BlogSchwerster Taifun seit 60 Jahren: Hagibis sorgt für Chaos

Schwerster Taifun seit 60 Jahren: Hagibis sorgt für Chaos

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Vor rund 4 Stunden, gegen 21 Uhr, verliess Taifun Hagibis die japanische Hauptstadt. Das Monster sorgte erst für schwere Regenfälle und Überschwemmungen in der Präfektur Mie, und zog danach entlang der Pazifikküste genau Richtung Tokyo. Gegen 19 Uhr trat der Sturm auf Land – bei der Izu-Halbinsel in der Präfektur Shizuoka, von wo er mit rund 30 Kilometer pro Stunde über Kanagawa hinweg gen Tokyo zog. Es folgten Saitama, Gunma, Fukushima und Miyagi.
Die Bilanz soweit:
• 2 Tote
• 9 Vermisste
• 36 Flüsse, die in insgesamt 10 Präfekturen über die Ufer traten
• Circa eine halbe Million Menschen ohne Strom
• Bis zu 1000mm (also 1 Meter) Regen innerhalb von 24 Stunden
• Mindestens zwei Dämme, die geöffnet werden mussten, um einen Bruch zu vermeiden
Man muss allerdings mit dramatischeren Zahlen rechnen, denn das wahre Ausmass wird erst morgen früh sichtbar werden.
Das Hauptaugenmerk liegt unter anderem auf dem Tamagawa, dem Tama-Fluss, der Tokyo von Kawasaki trennt. Man ist sich der Gefahr durch den Tama-Fluss bewusst und hat riesige Retentionsflächen geschaffen – an vielen Stellen gibt es bis zu 500 Meter zwischen den Deichen, obwohl der Fluss in normalen Zeiten nur ein paar dutzend Meter breit ist. Doch heute war es zu viel: Der Fluss trat nachts bei Musashi-Kosugi und Futako-Tamagawa, zwei extrem beliebte Wohngegenden, über die Ufer.
In Sachen Sicherheitsaufwand dürfte Hagibis alle Rekorde gebrochen haben: Alle Flüge wurden gestrichen, alle Bahnlinien stellten spätestens gegen Mittag den Verkehr ein. Autobahnen wurden gesperrt. So ziemlich alle Läden, auch die 24-Stunden-Convenience Stores wurden geschlossen. Es kam zu Hamsterkäufen – Brot und Wasser waren am 11. und 12. Oktober absolute Mangelware im Grossraum Tokyo. Die Hauptstadt kam komplett zum Stillstand. Auch medial wurde der Taifun zum Grossereignis: Alle Sender berichteten streckenweise nonstop nur über das Geschehen.
Das besondere an diesem Taifun war, dass vor dem Eintreffen des Zentrums bereits unglaubliche Mengen Regen fielen – in Tokyo rund 500 mm innerhalb von 24 Stunden, also so viel, wie in Berlin innerhalb eines Jahres fällt. Das Taifunzentrum gab vielen Flüssen danach den Rest. Hinzu kam, dass der Landfall mit der Flut einherging, was zu einer Springflut führte.
Und als ob das alles noch nicht reichen würde, gab es auch noch ein stärkeres, deutlich spürbares Erdbeben.
Als Geograph muss ich allerdings definitiv meinen Hut vor den japanischen Stadtplanern ziehen: Angesichts der Gewalt des Taifuns ist der Schaden verhältnismässig gering. Allerdings ist dies der zweite schwere Taifun, der in dieser Saison direkt auf Tokyo trifft. Das ist kein Zufall: Ein Taifun nährt sich von warmen Meerwasser, und die Meerestemperatur vor der japanischen Pazifikküste ist in den vergangenen Jahren deutlich angestiegen.

Luftdruck im Zentrum des Taifuns: 955  mBar. Das ist wenig. Je niedriger, desto stärker ist der Taifun
Luftdruck im Zentrum des Taifuns: 955 mBar. Das ist wenig. Je niedriger, desto stärker ist der Taifun

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

9 Kommentare

  1. Dankeschön für diesen Bericht. Solche Naturgewalten kann man sich hier in Dtl gar nicht mehr richtig vorstellen. Ich hoffe, dass die vermissten Menschen am Leben sind und sich bald bei ihren Angehörigen melden können.

  2. Ein ganzer Meter an einem Tag! Es ist ein Wunder, dass nicht halb Tokyo weggeschwommen ist.
    Wenn man bedenkt, dass in manchen Ecken Sachsen-Anhalts letztes Jahr nur 250mm – im ganzen Jahr – gefallen sind…

  3. Da fragt man sich schon, was sich der schottische Trainer und Rugby Verband bei ihren Äußerungen gedacht haben mögen. Ein Taifun ist kein Kindergeburtstag.

    • Was die dabei geritten hat, frage ich mich auch. Beziehungsweise wie es formuliert wurde. Denn Spiele, die aufgrund von egal was nicht stattfinden können, sollten wirklich nicht gestrichen, sondern verschoben werden.

  4. Hallo,
    da ich bei meinen beiden Urlauben in Japan jeweils im Oktober da war, frage ich mich natürlich, wie wird man als Tourist gewarnt, Radio und Fernsehen bringen mir ja wenig, und da ich meist per Air bnb Reise, wird mich auch kein Hotelpersonal warnen, im schlimmsten Fall wundere ich mich wie hektisch die Leute sind und steh dann mittags am geschlossenen Bahnhof?

    • Da ist man als Tourist natürlich auf sich selbst angewiesen. Aber mit Wetter-Apps oder der englischen Version der japanischen Meteorologie-Behörde ist man eigentlich gut bedient:
      https://www.jma.go.jp/jma/indexe.html
      Jedoch: Früher reichte ein Blick auf die Wettervorhersage ein Mal pro Woche, doch in diesem Jahr gab es „Guerilla-Taifune“ — die entstanden nahe Japans und schlugen dann binnen 2 oder 3 Tagen zu…

  5. Naja, es wird wohl in den kommenden Jahren (Jahrzehnten, …) nicht besser werden, eher schlimmer. Ich frage mich, was die Klimawandel Leugner dazu zu sagen haben.

    • Die Einschläge kommen ja immer näher. Der Raum für die Klimawandelleugner wird da schon enger. Allerdings gibt es ja dann noch die die ganz Harten, die nicht den Klimawandel leugnen, sondern den Urheber des Klimawandels…

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