Blog"Religulous" oder Dinge, die ich nicht vermisse

"Religulous" oder Dinge, die ich nicht vermisse

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Religious-Filmposter
Freitag Nacht, genauer gesagt 23:30 bis 00:30, gibt es eine Sendung auf Tokyo MX, die ich immer wieder gerne sehe – so ich die Gelegenheit dazu habe: 未公開映画を観るTV - das Fernsehen der unveröffentlichten Filme (mehr dazu hier). Mit „unveröffentlicht“ ist dabei allerdings lediglich „unveröffentlicht in Japan“ gemeint. 松嶋尚美 Matsushima Naomi (sie ist recht bekannt… und rennt mir in der Nähe meines Büros manchmal über den Weg) und 町山智浩 Machiyama Tomohiro, ein Kolumnist und Filmkritiker, schauen sich in der Sendung zusammen einen Film, oftmals eine Art Dokumentarfilm, an und diskutieren darüber. Diskutieren ist vielleicht zuviel gesagt – Machiyama erklärt, und Matsushima hakt nach. Das erstaunliche an der Sendung (erstaunlich für japanisches Fernsehen zumindest) ist die Tatsache, dass Machiyama wirklich weiss, wovon er redet. Mit Matsushima klappt es auch recht gut, und so machen nicht nur die gut gewählten Filme Spass, sondern sogar die (relativ seltenen) Einblendungen mit den beiden Kommentatoren.
Heute wurde der zweite Teil eines Films gezeigt, der mir deutlich macht, wie sehr ich doch einiges hier verschlafe. Vom Film Religulous, 2008 in den USA veröffentlicht, hatte ich vorher noch nie, wirklich nie etwas gehört. Aber ich habe mich köstlich amüsiert – und gegruselt. Der Regisseur hat auch „Borat“ gedreht – der Film sagt mir sogar was, da schau mal einer an. Beim Anschauen des Films erinnerte ich mich nach und nach an zahlreiche Begegnungen mit hochreligiösen Menschen, hauptsächlich mit Amerikanern, aber auch mit Juden und Arabern im Nahen Osten und Arabern und Palästinensern an meiner ehemaligen Uni, und schlagartig fiel mir auf, was ich hier nicht vermisse: Religiösen Wahnsinn und die ganzen Debatten darum. Keine Debatte, ob der Islam gut oder schlecht ist. Keine Debatte, wessen Religion besser oder schlechter ist. Die einzigen negativen Erscheinungen sind die „Wir-sagen-allen-Japanern-zu-Weihnachten,und-nur-zu-Weihnachten,-dass-sie-in-der-Hölle-schmoren-werden-Christen“ und ganz gelegentlich mal Missionare aus Salt Lake City usw., obwohl mir diese schon lange nicht mehr begegnet sind.
Stattdessen haben wir hier eine Nation voller Ignoranten (im eher englischen Sinne): Für die meisten bedeutet Religion, am Neujahrstag zum Schrein zu gehen, gelegentlich mal eine Münze in eine Box zu werfen und den Ahnen ein Räucherstäbchen anzustecken. Nicht mehr, nicht weniger. Ich könnte jederman hier erzählen, ich sei Satanist – es würde niemanden wirklich stören.
Auf jeden Fall kann ich den Film nur empfehlen. Natürlich hat der Film seine Lücken und rennt teilweise sperrangelweit offenstehende Türen ein, aber er ist trotzdem lustig.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

13 Kommentare

  1. > Religiösen Wahnsinn und die ganzen Debatten darum
    naja, die ganzen Debatten darum fehlen, aber religiöser Wahnsinn?
    Ich mal abseits von Aum wäre da noch Sokka Gakkai und deren Verbindelung mit Komeito, sogar ’ne eigene Uni haben die… dann noch die Zeugen, die einen sogar hier ständig vollquatschen, die Christen die hier manchmal ziemliche Freaks sind…
    Aber ich muss doch irgendwie zustimmen, im Vergleich zu Deutschland ist das alles irgendwie doch weniger Mainstream…

  2. Klar gibt es in Japan auch Sekten, aber es nicht so wie z.B. in den USA, wo du total schief angeguckt und schlimmstenfalls belabert wirst, wenn du sagst, du wärst Agnostiker.
    Übrigens wurde ich in Japan auch von Christen angesprochen, die sich wohl absichtlich in der Nähe der Uni (= viele Austauschstudenten) rumgetrieben haben. Waren eigentlich nette Leute, aber ich finde es absolut respektlos, wenn man mir meinen eigenen Glauben – oder Nicht-Glauben – nicht lassen kann.

  3. Ja ich muss dir da wirklich zustimmen: Die niedrige Religioesitaet in Japan ist wirklich sehr angenehm. Wobei ich allerdings nicht sagen wuerde, dass die Menschen Religion nicht ernst nehmen wuerden. Sie sind einfach eintspannter als Monotheisten.
    Die Mikoukaieiga waren uebrigens die einzige Sendung im japanischen Fernsehen, die ich regelmaessig geschaut habe, als wir noch einen Fernseher hatten. Sind definitiv ein Lichtblick im Meer der extrem seichten Fernsehunterhaltung.
    Religulous selbst fand ich nicht so spannend, wie du schon sagtest zu viele offene Tueren. Und ich glaube nicht, dass religioese Menschen sich von aggressiven Atheisten „bekehren“ lassen. Da muss man schon ein wenig mehr Fingerspitzengefuehl haben. Vor einem halben Jahr hatten sie mal einen Film ueber ein „Jesus Camp“ – der war gut und – sehr, sehr – gruselig.

  4. Bin derselben Meinung wie Lori. Dass man sich bei nem Tempelbesuch frei bewegen und auch Laute von sich geben kann, ohne gleich zusammengestaucht zu werden, ist durchaus angenehm und irgendwie befreiend. Hingegen dass die Zeugen und ähnliche Kumbayah-Bibelgruppen hier auf so furchtbar fruchtbaren Boden zu stossen scheinen, ist fast besorgniserregend.
    Passend zum Thema hier ein Lesetipp -> Fliegendes Spaghettimonster & Co.:
    http://derstandard.at/1319183506688/Rundschau-Advent-des-Fliegenden-Spaghettimonsters?_lexikaGroup=1

  5. „Ich könnte jederman hier erzählen, ich sei Satanist – es würde niemanden wirklich stören.“
    Jetzt aber mal ehrlich, würde auch keinen von uns überraschen ;-)
    Außerdem ist Satan auch nur eine Erfindung des Christentums (und des Islams) auf dem der Glaube dramaturgisch aufbaut und sich gegenseitig brauchen wie Batman den Jocker. Ganz logisch also, dass für Japaner jeder Nichtasiate automatisch neben Christ oder Moslem auch ein Satanist ist.

  6. Hallo, mir ist nicht bekannt, wo Du in germany zu Hause warst, daß Du so vieles nicht vermißt. Aber bei uns im Lande ist alles recht entspannt mit dem Glauben. Es ist Deine Sache und Du entscheidest, wo Du hin gehst. Klar, mußt Du nicht in den Kreisen der Aggressiven zu Hause sein…..aber da kenne ich keinen. Ich kenne Japan nur aus Filmen und Dokus und was ich da sehe, das macht mir sehr Angst. So sah ich Kinder die Obdachlosen von ihrem Taschengeld was abgeben und von ihnen verlangen, sie sollen sich gefälligst anstrengen wieder Arbeit und Wohnung zu erhalten.???????????
    Dir noch schöne Tage und lieben Gruß
    margit

    • Die Kinder haben wohl das übliche „ganbatte“ losgelassen.
      Also.. Autsch, wer auch immer das mit den Obdachlosen aufbereitet hat, sollte nochmal zum Japanisch Unterricht^^
      Wenn man in Japan sagt „ganbatte“, heißt das zwar wörtlich übersetzt „streng dich an/gib dein bestes“, aber sinngemäß ist es eine Floskel die soviel wie „viel Erfolg/viel Glück/alles Gute“ bedeuten kann. Was in diesem Fall auch zureffen wird. Ist doch nett von den Kindern.
      Ich kann dir versichern, dass es positiv gemeint war^^

    • Das ist natürlich viiiiiiiiiiiiiiel schlimmer als Kinder in anderen Teilen der Welt, die Obdachlose totprügeln.
      Ansonsten schließe ich mich Marius und Lori an.
      Hoffentlich gucken Japaner keine Sendungen über Neonazis in Deutschland und denken dann, wir wären alle so.

  7. Liebe Margit, naechstes Mal bevor du deine ignorante Meinung von dir gibst … atme einmal tief durch und zieh‘ vielleicht mal ein Jahr nach Japan. Dann hast du vielleicht auch eine Ahnung wovon du eigentlich sprichst.

  8. Ach Tabibito, das Land der Schreine hat bestimmt seine religiösen Tücken, aber den hiesigen monotheistischen , zum Teil gewalttätigen, Wahnsinn können die gar nicht toppen.
    Obwohl ich mich noch gut an die Braut erinnern kann, die rund um die Uhr an der Seibu Shinjuku Station mit ihrem Schildchen stand und verrückt vor sich hin starrte. Kam von den Klamotten her den Zeugen Jehovas schon sehr nahe.
    Jedenfalls machte die den Eindruck, als ob sie die Fähigkeit besäße auch aus dem Fernseher zu krabbeln.
    Trotzdem, lieber solche Bräute, als Muslime mit Rauschebart, Tarnhosen und Combat-Weste beim Samstagseinkauf.

  9. @Lori,
    ich finde diese Ausfälligkeiten deutscher Japan-Apologeten immer wieder „amüsant“.;-)
    Im Grunde war das Wesentliche von Marius weiter oben doch schon gesagt worden – dass es sich bei der Deutung von „ganbatte“ aus Kindermund als „streng dich gefälligst mehr an“ offenbar um ein sprachliches Mißverständnis handelt.
    Aber lieber noch mal arrogant nachtreten und sich dadurch selbst aufwerten – doppelt hält schließlich besser.;-)

  10. Ja, du hast recht, ich wollte nur mein kleines kuemmerliches Ego aufwerten! Danke, dass du mich erleuchtet hast!
    Achja, „Japan-Apologet“ finde ich genauso beleidigend wie „Japan-Hasser“ – just sayin‘

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