BlogKirschblütenwahnsinn / Nerds in action

Kirschblütenwahnsinn / Nerds in action

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Der Teufel muss uns geritten haben, als wir heute vormittag beschlossen, nach Ueno zu fahren. Dort stehen die Kirschbäume momentan in voller Blüte, und damit ist die Zeit für Hanami (Kirschblüten ansehen) gekommen. Zumal es endlich frühlingshafte Temperaturen um die 18 Grad gibt.
Wir hatten es zwar geahnt, aber Ueno übrtraf trotzdem alle Befürchtungen: Unglaubliche Menschenmassen. Wahrscheinlich mehr Menschen als Kirschblüten (kein Spass, wenn man mit Kinderwagen unterwegs ist). Am Shinobazu-Teich (siehe Photos) tausende Gruppen, die den kompletten Tag nur einem Ziel gewidmet haben: Sich zu betrinken. An allen Ecken und Enden roch es dezent nach Erbrochenem. Bereut haben wir den Ausflug trotzdem nicht – nur wenige hundert Meter abseits vom Trubel gibt es sehr schöne und ruhige Ecken in Ueno.

Eine kleine Anekdote, heute erlebt, muss ich an der Stelle auch gleich zum Besten bringen. Keiyō-Linie (von Tokyo nach Chiba): Die letzten beiden Stationen vor Tokyo liegen unter der Erde. In einer der Stationen, Etchōjima, steigt eine Gruppe von vier Leuten ein. Alle mit Brille, zwei davon eigentlich noch Kinder (14? vielleicht). Alle sehen aus, als ob sie sich einen Teufel um Friseure scheren (jaja, ich zähle auch zu letzteren). Einer hat einen langen, schwarzen Plastikstab dabei – daran ein Kabel. Und alle haben etwas in der Hand, was wie ein Digital Voice Recorder aussieht. Ganz klarer Fall: Das sind wahre Otaku! Sie schwatzen aufgeregt. Nächste Station: Hatchōbori. Wie angesengt springen die vier aus der Bahn, zeigen auf eine kreisrunde Öffnung in der Bahnhofsdecke… und halten den Stab dorthin. Ich hatte es bereits vermutet: Der Stab beherbergt ein Mikrofon. Die Gruppe nimmt mit Hi-Tech die Bahnhofsdurchsagen auf.
Dass Trainspotting in Japan sehr beliebt ist, wusste ich. Aber diese Gruppe von Nerds trieb es eine Stufe weiter: „Extreme Platform Announcement Recording“ (EPAR). Sehr selten habe ich glücklichere Menschen gesehen. Man kann Otakus nur beneiden.
Das Wort des Tages: お出かけ – odekake. O- ist für die Höflichkeit, „de“ bedeutet „heraus“, „kake“ hat sehr, sehr viele verschiedene Bedeutungen. Odekake bedeutet Ausflug (auch wenn es nur sehr kurz sein kann).

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

12 Kommentare

  1. Ohh ich will auch….. Hanami im Ueno Park. Aber moment mal, hab ich das gerade richtig gelesen,?

    Alle sehen aus, als ob sie sich einen Teufel um Friseure scheren (jaja, ich zähle auch zu letzteren)

    Wie. ich meine was- ich meine warum ???????
    Es gibt wohl nichts schöneres als sich in die geschulten Hande eines japanischen Friseurs zu begeben. Ein Wellnesshappening sondergleichen, man wird mit Kopfmassage, warmen Gesichtstüchern, gekonnter Rasur von Gesicht und Nacken und nicht zu vergessen dem schneiden des Kopfhaars verwöhnt. Und dies alles zu einem Preis der nur als schnäppchen bezeichnet werden kann. Für umgerechnet etwa 25 Franken, bzw. 16 Euro wird man(n) im Schnitt eine gute Stunde lang umsorgt. Hier zuhause zahle ich das dreifache bei einem Zeitaufwand von 20 maximal 30 Minuten. Und Kopfmassage, oder Gesichtsrasur vergiss es, sowas ist hier absolut nicht üblich. Ich war letztes Jahr, in den drei Wochen Japan, sicherlich fünfmal in einem Toko-ya.Dementsprechend kurzhaarig war ich bei meiner Rückkehr, aber was solls. Und Du gehst nicht gerne zum Coiffeur, verzeihung Friseur?
    Warum nur, warum ? Heydal

  2. Mensch Tabibito, Du schaffst es doch immer wieder dich mit der grossen Masse und mitsamt Kind und Kegel zu den Gelegenheiten anzuMassen, die Japan das Image von überbevölkert geben…ist das schon vorsätzlich?
    Wie kann man nur ausgerechnet gestern in den Ueno Park gehen? Der Park ist zwar relativ gross, aber bei 206’000 Besuchern darf man sich nicht mehr wundern.
    Man gucke sich mal das Foto hier an, sowas wie der Aqua Park im Sommer:
    http://www.yomiuri.co.jp/national/news/20090404-OYT1T00867.htm

    A propos Lautsprecher-Durchsagen, da zirkulierte mal ein File im Net wo eine unbekannte Gruppe Engländer zu Flughäfen fuhr, und verkleidet als Taxifahrer oder Chauffeur, diverse Leute ausrufen liess. Die Namen lasen sich sehr exotisch, aber ausgesprochen klang es dann sehr sehr unanständig (im Stil von „ich langweile mich und es bl*se mir doch einer einen“) – worauf sich viele Flughafengäste prompt bei der Durchsagestelle meldeten, allerdings im negativen Sinne.

  3. Uh….Ueno. Da kann ich mich nur noch leicht an freundliche Japaner erinnern, die mich zu ihren Hanami Parties eingeladen haben, und dann später nackt herumgetanzt sind. Die Polizei bat sie freundlich, dies zu unterlassen ;-)

  4. Ach ja…an dem Tag haben es ein deutscher Kollege und ich geschafft, (unfreiwillig) morgens eine ganze Runde mit der Yamanote Linie zu drehen ;-)
    Aus dem regulären Heimweg von 1er Stunde wurden 3 Stunden ;o

  5. ach und das mit den Zugansagen, ich hab die z.T. zum Japanisch lernen benutzt. Ist schon beruhigend, wenn man als Tourist mit dem Zug unterwegs ist und wenigstens die Ansagen versteht. Also wer Links zu entsprechende Seiten mit Soundfiles kennt…

  6. @Heydal
    Oh, ich weiss, was Du meinst. Gehe hier deshalb auch regelmässig zum Friseur – was ich in Deutschland gar nicht gemacht habe. Aber bei 3 mm langen Haaren und einer Frisur, die sich seit Jahrzehnten nicht geändert hat, zähle ich dann doch eher zu den Modemuffeln in Sachen Kopfhaar.

    @ディーン
    Ja, ich weiss auch nicht, was uns da geritten hat. Kann man tatsächlich schon beinahe vorsätzlich nennen.

    @Deku
    Klingt nach Spass ;-)

    @Juergen
    Die Obdachlosen sind nicht weit. Im Gegenteil – für sie ist das die beste Zeit des Jahres. Sie bieten zum Beispiel den Feiernden an, für sie aufzuräumen, denn da fällt sehr viel Essen ab und auch viele Getränke (leere Dosen verwerten sie auch). Kein Spass – ein Obdachloser hat das mal in einem Interview erzählt und man sieht sie auch vor Ort fleissig bei der Arbeit.

  7. @tabibito
    Ok, hab die jap. Obdachlosen einwenig scheuer eingeschätzt. Aber sicherlich, bei Ihren Lagern im Ueno-Park meine ich auch immer sehr große Säcke mit leeren Flaschen und Dosen gesehen zu haben. Dann können die ja aktuell großen Umsatz machen.

  8. @tabibito
    Kann ich Dir sagen: der Yamada Tarō war’s, der hat dich geritten!
    Für alle die jetzt nicht folgen können:
    Zur Zeit der Vollblüte geht jeder normale Japaner in Tokyo nun mal in den Ueno Park.
    Ist etwa so selbstverständlich wie die Teilnahme am stets überlaufenen Münchner Oktoberfest.

    Was wohl heisst dass Du schon zu lange in Japan bist.
    Guck Dir mal「となりのやまだ君」an, die Comic-Strips oder den Anime aus dem Hause Ghibli.
    Also ich erkenn mich da des öfteren wieder ;-)

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