BlogAltenpflege auf Japanisch oder: Wo das Chaos brütet

Altenpflege auf Japanisch oder: Wo das Chaos brütet

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In diesem Monat trat ein neues Gesetz in Kraft, das man in etwa mit „Gesundheitskostensystem für Langlebige“ übersetzen kann. Kurz ausgedrückt bedeutet dies, das neue Krankenversicherungsausweise gelten und ein Teil der Behandlungskosten (bis zu 10%) direkt von der ohnehin schon kargen Rente abgezogen werden. Dies gilt für alle über 75-jährige.
Japaner haben bekanntermassen die höchste Lebenserwartung in der Welt, und immer weniger Lust, sich anständig zu vermehren. Sprich, Japan’s Gesellschaft altert rapide. Klingt vertraut? Genau, das gleiche Problem wie in vielen europäischen Ländern. Mit den gleichen Konsequenzen: Steigende Ausgaben für das Gesundheitswesen, immer weniger aktive Beitragszahler usw.
Mit dem neuen Gesetz sollen die Kosten etwas gedämmt werden. Wäre ich sarkastisch veranlagt, würde ich sogar behaupten, mit dem neuen Gesetz soll die allgemeine Lebenserhaltung etwas gesenkt werden, denn Arztkosten sind auch hier sehr teuer. Wer sowieso schon kaum Rente bezieht, wird es sich also mehrmals überlegen müssen, ob er zum Arzt geht.
Hinzu kommt die übliche Schlamperei: Zehntausende Rentner erhielten ihre neuen Ausweise nicht – verzogen, Namen geändert, ausversehen den Ausweis weggeworfen usw. Und Schluderei bei den Datensätzen hat man auch mal wieder zu vermelden: die Rente nach Abzug der Kosten wurde in tausenden Fällen falsch berechnet: Allein in Tokyo irrte man in 2,222 Fällen – die sich auf ca. 40 Millionen Yen addierten – also ca. 122 Euro pro Person im Durchschnitt. Keine Riesenmenge, in der Tat, aber ein Beitrag, der den meisten bereits weh tut.
Schauen wir mal, wie sich die Lebenserwartung weiter entwickelt. Die der Verantwortlichen für diese mal wieder eindrucksvolle Pannenserie könnte jedenfalls zur Senkung beitragen…
Das Wort des Tages: 長寿医療制度 chōju iryō seido – „Langlebikeit“ – „Heilung“ – System. Oben erwähntes System, wonach Hochbetagte mehr zahlen sollen.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

6 Kommentare

  1. Dein Urteil halte ich nun doch etwas zu hart. Ein Selbstbehalt bei Behandlungskosten ist nicht wirklich schlecht. Gemäss Ausage meiner Frau gehen im hohen Alter viele Japaner aus purer langweile zum Arzt. Bei einem Selbstbehalt überlegt man es sich schon zweimal, ob man wirklich zum Arzt gehen sollte. Der Selbstbehalt sollte sich natürlich dem Einkommen anpassen.

    PS: im Wartezimmer eines Arztes. 4 alte Damen sitzen so da. Fragt plötzlich die eine; sag mal, wo ist eigentlich Frau Sato? worauf jemand anders antwortet: Frau Sato? oh, die ist krank …

  2. HarrHarr!
    Nun, da ist sicherlich etwas dran. Ich kann mir allerdings gut vorstellen (bzw. weiss es), dass diese Regelung viele Härtefälle hervorbringen wird – gerade alte Leute brauchen oft teure Medikamente und regelmässige Behandlung – da macht es schon etwas aus, ob sie 100,000 Yen im Monat haben oder ebend nur 90,000.

  3. Deine Kommentare SIND tendenziell sarkastisch, daher komme ich so oft und gerne wieder !

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    Der Utopist sieht das Paradies – der Realist das Paradies plus Schlange.

    Friedrich Hebbel

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