
Wörtlich Bitteres Tal („shibui“ ist jedoch vieldeutig, und zur Namensentstehung gibt es keine eindeutigen Angaben).
Südlich von Shinjuku an der Yamanote-Linie. Ist rund 15 km² gross und hat lediglich 182’000 Einwohner.
Der Meiji-Schrein. Der Yoyogi-Park. Die Einkaufsstrassen zwischen Harajuku und Shibuya.
Sich vor dem Hachikō in Shibuya treffen und mit Freunden Shibuya oder Ebisu unsicher machen. Die nagelneue türkische Moschee in Yoyogiuehara verdutzt ansehen.
Der Distrikt Shibuya-ku ist rund 15 Quadratkilometer gross, Heimat für rund 220’000 Einwohner und erstreckt sich entlang des südwestlichen Teils der Yamanote-Ringlinie. Der Bezirk beginnt im Norden direkt am Bahnhof Shinjuku und erstreckt sich im Süden bis in die Gegend um den Bahnhof von Ebisu. Dieser Bezirk besticht durch eine aussergewöhnliche Vielfalt: Es gibt einen sehr wichtigen Schrein, einen riesengrossen Park, das hippe und quirlige Shibuya und Harajuku – Zentrum der Mode in Japan, das traditionell-moderne Ebisu und die gemächliche, gehobenere Gegend um Hiroo: In kaum einem anderen Bezirk kann man so viele Facetten von Tokyo auf engstem Raum erleben.
明治神宮 Meiji-Schrein

Eines der Gebäude im Meiji-Schrein
Der Hauptgrund für Touristen, den Shibuya-Bezirk zu besuchen, ist definitiv der Meiji jingū 明治神宮 (Meiji-Schrein) und der umliegende Park. In Japan überwiegen Shintōismus 神道 und Buddhismus 仏教 – von vielen wird beides praktiziert. Was dem Christen die Kirche, ist dem Shintōist der Schrein (Jingū 神宮) und dem Buddhist der Tempel (Otera お寺). Der Meiji-Schrein ist einer der grössten in Tokyo, aber nicht unbedingt einer der wichtigsten (zu den wichtigsten zählen der Ise-Schrein 伊勢神宮 unweit von Nagoya, der Izumo-Schrein 出雲神宮 unweit von Matsue und der Atsuta-Schrein 熱田神宮 in Nagoya). Wie der Name bereits sagt, wurde der Schrein zu Ehren des Kaisers Meiji erbaut – selbiger gab der Meiji-Periode Ende des 19. Jhd. den Namen und führte in der Zeit Japan aus der Isolation.
Der Meiji-Schrein wurde 1920 erbaut, ist also sehr neu. Allerdings fiel er den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg zum Opfer und wurde erst 1958 neu aufgebaut. Der Schrein besteht aus zahlreichen, traditionell aus Zedernholz gebauten Gebäuden und einem grossen Torii 鳥居 (dem shintoistischen Torbogen).

Hochzeitsprozession im Meiji-Schrein
Dass mit den Religionen sieht man in Japan oftmals ganz pragmatisch. Der Tod zum Beispiel ist im Shintōismus eine unreine Sache – im Buddhismus hingegen wichtiger Bestandteil des religiösen Konzepts der Wiedergeburt. Also sind Totenzeremonien und Ahnenverehrung eher buddhistische Elemente. Hochzeiten hingegen sind etwas positives (so der allgemeine Konsens) und damit spielen shintoistische Zeremonien eine bedeutende Rolle. Hochzeiten sind ein Thema für sich in Japan – ein bunter Mix verschiedenster Elemente – oftmals ist auch eine „unechte“ christliche Kapelle involviert, obwohl weder Braut noch Bräutigam etwas mit Jesus & Co. zu tun haben. Praktizierende Shintoisten heiraten im Schrein – wer Geld hat, in einem wichtigen Schrein. A propos Geld: Die meisten Hochzeiten werden in speziell dafür vorbereiteten Hotels abgehalten und kosten richtig Geld. Deshalb gibt es auch in Japan den Trend, im Ausland während einer Reise zu heiraten.
An den Schrein schliesst sich ein kleiner Park an – Eintritt 300 Yen, aber es lohnt sich. Südlich des Schreins befindet sich der Yoyogi-Park 代々木公園, in welchem eine Zeltstadt grösser und grösser wird – hier kampieren die aus Shinjuku vertriebenen zahlreichen Obdachlosen.

渋谷 Shibuya
Einheimische besuchen Shibuya eher wegen der unzähligen Modeeschäfte. Die Gegend zwischen Harajuku und Shibuya ist ein einziges Shoppingzentrum und gerade unter Jugendlichen sehr beliebt. Die Zeiten, in denen sich ausgeflippte Leute in Harajuku versammeln und Shows abziehen sind jedoch vorbei – es herrscht polizeiliches Versammlungs- und Aufführungsverbot. Schade eigentlich. Shibuya ist neben Shinjuku eines der grossen Vergnügungsviertel der Stadt. Viele verabreden sich dazu erstmal am Hachikō ハチ公-Denkmal. Hachiko war eine treue Seele von Hund, der zehn Jahre lang tagein tagaus auf sein Herrchen wartete – der allerdings verstorben war. Was der Hund nicht wusste. Zur Belohnung gab es ein Denkmal und gleich noch einen Film hinterher. Da sich nahezu ALLE dort verabreden, ist es trotz des kleinen Denkmals nicht einfach, sich zu finden. Oder man verabredet sich zu einer exotischen Zeit – 19:23 am Hachiko – die meisten finden sich nämlich zur vollen Stunde ein. Oder sie finden sich nie und warten 10 Jahre lang…

Wer Mode sucht – dazu noch aussergewöhnliche – ist in Harajuku und Shibuya genau richtig. Denn hier sieht man die Geschäfte dafür und gleichzeitig, wie die Mode an anderen aussieht. Am bekanntesten ist seit langem das „Shibuya 109“ (sprich: „Ichi-Maru-Kyu“) – hier wird in zahlreichen Shops der letzte Modeschrei verkauft (und so kommt es, dass es auch in einigen japanischen Präfekturhauptstädten ein „109“ gibt, die mit dem Original jedoch nichts gemein haben). Seit cirka 2010 geht es allerdings mit Harajuku ein bisschen bergab: Den mehr oder weniger ausgefallenen Modegeschäften rücken immer mehr Crepes-Läden auf den Pelz. Die Kundschaft und das Erscheinungsbild haben sich so bereits stark geändert. Und – ziemlich trendy in Harajuku und Shibuya sind zur Zeit Döner Kebabs. Die Werden von mobilen Döner-Kommandos verkauft. Sind wesentlich schlechter und merklich teurer als in Deutschland zum Beispiel.

Den Bahnhof von Shibuya gibt es seit 1885 – am Eröffnungstag stieg jedoch niemand ein oder aus im damals noch sehr ländlichen Shibuya. Das ist heute etwas anders: Shibuya ist nach Shinjuku die Nummer 2 der grössten Bahnhöfe der Welt (!) gemessen am Verkehrsaufkommen: Pro Jahr steigt hier eine gute Milliarde Menschen ein und aus. Hier treffen sich diverse JR-Linien (darunter die Yamanote-Ringlinie), die Linien der privaten Bahnlinien Keiō und Tōkyū sowie U-Bahnlinien der Tokyo Metro. Es herrscht ständiges Gewusel, in dem Besucher schnell den Überblick verlieren. Wenn Touristen von Shibuya berichten, so meinen sie meist die Gegend nordwestlich des Bahnhofs in der Nähe des ハチ公口 (Hachikō-guchi, Hachiko-Ausgang). Dort befindet sich die bekannteste „Alle-gehen-Kreuzung“ (auf Japanisch-Englisch: スクランブル交差点 – Scramble-Kōsaten) der Welt: Hier schalten alle Fussgängerampeln gleichzeitig auf Grün, so dass sich die grosse Kreuzung auf scheinbar chaotische Weise in Sekunden mit Menschen füllt – und wieder leert. Überquert man die Kreuzung und läuft links am 109 vorbei, kommt man in die 道玄坂 Dōgenzaka – eine grüne Strasse mit leichter Steigung und zahllosen Geschäften und Restaurants. Auf der anderen Seite des Bahnhofs, der Ostseite, findet man einen Busbahnhof und – seit 2012 – ein 182 Meter hohes, etwas eigenwillig anmutendes Hochhaus mit dem Namen 渋谷ヒカリエ Shibuya Hikarie.
恵比寿 Ebisu
Der nächste Bahnhof auf der Yamanote-Ringlinie nach Shibuya, so man Richtung Tokyo fährt, ist Ebisu — einer der sehr wenigen (wenn nicht der einzige) Bahnhöfe der Welt, der nach einer Biermarke benannt wurde. Ebisu (eigentlich der Name einer der 7 Glücksgötter – das Markenzeichen des Bieres) gibt es seit Ende des 19. Jahrhunderts, und gebraut wurde es von der Sapporo-Brauerei im heutigen Ebisu – bis 1988, dann wurde die Produktion verlagert. Ein Teil der Brauereigebäude gibt es noch heute – sie sind Bestandteil des modernen Einkaufs-, Hotel- und Bürokomplexes 恵比寿ガーデンプレイス Ebisu Garden Place. Die Gegend um Ebisu ist sehr durchmischt: Es gibt etliche moderne Neubauten, aber man muss nicht weit laufen, um plötzlich in sehr gemmütlichen, ruhigen Wohnvierten zu enden. Ebisu ist aufgrund dieser interessanten Mischung sehr beliebt als Wohnort, doch sind die Wohnungen in dieser Gegend rar und reichlich teuer. Die Gegend südöstlich des Bahnhofs ist ein klassisches Amüsierviertel — hier gibt es hunderte kleiner Bars und Restaurants, in der allabendlich der Bär steppt.
In Ebisu findet seit 1952 alljährlich das grösste Bon-Odori von Tokyo statt – meistens am letzten Wochenende im Juli (beim Bon-Odori ehrt man die verstorbenen Ahnen mit Tänzen und Musik). Die Ebisu-Version findet auf dem Bahnhofsvorplatz statt, beginnt am Freitag und hat rund 60’000 Besucher. Die Atmosphäre ist immer sehr ausgelassen und durchaus international. Wer zu dieser Zeit des Jahres in Tokyo weilt, sollte sich das Bon-Odori auf jeden Fall ansehen.
広尾 Hiroo
Nur 3 Minuten mit der U-Bahn (Hibiya-Linie) beziehungsweise 20 Minuten zu Fuss von Ebisu entfernt befindet sich Hiroo – ein U-Bahnhof mit dem gleichnamigen, kleinen Stadtviertel rundherum. Der Teil östlich des Bahnhofs gehört bereits zum Distrikt Minato-ku; der westliche Teil hingegen zu Shibuya. In der näheren Umgebung gibt es zahlreiche Botschaften und damit verbunden auch mehr Ausländer als anderswo. Und doch scheint in Hiroo die Zeit stehengeblieben zu sein: Die Nachbarschaft abseits der Meiji-und Gaien-Nishi-Strasse ist eher gediegen, mit vielen Villen und für Tokyoter Verhältnisse üppigen Gärten. Besonders interessant ist die kleine Strasse, die vom U-Bahnhof Richtung Westen (also Richtung Shibuya) führt: Hier wird die Strasse am Mittag und Nachmittag mit Musik beschallt, und es reihen sich etliche internationale Restaurants aneinander – hier gibt es gute mexikanische (La Jolla), arabische (Zenobia), indische (Priya), italienische (Il Buttero) und natürlich auch japanische Küche. Zudem findet man in Hiroo eine grosse christliche Universität (聖心女子大学 University of the Sacred Heart), mindestens zwei internationale Schulen, ein paar mehr oder weniger versteckte Tempel. Sowie, mitten an der oben erwähnten Strasse, ein ganz profanes 銭湯 sentō Badehaus. Hiroo, zumindest abseits der grossen Strassen, ist eine wahre Oase inmitten des Molochs Tokyo.
