BlogVerschwinden Autobahnen von Tokyos Oberfläche?

Verschwinden Autobahnen von Tokyos Oberfläche?

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Geht es nach dem Willen des Rotary Clubs, zahlreicher Politiker und Lobbyverbände, ja.
Wie Pulsadern durchziehen die Schnellstrassen die Hauptstadt – in den meisten Fällen auf Stelzen, über Flüssen (siehe hier, mehretagig übereinander usw. Diese Pulsadern sind nahezu täglich verstopft, und der Hauptstadtluft ist das ganze auch eher abträglich.
Allmählich nimmt aber ein interessanter Plan Gestalt an und begeistert mehr und mehr Politiker, darunter auch Ishihara, den Gouverneur von Tokyo.
Kernpunkt des Planes ist die Idee, alle Autobahnen unter die Erde zu verbannen – und zwar in Tiefen von 40 m und tiefer. Welche Vorteile hätte dies?
– Trassen könnten mit idealer Länge geplant werden – die jetzige Trassenführung ähnelt eher Schlangenlinien
– Tokyos Luft würde eindeutig besser werden: Die Abluft aus den Röhren kann gefiltert werden
– Mehr Erdbebensicherheit: Schwankungen unter der Erde sind deutlich geringer
– Mehr Sicherheit – durch intelligente Verkehrskonzepte
– Kürzere Fahrtzeiten – damit geringerer Spritverbrauch, geringere Emission, weniger Unfälle
– Bequeme Planung: Bei 40 m Tiefe hören die Grundstücksrechte auf – es ist egal, wer was darüber besitzt
– Bessere Lebensraumqualität
Natürlich stellt sich hier sofort die Frage nach der Finanzierung – wer soll die Milliarden dafür aufbringen? Aber auch hier stellen sich etliche Vorteile heraus:
– Die öffentliche Hand gibt momentan alljährlich 70 Milliarden Yen, also über eine halbe Milliarde Euro, für die Instandhaltung der Autobahnen aus: Dieser Betrag reicht jedoch nicht, die Substanz verfällt.
– Das Projekt könnte mit privaten Investoren angeschoben werden – und mittels Schuldbriefen mit extrem langer Laufzeit (40 Jahre und mehr) – finanziert werden (man schätzt die Kosten des Baus, der Entfernung jetziger Trassen und der Umwidmung jetziger Autobahnflächen auf ca. 4 Billionen Yen, also 30 Milliarden Euro (das sind 60 Berliner Stadtschlösser).
– Der Bau wäre gleichzeitig eine gigantische wirtschaftliche Hilfe für die Stadt – wenn nicht gar das Land – und würde zehntausende Arbeitsplätze schaffen.
Im Grossen und Ganzen kann man da nur zustimmen – also ich bin dafür! Man darf gespannt sein, wie sich das weiter entwickelt.
Hier ein interessantes PDF vom Ministerium für Land, Infrastruktur, Transport und Tourismus sowie ein kleines Filmchen vom 経営同友会 (ein Wirtschaftsinteressenverband).
Das Wort des Tages: 大深度高速道路 daishindo kōsoku dōro – „Grosse Tiefe – Schnellstrasse“. Der Name des gigantischen Projekts.
P.S. Aufgrund der unerwarteten Resonanz mehr zur Wahl und den Parteien später…

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

16 Kommentare

  1. Und ich dachte immer, große Untergrundprojekte wie U-Bahnen würde man heute gar nicht mehr bauen.

    Sehr geile Idee. Ich mag die technologischen Ideen Japans :) In Deutschland wäre das sicherlich schon wieder niedergedrückt worden.

  2. Ein ehrgeiziges, aber gutes Projekt, wie ich finde. Was sich da an Autobahnen durch Tokyo schlängelt ist schon enorm. Selbst wenn kein Berufsverkehr ist, kann man da durchaus mal stecken bleiben (gut, wenn man nen Guide hat, der die Zeit mit Erzählungen überbrücken kann).
    Und die Nihonbashi ist ja auch nicht das einzige, was in Tokyo durch die Autobahnen „verschönert“ wird.

    Aber wenn sie das machen, wird es sicherlich einige Jahre dauern. Steht in dem PDF ein Zeitplan?
    Und auch wenn die Schwankungen bei Erdbeben unter der Erde geringer sind, erdbebensicher müssen die Tunnel trotzdem sein. Man kann nur hoffen, dass nicht so ein Unglück wie in Köln passiert, das könnte mitten in Tokyo deutlich übler ausgehen.

    Was machen die denn dann bspw. mit der Rainbowbridge? Abreissen? Oder nur noch für Fussgänger und Yurikamome?

  3. Wenn die Erdbebensicherheit gegeben ist, dann klingt das durchaus interessant.

    Für Deutschland halte ich aber die Idee für unsinnig. Wir haben in der Regel den Platz – ein großer Teil Japans nicht.

  4. Ich wollte gerade meckern, wo denn nun mein nächster Parteienabriss bleibt. Aber, ich sehe, gut Ding will weile haben.

    Zurück zur Autobahn: Das wäre sicher auch ein schönes Projekt für Dresden gewesen. Aber hierzulande baut man ja lieber noch schöne, große, breite, lange, hohe Brücken. Ist jetzt zwar nicht ganz das gleiche (Ausmaß, Umfang, Geld), aber sinniger Weise hätte man mit einem Tunnelprojekt für die Zukunft vergleichbarer Vorhaben ein gutes Beispiel geben können.

    Und wenn sich das Verkehrsgroßprojekt in Japan auch noch rechnen sollte, wäre der kleine Tunnel in Dresden sicher auch finanzierbar gewesen.

    Vielleicht kannst du zu gegebener Zeit einmal den Sachstand der Tunnelbauer berichten.

  5. Generell halte ich das auch für keine schlechte Idee. Jedenfalls besser als ‚weiter so‘.
    Allerdings sollte man bei einem so langfristigen Projekt auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß sich der Individualverkehr in den nächsten 10 – 40 Jahren massiv verändern MUSS. Ich bezweifle ganz stark, daß bei Fertigstellung noch Autos mit Verbrennungsmotoren auf Benzinbasis herumfahren. Die zu bauenden Tunnels sollten also auch für andere Verkehrskonzepte tauglich bzw. umbaubar sein. Ansonsten könnte das zu einem Millardengrab werden.

  6. Die Idee den Verkehr von der Oberfläche in den Untergrund zu verlagern ist bestechend. Doch ich frage mich wie Energieintensiv es ist diese Untergrund-Autobahn zu belüften und die Abgase abzupumpen.

    Es wäre viel effizienter das bestehende U-Bahn Netz massiv auszubauen, als es jedem Pendler zu ermöglichen mit seinem PW im Untergrund rumzudüsen. Und was die Finanzierbarkeit anbelangt, beim Wechsel von Oberflache auf Untergrund könnte man mit der U-Bahn nicht nur Baufläche durch wegfallende Autobahnen erhalten sondern auch durch nicht mehr gebrauchte Parkplätze.

    Das wäre futuristisch finde ich. Und ja ich bin kein Autofahrer, und ja besitze nicht mal einen Führerschein ):D Ein Schelm wer sich dabei nichts denkt.
    Heydal

  7. Also ich finde das eine super Idee. Mir hats ja schon unheimlich gegraust, als ich das Foto von der wunderhübschen Brücke mit diesem….Klumpen obendrüber gesehen hab.

    Ich kann mir nur vorstellen, dass vielleicht einige Menschen Angst haben in so tiefe Tunnel zu fahren. Ich kenne da auch Anhieb schon ne ganze handvoll.

  8. Super Idee das Ganze. Die man auch gleich noch weiter Träumen kann. Vision vom Leben unter der Erde. Nah ja ich denke dafür ist es noch zu früh hier ;-).
    Gruß und schönen Freitag!

  9. @Stefan
    Das kannst du aber wetten, oder es würde erstmal eine Fesstellungsklage bis nach Karlsruhe gehen ob Grund und Boden wirklich in 40m tiefe aufhört.
    Und wenn es gemacht würde dann technisch so überkandidelt das es mindestens 10 mal mehr kostet mit 5+ Jahren später anfängt und dann dauernd Fehler hat und nicht funktioniert.

    Ich sag nur ICE3 Nürnberg-München letztens.

  10. Gab doch auch so ein Prjekt in den USA, die Autobahnen komplett unter die Erde zu bringen, glaube BigDick oder so änlich hieß es, aber welche stadt es war, fällt mir nicht ein.

  11. BigDick ist auch ‚mal nicht schlecht (^_~)
    Er heißt Big Dig und ist in Boston – dort hatte man eine Monster-Hochstraße quer durch die City, die samt einiger Erschließungsstrecken unter die Erde verlegt wurde. Auf diese Weise hat man gleich ein paar Dutzend Parks und Plätze gewonnen. (http://www.masspike.com/bigdig/index.html)

    In Tokyo würde der frei gewordene Platz wohl ersatzlos mit Immobilien zuwachsen – schließlich ist oberhalb der 40 Meter unter Null wertvoller Baugrund.

  12. @Avant
    Sorry, aber da musste ich auch laut lachen. Ein Projekt mit dem Namen würde ich nicht gern auf Englisch vorstellen :-)

    @Jens
    Danke für die Info. Bin evtl. Anfang nächsten Jahres in Boston, da werde ich mir das mit Sicherheit ansehen.

  13. Ja sorry, habe mich verschrieben und abgeschickt und danach erst gemerkt, das da ein Fehler drin war und leider wars zuspät *mund mit Kernseife wasch*

  14. Hmm, wenn ich daran denke, wie oft es auf den Auf- und Abfahrten zum Shutoko knallt, wird mir Angst und Bange, wenn das daemnaechst alles unterirdisch passieren soll. Ne, ehrlich! Sobald es anfaengt zu regnen, kann man bis 5 zaehlen und der Rettungswagen ist unterwegs. Ja, ich weiss: Tunnel=unterirdisch=trocken. Aber die Zu-und Abfahrten bleiben nass und ziehen die Naesse auch ein paar hundert Meter ins Innere.

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