BlogCorona-Update 13. April 2020: Japans Spiel mit dem Glück

Corona-Update 13. April 2020: Japans Spiel mit dem Glück

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Seit einer knappen Woche nun ist der Ausnahmezustand da – zwar nur für sieben der 47 Präfekturen, aber immerhin. Und vorneweg muss ich dazu sagen, dass das wahrscheinlich der entspannteste Ausnahmezustand der Welt ist, denn geändert hat sich eigentlich rein gar nichts. Das war vor allem in der vergangenen Woche beinahe schon makaber: Während durch die kommunalen Lautsprecher Anweisungen ergingen, dass die Menschen bitte Erledigungen auf das Notwendigste beschränken, war die Strasse vor unserem Büro voller Menschen, darunter auch Gruppen von Kindergartenkindern, die zum nächstgelegenen Park zogen. Nichts, aber auch gar nichts erinnerte an den Ernst der Lage. Auch die meisten Kneipen und Restaurants in der Nähe meines Büros waren geöffnet, wenn auch mit deutlich wenigeren Gästen.
Nach und nach änderten sich dann aber doch ein paar Dinge. Mehr und mehr Convenience Stores haben damit begonnen, ihre Mitarbeiter mit von der Decke hängenden Plastikplanen zu schützen. Mehr und mehr Restaurants schliessen, oder verkürzen ihre Öffnungszeiten. Oder verlegen sich komplett auf das Take-away-Geschäft. Die Strassen in der Innenstadt sind nun voll mit Uber-Eats-Fahrern, manche davon sogar mit Leihrädern von Convenience Stores. Und es fehlen immer mehr Waren – beim hiesigen Supermarkt gab es zum Beispiel kein Mehl mehr, und so mancher Convenience Store ist halb leer.
Die Zahl der Neuansteckungen in Japan, mit dem Schwerpunkt auf Tokyo, nahm bis Sonnabend spürbar zu – bis zu 200 neue Fälle pro Tag zählte man allein in Tokyo, wobei die Zahlen von gestern und heute bisher geringer ausfielen, aber das hat aufgrund des Wochenendes nicht viel zu sagen. Die Gerüchte über die angespannte Lage im Gesundheitswesen sind dabei jedoch besorgniserregend. So hört man von verschiedenen Quellen, dass Krankenhäuser selbst Patienten in Lebensgefahr, zum Beispiel mit einem Herzinfarkt oder einem Schlaganfall, ablehnen, da sie keine Behandlungskapazitäten haben. Und das, obwohl es momentan nur gut 125 aktive Corona-Fälle mit schwerem Verlauf in ganz Japan geben soll. Insgesamt gibt es rund 7’500 Fälle, mit rund 120 Toten und 780 Genesenen.
Die Zahlen sind schwer zu glauben – zumindest aus meiner Sicht. Denn in meinem Freundeskreis weiss ich von einem Corona-Fall (die Bekannten haben wir allerdings seit letztem Jahre nicht mehr gesehen). Auch an der Schule meiner Tochter gab es den ersten Fall – und zwar in der gleichen Klassenstufe. Wohlgemerkt: Letzten Montag fand – wie geplant – die Schuljahresanfangszeremonie an der Schule statt. Und ich höre deutlich mehr Krankenwagen mit Blaulicht in meiner Gegend als üblich (rund zwei Kilometer von meinem Wohnsitz entfernt gibt es eine grosse Uniklinik). Das alles lässt die Lage in meinen Augen zumindest etwas ernster erscheinen als dargestellt.
Osaka und Fukuoka, zwei der Präfekturen, die ebenfalls im Ausnahmezustand sind, wollen übrigens bestimmte Unternehmen aufrufen, bis zum Ende der Goldenen Woche (Anfang Mai) dichtzumachen. Dazu zählen Schulen, Kinos, Nachtclubs, Internet-Cafes und dergleichen. Bei letzteren ist die Situation besonders prekär, denn viele Obdachlose nutzen Internet-Cafes (oder Manga-Cafes) als Wohnstätte, da man dort für wenig Geld übernachten kann. Schätzungen gehen von bis zu 4’000 Obdachlosen aus, die von den Schliessungen betroffen wären. Zudem werden auch Rufe laut, den Personennahverkehr um rund 70% zu reduzieren, um die Neuansteckungen zu stoppen.
In der Zwischenzeit beweist Ministerpräsident Abe, dass er wie immer genial den Finger am Puls der Zeit hat. Auf Twitter veröffentlichte er dieses schnucklige Lied, dass ihn beim Haustierpetting zeigt – zusammen mit der Nachricht, dass es zwar hart ist, allein zu Hause zu sein, aber das man sich bitte an die Auflagen halten soll. Natürlich gab es da viel Häme und Kritik, denn viele Menschen (vor allem in der Tourismusbranche, aber auch im Gastronomiebereich usw.) haben zur Zeit ganz andere Sorgen – sie wissen nicht, wie sie ohne Arbeit in den nächsten Wochen über die Runden kommen sollen).


Verfolgt man die japanischen Nachrichten sowie die japanischen Medien an sich, scheinen sich die Japaner, die Politiker eingeschlossen, an zwei Sachen zu klammern: Zum einen an die BCG-These, die besagt, dass Menschen, die eine BCG-Impfung erhielten, weniger anfällig für COVID-19 sind. Diese Impfung ist in Japan seit Jahrzehnten Pflicht (nahezu jeder Japaner hat deshalb ein Quadrat mit 9 sichtbaren Einstichpunkten auf dem Oberarm). BCG war auch Pflicht in der DDR, in Irland, in Portugal usw..
Zum zweiten scheint man auch auf die Wirkung von Avigan zu vertrauen — einem in Japan entwickelten Medikament mit dem Wirkstoff Favipiravir. Das darf hier zwar nur bei Grippeerkrankungen mit neuartigen Grippevirenstämmen verschrieben werden, aber es soll wohl auch bei COVID-19-Patienten mit schwerem Verlauf zum Einsatz kommen.
So gesehen also nicht spektakulär Neues in Japan. Es dämmert aber allen mehr und mehr, dass sich das Corona-Problem enorm in die Länge ziehen wird, mit allen Konsequenzen.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

13 Kommentare

  1. Das die Zahlen der Infizierten in Japan ober faul sind, haben sich wohl die meisten gedacht. Bedauernswert nur, dass die Bevölkerung diese Entscheidung teilweise mit dem Leben bezahlen muss.
    Wir in Deutschland erwarten noch die große Welle in den nächsten Tagen. Gleichzeitig tönen die Verantwortlichen von Schulen und Bildung in NRW, ausgedacht von Beratern, da Politiker und Beamte mit diesem Thema überfordert sind, diese nach und nach zu öffnen. Und das ganze klönte schon ab dem 20. April, trotz immer noch steigender Anzahl von Infizierten, umgesetzt werden.
    Ich jedenfalls werde unseren jüngsten Spross, wenn mir die Lage zu dubios und unüberlegt erscheint, mit einer Krankschreibung nach der anderen, den drei Käsehoch erst einmal zu hause lassen.
    Da das Virus immer in Wellen über die Kontinente zieht, hoffe ich inständig das sich 1918 / 1919 nicht wiederholt. 2020 wird ohnehin ein sch*** Jahr.

    • Also Gerard Krause von HZI (Helmholz Zentrum für Infektionsforschung) meinte gestern in ZDF: Viel testen bringt nicht viel, „gezielt testen“, der „Zeitpunkt“ ist wichtig und „wen“ man testet und Ulrike Portzer berichtete auch so ähnlich, fügte noch hinzu: Der Test selbst „schützt“ nicht vor Krankheiten. Da die Japaner wohl wenig testen, hat die dt. Botschaft in Tokio an uns dt. Mitbürger_innen in Japan vor kurzem eine merkwürdige Warnrundmail/-schreiben zugeschickt. Außerdem: Was ich nicht verstehe ist, bis vor zehn Tagen haben fast alle dt. Wissenschaftler (außer Alexander Kekule aus Halle an der Saale) gesagt, dass die Schutzmasken „bullshit“ sind und indirekt über die Japaner, Koreaner, Chinesen… naja schon ins Lächerliche gezogen. Aber plötzlich jetzt, jetzt sind die Masken in Dtl, Europa, USA…total wichtig und nützlich!!! Wie komisch oder? Und zum Schluß: Einen Bertrag von Gert Scobel
      https://www.zdf.de/wissen/scobel/corona-philosophisch-scobel-100.html

      • Das kann ich aber nicht so stehen lassen. Drosten hat schon länger in seinem sehr guten Podcast über die Nützlichkeit von Masken gesprochen und sie als „Ausdruck der Höflichkeit“ bezeichnet. Sie helfen vermutlich nicht bei der eigenen Ansteckung aber durchaus, andere nicht anzustecken.
        Hier der Podcast vom 23.3.2020
        https://www.ndr.de/nachrichten/info/19-Masken-koennen-andere-schuetzen,audio657394.html
        Ich habe niemanden gehört, der sich über Asiat_innen und das Masken tragen dort lustig gemacht hat. Im Gegenteil, hier wurde es eher als sinnvolle Maßnahme angesehen und gehofft, dass sich das hier auch stärker durchsetzt.
        Ich hoffe, dass wir mit nicht noch mehr Vorurteilen gegenüber anderen Kulturen aus der Pandemie kommen als wir rein gegangen sind.

        • Ich habe geschrieben „fast“ alle und habe z.B. Alexander Kekule als Bespiel genommen, dass er stets für das Tragen von Schutzmasken war, okay ich habe Christian Drosten nicht erwähnt. Aber z.B. Jonas Schmidt-Canasit hat ausdrücklich gesagt, dass die Masken gar nichts bringen und es gab noch mehere andere, die ähnliche Aussagen gemacht haben. Bis „vor“ kurzem stand auch in RKI-Navigation, kurz zusammengefasst: Abstand halten, aber Mundschutz nicht notwendig, oder so (jetzt steht dort ‚was anderes!). Sie haben noch geschrieben, „ich habe niemanden gehört, der sich über Astat_innen und das Masken tragen dort lustig gemacht hat“. Also ein Beispiel: In Göttingen sei eine asiatische Maskenträgerin von mehreren Jugentlichen absichtlich angehustet worden etc…. Ich glaube, wenn Sie mehrere Asiat_innen mit viel Gefühl interviewen würden und wenn sie Sie nicht als europäische Zuhörerin betrachten würden, hören Sie bestimmt sehr sehr viele unglaubliche Geschichten. So ist mein Standpunkt. Ich möchte nicht weiterdiskutieren.

          • Ich habe Ihren ersten Beitrag so gelesen, als hätten sich deutsche Wissenschaftler über das Tragen von Masken in Asien lustig gemacht. Und dagegen habe ich argumentiert, das habe ich nirgendwo gelesen. Das RKI konnte sich lange nicht dazu durchringen, Masken als sinnvoll oder nötig anzusehen. Man darf dabei nicht vergessen, dass wir hier aber momentan ein Abstandsgebot von 1,5 bis 2 Metern mindestens haben. Näher darf man sich nicht kommen, keine Kontakte außerhalb des eigenen Haushalts dürfen näher kommen. Da kann es durchaus sein, dass Masken keinen weiteren Vorteil bieten wenn man sich nicht näher kommen darf.
            Dass es Diskriminierung gegen Ausländer gibt steht auf einem ganz anderen Blatt. Das habe ich nicht gemeint als ich auf Ihren Beitrag geantwortet habe. Sie sprechen von deutschen Wissenschaftlern, die sich lustig machen, darauf antworte ich.
            Das war der Satz: „Was ich nicht verstehe ist, bis vor zehn Tagen haben fast alle dt. Wissenschaftler (außer Alexander Kekule aus Halle an der Saale) gesagt, dass die Schutzmasken “bullshit” sind und indirekt über die Japaner, Koreaner, Chinesen… naja schon ins Lächerliche gezogen.“ und da steht überhaupt nichts von Diskriminierung in der Bevölkerung sondern von Wissenschaftlern.
            Und das meine ich wenn ich hoffe, dass diese Pandemie nicht dazu genutzt wird, andere Kulturen und Menschen zu verurteilen. Das fände ich das schlimmste Resultat.

        • Constanze san, tut mir leid, mein Fehler. Ich muss doch mal abgewöhnen, die Kommentare im Zug zu schreiben. Ja, ich habe zwei Kommentare „kontaminiert“, Verzeihung. Natürlich haben die Virologen über die Asiat_innen nicht lustig gemacht. Ja, stimmt schon, wenn man meinen Text liest, kann man nur anders verstehen

          • Danke!
            Und was Sie ansprechen finde ich aber auch richtig. Es gibt Diskriminierung, vor allem gegen Asiat_innen und das ist absolut abscheulich und es ist richtig, dass Sie das anprangern. Da bin ich ganz bei Ihnen!

      • Es kommt immer darauf an was man für Masken trägt. Aber das hat sich sicherlich auch schon herum gesprochen. Was mich aber mehr interessierte ist, dass sich die Anzahl der Infizierten in Japan Wochen nicht bewegte und plötzlich erst vor Tagen die Zahl wieder rapide anstieg. Genauso wenig traue ich den Zahlenspiel aus China.
        Aber was wichtiger ist, dass wir die Sache gut überstehen ohne größere Blessuren hinter uns bringen.

  2. Ok, der Twitter Beitrag ist schon… gewöhnungsbedürftig. Ist es üblich, dass sich japanische Spitzenpolitiker so zeigen? Ist ganz knapp an Rudolf Scharping und Gräfin Pilati im Pool vorbei, falls sich da noch jemand erinnert?
    Die BCG Debatte ist interessant. Bisher habe ich dazu nur Makro-Studien gelesen (also in dieser oder jener Gegend gibt es viele Geimpfte und dann die Zahlen von Corona gegenüber gestellt) und keine Mikro-Studien (auf das Individuum bezogen). Ich fürchte allerdings, dass die Wirkung der Impfung nicht so hilfreich ist wie man sich das wünscht. In Lothringen gibt es auch die Impfpflicht und sehr viele Coronafälle. Auch habe ich Ärzte gelesen, die bezweifeln, dass es eine Wirkung haben kann aus medizinischer Sicht.
    Aber hoffen darf man in diesen Tagen ja.
    Wir Deutschen werden morgen hören wie es weiter geht. Ich bin gespannt. Aber ich stimme dir zu, wie werden mich sehr lange mit corona und den Folgen zu tun haben. Alleine die Rezession wird uns vermutlich ewig beschäftigen.

  3. Über 50% der Todesfälle werden in ganz Europa aus „Pflegeheime“ gemeldet!!! Somit auch die meisten schweren Verläufe. Das kann der Grund der geringen Infektionsrate in Japan erklären, wenig Altenheimbewohner. Auch der hohe Anteil an Siglehaushalten in Japan spielt sicherlich eine Rolle, somit keine Ansteckung von Senioren von Familienmitglieder.

    • Den Verdacht hatte ich ebenfalls – die niedrige Rate der in Pflegeheimen Untergebrachten und die hohe Zahl der Singlehaushalte. Sowie die generelle Scheu vor „skinship“, also vor dem Anfassen (inkl. Händeschütteln) anderer Menschen.

  4. Ich denke auch, dass die japanischen Umgangsformen (Maske & kein Händeschütteln) deutlich helfen die Kurve nicht so krass gehen zu lassen wie in D….
    Auf der anderen Seite helfen unklare Ansagen „mach mal 80% weniger Kontakte – irgendwie!“ nicht wirklich – gerade bei Japanern, die ja gerne nach Regeln lechzen ;-)
    Das urkomische Abe Home Office Video hat es übrigens sogar schon in die T-Shirt Industrie gemacht! :)
    https://www.ttrinity.jp/product/6013958#13

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