BlogRevolutionäre Entwicklungen im Spielplatzmilieu

Revolutionäre Entwicklungen im Spielplatzmilieu

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Mitten in der Goldenen Woche lag der „Tag des Kindes“ – immerhin ein offizieller Feiertag. Und Schwiegermutter wartete mit dem guten Rat auf: „Heute ist Kindertag! Also unternehmt etwas mit den Kindern! Macht was, was ihnen Spass macht!“ Die Bemerkung, dass wir genau das seit über neun Jahren an jedem einzelnen freien Tag machen, habe ich mir erspart.
Da man den lieben Kleinen hin und wieder etwas Neues bieten möchte, ging es am besagten Tag der kleinen Monster in einen neuen Park, nur 8 km von uns entfernt. Und damit die Kinder auch ja Freude daran haben, durfte die 9-jährige das natürlich mit dem Fahrrad zurücklegen, denn nichts ist schöner als vor Freude und Bewegung erschöpfte Kinder, die es gegen 9 Uhr abends gerade noch so ins Bett schaffen.

Kawasaki - Kodomo yume park (子ども夢パーク)
Kawasaki – Kodomo yume park (子ども夢パーク) – das ist allerdings nur ein kleiner Teil davon

Besagter Park wurde uns von Bekannten empfohlen. Der sei ganz toll, irgendwie anders und sogar noch kostenlos. Schon im Januar hatten wir deshalb unser Glück versucht, nur um dann vor verschlossenen Türen zu stehen. Aus Schaden wird man jedoch klug, also wurde flugs recherchiert – und siehe da, er war geöffnet. Ganz sicher. Fahrrad abgestellt und flugs hereingetreten. Und sofort schoss mir eine einzige Assoziation in den Kopf: Mad Max-Kulisse! Vom feinsten! Eine riesige Schlammkuhle, in der sich scheinbar auf sich allein gestellte, nicht selten nackte Kinder lustvoll suhlten, eine Betonstruktur, bemalt von oben bis unten und architektonisch… nun ja, gewagt hergerichtet, und dazu noch offene Feuer, die hier und dort loderten. Kurzum: Hätte ganz plötzlich Tina Turner mit Löwenmähne vor mir gestanden, hätte ich das als vollends normal empfunden. Selbst unsere Kleinen, defintiv keine Kinder von Traurigkeit, blieben wie angewurzelt stehen und wussten nicht so recht, was sie von diesem Spielplatz der ausgefallenen Sorte halten sollten.
Es dauerte rund eine Viertelstunde, bis sich der Nachwuchs für das Basteln von … Dingen … entschied. Das ging mit Malen los und nahm mit Holzarbeiten seinen Lauf. Nägel, altes Holz, Sägen und dergleichen lagen ja genug rum. Und man sollte sich mindestens ein Mal im Leben mit dem Hammer auf den Finger schlagen, um die Schwere des Hammers schätzen zu lernen – oder? Die Erziehungsberechtigten waren derweilen auch nicht faul und begannen, eine Partie Federball zu spielen. In Sichtweite, versteht sich. 5 Minuten später sahen wir, wie unser 5-jähriger hochinteressiert von einem der unscheinbaren Aufpasser lernte, wie man ein offenes Feuer entfacht. Wie putzig. Weitere 10 Minuten später bemerkten wir plötzlich, wie eben jener 5-jährige mit voller Kraft versuchte, Holzscheite mit einer Axt zu spalten. 5-jähriger? Axt??? Ohne Aufsicht, mit einem schwer zu deutenden Lächeln auf seinem Gesicht. Der Stift versuchte die heranrennenden Versorgungsberechtigten zu beruhigen und versicherte, dass eine freundliche Dame ihm vorher ganz genau erklärte, wie das zu machen sei – er weiss jetzt bescheid und wir bräuchten uns keine Sorgen zu machen. Ich fragte noch vorsichtshalber nach, ob das „beinahe-mit-der-erhobenen-Axt-über-dem-Kopf-nach-hinten-kippen“ und das „mit-geschlossenen-Beinen-und-voller-Wucht-das-Holz-verfehlen-und-mit-der-Axt-kurz-vor-dem-Knie-innehalten“ auch zum Trainingsprogramm gehörte, bekam aber keine zufriedenstellende Antwort.
Im Hanegi-Park (羽根木公園) in Setagaya-ku, Istanbul
Im Hanegi-Park (羽根木公園) in Setagaya-ku, Istanbul

Immerhin verliessen wir den Abenteuerspielplatz ohne Verlust irgendwelcher Extremitäten. Doch zwei Tage später trafen wir Freunde nebst einer Horde Kinder in einem anderen Park mitten im schmucken Setagaya-Distrikt von Tokyo. Und siehe da: Etwas weniger Mad-Max, mehr Wagenburg, aber vom Prinzip her das gleiche: Offene feuer hier und da, die Kinder können über Dächer klettern, Sachen aus Holz basteln und so weiter und so fort. Ein ähnlicher Park wurde wohl zudem in unserer alten Heimat, in Urayasu, gerade eingeweiht. Zwar sind die beiden oben genannten Parks nicht gerade neu, aber das Konzept als solches scheint um sich zu greifen in einem Land, in dem die meisten Spielplätze nahezu steril sauber und sicher sind. Das sind ungewohnte Freiheiten für die Kinder und Eltern – und Eltern müssen da natürlich doppelt aufpassen. Aber so viel steht fest: Den Kindern macht so etwas natürlich mehr Spass als blitzsaubere Parks und Spielplätze mit ellenlangen Listen, was da alles verboten ist (Eis essen! Ball spielen!!). Insofern eine angenehme Entwicklung.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

2 Kommentare

  1. Geil! Gibt es dafür ein japanisches Wort? Möchte gerne im Raum Osaka danach suchen. 「Abenteuerspielplatz」日本語で?

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