BlogFreundliche Polizei

Freundliche Polizei

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Aus einem im vorherigen Artikel genannten, sehr bedauerlichen Grund waren die vergangenen Tage reichlich hektisch. Da ich zufälligerweise eine Woche Urlaub hatte, konnte ich die freien Tage einzig und allein für die Familie benutzen, und dazu gehörte auch, Familienangehörige vom Flughafen abzuholen. Das war gar nicht so einfach: Die Sommerferien enden in vielen Präfekturen morgen, so dass viel Verkehr war: Alle Parkhäuser, auch die provisorischen, am Flughafen waren voll (Wartezeit auf einen Parkplatz: 120 Minuten), und vor den Terminals darf man nicht parken. Selbst länger als ein paar Minuten dort zu stehen ist schwierig.
Bei einer Tour erwischte es mich schliesslich — in Kamata, nahe des Flughafens. Ich will rechts abbiegen, und stehe bereits in der Kreuzung, doch aus irgendwelchen Gründen fährt das Auto vor mir nicht los. Erst bei Gelb zischt er endlich los. Was tun? In der Kreuzung stehenbleiben? Oder hinterher? Instinktiv trat ich also auf’s Gaspedal und fuhr hinterher – bei, nennen wir es mal kirschgrün. Am Ende der Kreuzung erwartet mich ein Polizist, der sich wie aus dem Nichts dort materialisiert hatte. Weder ein Polizeimotorrad noch ein Polizeiauto steht in der Nähe. Mein japanischer Fahrgast sagt nur „Oh-o!“. Die heruntergekurbelte Scheibe offenbart mir ein jüngeres, rundes und leicht verdutztes Gesicht. Er räuspert sich und schaut mich fragend an. „Da bin ich dann wohl zu spät über die Kreuzung gefahren“ sagte ich¹. Er lächelt freundlich und nickt. Er fragt nach dem Führerschein und ist nochmal überrascht, als ich meine japanischen Fleppen zücke. „Oh, ein japanischer Führerschein?“ — „Ja, ich lebe hier“. Ein kurzer Smalltalk folgte, und eine Belehrung: „Nur zwei Minuten! Sie hätten an der Ampel nur zwei Minuten warten müssen! Es gibt nichts, was das Risiko lohnt, bei Rot über eine Ampel zu fahren!“ Wahrscheinlich bin ich knallrot geworden, denn erstens wurde ich noch nie von der Polizei angehalten, ausserdem war es draussen brüllend heiss. Ich konnte ihm – vom Herzen wohlgemerkt – nur recht geben. „Ja, ich kann Ihnen nur recht geben. Ich bin viel mit dem Fahrrad unterwegs, da rege ich mich ja selber drüber auf, wenn Autofahrer rote Ampeln überfahren.²“. Er nickt zufrieden, räsonierte kurz und sagte dann etwas Überraschendes: Er werde kein 反則切符 (hansoku kippu, Strafzettel) ausstellen, aber er bäte mich, dies in Zukunft zu unterlassen. Gute Reise noch, und immer vorsichtig fahren!
Mein Fahrgast war baff, ich war es auch. „Normalerweise passiert das nicht“. Ausländerbonus? Keine Ahnung. Was wäre normalerweise passiert? Bis zu 400 Euro Strafe und zwei Punkte. Schlimmer aber wäre die Tatsache, dass man sich in den folgenden sechs Monaten extrem vorsehen muss, denn wenn in dieser Zeit wieder etwas sein sollte, wird es richtig kompliziert und teuer – mit Nachschulungen und dergleichen. Glück gehabt.
¹ Auf Japanisch. Meine persönliche Erfahrung in Japan ist, dass es sich nicht lohnt, einen auf dummen Ausländer nach dem Motto „ich nix verstehen“ zu machen. Mit gepflegtem Japanisch kommt man weiter.
² Das kommt in Japan mangels Blitzer und Kontrollen in der Tat sehr, sehr oft vor.

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tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

5 Kommentare

  1. Ich bin mir nicht mehr 100% Sicher, aber ich glaube zu meinen dass, so lange man nicht eingebürgert ist, bereits nach 2 oder 3 Verstößen der StVO auf Lebenszeit des Landes verwiesen werden darf.
    Ich bin mir nicht mehr sicher wie viele Verstöße notwendig waren. Es gibt glaube ich noch die Vorstufe, dass man sich nicht mehr einbürgern darf, aber im Land bleiben und dann muss man gehen, aber keine Ahnung wie viel Toleranz und Spielraum da enthalten ist.
    Also lieber aufpassen…

    • Ich denke mal das dürfte nur passieren, wenn man einen Eintrag ins Strafregister erhält, sprich wenn man einen wirklich groben Verstoss begeht (Alkohol am Steuer z.B.) ODER wenn man kleinere Sachen begeht, aber dann die Strafe nicht zahlt oder das Vergehen leugnet. Dann geht es vor Gericht, was in der Regel mit einer Verurteilung und Eintrag ins Register (前科 zenka) erhält.

  2. Da hast du aber echt nochmal Glück gehabt. :)
    Ich bin eher jemand, der wohl zu früh an Ampeln anhält, was vor allem hier im ungeduldigen München nicht gerne gesehen wird. Aber better safe than sorry. ;P

  3. Um es mal mit den Worten von Monty Phyton zu sagen: da haben wir aber noch einmal Glück gehabt, wie?
    Mein Eindruck war immer, dass die Farben der Ampel nur als Empfehlung für die PKW Fahrer gelten. Mit hatte einst in einem Moment der Unachtsamkeit eine ältere Dame fast umgesäbelt. Ich schenkte ihr darauf einen eisigen Berliner Blick. Worauf die Dame hinter dem Lenkrad immer kleiner wurde und mir anschliessend meine Frau die Ohren lang zog. Wie ich denn der armen Dame so eine Angst machen können.

  4. Etwas aehnliches ist mir in der Naehe von Obihiro kurz vor der WM 2002 passiert – ich fuhr auf einer einsamen, schnurgeraden Landstrasse mit knapp 120 – erlaubt waren 60! – und weit und breit niemand… Ploetzlich ein Streifenwagen hinter mir, der mich auch prompt angehalten hat… Ich habe es wegen des strengen Blicks natuerlich sofort moushiwackeln lassen und ergaenzt, dass mein Einsatz als Zivildolmetscher fuer die Polizei waehrend der WM doch etwas umstaendlich werden koennte, sollte ich hier meinen Lappen verlieren. Da hellte sich das Antlitz des gestrengen Wachtmeisters sofort auf, er fragte, ob das stimmt, und ich erwiderte, er koennte ja beim Dolmetscher-Zentrum nachfragen. Mangels Radarmessgeraet gab es auch keine „handfesten“ Beweise (normalerweise gibt es ab 30 km/h Ueberschreitung ein sattes Bussgeld nebst mindestens mindestens einem Monat Fahrverbot). Fazit – ich musste ein Papier unterschreiben (nicht mal siegeln!) und hoch und heilig schwoeren, dass ich fuerderhin die Geschwindigkeitsregeln einhalten und gar nie und nimmer nicht nochmals rasen wuerde…
    2005 bin ich dann auf dem Weg nach Wakkanai mit 89 km/h ambulant geblitzt worden und habe dann in etwa soviel Bussgeld zahlen muessen, wie ich fuer den Auftrag bekommen habe… Aber die Botan-Ebi im Hotel-Restaurant waren superlecker… ;-)

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