BlogWird der Tennō Staatsoberhaupt?

Wird der Tennō Staatsoberhaupt?

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Die Liberaldemokraten scheinen nicht viel Zeit verlieren zu wollen mit ihren politischen Zielen. Zu diesen zählen auch einige Verfasserungsänderungen, die seit heute im Parlament diskutiert werden. Ändern möchte man vor allem drei Artikel: Artikel 1, der besagt, dass der Tennō lediglich ein 象徴 shōchō – ein „Symbol“ des Staates ist und keinerlei politische Bedeutung hat. Dies wurde 1947 so in der Verfassung festgeschrieben, denn der Tennō spielte im Krieg eine unehrenvolle Rolle – zumindest liess er sich in diese treiben – und galt als wesentlicher Kriegstreiber. Die Alliierten hätten dabei gern den Tennō zur Rechenschaft gezogen, doch aus Rücksicht auf die Unterlegenen entzog man ihm „lediglich“ jegliches politisches Mitspracherecht. Die Liberaldemokraten sowie ein paar kleinere Parteien möchten den Tennō jedoch zum Staatsoberhaupt (元首 genshu) machen – quasi zum Bundespräsidenten Japans, mit entsprechenden politischen Vollmachten.
Ändern möchte man auch die Artikel 2 und 9 – Artikel 2 verpflichtet Japan, dem Krieg abzuschwören, und Artikel 9 verbietet es dem Land, eine Armee zu halten (stattdessen hat man „nur“ die Selbstverteidigungsstreitkräfte). Diese Artikel möchte man im Hinblick auf die Gebietsstreitigkeiten mit China, Südkorea und Rußland (also allen Nachbarn also) umändern, um den Selbstverteidigungskräften mehr Spielraum einzuräumen.
Die Vorschläge sind nicht neu. Aber sie stellen einen klaren Rückschritt dar – sowie eine Provokation. China und Südkorea werden mit Sicherheit aufs heftigste protestieren, aber das wissen die Liberaldemokraten natürlich. Die Front der Verfassungsänderungsgegner ist breit, so dass man noch Hoffnung haben kann, das man die Änderungen (vorerst) nicht durchsetzen kann, aber so schnell werden die Politiker nicht aufgeben.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

11 Kommentare

  1. Ich finde es sehr gut, dass du immer mal wieder die politischen Geschehnisse so erklärst, dass man sie auch verstehen kann.
    Vielen Dank

  2. Seit dem Irakkrieg sind Artikel 2 und 9 ohnehin Makulatur. Aber hier schaffen sie ja praktisch die Demokratie wieder ab, das wird wohl nicht ohne Proteste durchgehen?

  3. Na dann isses doch klar, es wird wieder das Tokugawa Regime aufgebaut und Japanesien bleibt die nächsten tausend Jahre in „Konklave“ :-P
    Doof nur das diese „Scheiße“ auch in Ungarn und überall in der „ersten“ Welt krassiert m(
    Man sollte vielleicht die wirklich Verantwortlichen mal zur Rechenschaft ziehen.
    BTW was ist eigentlich mit den TEPCO-Vorständen, sind die in Haft oder darf man da öffentlich mit der Bambussäge am Hals schnippeln ?

  4. Für Verhältnisse wie in der Tokugawa-Zeit müsste Japan aber auch wieder das Shogunat, den Ständestaat und Reis als Zahlungsmittel einführen ;)
    Ich hoffe mal, dass der Tennô als Symbol verbleibt.
    Ich könnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie stark sich japans Auslandspolitik verändern wird, sollte der Tennô seine ursprüngliche Amtsposition innehaben und das Militär von der Leine gelassen (sprich §2 und §9 gelockert) werden.

    • Nicht zu vergessen Samurai. Und Waffen tragen darf man dann auch. Ein Traum für Iaidoka. :-)
      Pech nur dass man dann nicht mehr in’s Land darf…

  5. Bei uns vorm Bahnhof „protestierten“ einige gegen eine Änderung von Artikel 9. Leider ist die gemeine Bevölkerung entweder komplett uninteressiert oder desillusioniert, dass die Liberaldemokraten mit nicht zu viel Gegenwind aus dem Volk rechnen dürften.

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