BlogErdbebensicheres Bauen auf engstem Raum

Erdbebensicheres Bauen auf engstem Raum

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Neben unserem Büro wird zur Zeit gebaut. Vorher stand dort, auf dem rund 20 mal 10 Meter großen Grundstück, ein zweigeschossiges Einfamilienhaus. Das riss man vor ein paar Monaten ab, und da der Trend zur Höhe geht, wird nun ein 9-stöckiges Wohnhaus entstehen. Der Grund ist dafür eigentlich nicht sehr geeignet, denn direkt hinter dem Grundstück fliesst der um ein paar Meter abgesenkte Shibuya-Fluss, und Flussufer sind in der Regel nicht als stabiler Baugrund bekannt. Bei Baustellen wie dieser ist es dabei immer wieder faszinierend, zuzuschauen – denn man muss erdbebensicher bauen, und das erfordert einiges an Technik.

1978 gab es ein schwereres Erdbeben in der Präfektur Miyagi (rund um Sendai) – dabei kamen 28 Menschen ums Leben, und mehr als 7,400 Gebäude wurden teils oder völlig beschädigt. Die Politik reagierte und änderte die Baurichtlinien. Die alte Richtlinie stammte aus den 1950ern und besagte, dass neue Gebäude einem mittleren Erdbeben, „wie es in etwa alle 50 Jahre vorkommt“, standhalten sollte. Die neue Richtlinie hiess 新耐震基準 Shintaishin Kijun (neuer Standard zum erdbebenfesten (Bauen)) und trat am 1. Juni 1981 in Kraft. Dieses Datum, im Japanischen Kalendar entspricht dies Showa 56, ist für all jene, die in Japan wohnen wollen, sehr relevant: Gebäude/Wohnhäuser aus der Zeit vor der neuen Richtlinie sind nämlich in aller Regel stark erdbebengefährdet und sollten deshalb lieber gemieden werden (natürlich sind die Mietpreise entsprechend niedriger).

Die Beschreibung der Erdbebenfestigkeit kann etwas verwirrend sein, denn generell spricht man von 耐震 taishin, zusammengesetzt aus tai (widerstehen) und shin (schütteln, vibrieren), doch da gibt es verschiedene Kategorien und Arten. Dem Gesetz nach gibt es drei Kategorien für erdbebenfestes Bauen – Kategorie 1 (für Wohnhäuser zum Beispiel), Kategorie 2 (für Schulen zum Beispiel, da diese gleichzeitig als Evakuierungszentren benutzt werden) und Kategorie 3, zum Beispiel für Krankenhäuser. Bautechnisch gesehen kommen jedoch auch noch andere Begriffe ins Spiel1:

Vermindern
免震 menshin

Das Gebäude ist nicht direkt im Boden verankert, sondern steht auf einer Wanne oder auf einem Sockel – und wird durch jenen zum Beispiel durch riesige Gummimatten getrennt. Aufgrund der Trägheit werden die Erdbebenwellen so nicht einfach weitergeleitet, sondern stark abgeschwächt – die Schwingungen werden regelrecht absorbiert. Erdbeben merkt man trotzdem im Gebäude – man hat das Gefühl, das Haus schwimmt.

Abmildern
制震 seishin

Hier ist das Gebäude im Untergrund verankert, aber man benutzt diverse Systeme (zum Beispiel spezielle Verstrebungen im Inneren, oder aber Wasserbecken auf dem Dach, computergesteuerte Schlitten mit Gewichten auf dem Dach usw.) oder riesige Stahlfedern in den Wänden, um nur einige zu nennen, um eine Amplifikation der Erdbebenwellen zu vermeiden. Mit anderen Worten – es wackelt zwar, aber nicht ganz so stark.

Standhalten
耐震 taishin

Hier wird das Bauwerk tief im Boden verankert und so konzipiert, dass es einem Erdbeben standhält – mehr aber auch nicht. Je höher die Etage, desto heftiger schüttelt es bei einem Erdbeben.

Welche Form nun bei dem Nachbargebäude angewendet wird, ist noch nicht ersichtlich. Zuerst wurde der Untergrund mittels kleinerer Bohrungen erkundet – danach wurde ein Teil des Erdreiches ersetzt. Hernach bohrte man mehr als einen Meter breite und rund 10 Meter tiefe Löcher in den Boden, die dann mit Spezialbeton aufgefüllt wurden. Dabei wurden auch Kerne mit Stahlstreben eingelassen. Jetzt bleibt abzuwarten, was als nächstes passiert, doch bei einem Bau von der Höhe setzt man meistens auf „seishin“, da die „menshin“-Kategorie sehr kostspielig ist.

Faszinierend an dem Bau ist dabei die Enge: Der Abstand zu den Nachbargebäuden, auf beiden Seiten mehr als 10 Stockwerke gross, beträgt lediglich rund 50 cm, und so müssen die schweren Maschinen auf engstem Raum operieren. Das sieht kompliziert aus und erfordert Millimeterarbeit – aber daran sind die Baufirmen in Japan gewohnt.

Erdbebensicheres Bauen auf engstem Raum: Keine Seltenheit in japanischen Städten
Erdbebensicheres Bauen auf engstem Raum: Keine Seltenheit in japanischen Städten
  1. Illustrationen von www.homes.co.jp.
tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

4 Kommentare

  1. Hi, beobachte doch mal wie das Gebäude isoliert wird und mit welcher Heizung Wärme erzeugt wird. Solar? Dazu wäre ein Artikel sehr interessant! Schöne Grüsse Jack

    • Wie jetzt, Isolierung? Es gibt doch starke Klimaanlagen :) Ich bin allerdings in der Tat an dem Teil interessiert. Solar wird es wohl kaum werden, da die Grundstückfläche sehr klein ist. Außerdem steht es im Schatten eines größeren Hauses.

  2. Hallo ihr zwei, bei der Isolierung Tipp ich auf einen Sprühschaum Isolierung. Der von innen an der Betonwand und Decke im gesamten Haus aufgetragen wird. Dann kommt mit etwas Abstand Gipskatonplatten 12 mm. Auf der Baustelle wo ich gerade Arbeite wurde dieses Verfahren angewendet. Solaranlage gibt es nicht da für ist das Dach begrünt. Und mit Riesen Wärmetauschern bebaut.

  3. Bei unserem Haus, 2.5 Etagen wurden Loecher mit einem Durchmesser von 100cm gebohrt, bis auf Stein / Fels gestossen wurde. Tiefe zwischen 4.5 und 6.5 Metern. dann wurde Beton eingefuellt und das soll angeblich halbwegs sicher sein im Falle von Erdbeben.. Wir werden sehen (oder doch lieber nicht!!).

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