BlogWeihnachten - ein Fest für alle in Japan

Weihnachten – ein Fest für alle in Japan

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Weihnachten ist ursprünglich für Japaner genauso elementar wie für uns Halloween. Gab’s früher nicht, wurde aber irgendwann zur Steigerung der Inlandsnachfrage kurzerhand eingeführt. Nicht etwa direkt, sondern über Amerika. Da die Amerikaner bereits mit ihren Weihnachtsbräuchen dringend den alten Kontinent übertrumpfen müssen, ist es natürlich ganz selbstverständlich, dass man Japan wiederum Amerika ausstechen muss. Und so wird Weihnachten ein Fest für jedermann – für Weihnachtsfetischisten wie für Weihnachtshasser.
Erstmal zu den Assoziationen. Höre ich in Deutschland „Weihnachten“, denke ich an folgendes (bitte korrigieren, wenn ich falsch liege):

  • 4 Wochen Stress: Wann kaufe ich Geschenke? Wo? Für wen? Warum ist Weihnachten schon übermorgen, ich hab doch noch gar nichts?
  • Weihnachtsmarkt: Stollenzeit. Und Glühweinzeit. Die alte Frage – was ist besser: Selber Glühwein trinken oder die Glühweinopfer beobachten?
  • Weihnachtsbaum am 24.12 aufbauen
  • Kirchenchor – live oder aus dem Fernseher
  • Heiligabend-Essen, je nach Region verschieden (bei uns war es Wiener mit Kartoffelsalat)
  • Schenken und geschenkt bekommen. Harmonie und Eintracht.
  • Während der Weihnachtsfeiertage: Familie abklappern. Frühstück – Stollen. Mittag – Ente. Nachmittags: Kaffee und Kuchen. Abends: Ente oder ähnliches.
  • Nach Weihnachten: Weil es so viel Arbeit gemacht hat, bleibt der Weihnachtsbaum erstmal stehen (wär ja sonst unökonomisch). Versuch, die Nahrungsaufnahme nach den 20,000 Kalorien zu Weihnachten etwas zu drosseln (= keinen Stollen mehr). Sich geistig auf das gleiche Spektakel, dieses Mal nur mit flüssiger Nahrung, zu Silvester vorzubereiten.

Nun zu traditionell japanischen Weihnachten:

  • Extrem penetrante Weihnachtsliedbeschallung ab ca. Anfang November
  • Fehlen jeglicher weihnachtsbezogener Esswaren (nur ganz selten sieht man mal Stollen)
  • Weihnachtsmänner überall. In jeglicher Form und Grösse. Sie verfolgen mich. Sie sind hinter mir her. Hilft mir denn keiner!?
  • 23. Dezember: Feiertag. Nicht etwa wegen Weihnachten, sondern da hat der Tennō Geburtstag.
  • Die Dichte der Weihnachtsmänner und die Bewerbung der Weihnachtstorten erreicht den Gipfel.
  • Am 24. oder 25. Dez: So man nicht arbeiten muss (selten!) – ein „Date“ mit dem Partner oder ebend als Familie unterwegs. Weihnachtstorte essen. Oder ganz traditionell: Zu Kentucky Fried Chicken essen gehen (kein Scherz!).
  • Nacht vom 24. zum 25. Dez: Erstaunlich, wie schnell die ganze Deko sich in Luft auflöst.
  • Nach Weihnachten: Aufatmen: Die Weihnachtsmänner sind weg. Seelisch auf Neujahr vorbereiten: Drei Tage in Harmonie und Eintracht mit der ganzen Familie verbringen. Und Neujahrskarten kaufen, bedrucken,
    schreiben und wegschicken.

Soviel zum Weihnachtstrubel hier. Wie auch in Deutschland bemüht man sich also herzhaft, die Fassade aufrecht zu erhalten. Unterschied: Je nach Fassade steckt in Deutschland hinter Weihnachten aber wirklich etwas. In Japan ist es nur die Fassade.


Schreck lass nach

Genau das hatte noch gefehlt: Weihnachtsmänner auf Mopeds – gestern gesehen in Kobe
Das Wort des Tages: クリスマスケーキ kurisumasu keeki. (Christmas Cake). Die Weihnachtstorte. Besteht aus luftigem Teig, bestrichen mit Sahne und garniert mit Obst oder irgendwelchem Schmuck. Geht von ganz billig bis extrem teuer. Zweite Bedeutung: Unverheiratete Frauen über 25. Genau wie niemand eine Weihnachtstorte nach dem 25. Dez kaufen will, hat es eine über 25-jährige Frau schon etwas schwerer, in Japan einen Mann zu finden. Obwohl sich auch das allmählich ändert, denn auch in Japan
heiratet man immer später.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

3 Kommentare

  1. Die Weihnachtsdeko ich sag nur Christmas illuminations. Hoert sich nicht nur schrecklich an, ist es auch. Wenn, Tanakasan nachhause kommt gehen im Umkreis von zwei Kilometern die Lichter aus ;-).
    Es soll aber auch eine Kirchliche Weihnacht geben. Irgend wo in Tokyo. Und auch hin und wieder Weihnachtsmaerkte war letztes Jahr auf einen in der naehe von Tsukui hab den Name gerade nicht parat. Schuehler Kapelle, Gluehwein Stand und einiges an Fressbuden. Das war schon sehr nahe dran am Deutschen W.-Markt aber ging dann doch drann vor bei…

  2. Wie wahr, wie wahr. Ein wenig n?her kommt man dem deutschen „Weihnachtsgef?hl“ auf dem deutschen Weihnachtsmarkt in Osaka. Ein Glas Gl?hwein kostet hier zwar stolze 800 Yen, ist daf?r aber recht bek?mmlich.

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