BlogSchnell mal eben zu Kentucky

Schnell mal eben zu Kentucky

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Da ist sie wieder — die Sonntagsfrage. Was gibt es zum Mittagessen? Normalerweise bleibt bei uns die Küche kalt zu Mittag an den Wochenenden – entweder kaufen wir da „nur“ Brot von unserem Leib- und Magenbäcker, oder wir gehen irgendwo Ramen, Udon oder ähnliches essen. Soweit wir überhaupt zu Hause sind, denn normalerweise sind wir mindestens an einem Tag bereits irgendwo in den Bergen unterwegs. Dank Corona hat sich das nun schon seit März erledigt. Kind 1 ruft den Namen „Kentucky“, worauf Kind 2 „au ja!“ antwortet, worauf beide von Frau 1 sofort und mit etwas lauterer Stimme als sonst, damit ich es auch ja höre, zurechtgewiesen werden: Geht nicht. Ihr wisst doch, dass Euer Vater kein Fast Food mag. Nach nunmehr 20 Jahren zusammen ist das sehr fein beobachtet. Und ausserdem: Ist denn jetzt schon Weihnachten¹? Aber gut – ich will ja kein Spielverderber sein. Also sage ich „an mir soll es nicht liegen“. Also wird Kind 1, das unbedingt mitkommen möchte, ins Auto gepackt, und schon geht es los zur nächstgelegene Hühnerfritteuse. Kurz das Auto vor dem Pachinko-Schuppen geparkt, der ja, Corona sei dank nicht öffnen darf, und das Kind instruiert, was zu machen sei, wenn jemand Anstalten macht, ein Ticket ans Auto zu kleben.
Mir schwante nichts gutes. Eine kleine Schlange von 5, 6 Leuten schaute aus dem KFC-Schuppen raus. Was, für den Fraß muss man auch noch anstehen? Aber Plan ist Plan. Also stelle ich mich schön hinten an, mit gut zwei Metern Abstand zum Vordermann. Alle halten den Abstand ein, ausser eine wacklige Oma, die dem Vordermann quasi fast am Rücken klebt. Nanu, schon genug vom Leben? Man weiss es nicht. Im Laden lungern auch ein paar Menschen herum – alle warten auf Ihr „to-go“-Mahl, da KFC nur noch Take-out zulässt. Aha. Im Ladeninneren darf man also nicht essen, dafür aber dichtgedrängt nebeneinander sitzen und auf sein Essen warten. Nach 15 Minuten bin ich dran, und in der Zwischenzeit habe ich auch die Angestelltenschar durchgezählt: Ganze 5 Angestellte springen hinterm Tresen herum. Das sollte doch nicht allzu lange dauern! Denke ich jedenfalls, doch die vielen Wartenden sprechen eine andere Sprache. Und in der Tat: Es sollte 45 Minuten dauern, bis ich mein Kubikmeter Müll auf den Tresen gestellt bekomme. Die erste Frage zu Hause war dann natürlich: Wo ward Ihr denn so lange? Wir haben Hunger!
Meine Erwartungen waren wie so meist bei Fast Food sehr, sehr niedrig, und sie wurden, ebenfalls wie so meist, nicht enttäuscht. Warum KFC in einem Land, das so ausgezeichnete karaage² herstellt, so beliebt ist, bleibt mir für immer ein Rätsel.
Aber immerhin: In den Abendnachrichten wurde verkündet, dass KFC mit 30% mehr Umsatz zu den grossen Corona-Gewinnern gehört. Na dann: Mahlzeit!
¹ Eine der merkwürdigeren Traditionen der Japaner ist, gegrillte und gechlorte Schredderhühnchen von Kentucky Fried Chicken als DAS Weihnachtsmahl zu betrachten.
² Mit Soyasauce und anderen Zutaten marinierte und dann in Mehl oder Kartoffelstärke gewendete, frittierte Hühnerfleischstücken

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

3 Kommentare

  1. Haha, das Tag „Amüsantes“ passt tatsächlich sehr gut- wunderbar unterhaltsam geschrieben. Die Abneigung gegen Fast Food ist mir ebenfalls sympathisch. Nur das „ward“ sollte vermutlich „wart“ heißen
    Viele Grüße aus einem Fast Food-freien Haushalt,
    Fabian

  2. Danke für den sehr anschaulichen Bericht, ich musste häufiger schmunzeln.
    Man könnte KFC durch MacDonalds ersetzen und du würdest mein Gefühl beim Kauf von Fast Food beschreiben. Bei uns gibt es das ebenfalls so selten, dass unsere Kinder wahrlich begeistert sind. Dank Corona kann man nur durch den Drive In fahren und steht dort auch ewig an.
    Ich allerdings beteilige mich nicht am Essen und behaupte einfach, dass es dort für Vegetarier nichts gibt. Stimmt natürlich nicht aber ich bin glaube ich zu alt für so minderwertigen Geschmack, kombiniert mit vielen Kalorien und das in der deutschen Hauptstadt, in der man wirklich gute Essen für kleines Geld eigentlich an jeder Ecke bekommen kann.

  3. Ich wundere mich auch immer wieder warum es manche Japaner zum KFC zieht. Gut, ich darf nicht klagen, bin ich doch mit einer Ehefrau gesegnet, die ein vorzügliches Karaage produziert. Nachvollziehen kann ich es trotzdem nicht, nur dem Tode nahe würde ich mich in ein KFC begeben.

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