BlogAbgeschminkt: Tokyu Railways verprellt Frauen in Tokyo

Abgeschminkt: Tokyu Railways verprellt Frauen in Tokyo

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Seit es Eisenbahnen in Japan gibt, versuchen sich die Eisenbahngesellschaften an der Erziehung ihrer Fahrgäste. Das ganze geschieht mal mehr, mal weniger provokant, und nach Meinung der meisten Tokyo-Besucher ziemlich erfolgreich, denn trotz der Menschenmengen sind die Leute vergleichsweise diszipliniert. Natürlich gibt es trotzdem Sachen, die den Leuten auf den Zeiger gehen – das ist kein Wunder bei den vollen Zügen. Darüber gibt es sogar richtige Ranglisten, zum Beispiel diese hier¹:

  1. Beim Ein- und Aussteigen die Türen blockieren
  2. Mehr als einen Sitzplatz vereinnahmen
  3. Seniorensitz nicht freimachen, wenn eine bedürftige Person kommt
  4. Kopfhöhrer benutzen, aus denen Musik nach aussen dringt
  5. Ohne Maske niesen oder husten
  6. Sich im Zug schminken
  7. Schweres Parfüm benutzen
  8. Obwohl es andere stört, am Handy herumspielen
  9. Mit Tasche auf dem Rücken einsteigen
  10. Obwohl es andere stört, Zeitungen oder Magazine lesen

Eine interessante Reihenfolge, bei der meine persönliche Nummer 1 fehlt – meist ältere Männer, ganz selten auch mal Frauen, die plötzlich austicken und einen Fahrgast aufs übelste Beschimpfen – davon gibt es hier ein schönes Video, und ich erlebe das im Schnitt ein Mal im Monat, irgendwo im selben Waggon.
Zur Zeit veranstaltet 東急電鉄 Tokyū Railways eine Kampagne gegen vermeintliche und echte Unsitten im Zug und auf den Bahnhöfen – auf YouTube und in den Eisenbahnwaggons selbst. Eine Folge verursachte nun einen Aufschrei unter den weiblichen Fahrgästen. Die Sprecherin beginnt die Belehrung mit den Worten, dass „die Frauen in der Grossstadt (都会 tokai) alle sehr schön seien, manchmal aber nicht so schön anzusehen sind“. Trotzdem sollen sich die Damen nicht im Zug schminken, denn das will niemand sehen. Das ganze kommt ziemlich aggressiv herüber. Von der unnötigen Betonung des Wortes „Grossstadt“ mal abgesehen, fragen sich viele Frauen – zu recht, finde ich – was das eigentlich soll, und ob das wirklich so schlimm ist, wenn sich jemand im Zug schminkt. Also mich stört es nicht. Im Gegenteil: Ich bewundere die Frauen manchmal, denn es wackelt auch in japanischen Zügen ordentlich, und es wundert mich immer wieder, dass die Damen beim Aussteigen um den Mund herum nicht aussehen wie Robert Smith von The Cure.

Man kann es mit den Belehrungen auch übertreiben. Verständlicher ist da allerdings das nächste Video – in dem geht es gegen Fahrgäste, die beim Herumlaufen an ihrem Handy herumspielen: „Wie in einer Fernsehserie sind wir aneinandergerempelt. Das war jedoch kein Schicksal, sondern ein Smartphone auf Beinen“. Das ist in der Tat wirklich nervend:

Und dennoch – nirgendwo in der Welt habe ich diszipliniertere Fahrgäste gesehen, vor allem wenn man bedenkt, wie voll die Züge hier tagtäglich sind und wie viel Stress das in Menschen verursachen kann.
abgeschminkt
¹ Siehe hier

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

2 Kommentare

  1. Frage zum Video:
    Hat sich der andere Fahrgast wegen dem Telefonieren beschwert? Bisher kenne ich solche Videos nur aus China. Meißtens Festlandchinesen.
    Btw. wie sollte sich ein Tourist verhalten, wenn er von so einer Person angegangen wird? Darf ein Tourist ihn zum Selbstschutz fixieren bzw. bei Gewaltanwendung niederschlagen oder sollte man sich eher zurückhalten und die Person einfach nicht beachten?

    • Ja, der junge Fahrgast (muss im Studentenalter sein) hat sich darüber beschwert, dass der Mann telefoniert.
      Als Tourist läuft man eigentlich kaum Gefahr, in solch eine Situation zu gelangen. Das ist quasi eine innerjapanische Angelegenheit. Ansonsten würde ich die universelle Regel anwenden und einfach Ruhe bewahren, falls möglich ignorieren, und wenn es zu bunt wird, aussteigen und (falls die Person folgt) zum Bahnhofspersonal gehen. Die kennen sich damit bestens aus…

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