BlogNordkoreanischer Raketentest - viel Lärm um nichts?

Nordkoreanischer Raketentest – viel Lärm um nichts?

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Was da gestern in den NHK-Hauptnachrichten um 19 Uhr über die Bildschirme flimmerte, sah schon aus wie eine Farce. Ca. 20 der der 30 Nachrichtenminuten wurden dem am Vormittag von Nordkorea aus durchgeführten Raketenabschuss gewidmet, aber auf was für eine Art und Weise: Da sah man das kleine Büro des Chefs eines kleinen Hafens in einer ganz kleinen Stadt umringt von einem Reporter und seiner Entourage: Plötzlich Hektik – ein Funkspruch, ein Funkspruch! Zoom auf den armen Hafenchef, wie er ans Funkgerät sprang. „Die Rakete wurde abgefeuert, sie kommt, sie kommt!“.
Dazu noch wirkungsvoll platzierte, mobile Raketenabschussrampen vor dem Verteidungsministerium und anderswo. Noch andere, unbedeutende Leute in unbedeutenden Kleinstädten und Ämtern, die alle gleichzeitig begannen zu rotieren.
Wohlgemerkt: Nordkorea setzte den Abschuss auf die Zeit zwischen dem 4. und 8. April an. Will heissen, all die Fernsehteams lauerten spätestens seit Mitternacht am 4 April in all den Büros und Ämtern. Da fragte man sich ernsthaft, wer hier mehr inszenierte: Nordkoreas Machthaber oder die japanischen Medien.
Dass ein Land, in dem laut vorsichtigen Schätzungen in den 1990ern mehr als eine Million Menschen verhungerten, ein Land, in dem als Folge der Unternährung die Durchschnittsgrösse der Einwohner im Vergleich zu ihren südlichen Nachbarn um etliche Zentimeter zurückging, ein Land, in dem Sippenhaft gang und gebe ist und zehntausende Menschen mit ihren ganzen Familien in unsäglichen Gulags gefangenhalten werden, ein Land, dass einfach mal eben so viele dutzend Menschen aus anderen Ländern kidnappt – das ein solches Land hunderttausende Dollar (und viele kluge Köpfe) in den Bau von Langstreckenraketen (oder gar ein Weltraumprogramm!?) investiert, ist schlichtweg der Gipfel menschlichen Wahnsinns.
Und trotzdem – wäre es nicht besser gewesen, diese und andere Provokationen mit Missachtung zu strafen anstatt eine derartige Inszenierung zu gestalten? Ich weiss es nicht… Wohl fühlte ich mich jedenfalls bei der Berichterstattung nicht: Propaganda ist Propaganda, Manipulation der öffentlichen Meinung Manipulation – egal auf welcher Seite.
Das Wort des Tages: 誤報 gohō „Falsch-melden“. Vor dem wirklichen Start gab es etliche peinliche Fehlwarnungen.
Wer über den Raketentest nichts gehört hat – die erste Stufe der Rakete fiel zwischen Nordkorea und Japan ins Meer, der Rest überflog – für das Auge unsichtbar – die Präfekturen Akita und Iwaki, um weit draussen im Pazifik ganz im Meer zu versinken. Angeblich gab die Rakete einen Satelliten im Weltraum frei, aber südkoreanische und amerikanische Experten bezweifeln das.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

7 Kommentare

  1. Tja es ist schon viel Luft um einen recht harmlosen „Furz“.
    Du sagst zu recht das es Wahnsinn ist das trotzdem Millionen hungern der Staat Millionen „Dollars“ für das Militär und die Raketenforschung ausgibt, passt aber leider in das Muster dieser Staaten wie es sie durchaus ähnlich auch in z.B. Afrika gibt.
    Zu den Fehlmeldungen bezüglich des Starts… nun es ist extrem schwer den Start „mitzubekommen“ und danach bleibt noch viel weniger Zeit zum Reagieren (IIRC klar unter 5 Minuten)
    Das man da als Militär lieber Fehlalarme hat, als keinen im entscheidenden Augenblick gehört leider dazu.
    Ich habe ja wirklich darauf gewartet das die Medien die vorher voller Häme wegen der Fehlalarme waren genauso viel Häme dafür hätten wenn kein Alarm gekommen wäre.
    (Ein Fehlalarm nutzt beim Militär immer noch zu Trainingszwecken)

    Nun profitiert haben von dem Test die „Irren“ in Nordkorea weil sie sich stark fühlen dürfen (egal ob es ein Interkontinentaltest oder Satelittenstart war) und das Amerikanische Militär das jetzt noch heftiger auftrumpfen wird, wie dringend Geld für den (bislang versagenden) „Raketenschutzschild“ ist.
    (Es geht in den Kreisen das Gerücht, dass die Amis es erst von Südkorea erfahren haben.)
    Insofern spielen sich die Militärs von Nordkorea und USA/Japan sauber gegenseitig in die Hände :(

    Was auf Englisch dazu
    http://www.spaceflightnow.com/news/n0902/26northkorea/

    Interessant auch diese Analyse:

    http://sitrep.globalsecurity.org/articles/090405289-the-meaning-of-north-korean-mi.htm

  2. Das war ne super Werbung für die Nordkoreanische Raketen Industrie. Da man ja so eine Rakete nicht einfach in ein Schaufenster stellen kann, muss man seinen Kunden (Iran, Sudan, etc)zeigen wie das Produkt funktioniert. Der Test ist daher nicht das erschreckende sondern die Folgen, die daraus entstehen: mehr Länder mit langstrecken Raketen. Das sich Japan aber wegen dem Test fast in die Hosen macht ist meiner Meinung nach ein bisschen übertrieben. Aber die Medien können halt nicht ständig über die Skandale und Skandälchen von den Politiker berichten.. da kommt so eine Rakete natürlich wie gerufen!

  3. Für mich ist das Propagandamaschinerie auf beiden Seiten. Die einen müssen ihren teuren Raketenschutzschild rechtfertigen, die anderen wollen sich selber vormachen wie sie ganz vorne mitspielen. Man hätte das in der Öffentlichkeit ja auch klein halten können, und allenfalls herunterfallende Teile ohne Trari-trara einfach abschiessen. Gemeinsam ist allen, dass sie wieder mal zeigen müssen wer ähm die längste Rakete hat. Dabei haben sich die Militärs in letzter Zeit schon genug blamiert. Kleine Fischerboote übersehen, Kollisionen in der eigenen Flotte bis hin zu U-Booten die Eierpecken spielen…Luftwaffe die am Boden bleibt wegen Virusproblemen usw.

    Wär doch was gewesen wenn sie das herunterfallende Teil nicht mal getroffen hätten.
    Aber interessant dass Nord-Korea landesweit propagiert, dass alle anderen Nationen ebenfalls den Erfolg des Satellitenstarts verkündeten.

  4. ich würde das anders betrachten. japan bekommt seine rechtfertigung für eine weitergehende remilitarisierung und nordkorea wird nach der demo ein paar waffen verkaufen und weiter geld/leistungen fordern können um friedlich zu bleiben.

  5. Naja, vielleicht sind die Japaner da aufgrund ihrer Vergangenheit, was potenzielle Angriffe mit Atomwaffen angeht, ein wenig über-sensibilisiert.

  6. Also ich weiß ja nicht, aber ich wäre nicht begeistert, wenn über meinem Kopf ungefragt eine Rakete rumfliegt.
    Im Falle Nordkoreas wäre ich nicht mal ausgegangen, dass das Ding überhaupt planmäßig im Meer landet (aufgrund von Mängeln in der Konstruktion und/oder den Berechnungen)!

  7. @Hamu-Sumo
    Es rechnet und konstruiert sich wirklich schlecht mit einer Pistole am Kopf…

    @Marcus
    könnte man so sagen, selbst eine nicht explodierende Atombombe die nur genug Pu in der Atmosphäre über Japan verteilt wäre.. schlecht.
    Und zu Langzeitwirkungen hat man ja in Japan auch leider eine grössere Datenbasis :-(

    In einem anderen Forum wurde die berechtigte Frage aufgeworfen wie es kommt das sich das Regime in Nordkorea überhaupt hält.
    Denn das Nordkorea sehr flott kollabieren würde wenn es 100% isoliert wäre ist ja auch klar.
    Die Lösung… alle Alternativen sind einfach genauso unangenehm für die Nachbarn. Südkorea hat sich z.B. sehr genau die Deutsche Sache angesehen und Ihnen ist klar das sie es SO nicht wollen.
    China findet den aktuellen Irren viel attraktiver als ein potentiell Instabile Situation direkt an der Yalu Grenze mit einem Haufen Waffen und der 5. grössten Armee als Garnitur.
    Selbst die Amis wissen das ein kollabierendes Nordkorea noch unsicherer ist, als ein in „bekannten“ Maßen „verrücktes“ Regime.

    Also ist die Ganze Show das gleiche wie ein Selbstmörder der an der Klippe steht mit den Zuschauermassen unter Ihm und proklamiert „Ich springe wenn ihr nicht nett seit!“
    Wohl wissend das er zwar tot ist wenn er spring aber die Zuschauer unter Ihm das auch nicht (riskieren) wollen.

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