BlogBeitrag #1000: Japanische Dialekte

Beitrag #1000: Japanische Dialekte

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​Neulich bin ich über einen interessanten Artikel gestolpert, der anhand von Karten darstellt, wo in Japan welche Begriffe für ein und die gleiche Sache benutzt werden. Die Idee ist nicht neu – in Deutschland gibt es ja zum Beispiel auch einen schönen Atlas der deutschen Sprache, der sich ausführlich und anschaulich mit dem Thema beschäftigt. Und für einen sprachinteressierten Geographen ist so etwas natürlich faszinierend.
Zwar leben in Japan fast nur Japaner, aber natürlich haben sich auch in Japan Dialekte herausgebildet. Wenn man Japanern erklärt, das es so etwas auch in Deutschland gibt, reagieren die meisten mit grösstem Erstaunen – allerdings nur aufgrund von purer Unwissenheit. Natürlich gibt es in Deutschland auch Dialekte. Selbst in den USA, obwohl das Englische dort vielerorts erst vor gut 300 Jahren wirklich Fuss fasste, gibt es ja schliesslich Dialekte. Und je abgeschiedener die Gegend, desto höher die Varianten.
Wer sich sagen wir mal über 20 Stunden ernsthaft mit Japan beschäftigt, stösst als erstes auf den berühmt-berüchtigten Kansai-Dialekt, gesprochen im Großraum Osaka und berüchtigt deshalb, weil man ihn am ehesten mit der (Rand)berliner Schnauze vergleichen kann. Die Schnoddrigkeit ist teilweise auch die Ursache dafür, dass die meisten japanischen Komiker aus der Gegend kommen und den Kansai-Dialekt sprechen – ob sie zu Hause sind oder in Tokyo leben, ist egal. Den Dialekt kann man nur schwer ablegen, und die meisten Kansai-Dialekt-Sprecher sind auch stolz darauf und denken gar nicht daran, Hochjapanisch zu sprechen. Manchmal verraten sich die Leute auch durch scheinbar unverfängliche Floskeln in Emails zum Beispiel: Schreibt jemand zum Beispiel die in andere Sprachen nur schwer übersetzbare, obligatorische Höflichkeitsfloskel „〜お世話になっております。“ (osewa ni natte orimasu – sinngemäss in etwa „Vielen Dank für Ihre stetige Unterstützung“ und setzt dem ganzen ein „毎度“ (maido = immer) davor, kann man recht sicher sein, dass der Verfasser ursprünglich aus Kansai stammt (in Tokyo schreibt man eher „いつも“ – das bedeutet auch „immer“).
Als nächstes werden die meisten auf den Tsugaru-Dialekt treffen – jener wird hoch im Norden der Insel Honshu gesprochen, und er verdient den Namen Dialekt wahrhaftig: Während man beim Kansai-Dialekt noch das meiste mitbekommt, ist man beim echten Tsugaru-Dialekt verloren. Viele Wörter sind völlig anders oder existieren so im Japanischen gar nicht (zum Beispiel „azumashii“ – das bedeutet in etwa „gemütlich“ und kann nicht 1:1 ins Japanische übertragen werden), und die Intonation ist auch anders als im Standardjapanisch. Das gilt auch für die meisten anderen Tohoku-Dialekte (Tohoku ist der Nordosten Japans, ohne Hokkaido wohlgemerkt, das aufgrund der jungen Besiedlungsgeschichte relativ dialektfrei ist).
Auch im Süden geht es dialektmässig hoch her – auf Okinawa zum Beispiel, das ja bis ins 19. Jahrhundert hinein nicht einmal zu Japan gehörte. Auf jeder Insel entwickelte sich so ein eigener Dialekt. Und damit das ganze auch noch richtig Spass macht, wirft man auch noch das eine oder andere Schriftzeichen mit rein, damit es auch niemand lesen kann. Auf die Idee, das man 美ら海 als „Churaumi“ lesen muss, kann man auch mit noch so umfangreichen Schriftzeichenwissen einfach nicht kommen (immerhin stimmt aber die Bedeutung: schönes Meer).
Es sind jedoch nicht nur die einfachen Wörter oder die Betonung, die oftmals die Herkunft des Sprechers verraten. Auch die Endungen, meist nur eine oder zwei Silben, sind von Gegend zu Gegend verschieden. Manchmal bedeuten die Silben dann auch etwas völlig anderes, und das verwirrt natürlich.

Verbreitung der Partikel "da", "ya" und "ja" in Japan (Quelle: Wikipedia)
Verbreitung der Partikel „da“, „ya“ und „ja“ in Japan (Quelle: Wikipedia)

Am oben verlinkten Artikel ist die Wahl der Wörter interessant. Eines der 5 untersuchten Wörter ist „Pflaster“, und da ist es schon seltsam, wie sich in den verschiedenen Gegenden so unterschiedliche Wörter festgesetzt haben. Auch das Wort, dass man benutzt, um Unwohlsein auszudrücken, ist interessant. So benutzt man im Norden das Wort „こわい“ (kowai), das eigentlich „furchtbar“ bedeutet – in der Mitte hingegen „えらい“ (erai), was eigentlich „klug“ oder „fleissig“ bedeutet. Die verschiedenen Begriffe für „Gerstenkorn“ (die Entzündung im Auge) sind auch witzig: So bezeichnet man dieses eigentlich „monomorai“ genannte Gerstenkorn in Kumamoto als Ohime-san (Prinzesschen) oder in Saga als „おきゃくさん“ (Gast).
Was in Japan auffällt, ist die Tatsache, dass man sich kaum über die Dialekte anderer lustig macht – in Deutschland immerhin beinahe so etwas wie ein Volkssport. Aber der Humor ist eben ein anderer.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

9 Kommentare

  1. „Was in Japan auffällt, ist die Tatsache, dass man sich kaum über die Dialekte anderer lustig macht “
    Haha, da hab ich aber andere Erfahrungen gemacht als ich bei Freunden in Nagoya zum ersten Mal meinen geliebten Hamamatsu-ben ausprobiert habe. Kann aber auch an meiner vermurksten Aussprache gelegen haben…

  2. @Tdk Ich war dort Austauschstudent, ist schon einige Jahre her. Hab aber viele schöne Erinnerungen an die Stadt, und vor allem die Leute waren wahnsinnig gastfreundlich und herzlich für japanische Verhältnisse. Jedenfalls kamen mir persönlich die Leute in den größeren Städten immer sehr viel zurückhaltender vor.
    Die Hamamatsu’schen Unagi Snacks vermisse ich sehr, ach…

  3. Ich LIEBE Dialekte! Nicht nur im Japanischen! (*__*)b
    Habe jahrelang in der „roten“ Gegend gelebt, bin dann in die gelbe Gegend gezogen. Viele Sachen überschneiden sich sprachlich, aber gegen Ende hatte ich schon einen starken Kansai-Dialekt drauf.
    Dazu muss man sagen, dass es viele verschiedene Unterarten des Kansai-Dialekts gibt. Der Kyoto-Dialekt klingt z.B. eher edel im Vergleich zu dem in Hyogo oder Osaka.
    Ich kam eher aus der „barbarischen Ecke“. ;)
    Da ich beruflich jetzt viel Keigo verwenden muss und auch hauptsächlich mit Firmen in Kanto zu tun hab, habe ich mir aber auch zum großen Teil (LEIDER) den Dialekt wieder abgewöhnt. … T_T ….
    P.S.: Und Gratulation zum 1000. Beitrag!
    Das werde ich mit meinem Blog nicht mehr hinbekommen, aber habe gesehen, dass ich mittlerweile wenigstens in meinem LJ über 1000 Beiträge habe. *g*

  4. Google Übersetzer konnte das Wort tatsächlich mit Churaumi übersetzen. Es lebe die Technik!

    Mich würde zudem interessieren, ob es auch tonale Unterschiede, also in der Sprachmelodie gibt und nicht nur in der Wortwahl.

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