BlogIch bin's doch, ich!

Ich bin's doch, ich!

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Gestern war ich etwas verwundert, an jedem Geldautomaten einen Polizisten zu sehen. Wird das jetzt Mode? Hat die Polizei zu viel Zeit? Letzteres vielleicht schon, aber momentan herrschen mal wieder Aktionstage in Japan. Das Ziel des grossangelegten Aktionismus‘: Trickbetrügern das Handwerk zu legen.
Die Masche wird wohl in Deutschland als „Enkeltrick“ bezeichnet und ist ein Dauerbrenner: Jemand sucht Telefonnummern älterer Leute heraus, ruft die an und lässt raten, wer dran ist: „Klaus-Bernhard?“ – „Genau, genau“. Und schon wird um Geld gebettelt, weil der neue Porsche eine Beule hat oder man einen Unfall hatte usw. usf. Naja, einfache aber effektive Masche.
In den ersten 8 Monaten dieses Jahres wurden so wohl rund 21,4 Milliarden Yen (also ca. 140 Millionen Euro) erschwindelt – und es gibt mit Sicherheit viele unentdeckte Fälle.
Gestern war jedenfalls Rentenauszahlungstag, und so schickte die Polizei laut eigener Aussage 56,000 Beamte (!) los, um 81,000 Geldautomaten möglichst lückenlos zu überwachen. Und Rentner zu fragen, ob sie von der Masche gehört haben. Keine so schlechte Idee also. Aber der gigantische Aufwand ist schon beachtlich.
Laut einer anderen heute von der Polizeibehörde veröffentlichten Statistik schlagen die Alten jedoch zurück: 2007 wurden in Japan ca. 50,000 Straftaten von über 65-jährigen begangen. 1998 waren es ca. 14,000. Der Anstieg ist nicht nur mit der Alterung der Gesellschaft zu erklären. Gesellschaftliche Hemmschwellen sind es, die gesunken sind: Wer mit 70 Jahren völlig allein lebt, hat nicht viel zu befürchten von der Gesellschaft, wenn er beim Ladendiebstahl erwischt wird. Und etliche Straftaten wurden von verzweifelten Seelen begangen, die nur erreichen wollten, dass sie entweder ein Dach über dem Kopf haben oder sich jemand um sie kümmert. Kein gutes Zeichen.
Unter den Missetätern war übrigens eine 79-jährige obdachlose Frau, die im August in Shibuya wahllos auf Leute einstach – und zwei junge Mädchen verletzte.
Das Wort des Tages: オレオレ詐欺 – oreore sagi: „ore“ bedeutet in der Männerumgangssprache „ich“, „sagi“ ist der Betrug. Der Name für die oben beschriebene Enkelkindmasche. In der offiziellen Sprache aber eher als 振り込め詐欺 – furikome sagi: furikome ist Befehlsform und heisst „Überweise! (Geld)“.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

8 Kommentare

  1. Apropos Betrug: Soweit ich weiß erfolgen 50% deiner Blogzugriffe aus Japan. Aber trotzdem, beim Zeichen des Tages schummeln doch die Leute?! ^^

  2. Das mit dem oreoresagi ist schon interessant. Ich habe davon nun auch schon mehrmals gehoert und habe mich immer gefragt, ob die Masche nicht irgendwann mal aus der Mode kommt, zumal man ja ueberall mit „nicht drauf reinfallen“ Werbung bombardiert wird.
    Andererseits finde ich es auch immer wieder schoen auf welch niedrigem Level die Sorgen der japanischen Polizei liegen.

    Acuh die Geschichte von der Rentnerkriminalitaet habe ich nun schon einige Male gehoert, muss mir mal ein Buch darueber suchen.

  3. Männerumgangssprache – was nicht alles gibt. Ich würde sagen die Masche funktioniert, da viele alte Menschen allein / einsam sind. Wenn sich dann ein vermeintlicher Verwandter meldet, dann sind sie überglücklich und selbstredent gern bereit, diesem zu helfen.

    Und „Kriminalität im Alter“ hängt denke ich weniger mit krimineller Energie zusammen, als mit Bedürftigkeit.

  4. ein Freundin von meiner Frau (beide Japanerinen Wohnhaft in der Schweiz) hatte für ihre Japanferien mein Pre-Paid Handy von Vodafone JP ausgeliehen. Eines tages bekam sie einen Anruf von einem Mann, der ihr mitteilte, wenn sie nicht sofort bezahle (für was auch immer) werden Konsequenzen folgen. Die Gute war darauf völlig aufgelöst und rufte aus Japan meine Frau in der Schweiz an um zu fragen was sie den machen soll… Das das Handy ja auf mich registriert war und ich zudem kein Japanisch spreche und es daher unmöglich ist, dass dieser Anruf echt war, resp. für diesen Anschluss bestimmt war, ist ihr leider nicht in den Sinn gekommen. Meine Frau konnte sie gottseidank beruhigen, aber das Telefon wollte sie danach nie mehr…

  5. @Juergen
    Da wuerde mich mal interessieren, woher Du die Zahl hast. Ist ja auch nicht unbedingt ein Geheimnis – 68% der Leser dieses Blogs sind aus Deutschland, knapp 20% sind in Japan. Der Rest verteilt sich, aber ich habe schon gemerkt, dass ich eine starke Schweizer Leserschaft habe.
    Ich glaube kaum, dass jemand beim Kanji-Quiz betruegt – hoechstens gelegentlich mal schummelt, aber im grossen und Ganzen… und das heutige Kanji zaehlte nun mal zu den wichtigsten. Liste mit bisher erschienenen Kanji kommt spaeter.

    @Felix
    Naja, zum Erschrecken reicht das erstmal allemal!

  6. @tabibito
    Die Zahlen sind von Alexa.com (http://www.alexa.com/data/details/traffic_details/tabibito.de). Keine Ahnung wie zuverlässig deren Quellen sind. Hinsichtlich der vielen Leute die hier das Zeichen des Tages vollständig richtig erkennen … ich bin doch nur neidisch ^^
    Ich krebse gerade bei Zeichen 300 herum und kenne meist nur die Bedeutung (lerne nach Heisig), nicht aber die Lesarten. Es ist aber schon erstaunlich, dass man mit dem Wissen über ein paar Radikale schon einen Großteil der Zeichen des Tages erraten kann.

  7. @Juergen
    Ach ja, Alexa. Lass Dich nicht taeuschen – laut Alexa sind 77.4% der Leser meiner anderen – rein englischen Seite http://www.europe-east.com aus Japan, was voelliger Quatsch ist – Japan ist nicht mal in den Top 10 der meistbesuchenden Laendern.
    Die anderen Zahlen scheinen weitestgehend zu stimmen, aber sonst….

    Heisig-Methode kenne ich nicht. Ich hab damals die meisten Zeichen im Selbststudium gelernt, ohne feste Methode. Bzw. „Lernen durch Schmerzen“, wenn man so will.

  8. Heisig kann ich nur empfehlen. Man lernt alle 2000 Zeichen logisch aufbauend. D.H. alle Elemente die ein Zeichen enthält hat man vorher gelernt. Die bekannte Radikale eines Kanji werden zu einer Geschichte verknüpft, passend zu dem neuen Element.

    Z.B. Friedhof besteht aus mehrere bekannten Teilen, die man sich dann folgendermaßen merkt: Beim Grabstein wachsen „Blumen“ und die „Sonne“ (日) geht auf und am Fuß liegt ein „Bernhardiner“ (大 groß).

    Radikale können zusätzliche Bedeutungen haben, damit man später weniger Probleme hat sich Geschichten auszudenken. Z.B. kann „groß“ (大), wie oben gesehen, auch im Zusammenhang mit einem Zeichen „Bernhardiener“ bedeuten. Klingt evtl. kompliziert, ist es aber nicht. Das Zeichen Monat (月) kann z.B. auch die Bedeutung „Körperteil“ annehmen

    Z.B. das Zeichen des Tages „Membran“ vor kurzem, es besteht links aus Monat (also „Körperteil“) und rechts aus „Friedhof“. So stellt man sich vor wie man Gänsehaut (Haut=Membran) bekommt, wenn man über den „Friedhof“ geht und schon kann man sich das gut behalten. Hatte das Zeichen vor ein paar Monaten gelernt und vor ein paar Tagen bei dir wiedererkannt.

    Noch ein kleines, einfaches Beispiel:
    Das Zeichen des Tages „durchwarten“ (渉) von letzter Woche. Es besteht aus den Radikaten „Fluß“ (vereinfachte Form von 川), „stoppen“ (止) und „ein wenig“ (少). Hier stellt man sich einfach vor, wie man an einen „Fluss“ kommt, aber der „stoppt“ einen nur „ein wenig“, denn der Fluss ist nur wenig Tief so das man durchwaten kann.
    In den Geschichten wir auch die Reihenfolge der Primitive beachtet, so dass man, wenn man die Geschichte kennt, auch die Zeichen schreiben kann. Das lernen geht wirklich flott. Ich schätze, dass wenn jemand ehrgeizig ist und ein Monat Urlaub hat, alle 2000 Kanji lernen kann (nur die deutsche Bedeutung).

    Und zur Lesung hat Heisig auch ein System entwickelt, soweit bin ich aber noch nicht.

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