BlogVerhandlungssache Müll

Verhandlungssache Müll

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Eigentlich geht das so: Man schaut auf der Webseite der Gemeinde nach, wann 粗大ゴミ sodai gomi – Sperrmüll – abgeholt wird, dann informiert man sich über die Preise, kauft die entsprechenden Wertmarken und stell dann die Sachen an dem Tag (meistens ein Mal im Monat), versehen mit den Stickern, nach draussen. In Shibuya, im Herzen von Tokyo, bezahlt man so zum Beispiel für die Entsorgung eines kleinen Sofas 2,000 yen (rund 15 Euro), und für einen Toaster 3 Euro. Auch Drucker, Lautsprecher und andere kleinere Elektrogeräte kann man so entsorgen. Doch bei größeren Sachen wird es problematisch – ein mehr als zwei Meter hoher Schrank oder schwere Büroschreibtische kann man so nicht entsorgen. Auch Fernseher und dergleichen wird man so nicht los — die soll man beim Elektrohändler vorbeibringen (die dann gern mal 40 Euro und mehr pro Gerät berappen).

Was tun? Bei kleineren Sachen wie Computern, größeren Druckern und kleineren Möbelstücken kann man die privaten Müllsammler (粗大ゴミ回収 Sodai Gomi Kaishūsha) zu sich rufen, die überall mit laut plärrenden Lautsprechern herumfahren und bekanntgeben, „Müll kostenlos mitzunehmen“. Doch da ist Vorsicht geboten, denn das „kostenlos“ ist so zu verstehen wie das „free download“ auf amerikanischen Webseiten. Ja, sie nehmen den Müll quasi kostenlos mit – sie berechnen also nicht die Fahrt – aber die Entsorgungsgebühren werden Pi mal Daumen plus XX Prozent berechnet, und da kann man ordentlich über den Tisch gezogen werden (beim „free download“ ist auch oft gemeint, dass das downloaden zwar kostenlos ist – aber die Benutzung natürlich nicht). Hier kann man sehr schnell über den Tisch gezogen werden, wenn man die Preise nicht kennt.

Man kann ebenso eine private Entsorgungsfirma anfordern. Bei Langzeitverträgen ist das durchaus nützlich, sprich, das Unternehmen holt zwei, drei Mal die Woche den Müll ab und berechnet das ganze durch den Kauf von Mülltüten, die natürlich von dem Entsorgungsunternehmen stammen müssen. Bei Einzelaktionen wird es jedoch auch bei diesen Firmen, nun ja, abenteuerlich. Das konnte ich bereits mehrmals erleben, und so auch wieder heute. Wir wollen nämlich einen sehr schweren und 2,20 großen, nicht zerlegbaren Stahlschrank, zwei sehr schwere Stahlschreibtische und diverse kleine Sachen loswerden. Und so kam heute ein Gutachter einer Recyclingfirma vorbei. Nachdem er sich das Gut anschaute, ging es wie folgt los:

Er: Wir haben da verschiedene Pläne. Bei Ihnen wird das Plan M oder Plan L, denke ich mal.
Ich: Okay… was bedeutet das konkret?
Er: Also Plan M kostet zum Beispiel 30,000 yen (=250 Euro), plus 20,000 yen pro Kubikmeter.
Ich: Oh (in Anbetracht der Tatsache, dass wir hier von 4-5 Kubikmetern sprechen… das wären also bis zu 130,000 Yen, also über 1,000 Euro)
Er: (merkt natürlich, dass mir die Zahlen nicht gefallen) An was hatten Sie denn gedacht?
Ich: Weiß nicht. Ich glaube, als wir das letzte Mal rund 16 Schreibtische entsorgt hatten, kostete das um die 1,000 Euro… also in dem jetzigen Fall eher an etwas unter 50,000 Yen.
Er: Also 50,000 Yen wären kein Problem…

Aha. Da geht es plötzlich ganz schnell von 130,000 Yen runter auf 50,000 Yen. Scheinbar habe ich mir nun aber eine Falle gebaut, denn nun wird er auf 50,000 Yen aus sein, was sicher auch schon viel zu viel ist.

Ich: Wie in der Email geschrieben, haben wir eine interne Regel, die besagt, dass wir mindestens 3 verschiedene Kostenvoranschläge brauchen.
Er: Hmm. Die wievielte Firma sind wir?
Ich: Die erste. Die anderen kommen morgen und übermorgen.

Das stimmt natürlich nicht ganz. Erstens haben wir diese Regel nicht (jedenfalls steht sie so nirgends geschrieben), und zweitens kommt nur noch ein anderer Anbieter.

Er: Also es würde sehr helfen, wenn ich wüsste, was die Kollegen anbieten. Da läßt sich dann bestimmt etwas machen.
Ich: Okay, ich rufe sie dann in zwei Tagen an.

Und das werde ich auch tun – und ich bin neugierig, denn eigentlich machen die Müllsammler gerade mit Stahl gute Geschäfte. Müll ist natürlich ein Riesenthema in Japan: Auch hier gibt es viele schwarze Schafe, die den Müll einfach in den Wald bringen. Und es gibt sicherlich auch zahlreiche Unternehmen, die in der Grauzone operieren. Dabei sind die Strafen eigentlich empfindlich: Wer beim 不法投棄 fuhō tōki, dem „illegalen Entsorgen von Müll“ erwischt wird, kann mit einer Geldstrafe von bis 80,000 Euro oder 5 Jahren Gefängnis bestraft werden – wenn dies geschäftlich geschieht, können daraus bis zu 2.5 Millionen Euro werden. Ob nun gesetzlich ordentlich verwertet oder nicht – die Preisgestaltung der Müllentsorger ist jedenfalls ein Mysterium und absolute Verhandlungssache. Basarerfahrungen sind da sehr von Vorteil.

A propos kleine Müllsammler: Hier ist ein typisches Beispiel… mit einem lustigen Lautsprecheraussetzer:

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

11 Kommentare

  1. Da wird einem erst bewusst, was man hat – in Wien kann man nämlich ganz selbstverständlich und ohne mehr als eventuell den Transport per Mietwagen bezahlen zu müssen Sperrmüll zu einem der städtischen Mistplätze bringen.

    • Ach, das wäre schön… Gibt hier bestimmt auch Schrottplätze, wo man das hinbringen kann, aber Mietwagen, Maut und Zeit, um die Dinger dahin zu bringen, rechtfertigen das dann doch nicht.

      • Nicht nur die Nachbarschaft, sondern alle im Umkreis von 50km die noch Bauschutt und Sondermüll rumliegen haben – das wird des Nachts säckeweise dann stundenlang durch die Gegend gekarrt und dazugekippt. Allerdings hat das anschließend „die Stadt“ umgehend zu entsorgen, weil „wozu zahlt man Steuern?!“

        (oder man fährt einfach zum nächsten Recyclinghof und kann das bei Tageslicht für ’n Appel und Ei legal entsorgen… aber das ist nicht hip genug ^^)

  2. Also ich bei uns in München verschenke solche Sachen immer über ebay-Kleinanzeigen.. das ist es mir noch nie passiert dass es nicht kostenlos jemand abholt und selbst wenn es mal ein großer Schrank aus dem zweiten Stock war. Geht das in Japan nicht von privat zu privat?

  3. Puuh, als ich meine Matratze loswerden wollte, habe ich die einfach an die Hauswand gelehnt. Hier im Viertel steht immer was rum, da fällt das garnicht auf :) Wahrscheinlich wie in Berlin *hust*

    Nao

  4. Ich vermute sogar, dass die Entsorgungsfirma Geld für die Möbel bezahlen würde. Besonders jetzt wo eine massive Wirtschaftkrise durch gestörte Supply Chains zu erwarten ist.

    Aber ich Stelle auch fest das mehr weggeworfen wird.

  5. Hallo,
    da gehts hier ja noch richtig human zu, ich kann Kostenlos 2 mal in Jahr 4qm Sperrmüll anmelden, Elektroschrott ist sowieso kostenlos, aber ist eben auch Kleinstadt. Meine Eltern leben auf dem Land, da heben sie noch 2-3 Feste Abholtermine für Sperrmüll im Jahr.

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