BlogDDR? BRD? JAPAN? ... Zeitreise

DDR? BRD? JAPAN? … Zeitreise

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So es meine Zeit zulässt, versuche ich momentan, jeden Abend 15 Minuten Vergangenheit Revue passieren zu lassen – dank der Tatsache, dass die ARD momentan unter dem Titel Wendeherbst jeden Tag die Tagesschau von vor genau 20 Jahren zeigt. Ein Dankeschön dafür an die ARD. Im Herzen zahle ich immer noch GEZ…
Im Herbst 1989 war ich gerade mal 15 Jahre alt und lebte in einem kleinen Schloss in einem noch kleineren Kaff im Hohen Fläming. Jaja, klingt wie ein Märchen, war aber wirklich so – im Schloss war eine Sprachschule mit unaussprechlich langem Namen untergebracht. Meine Heimatstadt lag beinahe „gegenüber“ von dem weissen Flecken da mitten in der DDR, in Atlanten profan mit Westberlin betitelt. Will heissen, so ca. jedes zweite Wochenende fuhr ich mit der Bahn immer schön an der Grenze entlang.
Als 15-jähriger, bis dato ohne Werbung aber mit viel Propaganda aufgewachsen, war man freilich ein kleines bisschen irritiert, denn – zumindest ich – kannte die Stasi bis dato nicht und hatte so meine Bedenken gegenüber einem System, das Arbeits- wie Obdachlose hervorbringen kann. Aber die Zeit war aufregend, und jeder wollte wissen, wie es weiter geht. So richtig Angst vor der Zukunft – so ich mich recht erinnere – hatte dabei keiner. Und so sassen alle wie gebannt vor dem Fernseher und schauten Elf-99, die damalige, plötzlich sehr „peppige“ (sic) Fernsehsendung für Heranwachsende. Westfernsehen war ja dort, zumindest tagsüber, verboten.
Nun, in solchen Erinnerungen kann man natürlich schwelgen, wenn man die damaligen Nachrichten sieht. Bis zum Höhepunkt des Ganzen sind es auch nur noch wenige Tage. Und natürlich betrachtet man viele Dinge aus der Retrospektive alles ein bisschen anders.
Natürlich will ich diesen Artikel nicht ohne Japanbezug enden lassen. Die meisten Japaner (aber auch Engländer, Amerikaner – eigentlich alle) sind nachwievor an der genauen Herkunft interessiert. Ich sage meist, „bei Berlin“, da die meisten Ausländer – und Deutsche – meine Heimatstadt sowieso nicht kennen (mit Ausnahme einer Irin, die ich mal auf einer Fahrt in einem alten Kutter entlang des Mekhongs in Laos traf – sie hatte nämlich genau dort jahrelang in einem Pub gearbeitet). In der Regel wird – meist vorsichtig – weitergebohrt: West? Ost?
Häufig höre ich daraufhin die Frage oder den Kommentar, ob bzw. das es interessant sein muss, zwei so verschiedene Systeme zu kennen. Ich antworte dabei gern (und sehr, sehr subjektiv, bevor mich jetzt Politologen und Soziologen auseinanderreissen), dass es zumindest hilft, beide Systeme zu kennen, wenn man in Japan lebt: Irgendwo ist Japan mit der sehr stark ins Getriebe eingreifenden Politik eine Mischform. Mit dieser Aussage lehne ich mich freilich mal wieder sehr stark aus dem Fenster – dies soll kein Vergleich zwischen den Rechtssystemen, staatlichen Organen usw. sein. Ein bisschen beginnt der Vergleich auch zu hinken, da ja die ewig regierende Partei hier just abgewählt wurde.
Das Wort des Tages: 思い出 omoide – die Erinnerung.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

12 Kommentare

  1. Ah! Elf99! Auch gern gesehen! Aber in der unmittelbaren Umgebung von Berlin (West) kein entsprechendes Fernsehen gehabt?

    Seinerzeit habe ich meine Zeit im Lehrlingswohnheim verbracht. In der Rückschau die beste Zeit während des Heranwachsens. Einen ähnlichen Zusammenhalt in einer Gruppe habe weder zuvor noch später wieder erlebt. Ansonsten war es recht spannend den Umbruch in nicht weiter Entfernung des „Klassenfeindes“ zu erleben.

    Aber wie kann denn die zweitgrößte Wirtschaftsnation als Zwischending verstanden werden? Aus der Ferne erlebt man Japan eher als fundamentales (sorry für diesen Ausdruck) kapitalistisches Land. Viel Arbeit, wenig Freizeit, großer Leistungsdruck. Wo findet sich eine soziale Komponente? Oder meintest du die katastrophale finanzielle Lage der DDR?

  2. Mich würde auch interessieren, welche „sehr stark ins Getriebe eingreifende Politik“ du meinst. Auch ich hatte bisher immer das Gefühl, dass man Japan hier als stark kapitalistisches Land ansieht.

  3. @Terry, Stefan
    Ich meine unter anderem das MITI
    http://de.wikipedia.org/wiki/MITI
    , welches nun zwar im Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie aufgegangen ist, aber prinzipiell funktioniert: Es greift relativ stark in die Industrie ein, um die einheimische Industrie zu stärken und den Binnenmarkt zu schützen.
    Ich meine damit auch Sachen wie starken Protektionismus (z.B. in Sachen Importpolitik, Landwirtschaft). Aber auch das ständige Bestreben in Politik und Gesellschaft, alles, aber auch so ziemlich wirklich alles irgendwie zu regulieren und zu massregeln, wenn jemand aus der Reihe tanzt.
    Wie gesagt – der Vergleich hinkt. Japanischer Kapitalismus bzw. der Wettbewerb erscheinen härter als in Deutschland, aber dahinter steckt doch ziemlich viel Kontrolle. Ich muss an der Stelle allerdings aufpassen, nicht zu stark zu verallgemeinern – das ganze ist ein ziemlich kompliziertes Thema.

  4. ah leidiges Thema in diesen Tagen ;)

    Ich hab zum Thema eigentlich recht viel zu Sagen, insbesondere zu den Beziehungen Japan-DDR, die dicker waren als Japan-BRD. Auch wenn ich zum Zeitpunkt des Mauerfalls drei Jahre alt war, und Deutschland sowie meine Heimatstadt Berlin in den Folgejahren immer eins waren für mich.

    Mein Vater war eine zeitlang Chefredakteur der jungen Welt und leitet nun einen Verlag, der größtenteils Bücher über die DDR Vergangenheit bringt. Daher sind die ganzen DDR Politgrößen mir auch nicht unbekannt, einige sind auch durchs Verlagsgebäude gelaufen.

    Als ich nun nach Japan bin, hat mein Vater all diese Japan-DDR Kontakte aktiviert, um ein paar Verbindungen zu knüpfen. Die Verbindungen existierten interessanterweise noch, selbst 20 Jahre nach dem Untergang der DDR.
    So traf ich zum Beispiel den japanisch-deutschen Verein in Chiba, von denen einige Mitglieder mit der DDR starke Wirtschaftsbeziehungen hatten (und einige dadurch stinkreich wurden ;) ). Die erzählten mir dann vom DDR-Japan-Wirtschaftsgipfel, der im November 1989 stattfand. Die deutschen Vertreter haben hier im Fernsehen gesehen, dass die Mauer geöffnet wird, und waren sich nicht mehr sicher, ob die DDR noch existiert, wenn sie zurückkehren.

    Der ehemalige Aussenminister der DDR Hans Modrow war einer der ersten, der in den 60er Jahren Kontakt mit Japan aufnahm, wodurch sich langjährige und persönliche Freundschaften entwickelten. Er bekam vom Tenno sogar eine Ehrenwürde, glaub die höchste, die mal als Ausländer bekommen kann.

    Er hatte das alles in nem Buch beschrieben, dass bei meinem Vater erschienen ist (allerdings nur in einem Kapitel). Sehr interessant zu lesen. Vorallem wie die japanische Seite Modrow behandelte, selbst nachdem er seine politischen Ämter verloren hatte. Er wurde trotzdem nach Japan eingeladen und respektvoll empfangen.

    (Im Buch geht es auch darum, wie „respektlos“ die BRD Botschafter doch waren, doch ich glaube, das sind nur bestimmte post-sozialistische Spitzen gegen den ehemaligen Klassenfeind ;) )

  5. Hilfeeeee
    ich bin von Kindern umgeben!
    Man ich bin siet den 70er regelmässig via Marienborn in „die Zone“ um Verwandte in Potsdam zu besuchen.
    Dank Zwangsumtausch immer mit tierisch viel neuer Wäsche nach Hause und ich mit coolen neuen Plastikmodellen (oder Holzmodelle) von russischen Helikoptern und Jägern, da gab es sowas von Revell noch nicht so dolle.
    Dann wurde auch immer ne menge in Grillbratwurst investiert für 90 (Ost)Pfennige und dazu Brause vom Fass oder Glub Gola (wenn nicht ausverkauft im Sommer!)

    Aber bezüglich Japan, ich weiss nicht wieso aber ich habe oft so ein komisch Gefühl bei dem ich an meinen Besuchen in Potsdam erinnert werde, Gerüche Ladenausstattung oder sie es was anderes, irgendwie gibt es ab und zu so komische Remineszenzen.
    Letztens ne Seife gerochen, die mich sehr an die meiner von meiner Tante im Osten erinnerte.

    Und der Preisabgleich ist in Japan fast VEB verdächtig. manche Sachen kosten aber wirklich Japanweit gleich.

  6. @Terry

    Hast du schon mal längere Zeit in Japan irgendwo in tieferer Provinz gelebt? Ich will nicht sagen das ist wie DDR aber der Chime, Rathausdurchsagen über öffentlichen Lautsprecher und die kommunelle Aktivität bzw der Zusammenhalt (sprich der Zwang sich einzuordenen oder abgeurteilt zu werden)erinnert mich schon sehr stark an diverse Kindheitserlebnisswe in Ostberlin.

    Zum Thema. Ich selbst war gerade eingeschult und zum Teil der letzten DDR Jungpioniere geworden. Dementsprechend beschränkt sich meine Sicht auf Reaktion der Familie und plötzliche Veränderung im Schulalltag. Ich hab mir oft schon mal im stillen gedacht, dass ich mich gut in Japan zurechtfinde hat schon damit zu tun, dass ich in einer „sozialen Gruppengesellschaft“ gross geworden bin.Zum Glück bin ich mit dem Gedanken offenbar nicht ganz allein.

  7. @Saitama Lilie (schöner Name)

    Nein, hat er nicht :-)
    Muss das mal so frech parieren, weil ich Terry seit langer Zeit persönlich kenne.
    Du hast allerdings recht: Es sind solche Kleinigkeiten wie besagte Lautsprecherdurchsagen, die einem irgendwie vertraut vorkommen. Vielleicht sollte ich mir selbst wirklich mal Notizen machen, wann und wo man diesbezüglich an jene Zeit erinnert wird.

  8. Kleines PS. Und danke fürs Kompliment, kicher.

    Michaels comment erinnert mich. Gerüche haben mich auch schon erwischt. Das alte Linolium im örtlichen Tante Emma Laden und so. Ausserdem morgendlicher Gruppenfrühsport. Ich hab des öfteren bei freiwilligen Aktionen mitgemacht, da hat man auch mal ein Wochenende in so einer Art Jugenddorf verbracht. Da trainieren junge Baseballer oder Pfadfinder etc., und Umweltfreunde planen die nächste Müllsammelaktion. Und was machen alle gemeinsam?Unabhängig von Alter? Jeden Tag nach dem Lautsprecherweckruf um Punkt 7 – vor dem Frühstück – sammelt sich alles auf dem grossen Fahnenplatz und macht Streck und Reckübungen und singt ab und zu Kimi ga Yo. Und dann darf ein Vertreter jeder Gruppe nach vorne gehen ein Wort des Tages zur Gruppenarbeit liefern und/oder Hampelmänner vormachen.

  9. @Saitama Lilie und tabibito
    ja genau solche kleinen Details sind es!
    Nix wo man so deutlich sagen kann „das ist es“, eben nur so Kleinigkeiten welche die Erinnerung kitzeln.

    Und Mensch, ich war doch nur grob alle 2 Jahre für ca. 3 Wochen da ;-)
    Aber Geschichten habe ich erlebt, zum Glück meist der positiven „romantisch“ niedlichen Art.
    (Wie das mein Bruder nach 3 Wochen Potsdamer Kopfsteinpflaster, etliche Schrauben an seinem Scirocco nachziehen musste ;-) Qualität made by VW!)
    Aber so ein bis drei die eher nachdenklich machten.

    Das Problem war, ich bin immer mit einem Ost-Akzent wiedergekommen und auch heutzutage Fall ich darin zurück wenn jemand das in der Nähe tut.
    Am peinlichsten war das mit dem Sachsen im meiner Studentenbude der sich verarscht fühlte weil ich auf einmal sächselte… dem musste ich das erstmal länglich erklären das ich das unbewusst mache, weil er das vorlebte. (Und er sächselte echt nur ein kleines bisschen)

  10. interessant. Ich bin Wessi, wirklich tiefster Westen und mein Wissen über die DDR beschränkt sich auf das, was ich von Eltern und Verwandten hörte, die wiederum weiter Verwandtschaft „drüben“ manchmal besuchte.

    Ich hielt daher immer meinen Gedankengang „Das wirkt irgendwie schon so ein bisschen wie DDR, wenn die DDR so war, wie ich denke, daß sie war“ immer für den Gedankengang eines arroganten Wessis, wie ich das nunmal bin und entwickelte schon Selbsthass deswegen. Ich fühle mich jetzt quasi „befreit“.

    Aus meiner, sicherlich verstörten, sicher nicht realistischen, Sicht, kommt die Assoziation eher so aus der Richtung „wahlloses Aufstellen von Regeln“ und „Beschließen von Dingen aufgrund dieser Regeln, anstatt der tatsächlichen Anforderungen.“

    Also z.B., nur ein Beispiel, wenn die Uni/Firma etc. sagt: Die Klimaanlagen werden am XX.XXten eingeschaltet, weil dann der Winter anfängt. Leider kriegt der Winter das halt nicht immer so mit…

  11. Ich bin gerade sehr darüber begeistert, welch interessante Kommentare zum Thema DDR und Japan hier gepostet werden.

    Als die Berliner Mauer fiel war ich grade mal 11 Jahre alt. Weit entfernt vom Ort des Geschehens wurden wir in der Schule und auch von den Eltern über dieses Ereignis aufgeklärt. Aber die Emotionen fehlen natürlich.

    Umso mehr ist es für mich interessant, zu diesem Thema unterschiedliche Meinungen zu lesen. Noch spannender wird es, wenn (subjektiv) Parallelen zu anderen Gebieten – wie zB. Japan – gezogen werden. Sehr interessant sind auch die Ausführungen für das Leben in kleinen Landgemeinden. Da ich gerne 2010 Japan bereisen möchte, sind dies absolut tolle Hintergrund-Informationen. Ich sage mal Dankeschön :-)

  12. @Umij
    ich nehme an du warst nicht beim „Bund/Barras/Komiker in (Oliv)Grün“?
    Dann wüsstest du was „Sommer ist befohlen meine Herren!“
    bei minus 5 Grad Aussentemperatur bedeuten. ;)

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