BlogVermisst Japan eigentlich die ganzen Touristen?

Vermisst Japan eigentlich die ganzen Touristen?

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Diese Frage tauchte neulich in einem Facebook-Forum auf, und angedenk der Tatsache, dass Japan auch unter deutschen Reisewütigen in den vergangenen Jahren enorm an Beliebtheit gewonnen hat, ist das durchaus eine interessante Frage. Quasi nach dem Motto: Beruht die Liebe auf Gegenseitigkeit? Als Anmerkung muss ich allerdings auch kurz die andere Seite erwähnen: Mir tun sicherlich all jene leid, die in diesem Jahr nach Japan reisen wollten, aber nicht konnten. Andererseits gibt es auch etliche Menschen wie mich, die in Japan (oder anderso im Ausland) leben, und das auch durchaus gerne, die aber dennoch nichts über einen gelegentlichen Besuch in der alten Heimat einzuwenden hätten. Das letzte Mal war ich 2017 in Deutschland, und da auch nur für 5 Tage – es wäre also mal wieder an der Zeit gewesen, aber aufgrund der Corona-Lage heisst es auch für unsereins: Geduld.

Inbound-Touristen Januar-August in den Jahren 2005, 2010, 2015, 2019, 2020. Offizielle Zahlen der JNTO.

Schaut man sich die ausländischen Besucher (=Inbound) an, dann muss man kein Mathematiker sein, um die Dramatik der Lage zu verstehen. Während 2005 im Schnitt gut 500,000 ausländische Besucher pro Monat nach Japan reisten, so waren es 2015 schon 1,5 Millionen und 2019 fast schon 3 Millionen. Die Zahl der ausländischen Touristen hat sich also in den vergangenen Jahren enorm erhöht, und zwar mehr, als es sich die japanischen Tourismusvertreter je zu träumen gewagt hätten. Im Jahr 2008 schrieb ich in diesem Artikel, dass erstmals 8 Millionen das Land besucht hätten – und das 10 Millionen für 2010 das Ziel seien. 2020, also zehn Jahre später, waren es geschlagene 32 Millionen Touristen (26 Millionen davon aus asiatischen Ländern). Sprich, Japan wurde in den letzten Jahren von Besuchern überrannt, mit all den dazu gehörenden, angenehmen und unangenehmen Folgen. Aus japanischer Sicht angenehm war natürlich der wirtschaftliche Aspekt und ein gewisser Stolz darauf, dass das Land so populär wurde. Zu den unangenehmen Folgen zählte, dass man als Einheimischer kaum noch Zugang zu beliebten Orten – und Restaurants – bekam. Selbst an weniger bedeutsamen Sehenswürdigkeiten wimmelte es plötzlich nur so von Ausländern.

Der Einbruch aufgrund der Corona-Krise war umso dramatischer. Die Zahl der Touristen sank seit März um gut 99.9%; von April bis Juni reisten jeweils weniger als 3,000 Menschen pro Monat ein (und die meisten von ihnen waren sicherlich keine Touristen, sondern Amtsträger und dergleichen). Hinzu kam der Ausnahmezustand von April bis Juni, mit der (wohlgemerkt unverbindlichen) Bitte, Präfekturgrenzen nicht zu überschreiten, woran sich die meisten Japaner auch hielten. Sprich: Für fremdenverkehrsrelevante Firmen und Geschäftsleute begann eine Saure-Gurken-Zeit, die bis heute anhält.

Doch zurück zur eigentlichen Frage: Vermisst Japan eigentlich die ganzen Touristen? Die in der Branche arbeitenden Menschen natürlich schon, aber der Rest vermisst sie momentan wahrscheinlich eher weniger. Da der massive Anstieg der Touristen erst kürzlich stattfand, ist es momentan eher eine Rückkehr zur Normalität – und die Gelegenheit, etwas zu Verschnaufen. Der Hauptgrund ist freilich jedoch Corona: Obwohl die Zahlen in Japan weit weniger dramatisch ausfallen als in Europa, von den USA ganz zu schweigen, beschäftigt das Virus die Menschen noch immer, und man ist sich berechtigterweise einig, dass das Unterbinden von Reisen einen erheblichen Einfluss auf den letztendlich bisher positiven Verlauf der Fallzahlen hatte und hat. Und das es, selbst wenn ein wirksamer Impfstoff gefunden wird, schnell wieder so wird wie es vorher war, glaubt natürlich auch niemand – sprich, eine plötzliche Öffnung der Landesgrenzen für Touristen wird es nicht geben. Es wird eher Schritt für Schritt vorangehen.

Leider muss man bei der Frage dabei auch nach Nationalitäten unterscheiden. Die Chancen stehen hoch, dass Touristen wieder reingelassen werden, wenn das Herkunftsland vergleichsweise coronasicher ist. Dazu zählt die Volksrepublik China, doch auch in Japan herrscht die vornehmliche Meinung, dass es China war, dass allen diese Suppe eingebrockt hat. Dementsprechend finden es die meisten Menschen unfair, dass chinesische Touristen wieder reisen dürfen, andere hingegen nicht. Deutsche Touristen hingegen wären durchaus willkommen, denn die meisten Japaner hatten schon immer eine gute Meinung über die Deutschen, und das Krisenmanagement der Bundesregierung unter Merkel gilt in Japan als gelungen, trotz wesentlich höherer Zahlen als in Japan. Darüber sollten nämlich keine Zweifel bestehen: Die meisten Japaner verfolgen ganz genau, welches Land wie und mit wieviel oder wie wenig Erfolg mit dem Virus umgeht.

Die andere, damit zusammenhängende Frage lautet: Wie wird man als Inlandstourist betrachtet? Seit Ausbruch des Virus war ich zwei Mal längere Zeit in Japan unterwegs: Ein Mal im Juli, auf Hokkaido, und in der vergangenen Woche, auf ein paar abgelegenen Inseln (die verwaltungstechnisch zu Tokyo gehören). Dabei war deutlich spürbar, dass weniger Menschen unterwegs sind. Auf einer der Fähren, die insgesamt über 500 Passagiere fassen, waren neben mir gerade mal 5 weitere Mitreisende anwesend. In den traditionellen Pensionen (民宿 minshuku) war ich mal der einzige Gast, und mal einer von nur zwei Gästen. An anderen Orten gab es eine große Diskrepanz bei den Coronamaßnahmen. Ich traf auf Cafes und Restaurants an wirklich sehr abgelegenen Orten, die nur Take-Out anbieten oder ganz geschlossen haben. Es gibt Museen und Galerien, bei denen nur die Flasche Desinfektionsmittel am Eingang an Corona erinnert. Dann gibt es aber auch Orte wie das „Geothermal-Informationshaus“ auf der Insel Hachijō, in das sich wirklich nur hartgesottene Geografen verirren: Dort war ich natürlich der einzige Besucher, musste aber (zum ersten Mal!) ein langes Formular mit allen möglichen Kontaktdaten ausfüllen, um danach erklärt zu bekommen, dass mein Aufenthalt aufgrund der Virussituation auf 30 Minuten beschränkt sei. Natürlich kam in der gesamten Zeit auch kein anderer Besucher.

Ich merkte bei den Reisen oftmals, dass die Menschen wissen wollten, wo in Japan man eigentlich wohnt. Und es gibt noch immer Orte, an denen Bewohner von Tokyo nicht sonderlich willkommen sind. Im Großen und Ganzen spürte ich aber nirgendwo direkte Ablehnung oder einen Vorwurf, nur eben eine mehr oder weniger große Portion Vorsicht.

Natürlich hofft man, dass der gesamte Spuk irgendwann auch mal wieder vorbei ist. Zurückkehrende Touristen werden ein Vorbote der Normalisierung sein, und in dem Sinne werden viele Japaner auch froh sein, wenn sie wieder zurück sind. Ich für meinen Teil bin dann auch froh, mal wieder nach Deutschland reisen zu können.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

4 Kommentare

  1. @tembridis:
    Böse,aber mit einem Korn Wahrheit. Wobei man nicht pauschalisieren sollte. Gerade die in Japan lebenden Chinesen leben oft vorbildlich integriert,was Sprachkenntnisse etc. angeht, obwohl sie’s oft nicht einfach haben. Aber chinesische Reisegruppen… weiss ich jetzt auch nicht, ob die so beweint werden. Sind schon anstrengend…

  2. Ich vermisse die Touristen auch nicht. Man merkt den Unterschied im täglichen Leben. Und ich unterscheide nicht zwischen Ländern oder Kulturen.
    Es läuft runder wenn man unterwegs ist.

  3. Aber vermissen die Touristen Japan? Ja, tun sie! Wir waren uns in Indien sofort einig, dass alle Pläne über den Haufen geworfen würden, sobald Japan seine Tore für uns öffnen würde. Nur in einem germophoben Land wie Japan hätten wir uns wirklich sicher gefühlt und entspannen können.
    Dass die Touristenzahlen in Japan in den letzten Jahren so explodiert waren – und dann auch noch durch die für asiatische Verhältnisse lauten Chinesen – hatte ich nur am Rande mitbekommen. Mein letzter Besuch in Kyôto (2014) wird wohl für immer mein letzter gewesen sein.
    An der Verteilung der Touristen innerhalb Japans hat sich nichts geändert, nehme ich an? D.h. immer noch fast alle nach Tokyo, Kyoto, Nara? Dann steht einem geruhsamen Wanderausflug in die Berge auch künftig nichts im Wege!

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