BlogSo gut wie sicher: Japan erklärt erneut Ausnahmezustand

So gut wie sicher: Japan erklärt erneut Ausnahmezustand

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Es war ein langes Gezerre zwischen den Präfekturchefs von Tokyo, Chiba, Saitama und Kanagawa einerseits und der Regierung andererseits, doch seit heute nachmittag ist es so gut wie amtlich: Japan erklärt – mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit – erneut den Ausnahmezustand, erwartet wird, dass dieser am 9. Januar um Mitternacht, für die Dauer von einem Monat, in Kraft tritt. .

In den vergangenen Wochen gab es dazu erstaunliche Parallelen zu Deutschland. Was für die Deutschen das Weihnachtsfest, ist für die Japaner das Neujahrsfest. Die ersten drei Dezemberwochen wurden deshalb als absolut wichtig angesehen – würde man es schaffen, in dieser Zeit die Zahl der Neuinfektionen zu reduzieren, könnte man relativ unbeschwert die Neujahrsfeiertage verbringen. Das war jedoch nicht mehr als ein Denkanstoß – getan wurde nämlich absolut gar nichts, und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Zahlen unaufhörlich in die Höhe kletterten. Der Weckruf kam dann auch prompt am 30. Dezember: Während bis dahin die Höchstzahlen für die Zahl der Neuinfektionen in Tokyo bei 800+ lag, waren es plötzlich mehr als 1,300 Menschen. Dass die Zahl bald die Tausendermarke überschreiten dürfte, war klar – aber dieser Anstieg ist schon dramatisch. Seit dem 30. Dezember lag die Zahl nun stets wieder im dreistelligen Bereich, doch das liegt allein daran, dass ganz Japan zwischen dem 31. Dezember und dem 3. Januar quasi still steht, egal ob Corona wütet oder nicht. Sehr wahrscheinlich wird obiger Rekord in dieser Woche erneut übertrumpft.

Das Gezerre zwischen den Präfekturen und der Regierung wurde dabei in letzter Zeit immer unverständlicher. Koike, Governeurin von Tokyo, weigerte sich, kleinere Maßnahmen durchzusetzen und drängte die Regierung, den Ausnahmezustand auszurufen. Diese wiederum kritisierte mehrfach Koike, nichts unternommen zu haben.

Es ist der zweite Ausnahmezustand – der erste begann am 7. April 2020 (siehe hier), galt vorerst für 7 Präfekturen und Tokyo und sollte vorerst einen Monat lang dauern. Schließlich wurde er auf das ganze Land ausgeweitet und am 25. Mai, also zwei Wochen später als ursprünglich geplant, aufgehoben.

Der erneute Ausnahmezustand soll vorerst nur für Tokyo und die drei umliegenden Präfekturen gelten. Ausserdem sollen die Maßnahmen punktuell eingesetzt werden. In erster Linie will man dabei bei der Gastronomie ansetzen und diese dazu auffordern, die Läden spätestens um 8 Uhr abends zu schliessen. Schulen und Kitas sollen dieses Mal offen bleiben – ein ganz grosser Unterschied zum letzten Ausnahmezustand.

Bei einer Online-Umfrage mit rund 400,000 Beteiligten gaben 81% an, dass ein Ausnahmezustand nötig sei, nur 17% meinen, dass es auch ohne weitergehen kann¹.

Es sei noch mal darauf verwiesen, dass sich der (Corona-)Ausnahmezustand in Japan wesentlich von einem „Lockdown“ in Europa unterschiedet. Fast alle Maßnahmen sind freiwilliger Natur, und Verbote (oder Strafen) gibt es so gut wie keine.

Meiner Meinung nach, und damit stehe ich mit Sicherheit nicht allein, ist die, dass der sogenannte Ausnahmezustand viel zu spät kommt. Dass man die Schulen offen hält, halte ich für richtig, aber vor allem die Kneipen hätten – bei angemessener Entschädigung – viel früher begrenzt werden sollen. Da man sich in Japan während der Neujahrstage traditionsgemäß kaum bewegt – und die meisten Geschäfte und Restaurants auch geschlossen haben, sollten die Infektionszahlen zumindest stagnieren, doch das allein wird nicht reichen.

Es ist auch etwas seltsam. Als wir im März/April gelegentlich unser Mittagessen bei einem der grossen Udon-Restaurants gekauft haben, war kaum ein Gast im Restaurant – alle haben ihr Essen mit nach Hause genommen. Damals gab es weniger als 100 Neuinfektionen in Tokyo. Als ich am 30. Dezember mal wieder dort war – und wie in letzter Zeit üblich – vom Takeout Gebrauch machte, war das Restaurant voll mit Leuten. So gut wie keiner nahm sein Essen mit nach Hause. Die große Zustimmungsrate zum Ausnahmezustand einerseits und die Handlungen der Menschen andererseits sind da schon etwas verwunderlich.

¹Quelle: Siehe hier.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

10 Kommentare

  1. Wenn ich es richtig verstehe sollen die Impfungen in Japan erst im Februar beginnen, also viel später als in Europa und den USA. Was mich einmal interessieren würde: wie wird das in Japan gesehen? Gibt es da Unzufriedenheit oder gibt es irgendwelche nachvollziehbaren Gründen warum erst so spät gestartet wird?

    • In Japan steht man dem Impfstoff etwas skeptisch gegenüber – die meisten wollen wahrscheinlich erstmal sehen, wie er im Ausland so wirkt. Das wird dann gern mit Phrasen wie „der japanische Standard zur Genehmigung ist eben höher“ erklärt. Das kann sich allerdings schnell ändern – zum Beispiel wenn das Gesundheitswesen kollabiert oder der Impfstoff im Ausland hohe Wirkung erzielt.

  2. Ich bin ja kein Virologe und verfolge „nur“ was so an die Öffentlichkeit kommt, aber im Lichte der letzen Erkenntnisse (unter anderem aus GB) scheint es mir nicht so klug, ausgerechnet die Schulen ohne Einschränkung offen zu halten. Denn offenbar mehren sich Studien, die zeigen, daß Kinder sich genauso anstecken und das Virus in dei Familen tragen können wie Erwachsene.

    • Ich denke mal, dass die Infektionsraten dafür in Japan noch nicht hoch genug sind. Hier hat man festgestellt, dass rund 60% der Infektionen bei Kneipenbesuchen und/oder Essenstafeln beginnen, gefolgt von Clustern und Altenheimen usw. Von daher finde ich es ok, dass die Schulen vorerst offen bleiben.

  3. Da schliesse ich mich der Mietze an. Es ist unverständlich, dass Versammlungen in geschlossenen Räumen immer noch erlaubt sind, sei es Schulklassen oder Grossraumbüros.
    Was mich dazu noch wundert, wie stellt man sich das denn bitte mit den Spielen im Sommer vor? Glaubt man wirklich, dass man das schon irgendwie hinbekommen wird?

    • Man hält noch daran fest, ja. Aber die Kommentare vieler Japaner sind deutlich: Die meisten glauben nicht dran oder halten es für schlichtweg falsch. Solange im Frühjahr kein Wunder geschieht, sehe ich das auch eher als unrealistisch an.

  4. Naja, im Vergleich zu dem, was da bei euch passiert, kann ich hier nur müde lächeln. Heute wurden die Regeln nochmals verschärft und ich steh kurz vor dem Nervenzusammenbruch. Ich muss diesen Monat umziehen und hab schon 3 Mal alles umorganisieren müssen. Ich kann langsam nicht mehr ….
    Auf den Einzelnen wird überhaupt keine Rücksicht mehr genommen. Und trotzdem bleiben die Zahlen extrem hoch.
    Ich hab sogar Silvesterabend ganz alleine verbracht …..
    Und muss jetzt ein halbes Vermögen in die Hand nehmen, um den Umzug irgendwie zu stämmen, weil mir keiner mehr helfen darf ………………..
    Der Lockdown wurde nicht nur verlängert, sondern auch noch verschärft. Ich weiß nicht, wie lange die Leute, die bisher Verständnis gezeigt haben, das noch durchhalten.
    Mir reißt der Geduldsfaden, wenn es nicht mal Ausnahmen geben kann für sowas wie einen Umzug …..

    • Dir ist aber schon klar, dass die Maßnahmen dazu dienen Menschenleben zu retten und nicht dazu dir deinen Umzug zu erschweren…?
      Wie soll denn eine solche individuelle Ausnahme für Umzüge aussehen?
      Dass die Einschränkungen für jeden nervig sind und oft auch den Alltag deutlich erschweren, ist absolut nachvollziehbar. Da kann bestimmt jeder mehrere Beispiele nennen.
      Aber wir sollten uns immer wieder bewusst machen, dass wir alle durch die Einschränkungen Leben retten und den Ärzten und dem Pflegepersonal, welches schon lange über ihrem Limit arbeitet, die Chance geben die Patienten so gut es überhaupt noch geht zu versorgen. Und ich meine nicht nur die Coronapatienten, sondern alle.

  5. Was in Deutschland abgeht ist unglaublich – hätte ich das jemandem vor einem Jahr erzählt, wäre ich vor Ignotanz nur ausgelacht worden. Inzwischen darf man sich mit maximal einer weiteren Person gleichzeitig treffen und sich nur 15km von seinem Wohnsitz entfernen, quasi eine unsichtbare Fußfessel. Irgendwann reicht aus auch, und da geht Japan einen deutlich besseren Weg.

  6. Gut, dass Corona tagsüber Pause hat und sich erst abends in den Kneipen breitmacht!
    Heute auf dem Weg zur Arbeit (klar, muss ja sein) Spießrutenlauf um maskenlose Menschen in der Bahn gemacht. Kein Wunder, dass die Zahlen so ansteigen, wenn jeder denkt, er müsste sich nicht an die Regeln halten…

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