BlogWettlauf Impfung vs. Corona | Stille Olympische Spiele

Wettlauf Impfung vs. Corona | Stille Olympische Spiele

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Seit dem 20. Juni ist nun also der Ausnahmezustand in Tokyo und 8 weiteren Präfekturen aufgehoben – und das, obwohl die Zahlen in Tokyo zum Beispiel kaum gesunken sind. Im Gegenteil. Sie steigen bereits jetzt wieder spürbar an, mit im Durchschnitt über 400 Neuinfektionen pro Tag. Und das, obwohl die Olympischen Spiele nur noch einen Monat entfernt liegen. Der Ausnahmezustand, als solcher ohnehin eher nur vom Namen imposant, wurde auch nicht einfach ausgesetzt, sondern durch eine Reihe anderer Maßnahmen ersetzt. Diese Maßnahmen wirken leider so sinnlos wie wirkungslos: So darf man zum Beispiel nun in Tokyo in einer Bar Alkohol trinken gehen – aber:

  • Nur zwischen 11 und 19 Uhr
  • Maximal 90 Minuten lang
  • Maximal zu zweit

Fakt ist, dass sich diese Spielregeln für die meisten Kneipen und Restaurants nicht rechnen, und Fakt ist auch, dass es zahlreiche Kneipen gibt, die sich überhaupt nicht an die empfohlenen Maßnahmen halten. Außerdem war und ist in Japan schon immer 梯子酒 Hashigozake sehr beliebt, das „Leiterntrinken“ – man zieht von Kaschemme zu Kaschemme, von einem 飲み放題 (nomihōdai – „all you can drink“) zum Nächsten. Das ist sogar dermassen in der DNA integriert, dass viele Kneipen die Aufenthaltsdauer der Gäste beschränken – nach 90 oder 120 Minuten wird man vielerorts herauskomplimentiert.

Immerhin kommt nun aber das Impfprogramm in Fahrt. Im Schnitt werden nun rund fast 400,000 Menschen am Tag geimpft, und zahlreiche Gemeinden haben damit begonnen, auch jüngere Bewohner zu impfen. Zudem dürfen grosse Firmen ihre Mitarbeiter nebst Familienangehörige impfen, was nun etwas mehr Schwung in die Sache bringt. Auch ich habe gestern von der Stadt meinen Impfgutschein bekommen. In dem dicken Brief, nebst diversen Fragebögen, war auch ein Zettel, auf dem steht, dass man sich mit der beigelegten ID und dem Passwort in ein System einloggen und zum Impfen anmelden kann — das nun aber erstmal die 60- bis 64-jährigen an der Reihe sind und man sich etwas gedulden solle. Geistesgegenwärtig ignorierte meine Frau den Zettel einfach, rief ihren Hausarzt an und fragte, ob man sich bei ihm impfen lasen kann. Ja, könne man, und obwohl weit entfernt von der Altersgruppe, haben wir so ganz plötzlich einen Impftermin am 10. Juli bekommen. Geht also. Die Lage sieht dabei von Gemeinde zu Gemeinde, in Tokyo auch von Stadtteil zu Stadtteil, ganz unterschiedlich aus. Derzeit sind rund 25 Millionen Japaner ein Mal geimpft worden – das entspricht etwa 20% der Gesamtbevölkerung.

Nun erreichten auch schon die ersten Teilnehmer der Olympischen Spiele Japan, und flugs gab es die ersten positiven Coronatests bei der Delegation aus Uganda. Dies und die Tatsache, dass die Zahlen in Tokyo wohl vorerst wieder spürbar steigen werden (denn auch in Tokyo ist die Delta-Variante auf dem Vormarsch), veranlasste Koike, die Gouverneurin von Tokyo, zu der Bekanntgabe, dass bei den Olympischen Spielen sowohl Alkohol als auch Jubel untersagt werden. Public Viewing wurde ja schon in der vergangenen Woche verboten. Die Idee dahinter ist sicherlich verständlich, aber das dürfte mit Sicherheit auch dazu führen, dass immer mehr Menschen hinterfragen, warum sie dann wegen der Olympischen Spiele auf so vieles verzichten sollen. Diese Frage ist leider berechtigt.

Die in Deutschland schon seit langem geführte Debatte, ob geimpften (oder womöglich auch genesenen) Menschen Sonderrechte eingeräumt werden sollen, beginnt jetzt auch mit einiger Verspätung in Japan. Wie so oft prescht hier aber schon die Wirtschaft voran, indem sie zum Beispiel Preisnachlässe gibt. Das wird allerdings nicht so einfach zu kontrollieren sein, denn von einem digitalen Impfnachweis ist man noch weit entfernt.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

5 Kommentare

  1. Hallo,
    versteh ich das richtig, Geimpfte zahlen weniger? Das wäre ja mal ein Anreiz :-).
    Bei den Olypischen Spielen ist wahrscheinlich das Problem, das nochmal verschieben nicht wirklich Sinn macht, Da Frankreich ja schon gesagt hat, das nicht verschoben wird. also bliebe nur ausfallen lassen, und die Blösse will man sich nicht geben, aber wie will man Alkohol und vor allem Jubel verbieten, sorry hört sich für mich eher lachhaft an.

    • Ja, Verschieben scheint offensichtlich keine Option zu sein. Naja, das mit dem Alkohol wird man schon regeln können – die meisten halten sich ja in solche Regeln hier. Aber bitte nicht Jubeln? Das ist dann doch sehr merkwürdig.

  2. Alles so halbbackene Sachen, und manchmal nicht einmal das!

    Naja, die Dame Koike hat sich mal abgesetzt (oder sressbedingt selbst beurlaubt).

    Zuerst war es nur eine Woche, jetzt geht’s in die Verlaengerung. Ein Schelm wer sich dabei etwas Boeses denken sollte (steckt da wohl eine Coronainfektion dahinter, oder will sie sich auch, wie schon andere vor ihr, aus der Verantwortung ziehen?). Na, lassen wir uns ueberraschen was in den naechsten Wochen noch auf uns zukommt!

  3. Das mit dem Verbot von Freude und Jubel wird sicher so gut klappen wie bei der laufenden EURO…
    SOwohl auf Atheleten-/Spielerseite, als bei den Zuschauern.

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