BlogSouverän in Japan: Merkel teilt aus. Mit dem Silberlöffel.

Souverän in Japan: Merkel teilt aus. Mit dem Silberlöffel.

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Angela Merkel ist zur Zeit auf Stippvisite in Japan – ein mit zwei Tagen sehr kurzer Besuch, bei dem sie mit Sicherheit keine Freude am Wetter hatte. Aber deswegen war sie bestimmt auch nicht hier.
Die Wahl der Stationen ihrer Reise kann man als gelungen bezeichnen – genauso die Aufmerksamkeit, die man ihrem Besuch schenkte. Immherhin empfing man sie mit vollen militärischen Ehren (im Gebäudeinneren, wohlgemerkt – siehe Wetter) und arrangierte Gespräche mit Abe sowie sogar dem Tennō. Gelungen deshalb, weil Merkel bei einem Symposium der eher linksliberal ausgerichteten Asahi-Shinbun (shinbun = Zeitung) auftrat, wo sie den Teilnehmern Rede und Antwort zu verschiedenen Themen stehen konnte. Das hat mehr Wirkung als kurze, vom Protokoll beschnittene Pressekonferenzen.
Verschiedene Themen kamen bei dem Symposium zur Sprache – unter anderem die Haltung gegenüber Russland, der Ausstieg aus der Kernenergie, aber auch die leidvolle Aufarbeitung der Geschichte Japans. Wie gewohnt trat Merkel dabei nicht polternd auf, sondern eher mit bedachten Worten. Nein, sie kritisierte Japan nicht für die störrische Haltung den ostasiatischen Nachbarn gegenüber. Stattdessen erklärte sie, wie Deutschland seine Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg aufarbeitete: Sätze wie „Aussöhnung sei nur möglich, wenn sich Länder ihrer Vergangenheit stellten“ oder „Es gab eine große Bereitschaft in Deutschland, die Dinge beim Namen zu nennen“ fielen. Sicher – darüber, ob diese Bereitschaft nun wirklich überall so gross war – kann man wohl streiten, aber bestreiten kann man nicht, dass eine gewisse Bereitschaft zur Aufarbeitung, ein paar „grosse Gesten“ deutscher Staatsmänner (und -frauen, natürlich) sowie, auch das ist wichtig, die Bereitschaft der Nachbarn, sich zu versöhnen, dazu beigetragen haben, dass Deutschland wirklich sehr gute Beziehungen zu seinen Nachbarn hat.
In Japan ist man davon noch Lichtjahre entfernt, und das ganze kann man allmählich als Huhn-Ei-Problem betrachten: Wer ist Schuld – Japan, dass noch immer lautstark seine eigene Schuld anzweifelt? Oder Korea und China, denen auch versöhnliche Gesten, die es ja nun durchaus auch schon gab, nicht viel zu bedeuten scheinen? Nein, es ist schon Japan, so viel steht fest. Aber in ein paar Jahrzehnten wird sich niemand mehr sicher sein, wer eigentlich wann was gesagt und gemacht hat.
Wie bereits erwähnt ging es auch um den Ausstieg aus der Kernenergie. Auch hier: Weise Ratschläge zum Thema, so dass man fast denken könnte, dass Merkel von den Grünen geködert wurde. Sehr unterhaltsam ist da zum Beispiel der Thread zum Besuch, vor allem zum Thema Fokushima (sic), bei Die Welt zu lesen – siehe hier. Da wird an Merkels Auftritt in Japan kein heiles Haar gelassen, aber der Grossteil der Kommentare hat einen enorm hohen Troll-Level, weshalb die Lektüre eher in die Rubrik „Entertainment“ fällt.
Erschreckend muss ich jedoch feststellen, dass mir der Auftritt im Grossen und Ganzen zusagte. Die japanischen Medien haben ihre Bemerkungen durchaus positiv aufgenommen und darüber berichtet. Die – wenn auch sehr leise – Kritik war richtig im Tonfall. Ein blosses Eindreschen auf Japan hat noch nie etwas gebracht, und auch wenn ihre Kommentare sicherlich so schnell nichts ändern werden in Japan, so dürften sie doch ein paar Leute dazu anregen, nachzulesen und nachzudenken, wie Deutschland zum Beispiel seine Vergangenheitsbewältigung betrieben hat. Nein, nicht vorbildlich, aber eben doch wesentlich besser als Japan. Die meisten Regierungschefs würden zu diesem Thema kein offenes Gehör finden in Japan, aber Deutschland gilt in diesem Punkt als anhörenswert. Leider ist Ministerpräsident Abe und sein Stab illustrer Berater(erinnen), von denen eine vor kurzem sogar vorschlug, dass es doch toll wäre, die Apartheid in Japan einzuführen, jedoch beratungsresistent, und so wird am Ende wohl doch ausser Spesen nicht viel gewesen sein.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

7 Kommentare

    • Ha! Mit der Sonderregel „n wird vor b und p zu m“ konnte ich mich noch nie so recht anfreunden, aber da die Asahi sich selbst Shimbun schreibt, wäre es wohl besser… So wurde daraus ein „n“ wie „na sieh mal einer an!“ :)

  1. Jaja, lernen wird Herr Abe (und Konsorten)bestimmt nichts aus dem Merkel Besuch. So nach dem Motto: haben wir schon immer so gemacht, wird nicht geaendert.
    Nationalismus wird mittlerweile gross auf die japanische Fahne geschrieben (siehe Schuelern mehr Nationalstolz vermitteln, „wir haben den Krieg nicht angefangen“, etc).

  2. Man kann zur Kanzlerin stehen wie man will, aber in solchen Moment scheint mir ihre Art die Dinge zu handhaben durchaus passend zu sein.
    Man stelle sich vor, Japan’s Apparatschiks würden aus heiterem Himmel ihr Denken und Handeln ändern, würden auf China und S.Korea in versöhnlicher Form zugehen und Zugeständnisse machen. Man stelle sich weiter vor, S.Korea würde aufhören sich ständig als das arme Opfer darzustellen und das ständige Gejammer einstellen. So und jetzt stelle man sich noch vor, die chinesische KP würde aufhören alles Böse dieser Welt auf die Japaner zu schieben und stattdessen offen und ehrlich ihre eigene Vergangenheit aufzuklären.
    Das wäre doch mal ein echter Plot-Twist, gell?

  3. wie es auch sein mag glaube ich, dass Merkel nicht nur tiefere Freundschaft mit Japan aufbauen moechte, sondern auch auf der Weltbuehne sich preasentieren moechte. Alles was in Europa (Deutschland) wirksam war, heisst noch lange nicht es funktioniert in Japan, aus vielen Gruenden und oft bleibt Politik nur Worte, das praktische Leben scheint anders zu sei. Wie man so schoen in Rusland sagt: „Osten ist eine sehr feine Sache“ – es heisst so viel wie, man muss mit sehr viel Bedacht eine jede Frage angehen. Dazu sind die japanischen Politiker auf Ihr bewaehrtes Nurumayu eingestellt, als ploetzlich das zut tun was man ihnen vorgeschlagen hat

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