BlogCorona-Update 20. April 2020

Corona-Update 20. April 2020

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Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja! Corona!
In den vergangenen sieben Tagen hat sich einiges getan, und aus diesem Grund mal wieder ein kleiner Überblick über die Geschehnisse.
Der Ausnahmezustand wurde ja in der vergangenen Woche auf ganz Japan ausgeweitet – das mag zwar die Bewohner der Präfektur Iwate verwundern (das Sachsen-Anhalt Japans quasi – hier gibt es noch keinen einzigen bestätigten Fall), aber im Grossen und Ganzen wurde die Entscheidung eher positiv aufgenommen, denn die Infektionswelle geht ja nicht nur die Ballungsräume etwas an. Nach wie vor geschieht das meiste allerdings auf 自粛 jishuku – Basis, also auf Freiwilligenbasis. Dabei taucht immer wieder die Zahl 80 auf, denn Experten raten, die Zahl der menschlichen Kontakte um 80% zu reduzieren, um das Virus einzudämmen. Um den Erfolg zu messen, werden unter anderem Daten von Apple ausgewertet, und siehe da – je nach Gegend kommt man momentan um eine Reduzierung von 50 bis 80%, und das ganz freiwillig. Immer mehr Menschen folgen dem „Stay Home“-Rat und bleiben zu Hause.
Dass es eine Weile dauern wird, bis erste Erfolge sichtbar werden, war klar. Trotz der erweiterten Maßnahmen kletterten die Neuinfektionen bis Sonnabend allein in Tokyo auf bis über 200 Menschen pro Tag, und im ganzen Land zählt man nun fast 11,000 Fälle. Gestern und heute kamen in Tokyo lediglich gut 100 neue Fälle hinzu, aber das reicht natürlich noch nicht, um eine Trendwende herbeizuhoffen. Allerdings wurden in Tokyo allein gestern rund 350 an COVID19 Erkrankte Personen als vollkommen genesen entlassen, und das wäre natürlich mal eine gute Nachricht, würde das doch bedeuten, dass wesentlich mehr Leute aus der stationären Behandlung entlassen werden können als Patienten, die hinzukamen.
Möglicherweise hat das Herumgeeiere um finanzielle Hilfen sogar ein Ende gefunden. Heute wurde ein Nachtragshaushalt verabschiedet, der besagt, dass jeder in Japan registrierte Mensch, also inklusive Kinder und Ausländer (mit welchem Visastatus ist dabei jedoch unklar) 100,000 yen, also rund 800 Euro, vom Staat erhalten soll. Bedingungslos. Sagte jedenfalls Ministerpräsident Abe, doch sein seit eh und je sehr unsympathischer Mitstreiter Aso meinte gleich hernach in einer anderen Pressekonferenz, dass nur die das Geld erhalten sollen, „die die Hand heben“.
Diese Soforthilfe – das gab es auch schon während der Wirtschaftskrise 2008 – hat dabei gleich mehrere Haken:

  1. Der Vorschlag ersetzt den, Menschen mit nachgewiesenen Einkommenseinbußen 300,000 yen zukommen zu lassen. Denjenigen, die wirklich enorme Einkommenseinbussen in Kauf nehmen müssen, ist mit dem Vorschlag also nicht gerade viel geholfen.
  2. Die Bedingung, das Geld nur an die auszuzahlen, „die die Hand heben“, ist einfach nur idiotisch, denn das ganze wird einfach nur einen riesigen bürokratischen Prozess erfordern, der die Ersparnis nicht wert ist. Ausserdem wird somit die Hilfe verlangsamt und die Bevölkerung – mal wieder – verunsichert. Stattdessen sollte man einfach eine schlichte Kampagne starten nach dem Motto „Wenn sie das Geld nicht wirklich benötigen, spenden sie es an Organisation XYZ“ oder was auch immer. Das wäre einfacher und würde kein Geld vergeuden.
  3. Das Gießkannenprinzip funktionierte bereits 2008 nicht so, wie es sollte – verständlicherweise packten viele Menschen das Geld einfach nur in ihren Sparstrumpf.
  4. Die Auszahlungen sollen frühestens Ende Mai beginnen. Bis dahin werden bereits hunderttausende, wenn nicht Millionen Japaner, seit etlichen Wochen arbeitslos gewesen sein. Und Arbeitslosenhilfe bekommt man frühestens sechs Wochen, nach dem man seinen Job verloren hat.

Aber immerhin: Anscheinend bewegt sich immerhin etwas. Übrigens: Die versprochenen Volksmasken, zwei pro Haushalt, sind noch immer nicht eingetroffen.
Die grösste kurzfristige Sorge des Landes ist noch immer 医療崩壊 iryō hōkai – der Zusammenbruch des Gesundheitswesens. Den Krankenhäusern fehlt es an Personal und an Schutzkleidung. Es gab schon dutzende Fälle, bei denen akut an Corona erkrankte Menschen von bis zu 30 Krankenhäusern in Folge abgelehnt wurden. Und man befürchtet eine Ausbreitung in den ländlicheren Regionen, wo die medizinische Versorgung weit schlechter aufgestellt ist. Aus genau diesem Grund wurde der Ausnahmezustand auch bis nach der Goldenen Woche verlegt – mit dem eindringlichen Aufruf an die Bevölkerung, während der 5 Feiertage in Folge nicht in andere Präfekturen zu reisen. Eine verständliche Bitte.
Die langfristige Sorge ist die um Post-Corona. Auch in Japan glauben immer mehr Menschen, dass China vollends an der ganzen Sache Schuld ist, und die Gerüchte um die Herkunft des Virus werden gern geglaubt. Das Verhältnis zu China hatte sich in den vergangenen Jahren langsam aber sicher verbessert, aber Corona wird eine Zäsur darstellen, mit schlimmen wirtschaftlichen Folgen – für Japan, aber sicherlich auch für China.
Zu guter Letzt noch ein paar Worte zu den Schlagzeilen. Was in Japan richtig nervt, aber das ist nicht nur in Japan, sondern überall so, sind die Schlagzeilen, mit denen sich die Medien übertrumpfen. „Wenn man sich nicht an die Abstandsregeln hält, wird es in Japan rund 450,000 Tote geben“ ist eine davon, eine andere „Experte glaubt nicht, dass die Olympischen Spiele 2021 stattfinden können“. Braucht man diese Schlagzeilen jetzt wirklich? Zumal es sich oft um Milchmädchenrechnungen handelt? Wohl kaum. Es wäre schön, wenn man das Ganze etwas informativer und balancierter betrachten würde.
In diesem Sinne: Tapfer bleiben!

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

3 Kommentare

  1. Ich bin vor über 20 Jahren das erste Mal bei japanischen Freunden zu Gast gewesen. Es war im Winter und viele Leute trugen Gesichtsmasken. Ich fand es recht amüsant und das Vermeiden von Körperkontakten als kulturelle Eigenheit.
    Meine japanische Freundin ist in Tokyo Lehrerin und musste arbeiten während meines Besuches. Plötzlich kreuzte sie wieder auf, obwohl ich mich schon alleine Aufmachen wollte. Sie hatte frei bekommen, weil viele Kinder in der Schule erkrankten und man dann gleich die Lektionen ausfallen lies. Als Schweizerin konnte ich dies fast nicht nachvollziehen, denn Grippen-Epidemien waren bei uns noch kein Thema. Ich habe aber die Schutzmassnahmen und Beweggründe verstanden.
    In der Schweiz leben wir in einer direkten Demokratie mit unterschiedlichen Meinungen. Individualismus wird ausgelebt und lange verhandelt. Als in China das Virus ausbrach, machte ich mir sofort Gedanken, wie wir mit Verboten umgehen würden. Meine hiesigen Freunde glaubten nicht, dass es auch uns treffen würde. Das tragen von Masken wurde als lächerlich eingestuft und man wollte nicht wie asiatische Touristen aussehen.
    Nun stecken wir geschockt im Debakel und suchen nach Vorbildern und Lösungen. «Social Distancing»! Dazu entdeckte ich auf einen Magazintitelseite (einer seriösen Zeitung) eine Bildinszenierung von einer japanischen Begrüssung im Zürcher Bankenviertel. Bereits fragen wir uns, wie langfristig der Virus unsere Gesellschaft verändern wird.
    Ich glaube, dass wir Aufgrund der verdichteten Lebensweise viel von den Japanern lernen können. Dazu sollten wir mehr bereit sein, kollektiv zu handeln und nicht individuell.
    Weltweit kann man nur hoffen, dass wenigsten die Coronakrise auch positive Aspekte hervor bringt und wir vielleicht einiges neu überdenken werden.
    Ich fühle mich zu Japan sehr verbunden und verfolge daher Deinen Blog regelmässig. Manchmal begreife ich erst nachträglich gewisse Zusammenhänge von Erlebtem in Japan. Deine Berichte helfen mir sehr, das Land besser zu verstehen.
    Danke für Deine spannenden Einträge – Ein Fan!

    • Vielen Dank, Susanne!
      Was das kollektive Denken und Handeln anbelangt, gibt es in der Tat viel zu lernen, das wird mir jedes Mal bei einem Besuch in der Heimat klar. Das fängt damit an, dass man nicht einfach Müll überall hin wirft, oder Häuserwände mit hässlichen Tags besprüht.
      Andererseits ist Individualismus und hiesige Gepflogenheiten wie das Küssen auf den Wangen in einigen Ländern auch ein Kulturgut und ein Unterscheidungsmerkmal. Bei Corona besteht da die Sorge, dass viel gleichgeschaltet werden wird und diverse kulturelle Besonderheiten verloren gehen.

  2. Jaja, Yen 100.000 pro Kopf …. Beginnend im Mai. Das wird sich dann wohl noch eine ganze Weile hinziehen. Aber gerne nehmen tun „wir“ es doch. Schulen sollen am 7. Mai wieder oeffnen, nach der „Golden Week“ und 2 Tage vor dem naechsten Wochenende. Haetten sie ja auch bis zum 8. Mai abwarten koennen. Denn die Zahlen der Infizierten werden (bei genaueren, uebergreifenden Tests) wieder ansteigen, da gehe ich fest von aus. Was das „social distancing“ betrifft, es gibt reichlich (Privat-)Personen, die vom Gegenteil berichten …. und ich sehe es elbst auch bei uns jeden Tag. Kinder und Eltern die den Park „belagern“, ohne Masken, versteht sich. Na, es wird sich zeigen was noch kommt und wir muessen abwarten. Denn Hellsehen kann keiner und auch die Glaskugel hat mich noch nicht klueger machen koennen.

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