BlogDie Räuber von der Tankstelle

Die Räuber von der Tankstelle

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Drei Jahre ist es nun her. Der Führerschein war noch warm, und das Auto gerade erst  gekauft. Ein Gebrauchter war das, denn wer weiss schon, was man als Fahranfänger so für Sachen baut. Über Weihnachten sollte es auf die erste längere Fahrt geht – nicht sehr lang, aber 200 Kilometer Autobahn lagen auf dem Weg. Die Unterkunft war gebucht, und die Kinder bereits aufgeregt. Urlaub! Am Abend davor ging es noch mal zur Tankstelle. Ein mal vollmachen, und können Sie eventuell noch etwas Luft auf die Reifen packen, wegen Autobahn und so? Klar doch! Keine Minute später zog der Tankstellenscherge eine bestürzte Miene. “Sie. Wollen. Mit. Dem. Auf. Die. Autobahn!!!!????” Ja, eigentlich schon! Wieso? Was folgte war eine lange Begutachtung und eine noch längere Schwadronade über den Zustand der Reifen. Dass es ein Wunder sei, dass die überhaupt noch Luft halten. Und die Risse, sehen sie die Risse? Ein kurzer Blick auf die Fahrzeugpapiere sorgte dann für Gewissheit: Der Vorbesitzer, der das Auto sechs Jahre lang gefahren hat, ist zwar nur gute 20’000 Kilometer damit gefahren. Aber die Reifen waren noch original. Sprich, Profil hatten sie noch, aber sie waren bereits ordentlich verwittert. 

In eindrucksvollen Bildern wurde geschildert, was mit den Reifen passieren wird, bei voller Fahrt, und das er, der junge Spund, so er denn eigene Kinder hätte, niemals die Verantwortung dafür tragen könnte, mit DIESEN Reifen auch nur einen Kilometer Autobahn zu fahren. Oh je. Was tun? Nun, zu einer Werkstatt zu fahren wäre bereits zu spät, zumal die Neujahrsferien um die Ecke lagen und die Werkstätten entsprechend ausgelastet seien. Aber, glücklicherweise bietet ja auch die Tankstelle Reifenwechsel an, und wenn man jetzt Reifen ordern würde, wären sie in einer Stunde da. Das wären dann gute 80,000 Yen, plus Mehrwertsteuer. 

Ich saß in der Falle. Nach allem, was ich in der Fahrschule gerlernt hatte, waren 6, 7 Jahre wirklich viel. Und auf einen platzenden Reifen bei der Jungfernfahrt auf der Tokyoter Stadtautobahn, mit Kindern im Fond, hatte ich keine Lust. Und wenn es jemanden auf der Welt gibt, der äußerst ungern eine Reise verschiebt, dann bin ich das. Der Tankstellenscherge war nun richtig in Fahrt. Soll ich auch gleich mal nach dem Öl schauen? Und dem Zustand der Klimaanlage? Und überhaupt? Zwei Stunden später hatte der Wagen neue Reifen, frisches Öl und diverse andere neue Flüssigkeiten, und ich war 120’000 Yen (rund 1’000 Euro) ärmer. Aber immerhin hatte ich ein ruhiges Gewissen.

Seitdem waren die Jungs immer sehr freundlich. Sollen wir mal den Reifendruck messen? Wo soll’s denn hingehen? Wann haben Sie das letzte Mal Öl gewechselt? So weit so gut. Vor zwei Wochen machte jedoch meine Frau den Fehler, zu eben jener Tankstelle zu fahren. Sollen wir Luft raufmachen? Warum nicht. Kostet ja nichts. Und schon begann das gleiche Schauspiel. “Oh oh!” “Wie jetzt, oh oh?” ”Der vordere linke Reifen hat 2.3 – der vordere rechte aber nur 1.5! Das ist gar nicht gut! Damit würde ich auf keinen Fall mehr fahren! Und der Vortrag begann. Sehen Sie die Risse hier? Und diese Reifen sind ja nun auch schon drei Jahre alt. Was da alles passieren kann! Da sollten Sie schleunigst die Reifen wechseln! Wie wär’s?” 

Die Leute von der Tankstelle kennen mich, mein Auto und natürlich auch meine Frau. Und sie witterten das Geschäft, ganz klar. Meine Frau machte das, was sie in solchen Fällen instinktiv macht: Sie sagt “das muss mein Mann entscheiden, da kann ich jetzt nicht ja sagen”. Schlagfertig meinte der Angestellte dann: “Dann lassen Sie doch das Auto einfach hier stehen, und sprechen erst mit Ihrem Mann”. Meine Frau entschied jedoch, dass man lieber nicht im Netz der Spinne bleibt, und sagte, dass sie erstmal mit dem Wagen nach Hause fahren werde. Der Angestellte war entsetzt: Also das sollen Sie bei den Reifen lieber nicht tun! Wie durch ein Wunder schaffte es meine Frau dann doch, unversehrt die 200 Meter zurückzulegen – hatte aber verständlicherweise Angst davor, die Kinder mit dem Auto zu ihren üblichen Orten zu fahren.

Akt 1 an besagter Tankstelle war schon etwas anrüchig – ganz offensichtlich sind die Angestellten in Sachen upselling sehr geschult. Dass die Reifen allerdings nach weniger als 3 Jahren (in denen ich auch noch zwischen Allwetter- und Sommerreifen wechselte) runter sein sollten, leuchtete mir nicht ganz ein. Also ging es am Wochenende zu Yellow Hat, einer bekannten Werkstattkette. Die prüfen kostenlos Reifen, und das taten sie auch. Resultat: Auch ein paar Tage nach der Tankstelle war der Luftdruck auf beiden vorderen Reifen gleich, und der Mechaniker sagte: Die sind doch noch voll gut! Messen Sie vorsichtshalber in den nächsten zwei Wochen mal den Druck, aber wir können nichts finden. Gesagt, getan. Um das nicht mehr an der Tankstelle machen zu müssen, kaufte ich auch gleich eine Pumpe. Und siehe da: Ein paar hundert Kilometer und gute zwei Wochen später ist der Luftdruck auf allen Reifen unverändert.

Fazit: Die Jungs von der Tankstelle sind nicht nur sehr geschäftstüchtig, sie scheuen auch nicht davor, einfach zu lügen. So man ihnen beim Druckmessen nicht über die Schulter schaut, kann man da sehr schnell über’s Ohr gehauen werden. Bei einer kleinen Tankstelle konnte ich mir das schon vorstellen – nicht aber bei ENEOS, eine der größten Tankstellenketten in Japan. Dass die solche Geschäftspraktiken zulassen (oder gar fordern) ist einfach mal kurzsichtig. 

Man kann das ganze natürlich auch gelassen sehen: Fakt ist, dass die Tankstellen praktisch sind – und schnell. Aber wer will sich schon gern belügen lassen.

Vorsicht ist auch bei Tankstellen geboten, die nicht “Self Service” sind – man muss bei solchen nicht aussteigen, um zu tanken. Normalerweise steht bei diesen Tankstellen kein Spritpreis dran – man bezahlt dementsprechend in der Regel wesentlich mehr für den Sprit.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

2 Kommentare

  1. Also 80000 Yen halte ich schon für teuer. Zugegeben, das letzte mal, Das ich Reifen kaufte (ohne Felgen) war 2016. Firestone Winterreifen 155 R14, ein Kleinwagen. 231 Euro inkl Montage – und das war bei einem Vertragshändler…

  2. Hi Mattihas, Augen auf beim Eierkauf! Die Tanken in Jp. haben oft Pächter und der Konzern dahinter wird es sicher nicht gut heißen wenn sie die Kunden so über den Tisch zeihen. Ich geh mal davon aus das du die Grünen Pfeile auch am Auto hattest. „Gefundenes Fressen“ Kein Fall von Kunde – König ich würde an deiner und auch deiner Frau keinen Yen mehr bei dieser Tankstelle lasen gibt sicher noch andere Tankstellen in eurer Umgebung. Ich Kauf meine Reifen immer im Netz und lass sie dann von der Tankstelle aufziehen und die alten Reifen entsorgen. Räderwechsel mach ich selber, Wagenheber, Radkreuz und Drehmoment Schlüssen dreißig Minuten später ist alles fertig.

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