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Es war vor gut drei Monaten, als ein Vertreter der hiesigen Zeitungsagentur an unserer Tür klingelte. Erst bedankte er sich dafür, dass wir seit Jahren die Kinderausgabe der Tageszeitung abonnieren – die haben wir in der Tat für unsere Kinder bestellt, damit sie mal in Zukunft sagen können, dass es in ihrer Kindheit noch auf Papier gedruckte Nachrichten gab. Schnell liess er dann aber die Katze aus dem Sack: Ob wir nicht für drei Monate die Erwachsenenversion der Zeitung bestellen wollen. Die würden wir für einen echten Vorzugspreis bekommen, und nicht nur das: Da ein Abo das letzte Abo wäre, das er braucht, um sein Soll zu erfüllen, würde er noch eine Kiste Bier herausspringen lassen. Nach den drei Monaten könnten wir auch sofort kündigen, kein Problem.

Nun ist Bier nicht gleich Bier in Japan. Es gibt Bier, dann Bierersatz, und dann noch Ersatz-Bierersatz. Letzteres wird mit 80 Yen pro Liter besteuert, das Ersatzbier mit 135 oder mehr yen pro Liter, und „richtiges“ Bier mit 220 Yen pro Liter. Deshalb kostet „richtiges“ Bier auch rund 2,30 Euro pro halben Liter – selbst im Supermarkt. Und selbst das muss noch nicht mal richtiges Bier sein, denn auch mit Mais und anderen Dingen gestreckte Getränke wie das amerikanische Budweiser oder das japanische Asahi Super Dry können sich Bier nennen, wenn sie nur genügend Malzgehalt aufweisen.

Der nette Vertreter sagte aber deutlich „ビール (Bier)“, und nicht „発泡 Happōshu“, also Ersatzbier. Das liess uns aufhorchen, denn eine Stiege guten Bieres kostet genauso viel wie das dreimonatige Probeabo. Das Gefeilsche begann: „hmm. Welches Bier?“ – „Welches Bier mögen Sie denn?“ – „Puremo!“ (die Abkürzung für Suntory’s „Premium Malts“, ein richtiges Bierbier, das in etwa tschechischen Bieren entspricht. Der Vertreter zuckte zusammen. Denn puremo ist ein bisschen teurer als die anderen bekannten Marken wie Kirin oder besagtes Asahi Super Dry. Wahrscheinlich hatte er aber nicht gelogen mit dem letzten Abo, und keine Lust mehr, weiter zu suchen, und so willigte er ein. Und siehe da: Zwei Wochen später stand eine Ration (24 Dosen) Premium Malts vor der Tür.

Nach drei Monaten haben wir natürlich nicht gekündigt, denn ganz eigentlich will ich eine Tageszeitung haben. Ich habe nicht immer Zeit, diese auch zu lesen, aber ich denke, dass ein bisschen Widerstand gegen die Digitalisierung hin und wieder ganz gut tut. Letztendlich lese ich in der Zeitung auch weniger die Nachrichten, denn die sind ja meist schon fast einen Tag alt, sondern die Analysen und Kolumnen. Doch obwohl es heisst, dass man schlafende Löwen nicht wecken soll, kam am Freitag der ältere Kollege des jungen Aboaufschwatzers vorbei und bedankte sich, dass wir nicht gekündigt haben. Ob er sich denn erkenntlich zeigen könne – zum Beispiel mit einer Kiste Bier? Aber sicher doch! „Welches mögen Sie denn?“ „Puremo“ – „Auh…. hmmm, oh je…“ begann er zu zaudern. Er sei sich nicht sicher, ob das geht, da müsse er erst extra zum Alkladen fahren… Und so stand plötzlich am Sonntag eine herrenlose Stiege Asahi Super Dry vor unserer Haustür. Zwar mag ich die Marke überhaupt nicht, aber wir haben die Stiege natürlich trotzdem adoptiert.

Das erinnerte ein bisschen an früher: Da herrschte in Sachen Abonnentenjagd Anarchismus – da wurden die Kunden mit riesigen Geschenken gelockt, aber teilweise auch massiv bedroht. Die Drückerkolonnen wurden (und werden) 新聞拡張団 shimbun kakuchōdan genannt, und mitunter greifen sie auch heute noch zu schmutzigen Tricks (alle ausser ihnen haben diese Zeitung abonniert!). Immerhin wurden aber ein paar Gesetze erlassen, die unlautere Mittel erschweren – zum Beispiel die 6-8-Regel, die besagt, dass lediglich 8% des Abopreises oder 8% des letzten Halbjahresabopreises mit Geschenken, 景品 keihin genannt, rückerstattet werden können. In unserem Fall wurde da einfach das Abo der Kinderzeitung als Rechnungsgrundlage genommen, weshalb das Angebot nicht illegal war. Trotzdem sollte man in Japan noch immer sehr vorsichtig sein beim Umgang mit den Abonnentenverkäufern.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

3 Kommentare

  1. Ach ja, das gute Ersatz-Ersatz-Bier.
    Bin mal vor vielen Jahren in einer Sapporo Brauerei auf Kyushu gewesen. Am Ende der Tour gab es dann Freibier für alle, quasi 飲み放題 im Eintritt inklusive. Während ich also ein Sapporo nach dem anderen herunter stürze, kommt eine Angestellte auch mich zu und fragt mich, ob sie mir ein ganz neues tolles Produkt vorstellen dürfe.
    Ich willigte ein, denn wer würde zu noch mehr Bier schon nein sagen. Also began die Dame, während sie mir ein Glas von dem vermeintlich edlen Nektar eingoß, das neue Produkt zu erklären. Ich hätte der Dame besser genau zugehört, denn nach dem ersten Schluck meldete meine Kehle Betrug. Ich fragte sie dann etwas entsetzt, ob es sich hier bei um 発泡酒 handeln würde.
    Die Dame schien meine Reaktion eindeutig misszuverstehen. Sie schien gerade zu begeistert und erklärte mir: Nein, dies sei ein neues Produkt, sogar noch günstiger als Happo. Ob es mir den schmecke, fragte Sie. Mir entwich ein artiges Ja und ich bedankte mich, nur um dann schnell den Geschmack mit einem letzten Sapporo herunterzuspülen.
     

  2. Das war sehr schön zu lesen, danke dir. Wenn ich in Japan bin kaufe ich für mich eigentlich nur das Yebisu. Asahi, Kirin etc. kann man trinken. Happoshu ist jedoch so was von widerlich, da bleib ich lieber bei Wasser.
    PS: wenn ich in Japan bin, darf ich übrigens immer die Vertreter abwimmeln. Da ich praktisch kein japanisch kann ist das auch nicht ganz so schwer. Meistens gehen sie schon wenn ich an der Tür erscheine ..

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