Reiseberichte

Route:

Frankfurt/Oder? 
	Warschau?
		Vilnius? 
			Trakai?
				Riga? 
					Tallinn?
						Minsk? 
							Nyazvizh?
								Brest
						

Zeit: Winter 2004

Tag 1: Frankfurt/Oder?Warszawa?Vilnius

Diese Tour begann an einem grauen, kalten, leicht verschneiten Tag im November. An einem Tag, an dem man, soweit möglich, zu Hause bleibt. Aber antizyklisch reisen kann auch ganz unterhaltsam sein. Und man hofft natürlich, daß das Wetter sich etwas bessert.

Wie so viele andere Touren vorher begann diese Reise mit der Fahrt nach Warschau. Die Strecke kenne ich nun mittlerweilen auswendig. Erst ging es nach Frankfurt/Oder und von dort mit dem Berlin-Warszawa-Express gen Osten. Rund 20 Euro für die Fahrkarte sind mehr als fair. Nach fünfeinhalb Stunden, am späten Nachmittag, kamen wir im unterirdischen Bahnhof Warszawa Centralna an. Leider hatten wir mehr als drei Stunden Zeit bis zum nächsten Zug. Also holten wir erstmal die Fahrkarten für den Nachtzug nach Vilnius. Knapp 20 Euro für die Fahrkarte ist ja in Ordnung, aber dazu noch 16 Euro Zuschlag ist mehr als ich dachte. Da es November war, brauchten wir uns keine Sorgen um vollbesetzte Züge machen.

Nichts ist trostloser als der Warschauer Zentralbahnhof am Sonntag abend! Fast alle Geschäfte und Cafés sind geschlossen, und es ist schlichtweg trostlos. In unmittelbarer Nahe gibt es auch nicht viel, zumal alle Wege vereist waren. Einzig ein polnisches Fast Food-Restaurant war geöffnet. Und das Essen war richtig schlecht. Zu einem Nachtzug gehört - für mich zumindest - eine Flasche Wein oder auch ein Bier. Aber nicht mal das bekommt man im Bahnhof: Seit kurzem darf im Zentralbahnhof kein Alkohol mehr verkauft werden.

Endlich war es halb zehn abends und der Zug fuhr ein. Drei Waggons! Muss ja eine sehr beliebte Strecke sein. Die 3-Bett-Abteile waren schön und sauber, und wir blieben zu zweit im Abteil. Der Schlafwagenschaffner war auch sehr freundlich. Am Waggonende irritierte mich ein seltsamer Lichtschein. Ein Blick hinter die Verkleidung erklärte schnell das Flackern: Die Heizung wird noch mit Kohle befeuert! Von ausen sieht der Zug eigentlich modern aus - eine Kohleheizung vermutet da niemand.

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Tag 2: Vilnius

Irgendwann nachts kamen die Grenzer durch, aber davon blieb nur eine dunkle Erinnerung. Eine Stunde die Uhr vorgestellt, und kurz vor 9 Uhr morgens rollten wir pünktlich in Vilnius ein. Überraschung: Es ist ein grauer, leicht verschneiter, nebliger Novembertag! Im Osten also nichts Neues. Schon vor Beginn der Tour spielte ich mit dem Gedanken, einen Abstecher nach Weißrussland zu wagen. Im Bahnhof gibt es einen Schalter (fürs Protokoll: Schalter 30), an dem man sich ein Visum besorgen kann. Aber: Wer in ein Land weiterreist, für das man kein Visum hat (sprich: Polen) und auch keinen Beweis liefern kann, pünktlich weiterzufahren, erhält kein Transitvisum. Schade.

Also traten wir hinaus und bewegten uns schnurstracks zum erstbesten Hostel. Nach einer Weile fanden wir es auch - geschlossen vor. Also weiter zum nächsten - dem unter Backpackern bekannten Old Town Hostel. Dort bekamen wir auch ohne Umschweife ein schönes Doppelzimmer. Wir trafen etliche Japaner dort und einen älteren Traveler aus Alaska. Seine Lieblingsphrase war 'Check it out!', und so wurde er von uns zum check-it-out-man. Während er es recht mild fand, konnten wir Temperaturen um minus 5 Grad plus Nebel nicht gerade gutheißen.

Vilnius bei Nacht
Vilnius bei Nacht

Weißrussland hatte ich noch nicht abgeschrieben. Wir versuchten es bei einem anderen Reisebüro. Die sagten erstmal 'Yes, Transit visa no problem', aber dann korrigierten sie sich leider auch. Ein normales Visum würde knapp 70 € kosten. Das ist viel Geld. Aber nach kurzem Überlegen stand die Entscheidung fest: Es muss sein. Also auf zum Bahnhof, Passphotos machen, nochmal Geld abheben, Formulare ausfüllen und einreichen. Dann, gegen 13 Uhr, endlich Frühstuck bzw. Mittag. Nun blieben gerade mal drei Stunden Tageslicht. Und so rannten wir durch die Stadt, um so viel wie möglich mitzunehmen. Eine schöne, ruhige Stadt, so viel ist klar. Kleine Gassen, wenig Betrieb, nette Menschen. Und - zumindest in der Altstadt - kein bißchen russisch, sondern eher polnisch. Einzig ein netter alter Mann mit langem Bart sprach mich auf Russisch an und meinte, wir dürften auf gar keinen Fall die russische Kirche auslassen.

Und um 16 Uhr ward es Nacht. Da die Museen im Winter auch schon um 16 Uhr schliessen, begaben wir uns zurück zum Hostel. Nach der Nacht im Zug und dem Herumirren in der Stadt war etwas Pause auch angebracht. Abends gingen wir zu einem Restaurant, welches eher wie eine Kneipe aussah. Die Bedienung war sehr freundlich, doch da ich kein Litauisch spreche, konnten wir uns nur notdürftig auf Russisch verständigen. Litauisches Essen entpuppte sich als sehr kartoffellastig und war keine große Überraschung. Grundsolide Hausmannskost! Abends ging es im Hostel hoch her - viele Japaner, ein paar Franzosen, Kanadier, und check-it-out-man war auch da. Gelassene Stimmung im Mikrokosmos der Rucksackreisenden.

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Tag 3: Vilnius ? Trakai ? Vilnius

Trakai in der Nähe von Vilnius soll angeblich ein ganz netter Ort sein. Bekannt ist er unter anderem für die Minderheit der Karäer. Solche Minderheiten sind immer interessant, also entschieden wir uns für einen Ausflug ins Grüne. Beziehungsweise ins Weiße, denn es lag noch mehr Schnee als am Tag zuvor. Mit dem Bus ging es in nur dreissig Minuten Richtung Westen nach Trakai. Vom Busbahnhof war es noch ein gutes Stück zu laufen. Je mehr wie liefen, desto ländlicher wurde der Ort. Bald sahen wir nur noch blaue, gelbe, rote und ein paar kaputte alte Holzhäuser. Wir schienen die einzigen Menschen zu sein.

Und der Winter hat doch etwas...
Und der Winter hat doch etwas...

Ein Hinweisschild verwies auf ein Restaurant, zu erreichen über einen Hinterhof. Erstaunlicherweise hatte es geöffnet. Das Essen war sogar nicht zu verachten und kostete zudem nicht die Welt. Hinter sieben, nein, zwei Brücken mit einer kleinen Insel dazwischen offenbarte sich uns eine prächtige Burg aus Ziegelsteinen. Welch schöner Anblick, zumal die Burg komplett von Wasser umschlossen ist.

Letztendlich waren wir uns nicht einig, was schöner war - der alte Dorfkern oder die Burg. Oder die Ruhe... Nach mehreren Stunden ging es wieder zurück, doch leider erwischten wir einen Überlandbus, der wesentlich länger brauchte. Und so war es schon wieder fast dunkel, als wir Vilnius erreichten. Abends begaben wir uns auf die Suche nach einem schönen Restaurant in der Innenstadt. Mittlerweilen schneite es auch wieder kräftig. In einer dunklen Seitengasse fanden wir eine Art Künstlerbar mit ziemlich innovativer, aber guter Küche. Ein passender Ort für eine Verlobung, dachte sich tabibito. Und so kam es dann auch.

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Tag 4: Vilnius ? Riga

Da ja nun Weißrussland auch noch auf der Speisekarte stand - eigentlich eine vermessene Tour bei nur 13 Tagen - zogen wir weiter nach Norden. Leider fährt keine Bahn mehr, also musste der Bus herhalten. Das Wetter war sowieso maximal für eine Busfahrt gut. Nach einer halben Stunde Fahrt durch die Vorstädte ging es eine Schnellstrasse entlang durch einfach nur plattes Land. Es schneite immer noch, manchmal so stark, daß selbst die vielbefahrene Straße schneebedeckt war. Vor uns saßen ein Engländer und ein Amerikaner. Der Engländer, gemäß seiner Natur, las einen englischen Schmöker. Der Amerikaner war darob sehr interessiert und fragte langsam und deutlich den Engländer, wo er denn Englisch gelernt hätte. Ein prima Eigentor! Kurz vor der Grenze hielten wir an einer rustikalen, aber modernen Raststätte. Dort lief richtig schöne litauische Volksmusik, aber leider konnte ich nicht erfahren, von wem. Der Grenzübergang war eine Sache weniger Minuten. Von dort war es nicht mehr weit bis Riga.

Schneepracht in Riga
Schneepracht in Riga

Die Silhouette der Stadt Riga, wie sie sich hinter dem Fluss Daugava aus dem Dunst erhob, war beeindruckend. Damit hatte ich nicht gerechnet. Während Vilnius einen etwas verschlafenen Eindruck macht, tobt in Riga das Leben. Das bekommt man von Anfang an zu spüren. Auch am Busbahnhof herrschte großes Gewimmel. Durch einen Tunnel liefen wir zur nahen Altstadt und fanden schnell das Hostel, welches wir uns vorher ausgesucht hatten. Und gingen hinein. Die drei jungen Damen an der Rezeption lächelten nett. Moment mal! Drei Damen? Rezeption? Das kann doch kein Hostel sein! Richtig, es war die falsche Tür. Ich fragte trotzdem höflich nach dem Preis. 70 Lats, also 100 Euro, waren freilich zu viel. Also wollten wir gehen - obwohl sie sofort '10% Rabatt!!!' hinterherriefen. In der nächsten Tür waren wir dann richtig. Es gibt zwar nur Schlafsäle, aber man bot uns sofort an, uns den obersten Schlafsaal als Doppelzimmer zu vermieten - für 14 Lats. Das klang schon besser.

In der Nacht zuvor war ein halber Meter Schnee gefallen. Die Menschen suchten ihre Autos und wir suchten so manches Gebäude, da der Schnee meterhoch davor zusammengeschoben wurde. In einer Art Kantine bekamen wir warmes Brot und andere Teigwaren für ein paar Centimes. Der Blick über die Altstadt war grandios - auf andere Art und Weise war auch Riga eine bezaubernde Stadt.

Abends ein schönes Restaurant und / oder eine Bar zu finden ist kein Problem. Und fast überall sind die Speisekarten dreisprachig - lettisch, russisch und englisch. Den Abend beschlossen wir mit einem Wodka 'Standart' - ein gelungener Abschluss.

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Tag 5: Riga

Der komplette Tag sollte dieser schönen Stadt gewidmet werden. Die Altstadt ist relativ groß, und es gibt viele kleine Gassen, die darauf warten, erkundet zu werden. Das Wetter war nicht der Meinung. Schlagartig war es wärmer geworden, und so hatten wir jetzt Nebel, Nieselregen, um die null Grad und der Schnee begann, auf unappetitliche Art und Weise zu schmelzen. Trotzdem machten wir uns auf den Weg zum Fernsehturm, der mir aufgrund seiner Form schon am Vortag aufgefallen war.

Der außergewöhnliche Fernsehturm von Riga
Der außergewöhnliche Fernsehturm von Riga

Ein Bus fährt nicht hin, aber man kommt in die Nähe des Turms. Von dort brauchten wir nur noch fast eine halbe Stunde durch tiefen Schnee, der sich mit Glatteis abwechselte, stapfen. Der Turm sah geschlossen aus, aber man rief eine Verantwortliche, die uns dann Tickets für 1,20 Lats verkaufte. Und mit uns hinauffuhr und nicht mehr von der Seite wich. Die gute Frau sprach erstaunlich viel Deutsch und gab uns eine Privatführung.

Schon vorher hatte ich von einem Pelmeni-Restaurant in Riga gehört. Ein ganzes Restaurant voller Pelmeni! Das ist ein Traum. Das ganze entpuppte sich als eine Art Pelmeni-Fast Food Restaurant, aber es war trotzdem in Ordnung. Und so streiften wir weiter gesättigt und bei eisigem Nieselregen durch die Stadt. Hier und da ging es zum Aufwärmen in ein Museum oder in ein Café. Abends wurde aus dem Nieselregen richtiger Regen und alle Wege verwandelten sich in reine Eisbahnen. Am Abend liefen wir trotzdem noch zu einem Hochhaus, um mit einem gläsernen Fahrstuhl zu einem Café im obersten Stockwerk zu fahren. Von wo aus wir freilich gar nichts sahen. So viel zum Thema 'Reisen in ungewöhnlichen Jahreszeiten'.

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Tag 6: Riga ? Tallinn

Und schon ging es weiter, wieder nach Norden, hoffend auf etwas besseres Wetter. Der Bus fuhr stundenlang geradeaus durch Wälder, hier und da schimmerte auch mal die Ostsee durch die Bäume. Zur Abwechslung war es mal grau, neblig, frostig, und es regnete. Da der Bus bis Tallinn rund 5 Stunden braucht, rechnete ich wieder mit einer Pause, aber dem war nicht so. Nach guten drei Stunden waren wir an der Grenze. Da ja nun die drei Staaten der EU angehören, wird bei der Ausreise nicht kontrolliert.

Blick über die Ostsee Richtung Helsinki
Blick über die Ostsee Richtung Helsinki

Dafür aber bei der Einreise. Eine estnische Grenzerin in Khaki stürmte den Bus, kontrollierte alle Passe und startete bei allen Nicht-EU-Bürgern ein kurzes Verhör. Meine Begleiterin zückte ihren japanischen Pass, und schon bellte die Grenzerin: 'Was wollen Sie in Estland!?' - 'Die Jugend mit Crack vergiften und das Parlament in die Luft jagen!' Was für eine Antwort erwartet die denn!? Noch nie einen Reisenden mit Rucksack gesehen? Auch die Besitzer mit russischem Reisepass wurden nicht gerade freundlich empfangen.

Als wir in die Vororte von Tallinn kamen, war es schon dunkel. Der Busbahnhof liegt etwas ausserhalb des Zentrums, aber plötzlich hielt der Bus an einer belebten Kreuzung und der Fahrer rief 'Zentrum'! Also sprangen wir aus dem Bus. Nach einer kurzen Weile wussten wir sogar, wo wir sind. Wir liefen zum ersten Hostel (Old Town Hostel), aber wir wollten ein Doppelzimmer, und das hatten sie nicht. Nur ein paar dutzend Meter weiter fanden wir ein anderes Hostel. Das kostete um die 40 Euro pro Doppelzimmer. Die Einrichtung des Hostels war schon alt und die Küche ein echtes Museumsstück. Tallinn ist teuer, so viel steht fest. Ob all die Finnen daran schuld sind!? Nach einem abendlichen ersten Spaziergang liessen wir uns in 'Estlands erstem Pub' nieder - auch hier waren die Preise nach Vilnius und Riga gewöhnungsbedürftig.

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Tag 7: Tallinn

Da wir am Vortag nicht viel von der Stadt hatten, sollte dieser Tag ganz der Innenstadt gewidmet werden. Aber erstmal suchten wir den Busbahnhof, um Tickets für den nächsten Tag zu kaufen. Dann liefen wir zum Hafen und zur Altstadt. Immerhin war das Wetter klar und es regnete nicht, aber knackig kalt war es trotzdem. Wir kamen auch am Denkmal für die damals untergegangene Estonia vorbei - ein sehr aussagekräftiges Monument. Die Innenstadt von Tallinn mit ihren dicken Stadtmauern und Wachtürmen ist wirklich Wahnsinn. Tallinn ist wahrscheinlich die photogenste der drei Hauptstädte. Dumm nur, dass ich unseren einzigen Reiseführer in einem Café habe liegenlassen. Aber am Abend bekam ich ihn ohne Probleme wieder zurück. So ganz ohne Stadtplan ist es dann doch ungünstig. Wir gingen auch zu eins, zwei Souvenirläden. Die Preise dort sind wirklich gepfeffert - über 100 Euro für einen Rentierpulli!? Und was soll ich damit? Wir liefen den ganzen Tag im Zickzack durch die Stadt, bis wir das Gefühl hatten, alles schon mal gesehen zu haben.

In der Altstadt von Tallinn
In der Altstadt von Tallinn

Ein junger Mann versuchte, den wenigen Touristen eine Folkloremusik-CD anzudrehen. Er war etwas aufdringlich und begann, uns auf Englisch vollzutexten. Als er unser Desinteresse bemerkte, hielt er das für ein Verständigungsproblem und fragte - ganz wie diese tollen Anrufbeantworter bei der Bank - nach unserer Sprache. 'Japanisch!' sagte ich... und siehe da, er holte ein paar Brocken Japanisch aus der Tasche. So richtig verstand auch meine Begleiterin nicht, was er da sagte, aber es war unterhaltsam.

Abends landeten wir dann doch wieder im gleichen Pub, denn das Essen dort war gut. Und wir lernten ein paar Esten am Nachbartisch kennen. Diese wunderten sich auch, was wir im November in dieser Region suchten. Wir wären ja gerne länger in Estland geblieben und zu den Inseln gefahren, aber bei diesem Schmuddelwetter ist das nicht gerade sinnvoll. Also sollte dies bereits der letzte Abend - dieser Reise - in Estland sein. Abends unterhielt ich mich noch mit dem netten Mann von der Rezeption des Hostels. Er konnte mir endlich erklären, wie man die ganzen 'ää' und 'õõ' usw. zu lesen hat. Eigentlich ganz einfach...

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Tag 8: Tallinn ? Riga ? Minsk

Kann man verschlafen, wenn man erst um 12 Uhr mittags abfährt? Fast hätten wir die Frage mit 'Ja!' beantworten können. Aber wir sind ja auf Reisen, nicht auf der Flucht, auch wenn es manchmal so aussieht. Nachdem wir das Gepäck zusammengerafft hatten, ging es zum Busbahnhof. Früher gab es ja mal einen direkten Zug von Tallinn nach Minsk, aber das ist leider Geschichte. Direkte Busse gibt es auch nicht mehr. Es gibt einen Zug, der von Riga nach Minsk fährt. Aber - unser Visum wird erst am 29. gültig, der Zug kommt jedoch am 28. um 23:40 an der Grenze an. Und der nächste fährt erst in zwei Tagen. Das ist dumm gelaufen. Also ging es wieder mit dem Bus nach Riga zurück, wo es mittlerweilen wieder eisig kalt geworden war. Nun hatten wir dort noch mehr als drei Stunden Zeit, bis der Nachtbus nach Minsk abfuhr.

Das großartige Panorama von Tallinn
Das großartige Panorama von Tallinn

Da es natürlich schon wieder dunkel war, verbrachten wir die Zeit mal im Internetcafé und mal in einem Restaurant. Um das Busticket kaufen zu können, mistete ich erstmal mein Portemonnaie aus, welches langsam zu dick geworden war. Polnische Zloty und litauische Litu sowie estnische Kronen ergaben eine ausreichende Summe an lettischen Lats. Gegen halb zehn kam endlich der Bus. Neben uns gab es noch ein paar Weißrussen, die mit dem Bus fahren wollten. Darunter eine alte Babushka, die uns fragte, ob wir auch beim Kirchentreffen waren. Wie jetzt? Der Bus selbst war eine Überraschung. Ein moderner, grosser Doppelstockbus, und nicht einmal die Hälfte der Plätze war besetzt.

Eigentlich mag ich Busse nicht, aber da nur so wenige Fahrgäste da waren, blieben zwei Plätze ganz vorn und oben im Bus frei - die Chance lässt man sich nicht entgehen. Selbst die Sitze waren halbwegs bequem, auch wenn sie nie an die eines taiwanesischen Langstreckenbusses heranreichen werden. Und los ging es. Nach keinen zwei Stunden Fahrt hielten wir an einer tiefverschneiten Raststätte. Fast wäre ich dort in den Bus nach St. Petersburg gestiegen! Das hätte aber ein grosses Hallo an der Grenze gegeben. Nachts um eins erreichten wir die Großstadt Daugavpils, die alles andere als interessant aussah. Nach einer Viertelstunde über kleine, verschneite Strassen erreichten wir den Grenzposten. Die Ausreise war freilich wieder kein Problem. Dann die weißrussische Seite: Alle sollten mit ihrem kompletten Gepäck draussen im Schnee antreten. Unsere Pässe - obwohl die einzigen Ausländer im Bus - wurden anstandslos abgestempelt. Der Schalter für die angeblich obligatorische Krankenversicherung war geschlossen. Und der Zoll schien zu schlafen. Nun ja, es war ja auch 2 Uhr nachts... Und so waren wir ganz ohne Probleme in der Belarus angekommen.

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Tag 9: Minsk

Richtig schlafen war trotz des bequemen Busses nicht drin. Dafür verpasste ich allerdings auch nicht die schier endlosen, hell beleuchteten Vorstädte von Minsk. Es war unmöglich zu sagen, wo das Zentrum aufhört und beginnt. Kurz vor sieben Uhr morgens, es war noch dunkel, kamen wir am Busbahnhof an. Sofort ging es zum benachbarten, seltsam modernen Bahnhof. Geldautomat? Fehlanzeige. Also bei der Bank anstellen und Bargeld tauschen. Kurs 1: 2900. Das wird eine Umstellung. Viele Besoffene durchstreiften den Glas-, Stahl- und Marmorbau. Einen Kaffee bitte. Jetzt nicht! Geh woanders hin! Willkommen in Osteuropa. Immerhin konnte ich für eine Handvoll Rubel einen Stadtplan organisieren. Während der rush-hour ging es mit der U-Bahn in die Aussenbezirke, denn dort, irgendwo entlang einer endlos langen Strasse, soll es ein halbwegs gutes, günstiges Hotel geben. Kostet angeblich 5 bis 10 Dollar.

Nach langer Suche entdeckt: Alte Kirche in Minsk
Nach langer Suche entdeckt: Alte Kirche in Minsk

Nach fast einer Stunde Fussmarsch durch tiefen Schnee fanden wir es auch. Und die Rezeptionistin sagte 'Da ihr Ausländer seid, kostet das Zimmer 70 Dollar!' Das war ein Schock. Ich diskutierte mit ihr auf Russisch. Aber es war nichts zu machen. Aber sie erbarmte sich unser und rief andere Hotels an. 55 Dollar! Wie wär das? Zu teuer, antworte ich. Und sie war völlig überrascht. Wie, zu teuer? Und telefoniert weiter. 50 Dollar! Nein, zu teuer. Sie war mit ihrem Latein am Ende. Wir auch. 'Wieso zu teuer?' fragte sie. 'Nicht mal in Paris oder Berlin oder sonstwo bezahle ich 50 Dollar für ein schlichtes Zimmer!' antwortete ich. Und frustriert verliessen wir das Hotel - ein grauer Appartmentblock mit kaputten Fenstern!

Immerhin sagte sie uns, wie wir mit dem Bus zurück zur Metro kommen. Nächster Akt: Busfahrscheine kaufen. Der Ticketkiosk hatte geschlossen. Im nächsten Kiosk sage ich 'Biljet!' Das versteht eigentlich jeder. Nicht die junge Frau. Ich zeigte ihr andere Busfahrscheine - sie begreift es einfach nicht! Nach 5 Minuten begreift sie und sagt, wir sollen zum Kiosk nebenan gehen. Der aber geschlossen hat! Nicht zu fassen. Ein alter Mann sagt 'Lass doch, ist doch egal!' und schiebt uns in den Bus. Später bekommen wir doch unsere Tickets. 200 Rubel steht drauf, aber in Wahrheit kosten sie 320 Rubel.

Mit der Metro geht es zu einem anderen, angeblich billigen Hotel. Das Wohnheim der Akademie der Wissenschaften sollte doch so teuer nicht sein. Pustekuchen - 50 Dollar für Ausländer! Wir waren völlig erschöpft und gaben auf. Nur noch für jeden vier Formulare mit den gleichen Fragen und natürlich nur auf Russisch ausfüllen und 'schon' hatten wir unser dunkles, altes Zimmer.

Das Wetter und die Stadt waren keine echte Entschädigung für die Mühe. Aber wir nahmen es locker. Was für eine Betonwüste! Gigantisch! Mehrere Stunden liefen wir kreuz und quer durch diese Wüste. Und beschlossen, nur eine Nacht hier zu bleiben und dann lieber in die Provinz zu fahren. Die vormals mürrische Rezeptionistin hatte scheinbar ihren Frieden mit uns geschlossen. Wir wollten am nächsten Tag in eine Kleinstadt, in der es nur ein Hotel gibt. Ich hatte die Telefonnummer und fragte, ob sie für uns dort anrufen würde. Das tat sie sogar! Und wollte nicht mal Geld dafür. Es geht doch!

Wir hatten keine Lust mehr, abends noch lange nach Futter zu suchen. Im Hotel gab es ein winziges, seltsam riechendes chinesisches Restaurant. Dort liessen wir uns nieder - die Köche, das hatte ich vorher bemerkt, waren schliesslich echte Chinesen, die freilich grosses Interesse an meiner japanischen Begleiterin äusserten. Das Essen war....den Umständen entsprechend. Ein besoffener Russe lümmelte an der Bar herum und begrabbelte die nette Kellnerin. Meine Begleiterin war bereits zum Duschen ins Zimmer gegangen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Russe zu mir kommen würde. Und schon war er da. Mit zwei Gläsern Wodka. Sa drushbu! (Auf die Freundschaft!). Er tippte richtig als er sagte 'Nemez?' (Deutscher?) Und schon war das Gespräch im Gange. Er war wirklich Russe, der in der Belarus hängenblieb. Und schüttete mir umgehend sein Herz aus über all die Probleme hier. Und fragte mich bestimmt fünf Mal, wie alt ich sei. Dann fragte er nach meiner Zimmernummer. Wie? Was? Ich bin nicht allein, meine Frau wartet oben! Das war ihm egal. Er wollte mit auf mein Zimmer kommen und mit mir einen saufen. Darauf hatte ich nun wirklich keine grosse Lust - jedenfalls nicht mit dem lallenden Kollegen da. Eh ich mich versah, kaufte er eine Flasche Wodka. Ich nahm die Beine in die Hand und rannte die Treppen hoch und verriegelte die Tür - das war knapp!

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Tag 10: Minsk ? Nyazvizh

Raus aus dieser Stadt! Hier kann man im Sommer bestimmt auch seinen Spass haben, aber bei diesem trüben, kalten Novemberwetter macht diese Stadt wirklich depressiv. Wir begaben uns zum Bahnhof und kauften Fahrscheine, hatten aber bis zur Abfahrt noch gute zwei Stunden Zeit. Die wir nutzten, um noch etwas durch die Gegend zu streifen. Zufällig liefen wir an der Hauptpost vorbei. Stimmt, daran hatten wir noch gar nicht gedacht! Man sollte bzw. könnte ja ein paar Ansichtskarten schicken. Wenn es überhaupt welche gibt, denn in Moldau gab es keine. Die Post war überraschend modern. Die Angestellte erklärte uns, dass die Briefmarken für das Ausland alle gleich seien - ob Polen oder Fidschi. Also kaufen wir 15 Briefmarken. 5400 Rubel! - das sind noch nicht mal 2 Euro! Ich fragte bei der Gelegenheit, ob sie auch Ansichtskarten hat. Ja, eine Mappe mit 15 Ansichtskarten! Wie passend. Sie holt noch einmal ihren Taschenrechner heraus, rechnet alles zusammen und sagt '4600 Rubel!' Ich schaute sie noch verdutzt an und gab ihr kurze Bedenkzeit, ihren Fehler zu korrigieren. Doch schon riss sie mir den 5000-Rubel Schein aus der Hand und gab 400 zurück. Vielleicht hätte sie doch besser beim Abakus bleiben sollen...

Schöne alte Kirche in Nyazvizh
Schöne alte Kirche in Nyazvizh

Nach einem lausigen Mittag in der Bahnhofskantine setzten wir uns in die Elektritschka - eine Art Vorortbahn. Zwei Stunden durch graue Schneelandschaft, und schon waren wir in Garadeya. Die Fahrt war unterhaltsam, denn vorher hatte ich mir die einzige englische Wochenzeitschrift, die 'Minsk Times', gedruckt auf Hochglanzpapier, besorgt. Auf der großen Titelseite gab es nur eins - das Gesicht Lukashenko's und die Schlagzeile 'Policy to benefit people'. Ja, so ist er, der nette Diktator von nebenan. Immer selbstlos.

In Garadeya suchen wir die Abfahrtszeit der Busse nach Nyazvizh. Da kam jemand in den Warteraum und sagte 'Wir brauchen noch zwei Leute, um ein Taxi zu teilen'. Warum nicht. Für nicht mal einen Euro ging es flugs in die Stadt. Das Hotel liegt in der Belorussischen Strasse, aber die scheint keiner zu kennen. Also frage ich nach DEM Hotel, und sofort zeigt man es uns. Da wir telefoniert hatten, erwartete man uns schon. Diesmal kostete das Doppelzimmer sogar 'nur' 25 Euro. Die Stadt hat einiges zu bieten - ein Schloss, das gerade restauriert wird, ein paar alte Häuser und eine prächtige Kirche. Der Pfarrer empfängt uns herzlich und verrammelt hinter uns erstmal die Tür - wegen der vielen Diebe, sagt er. Sofort fragte er 'Do you speak English?' und war restlos begeistert, als ich das positiv beantwortete. Keine Ahnung wie oft er sagte, dass sein Englisch nicht so gut sei, aber er gab sich reichlich Mühe und vereinbarte mit uns eine Zeit, zu der wir uns wieder treffen und er uns die Krypta und alles zeigt. Das macht er dann auch mit viel Eifer. Im Gegenzug kauften wir ein paar Ansichtskarten und gaben eine kleine Spende. Immerhin war er der erste in diesem Land, der etwas ausländisch kann!

Abends liessen wir uns im Hotelrestaurant nieder - das einzige Lokal der ganzen Stadt. Das mutierte irgendwann zur Tanzbar. Die Stimmung war ziemlich gut und das Essen zumindest geniessbar. Die Kellnerin war noch alte Schule und nötigte uns noch eine Nachspeise auf. Alles in allem ein Tag, der uns mit dem Land versöhnen liess.

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Tag 11: Nyazvizh ? Brest

Nach dem Aufstehen ging ich zum kleinen Café im Hotel, um einen Kaffee zu kaufen. Fehlanzeige. Die Angestellten hatten spontan beschlossen, eine ganztägige Inventur zu machen und nun sassen sie dort hinter verschlossener Türe und schwatzten und lachten. Also gingen wir zu einer Art Bäckerei am Platz. Dort fielen uns Muffin-artige Gebilde auf, die wesentlich einladender aussahen als die üblichen Buttercremetorten. Doch die Verkäuferin riet uns mit den Worten 'Die sind alt, die würd' ich nicht nehmen!' vom Kauf ab. Immerhin hatte sie uns gewarnt.

Mit dem Bus ging es durch die Felder zurück nach Garadeya. Die Wolken hingen tief und es war diesig - der Himmel verschmolz mit den schneebedeckten Feldern. Der Bus war überfüllt und stickig. In Garadeya kauften wir erstmal ein Ticket zur nächsten Großstadt, Baranowitschi, hoffend, dass wir von dort einen Schnellzug nach Brest bekommen. Dem war nicht so. Schnellzüge fahren von einem anderen Bahnhof, teilte man uns dort mit, und der Umweg würde nicht lohnen. Also fuhren wir nun doch geschlagene fünf Stunden mit der Elektritschka nach Brest durch die dunkelweiss-hellgraue Winterlandschaft.

Es war schon dunkel, als wir in Brest ankamen. Der Bahnhof sah nach purem Chaos aus, bevölkert von hunderten Menschen. Kaum hatten wir die internationalen Fahrkartenschalter entdeckt, kamen schon zahlreiche ältere Frauen zu uns. Viele Fragen - fahrt Ihr nach Polen, wenn ja wann und wie und wohin - leiteten den Grund der Kontaktfreudigkeit ein: Wir sollen für sie Zigaretten schmuggeln. Oh, hatten wir das nicht erst im Juni, an der Grenze von Moldau zu Rumänien? Oh ja, Zigaretten nach Polen schmuggeln! Das wäre ja mal was Anderes! Aber wir lehnten ab.

Der Bahnhof von Baranowitschi mit Elektritschka
Der Bahnhof von Baranowitschi mit Elektritschka

Nahe des Bahnhofs gibt es wohl mehrere Hotels, also überquerten wir auf einer langen Fußgängerbrücke die Gleisanlagen. Hier schloss sich ein Kreis: Schon 1992, auf halbem Wege nach Moskau, konnte ich mich mit dieser Brücke vertraut machen. Und kehrte damals schnell wieder um, als mich ein lästiger Betrunkener des nächtens belästigte. Im ersten Hotel das vertraute Procedere: 'Haben Sie ein Zimmer?'...'Welche Nationalität?' ... 'Japan & Deutschland' - und was folgte war ein schlichtes Kopfschütteln. Aber für 'nur' 80 Dollar würde das Zimmer uns gehöre.

So ging das Theater bei Nacht und Regen wieder los. Im nächsten Hotel waren es umgerechnet 33 € - immerhin mit transparenter Preispolitik, denn ein großes Schild offenbart die drei Preisklassen. Natürlich stehen Ausländer dabei ganz weit oben. Da wir das Spiel schon kannten, beliessen wir es bei dem Hotel. Innen wimmelte es nur so von Angestellten wie Flurwächtern, Bettzeugwechslern, Duschraumaufschliessern und mehr. Abends beschlossen wir, noch einmal ein Hotelrestaurant zu versuchen. Die Speisekarte war nahezu identisch mit der von Nyazvizh. Quasi als Magenaufräumer - keine schlechte Idee nach z.B. einem Salat mit Sahne, roter Bete, Rosinen, Nüssen und Möhren - bestellte ich noch einen Wodka, 'aus Brest, wenn's geht!'. Die Kellnerin nickte und brachte auch einen. Nun interessierte mich der Name der Marke. 'Wie heisst der?' frage ich. Die Antwort war eine echte Überraschung: 'Na, Wodka!'. Ach was. Ist dies die Speisekammer der Alzheimer-Patienten? Aber sie verstand es schliesslich doch noch und teilte mir schliesslich freudig den Markennamen mit: Wodka CCCP (UdSSR).

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Tag 12: Brest

Nun hatten wir einen ganzen Tag Zeit, Brest und seine bekannte Festung zu erkunden. Die morgendliche Suche nach einer schlichten Tasse heissen Kaffees endete mal wieder mit einem Fiasko: Zwar war das Hotelrestaurant geöffnet und Kaffee gab es auch, aber die beiden Angestellten schafften es erfolgreich, meine Anwesenheit zu ignorieren. Dann ebend nicht. Man verdient ja auch nicht viel an einer Tasse Kaffee - und dazu der Arbeitsaufwand! Bestellung aufnehmen - Kaffee kochen - Kaffee bringen - abkassieren - Tasse abwaschen, nicht zu vergessen der Papierkram, denn alle Bestellungen müssen per Hand in ein Register eingetragen werden.

Sowjetische Panzer in der Festung
Sowjetische Panzer in der Festung

Es war schlagartig warm geworden - fast der gesamte Schnee war bei ein paar Plusgraden abgetaut, und so blieb nur ein Eispanzer auf den Wegen. Die Leninstrasse entlang ging es zum zentralen Leninplatz mit dem Lenindenkmal in der Mitte. Die Festung war etwas weiter entfernt. Die Anlage war grösser als erwartet und mit dem gewaltigen Betonkopf in der Mitte wahrhaftig eindrucksvoll. Hinzu kam eine sehr merkwürdige militärische Zeremonie - die SoldatInnen (obwohl ich dieses Sprachungetüm hasse, aber es waren nun mal Männlein und Weiblein) mussten während des Stechschritts nach jedem 'Klack!' so lange auf einem Bein innehalten, dass sie fast umfielen, was dem Ganzen eine unfreiwillige Komik verlieh. Die Festung und das propagandabelastete, aber gut sortierte Museum sowie ein archäologisches Museum rechtfertigen auf jeden Fall einen drei bis vier Stunden langen Aufenthalt. Kleiner Erfolg im Museum - ich murmelte 'Zwei Personen!' auf Russisch am Schalter und bekam die Tickets für den wesentlich billigeren, einheimischen Tarif.

Nach dem Besuch der Festung ging es zurück zum im Gegensatz zu Minsk recht vielfältigen Zentrum der Stadt. Wenn ich schon mal hier bin, möchte ich gefälligst auch noch mal Pelmeni essen, dachte ich mir. In jedem kleinen Café oder Restaurant stehen Pelmeni auch auf der Karte. Aber erst im dritten gibt es sie wirklich - zusammen mit einer sehr freundlichen Bedienung. Es gab sogar einen Computer mit Internet dort. Leider brauchte der Rechner gute 15 Minuten, um einzig die Startseite der Bahn zu öffnen. Genau so lange, wie die Pelmeni brauchten.

Wir lasen vorher von einem sagenhaft guten Indischen Restaurant in Brest. Wir hatten die Adresse und spürten das moderne Gebäude auf - nur um festzustellen, dass der Inder von einem Chinesen abgelöst wurde. Was wirklich schade war - gut Indisch essen in der Belarus war schon immer mein Traum. Stattdessen fanden wir ein Fischrestaurant. Nun ja, ein Fischrestaurant so weit weg von der Küste und in diesem Land war uns nicht ganz geheuer. Doch es war eine Überraschung - es gab Speisekarten selbst auf Englisch und Deutsch, wenn auch ohne Preise, und russisches Bier vom Fass. Das Essen hätte schlimmer sein können, und die Bedienung war nahezu professionell. Alles in allem ein guter Ort, um seine letzten paar tausend Rubel zu verjubeln.

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Tag 13: Brest ? Warsaw ? Berlin ? Halle

Noch nicht einmal zwei Wochen waren vergangen, doch schon war die Reise zu Ende. Da das Wetter jedoch fast die ganze Zeit schlecht und Weißrussland zwar sehr interessant, aber irgendwo auch abstoßend war, sahen wir der Heimreise etwas weniger wehmütig als sonst entgegen. Wir hatten einen weiten Weg vor uns, weshalb wir früh starten mussten. Schon halb fünf war die Nacht zu Ende, denn wegen der Grenzformalitäten soll man allerspätestens eine Stunde vor Abfahrt am Bahnhof erscheinen. Am Vortag sagte man uns, dass eine Fahrkarte nach Warschau 13 Euro koste - so behielten wir 26 Euro in der Landeswährung zurück.

Nun hieß es jedoch am Schalter, daß die Tickets 24 Euro pro Person kosten - macht also 48 Euro. Also mussten wir noch mal ein paar Euro umtauschen. Und gingen zurück zum Schalter - dieses Mal war eine andere Ticketausgabefacharbeiterin da. Zwei Tickets nach Warschau? Macht 75'000 Rubel, also 26 Euro. Langsam zweifelte ich an mir selbst. Also zurück zur Wechselstube - die Angestellte verleierte schon die Augen - um die nun wieder übriggebliebenen Rubel in Zloty oder Euro oder welche Währung auch immer zu tauschen.

Dutzende Leute warteten vor einer geschlossenen Tür. Die Tür zum Grauen - zum weißrussischen Zoll. Zum Glück gehörten wir zu den ersten. Bald öffnete sich die Tür, und sechs Wartende - darunter wir - wurden hereingerufen. Wie beim Zahnarzt. Wir legten unser Gepäck auf den Zolltisch. Beamte waren nicht da, aber die anderen füllten Formulare aus. Die gab es nur auf Russisch. Vorsichtshalber entschloss ich mich, diese für uns auch auszufüllen. Dann kam der grimmige Beamte. Doch er wollte nur wissen, wieviel Bargeld ich dabei habe. Dann kam meine Begleiterin. Sie gab ihm auch das Formular - er zerknüllte es und warf es vor ihr auf den Boden. Nun hatte meine Begleiterin vollends genug von diesem Land. Nicht nur, daß sie mehrfach in Minsk von ominösen Gestalten mehr oder weniger heimlich fotografiert wurde (und welcher Weißrusse rennt mit einer Kamera durch seine eigene Stadt!?) und sie bzw. wir auch sonst oft seltsam angestarrt wurden - nun auch noch das.

Jetzt kam noch die Passkontrolle, und auch die zog sich hin. Direkt dahinter lag der Bahnsteig. Drei Minuten vor der Abfahrt des Zuges waren wir endlich mit allem fertig - das war knapp. Wir stiegen in den Zug, der nur aus Schlafwagen bestand. Der Schaffner, seines Zeichens Pole, kam und sagte erstmal in perfektem Deutsch, dass wir 11 Euro pro Person Schlafwagenzuschlag zahlen müssten. Das also war das Geheimnis der unterschiedlichen Ticketpreise. In unserem Abteil war ein Russe - er fuhr von Moskau nach Terespol und hatte kein Gepäck - noch nicht einmal eine Handtasche. Das fand auch der Zoll sehr merkwürdig.

Wenn man schon 11 Euro für das Schlafwagenabteil zahlen muss, kann man es auch nutzen. Und so holten wir in den vier Stunden bis Warschau etwas Schlaf nach. Nach einer guten Stunde Aufenthalt dort ging es mit dem Warszawa-Berlin-Express in sechs Stunden nach Berlin und von dort weiter nach Halle.

Gut eine Woche in den drei baltischen Staaten ist definitiv nicht genug - so viel ist klar. Ausser im November vielleicht. Weißrussland ist nur was für Fans. Wer Schönheit und Perfektion sucht, ist hier falsch. Wer jedoch etwas Abenteuer, viel Irrationales und Absurdes, aber auch eine gewisse Ursprünglichkeit sucht, sollte sich die Belarus nicht entgehen lassen. Denn - auch das ist Europa. Auch wenn die Belarus viel weiter von Europa entfernt ist als jeder andere Staat in Europa. Und das ist nicht geografisch gemeint.

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