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Verblüffende Ehrlichkeit, oder: Was tut man nicht alles für die Erziehung

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Gestern entschieden wir uns für einen Ausflug zum 科学技術館 kagaku gijutsukan – dem „Wissenschafts- und Technikmuseum“, auf Englisch kurz Science Museum, welches sich in einem nördlichen Teilbereich des Kaiserpalastes, in unmittelbarer Umgebung des Budokan, befindet. Das Museum ist vom Aufbau eher altbacken, aber ein paar interessante Exponate gibt es, und die Kinder können allerhand herumexperimentieren. Zudem liegt es mehr als günstig – mitten im Zentrum, direkt neben einer Autobahnausfahrt und unweit der U-Bahn.
Da die Museumskantine nicht viel hergab, entschieden wir uns für einen Bummel nach 神保町 Jimbochō, denn dort gibt es nicht nur unglaublich viele Antiquariate, sondern auch viele gute Restaurants. Das ganze dauerte letztendlich weit über eine Stunde, und da die lieben Kleinen der großen Portionen beim Chinesen – seltenerweise – nicht vollständig Herr werden konnten, liessen wir uns den Rest einpacken. Zurück beim Museum entschied ich mich nun, die Reste im Auto zu verstauen – sonst wüsste das halbe Museum in kürzester Zeit, was sich in der Tüte verbarg. Nun stand neben meinem Auto ein circa 40-jähriger Vater nebst schätzungsweise 10 Jahre alter Tochter, und der Vater schaute irgendwie sehr betreten aus. Ausserdem schien er zu stottern — zumindest klang es so, als er mich plötzlich ansprach (übrigens: ich habe in Japan noch nie jemanden stottern gehört!). Ihm sei da ein Missgeschick passiert, und er werde natürlich dafür aufkommen, und ob ich meine Adresse hinterlassen könnte, und ob wir das vielleicht so oder so regeln könnten, sprudelte es aus ihm heraus. Okay, ganz ruhig jetzt! Was sei denn nun passiert, wollte ich von ihm wissen. Nun, beim Tür aufmachen sei die Tür gegen mein Auto gestossen und habe eine Schramme hinterlassen. Und er zeigte mir die „schlimme Stelle“. In der Tat. An der Hintertür gab es eine rund 5 Millimeter grosse, runde Abschürfung. Die betraf scheinbar nur die oberste Lackschicht, und man musste schon etwas genauer hinschauen – mir wäre das jedenfalls sicher nicht sofort aufgefallen.
Nun ja, das Auto ist bereits 8 Jahre alt, und hier und da sieht man bereits ein paar Gebrauchtspuren. Das lässt sich leider nicht ganz vermeiden. Wegen dieser kleinen Schramme nun extra zu einer Werkstatt zu fahren, den Schaden taxieren zu lassen und dann den Preis zu verhandeln erschien mir sofort zu „面倒臭い“ mendōkusai (ein schönes Wort, übrigens! „mendō“ bedeutet „Aufwand“, „-kusai“ bedeutet „nach etwas stinken“), weshalb ich nun abwiegelte und sagte, dass das schon okay sei, das Auto sei schliesslich schon etwas älter und so gross sei der Schaden ja nun doch nicht. Der Vater schaute etwas ungläubig und sagte noch mal, dass er das schon regeln kann, aber ich winkte ab. Nun befahl der Vater seiner Tocher, die wie ein begossener Pudel die ganze Zeit neben uns stand „謝れ! ayamare!“ – „Entschuldige Dich!“, was sie auch tat. Mit kleiner Stimme und ganz blass. Ganz sicher, sie hatte bereits ihr Fett abbekommen. Ich sagte ihr noch, dass ich auch Kinder in ihrem Alter habe und verstehe, dass so etwas passieren kann, aber sie war noch zu betreten, um mir zuzuhören. Und damit war die Sache für mich erledigt.
Im Nachhinein fragte ich mich, ob der Vater das auch getan hätte, wenn sein Kind nicht dabei gewesen wäre. Hätte ich das gleiche getan, wenn meine Kinder das gemacht hätten? Mit Sicherheit, allein schon, damit sie lernen, was für Konsequenzen Unvorsichtigkeit hat. Hätte ich auf den Besitzer des Autos gewartet, wenn ich allein gewesen wäre? Hmmm… natürlich müsste ich sofort „Sicher, sicher!“ sagen. Aber wer weiss das schon so genau…

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

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