einen Convenience Store entdeckt – und beschlossen, mir endlich eine Powerbank zu besorgen, denn mein Handy ist nur noch bei 40% und wird bis zum Hotel nicht durchhalten. Ohne Handy kein Uber, keine Bezahlung, keine Fotos, keine Übersetzung. Es ist doch echt Wahnsinn, wie man früher komplett ohne die Dinger durch die Welt reiste.
Es gab sogar eine Powerbank, und die war zum Glück auch fast voll geladen. Prima. Jetzt kann es losgehen. Es finden sich viele verschiedene Leute ein – kleine Gruppen aus 3, 4 Leute, Pärchen, einzeln Reisende, Chinesen, ein Finne, eine Kanadierin (auf gemeinsamer Dienstreise und dabei, ein heftiges Techtelmechtel zu beginnen). Deutsche sind nicht dabei, Japaner auch nicht. Es müssen um die 20 Leute sein. Wir werden auf die Geländewagen verteilt, und los geht es, mit Karacho, auf der Autobahn Richtung Norden.
Unser Fahrer ist zwar ein kleiner Scherzbold und ein verkappter Michael Schumacher, aber des Englischen wirklich mächtig ist er nicht, aber egal. Ich bin froh, dass ich vorne neben ihm sitzen kann – würde ich hinten sitzen, würde mir bei seiner Geschwindigkeit und seinen Überholmanövern manchmal etwas mulmig werden. Draußen zieht die Wüste an uns vorbei, und es ist erstaunlich, wie viel menschliche Aktivität hier selbst dutzende Kilometer entfernt von der Hauptstadt herrscht. Zäune, kleine Straßen, Pipelines, Stromleitungen… ansonsten ist die Gegend flach bis hügelig und komplett vegetationsfrei. Nach einer knappen Stunde halten wir an einer kleinen Raststätte an – “10 minutes” heißt es. Zeit für einen schnellen Kaffee. Hier gibt es wie vielerorts “normalen” Kaffee, “Americano” (schwacher Kaffee bzw. Kaffee mit viel Wasser) und arabischen Kaffee.
Jetzt will ich es aber wissen. Denn: Arabischer Kaffee enthält unter anderem Kardamon, und diese Variante fand ich in Ägypten, Jordanien und Israel eigentlich immer sehr, sehr schmackhaft. Daran erinnerte ich mich, als ich den saudi-arabischen Pavillon auf der Expo in Osaka besuchte: Dort bestellte ich einen arabischen Kaffee, der mit einer sehr, großen und teuren Maschine gemacht wird. Was ich dann jedoch bekam, war fast wie gelbliches Wasser, ohne eine Spur Kaffee. Was war da schief gelaufen? Doch an der Raststätte erhielt ich im Prinzip das gleiche: Gelbes, heißes Wasser, mit einem Hauch von Kaffeegeschmack. Wie jetzt? Des Rätsels Lösung: Später habe ich erfahren, dass in Saudi-Arabien eine Variante mit dem Namen Hejazi (auch: Najdi) dominiert – die Bohnen werden nur ganz leicht geröstet, weshalb der Kaffee gelblich ist. Vielleicht ist es ein psychologisches Ding, aber meine Vorstellung von Kaffee ist so anders dass ich mit Hejazi nicht viel anfangen kann: Er schmeckt mir einfach nicht, fertig.
Eigentlich sollte es ja zu einer Kamelfarm gehen – aber als wir die Straße verließen und in den Nationalpark einfuhren (dort gab es ein richtiges Tor mit Wächtern – möglicherweise ist es mit dem eigenen Auto wirklich schwierig), ging es auf einer Piste erstmal zu einem großen Gehege mit Sandgazellen. Die Tiere sind nicht scheu und scheinen es gewohnt zu sein, von Besuchern gefüttert zu werden. Das ist zwar laut Schild verboten, aber die Fahrer (!) machen es trotzdem. Nach einem kurzen Aufenthalt brettern wir über eine staubige Piste Richtung Westen. Die Fahrer machen sich einen Spaß daraus, sich gegenseitig zu überholen – aufgrund extremer Spurrinnen und durch den aufgewirbelten Staub nicht ganz ungefährlich.
Nach gut 20 Minuten Sandpiste wird die Landschaft mit jedem Meter interessanter: Mehr oder weniger stark verwitterte Berge aus Sedimentgestein zeigen sich am Wegesrand, und das Relief wird stetig rauer. Gab es vorher rund um den Ort noch etwas Vegetation, so gibt es hier wirklich fast gar nichts mehr. Die reine Wüste. Noch ein kurzer Photostopp, dann noch mal rund 5 Minuten Fahrt – und schon sind wir da, am Rand der Welt!
Was gibt’s hier zu sehen? Nun, quer durch Saudi-Arabien, in Nordwest-Südostrichtung verlaufend, gibt es eine Jabal Tuwaiq genannte, fast 800 Kilometer lange Schichtstufe, die sich mehrere hundert Meter über das Umland erhebt. Nach Osten hin fällt die Stufe sacht ab, nach Westen hingegen grenzt sich die Stufe durch steile Klippen von einem ehemaligen, topfebenen Meer ab. Am “Edge of the World” (Rand der Welt) genannten Ort sind die Klippen mehr als 300 Meter hoch. Aber genug der Vorrede. Meine Herren und Damen, hier ist er: Der A**** Rand der Welt!
Kurz nach 16 Uhr kommen wir an – und wir gehören zu den Ersten. Nach und nach kreuzen jedoch immer mehr Geländewagen auf – es sind bestimmt um die 20 zum Schluss. Die Veranstalter erklären uns, dass sie jetzt Essen machen werden, und das wir bis zum Sonnenuntergang Zeit hätten, herumzulaufen – wir sollen nur aufpassen, nicht zum falschen Auto zurückzukehren. Also laufe ich los. Und ich bin restlos begeistert. Was für eine grandiose Wüstengegend! Die topfebene Wüste rund 300 Meter uns, die steile Felskante – es ist einfach alles Wahnsinn. Und ich bin nicht der einzige, der begeistert ist: Man kann spüren, wie alle anderen auch, egal welchen Alters oder welcher Herkunft, einfach nur glücklich, erstaunt und völlig losgelöst durch die Gegend stapfen.
Bis zum Sonnenuntergang sollen noch rund anderthalb Stunden vergehen – 90 fantastische Minuten, während denen ich mit innerlichem Dauergrinsen durch die Felsen laufe und versuche, Fotos beziehungsweise Filme in meinem Kopf zu produzieren, die ich dann immer wieder abrufen kann. Das klappt manchmal ganz gut. Natürlich versuche ich auch mit dem Handy und mit meiner “richtigen” Kamera ein paar gute Fotos zu machen, aber ich merke schnell, das hier ein Widerspruch entsteht: Aufgrund der Gegend sieht jedes Foto ziemlich spektakulär aus. Und dennoch wird keines vollends der Atmosphäre gerecht.
Der Sonnenuntergang naht, also laufe ich langsam Richtung Auto zurück. Das Licht verändert sich jede Minute – ein einmaliges Schauspiel. Aus dem einen Geländewagen sind nun viele geworden, und die Veranstalter haben Teppiche ausgelegt und rund herum Campingstühle aufgebaut. Selbst Beleuchtung gibt es. Alle suchen sich ihre Plätze – es sind allein hier bestimmt gut 50 Menschen. Neben mir sitzt eine alleinreisende Russin, mit der ich schnell ins Gespräch komme: Sie ist Architektin und wohnt die meiste Zeit in Jeddah, und sie schwärmt von der Stadt. Wie ich hat sie ein großes Interesse an Sprachen – so lernt sie unter anderem Arabisch, und so wird es eine sehr angenehme Unterhaltung vor bester Kulisse. Kaum dass es dunkel wurde, gab es dann auch schon Essen, und das war gar nicht mal so schlecht.
Irgendwann schalten die Veranstalter das Licht aus, damit wir Zeit haben, den Sternenhimmel zu bestaunen. Ich bitte laut auf Englisch darum, auch den Mond auszuschalten, aber der Bitte kommt man trotz viel Gelächter leider nicht nach: Man kann eben nur eines haben – Vollmond oder einen fantastischen Sternenhimmel.
Gegen 19 Uhr – es ist zappenduster – wird eingepackt und wir machen uns auf den Rückweg. Der Fahrer fährt genauso schnell durch die Wüste wie bei Tageslicht – und er macht einen Sport daraus, andere Geländewagen zu überholen. Eine wilde Fahrt. Der Rest der Mitfahrenden ist ziemlich ruhig geworden. Und knapp zwei Stunden später sind wir auch schon wieder in Riyadh, am Treffpunkt.
Was tun mit dem angebrochenen Abend? Ich schaue kurz im Internet nach, ob man von der Metro-Station irgendwie zum Al-Olaya-Distrikt kommt, dem modernen Geschäftsviertel der Stadt. Dort steht nämlich der markante Kingdom Centre genannte, 302 Meter hohe Wolkenkratzer, der oben wie ein Flaschenöffner aussieht. Da gibt es doch bestimmt eine Aussichtsplattform. Und in der Tat: Mit der U-Bahn dauert die Fahrt nicht einmal 20 Minuten. Und die Plattform ganz oben hat sogar bis 23 Uhr geöffnet. Den Eingang zu finden ist gar nicht so einfach, er ist wirklich sehr gut in einer Shopping Mall versteckt. Das Ticket zur “Sky Bridge” kostet saftige 128 SAR, also knapp 32 Euro – das ist viel, aber umsonst will ich nicht hergefahren sein. Also fahre ich hoch, ganz ohne anstehen.
Die Investition sollte sich lohnen: Der 360-Grad-Blick auf das Lichtermeer von Riyadh ist phänomenal.
Glücklich und erschöpft stolpere ich noch ein bisschen durch die Straßen von Riyadh, aber bis zum Hotel ist es einfach zu weit – also fahre ich die letzten Kilometer doch noch mit einem Taxi. 28’000 Schritte an einem Tag mit 35 Grad und mehr sind genug – obwohl, in der Wüste war es aufgrund einer ständigen Brise Richtung angenehm. Der Tag wird noch mit eins, zwei Holsten alkoholfrei mit Granatapfelgeschmack abgerundet. Ach ja: Es gibt auch Varianten mit Preiselbeeren und mit Guave, aber die kann ich nicht empfehlen.





























