BlogKyoto in Zeiten von SNS

Kyoto in Zeiten von SNS

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Wohin in den freien Tagen zwischen Silvester und Neujahr? Die Wahl fiel dieses Mal schwer — eigentlich sollte es die Noto-Halbinsel in der Präfektur werden, aber mehr als sieben Stunden Fahrt, wahrscheinlich noch mehr, da es zwischendurch ein paar schneebedeckte Pässe gibt, wollte ich den Kindern nicht zumuten. Schließlich fiel die Wahl auf Kyoto, hauptsächlich der Kinder wegen, da sie es immer mehr mit Geschichte im Unterricht zu tun bekommen. Und um die alte Hauptstadt kommt man da einfach nicht herum. Mit dem Shinkansen braucht man nur knapp 2½ Stunden – mit dem Auto gute 5 Stunden, wenn die Strassen halbwegs frei sind (ohne Pausen – mit Pausen brauchten wir knapp 6 Stunden). Mit dem Auto, vor allem wenn man zu viert unterwegs ist, ist es freilich billiger, und man ist flexibler.
Bei meinen ersten Japanaufenthalten liess das Budget einfach keinen Abstecher nach Kyoto zu. Erst beim vierten (oder so) Besuch war es soweit, und das war 2001. Das Wetter war nicht sehr freundlich, und da die Sehenswürdigkeiten weit verstreut liegen, war es schwer, eine genauere Vorstellung von den Ausmassen zu bekommen. Deshalb folgten weitere Besuche in den folgenden Jahren. Damals gab es laut Statistiken weniger als eine halbe Millionen Übernachtungen ausländischer Besucher in Kyoto pro Jahr. Im vergangenen Jahr waren es 3,6 Millionen. Die Besucherzahl hat sich also mehr als versiebenfacht. Damals durften zwei Orte in Kyoto nicht auf der Besuchsliste fehlen: Der Kinkakuji und der Kiyomizudera, eventuell kamen da noch Gion/Pontochō hinzu – letztere vor allem nach 2005, als der Film „Memoirs of a Geisha“ erschien. Die beliebtesten Sehenswürdigkeiten waren buddhistischer Natur oder hatten mit Geishas zu tun.
Doch jetzt lautet das Motto ganz klar インスタ映え insuta-bae – eine Zusammensetzung aus „insta“ für Instagram und „-bae“ für abbilden/ablichten. Besucher sind nun auf der Jagd nach dem schönsten Fotomotiv, um Likes zu sammeln. Und wer einen besonders schönen Schnappschuss auf Instagram & Co. sieht, möchte das gern imitieren/den gleichen Ort besuchen (ja, auch tabibito postet gelegentlich auf Instagram, zu finden hier). Irgendwann postete also mal jemand einen Schnappschuss vom Fushimi-Schrein in Kyoto (Schrein = shintoistisch), und plötzlich wurde also nun besagter Schrein von Touristen überrannt. Man kann es den Besuchern auch nicht verübeln – die leuchtend orange-schwarzen Torii, davon gibt es insgesamt mehr als 3’300 im 伏見稲荷大社 Fushimi Inari Taisha, wie der Schrein korrekt heisst – sind in der Tat photogen. Und es ist lustig, anzusehen, wie die Besucher hoffen, ein Photo machen zu können, ohne dass ein Mitmensch das Motiv versaut. Das ist vor allem im unteren (und bekanntesten Abschnitt) ziemlich schwer, denn Besucher gibt es wirklich sehr viele.

Maiko in Gion
Maiko in Gion

Nun ist besagter Schrein bei Japanern seit jeher beliebt und bekannt, schliesslich gibt es im ganzen Land geschätzte 30’000 Schreine, die Inari, dem Fruchtbarkeitsgott (oder -göttin, so genau weiss man das nicht) gewidmet sind, und besagter Schrein in Fushimi ist quasi der Hauptschrein, doch man merkt bereits an der Infrastruktur, dass der plötzliche Ruhm recht neu ist. Es gibt keine beziehungsweise kaum Parkplätze, kaum Restaurants und kaum Souvenirläden. Und der Eintritt ist erstaunlicherweise frei (das wird sich, zumindest für einen Teil der Anlage, bestimmt irgendwann ändern). Die Beliebtheit ist messbar: Als wir dort waren, waren am Fushimi-Schrein mindestens genauso viele Besucher wie am Kinkakuji und am Kiyomizudera. Etliche Reiseführer müssen da wohl umgeschrieben werden…
Airbnb floriert übrigens in Kyoto, und die Zeiten der Unsicherheit in Sachen Airbnb sind nach dem grossen Kahlschlag 2018 sind auch vorbei – man kann ruhigen Gewissens darauf zurückgreifen. Mit Kindern ist Airbnb auf jeden Fall besser, und wir liessen uns so in einem nett eingerichteten, alten Haus im Stadtteil Fushimi nieder – im Kyoto Fushimi HANAFUJI. Prädikat: Sehr empfehlenswert.
Airbnb-Herberge in Kyoto
Airbnb-Herberge in Kyoto

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

9 Kommentare

  1. So viele Besucher! Erinnert mich an den alten Witz von den vielen Autofahrern, die alle drüber meckern, dass so viele Leute ausgerechnet jetzt fahren müssen, wo sie unterwegs sind.

  2. Ich war 2013 in Kyoto, da war der Touri-Anteil auch schon spürbar höher als in anderen Städten. Ich hatte auch Pech mit dem Wetter, bei Dauerregen macht die Stadt echt keinen Spaß. Zum Glück war der zweite Tag sonnig und im Fushimi-Inari war es ziemlich Touri-frei und ich konnte „Orange-ohne-etwas“-Fotos schießen ;-) Der Kiyomizudera und die Souvenier-Gasse hingegen war richtig überlaufen, habe dann den anderen Weg an dem riesigen Friedhof entlang genommen.
    Die Anlage des Kinkakuji fand ich ziemlich unspektakulär. Mir hatte dafür das Nijojo gefallen, war auch relativ unbesucht.

    • Ich glaube, der Kinkakuji steht und fällt mit dem Wetter. War bein ersten Besuch aufgrund des grauen Himmels rein gar nicht beeindruckt; dieses Mal aber (strahlend blauer Winterhimmel, leichte Beschafung) sah er schon gut aus

  3. Hm… also ich bin mir ziemlich sicher, dass der Inari Schrein schon viel länger bei Touristen beliebt ist und nicht erst seit jemand bei Instagram ein Foto gepostet hat..
    Ich kannte den Schrein definitiv vorher, höchstwahrscheinlich aus dem Fernsehen.
    Ich bin mir sicher, dass die meisten ihn aus einer Serie oder Film kennen (Namen vergessen..).
    2006 stand er bei mir lediglich nicht auf dem Plan weil er keinen Garten hat..

    • Also ich habe meine erste Seite über Kyoto im Jahr 2002 zusammengestellt, und da stand der Schrein noch ziemlich weit unten auf der Liste. Da ich in Fuahimi übernachtete, habe ich auch mit Anwohnern gesprochen, und doe meinten auch, dass früher kaum Besucher kamen.

  4. Das ist ein interessanter Unterschied zu Deutschland, da ist ein PKW praktisch nie günstiger als der Zug.
    Mit 1 Wocher Vorlauf und BahnCard 25 komme ich für 35€ von Berlin nach St. Peter-Ording und das in der 1. Klasse, eigene Kinder sind gratis.
    Wenn man wirklich nur die Sprit Kosten gegen rechnet landet man u.u. auch in Deutschland mit dem Auto günstiger, aber dann muss man auch davon ausgehen dass man Auto/Führerschein geschenkt bekommen hat und die Versicherung, Steuer & Co. jemand anders zahlt. Spätestens wenn es um Monatskarten geht ist man bei dem PKW, auf 3 Jahre Gerechnet, schnell beim 6-fachen Preis.
    Von Tokyo nach Kyoto zahlt man selbst mit dem Fernbus noch 5’400¥ pro Person, das ist echt saftig, der Shinkansen liegt schon bei 13’080¥ 2. Klasse
    Ich fahre ja echt viel mit der Bahn, ca. 95’000km im Jahr, alles 1. Klasse. 2017 hab ich für all meine Fahrten zusammen 5300€ bezahlt. Ich habe mal eine vergleichbare Strecke rausgesucht und ausgerechnet, dass mich das selbe, in Japan, 34’600€ gekostet hätte…
    Der Unterschied ist echt krass, auch bei den Mieten, das ist der Hammer, da erschrecke ich immer wieder.
    In Berlin zahlt man, am Potsdamer Platz, warm, knapp 21€/m² und das ist, soweit ich weiss, aktuell der teuerste Ort in Deutschland.
    Was die Wohnungspreise angeht ist das in Tokyo ja eher positiv für den Klimawandel, denn knapp 40% des gesamten CO2 entsteht direkt+indirekt durch das Heizen. aber die Bahn Preise finde ich einfach zu hoch, da sollte der Staat eventuell eingreifen und was dran drehen.
    Du bist das beste Beispiel, wäre der Zug günstiger gewesen, wärst du garantiert eher mit dem Zug gefahren.
    Durch die Preise bist du ja fast schon gezwungen dir ein Auto anzuschaffen wenn du viel mit der Familie reisen willst, was wiederum dazu führt dass du mit dem Auto relativ viel fahren musst um den Preis/km gering zu halten.

    • Danke für das Herausfinden dieser Zahlen. Ich lese in der Ferne nur immer, dass die Bahnpreise in Deutschland mal wieder erhöht wurden und hatte allmählich den Eindruck, dass die Bahn nun richtig teuer ist, aber es scheint ja noch genug Sparpreise zu geben. In Japan macht man das eben unkomplizierter – Sonderpreise gibt’s nicht (beziehungsweise keine nennenswerten).
      Ich bin selbst Bahnfan und würde auch lieber mit dem Shinkansen nach Kyoto brausen, aber zu viert wird das dann richtig teuer – selbst mit Maut und diversen Nebenkosten eingerechnet (Sprit ist ja ziemlich billig hier) ist das Auto billiger.
      Davon aber mal abgesehen liebe ich abgelegene Gegenden und Berge, und in die kommt man in Japan mit den Öffis leider schwer.
      Wenn ich mir aber so die Bahnprobleme in Deutschland so ansehe, frage ich mich manchmal, ob die Preisstruktur einen Teil dazu beiträgt. Anders gesagt, sind die Bahnen in Japan zwar sehr zuverlässig – aber das hat in Japan eben seinen Preis.

      • Also die Preise steigen in Deutschland, aber das ist kaum der Rede wert.
        Das teuerste Ticket der DB ist der 1. Klasse Flexpreis für 249€, das ist „the top“, in der 2. Klasse kostet der Flexpreis 149€
        Mit BahnCard 50 sind das dann noch maximal ~75€ von der Nordsee an die Zugspitze, und das ist wenn 3 Minuten vor Abfahrt das Ticket kaufe.
        Die Sparpreise sind, je nach Verbindung, oft noch 1-3 Tage im Voraus erhältlich. Mit 1-3 Wochen vorlaufen zahlt man selten mehr als 50€ in der 1. Klasse für ne Fahrt durch ganz Deutschland.
        Auch das mit der Pünktlichkeit wird in den Medien maßlos überdramatisiert. Die Durchschnittsgesamtpünktlichkeit (Was für ein Wort :D) 2018 lag bei 93,5%, das ist zwar etwas weniger als im Vorjahr aber weit weg von dem was die Medien so propagieren.
        Im Fernverkehr liegt die 5-Minuten Pünktlichkeit leider nur bei 77%, das hängt allerdings damit zusammen, dass ICE ja bis zu 10 Minuten (oder länger) aufeinander warten (Anschlusssicherheit ist wichtiger als Pünktlichkeit des einzelnen Zuges), deshalb rechnet die DB schon seit Jahren im Fernverkehr mit der 15-Minuten Pünktlichkeit.
        Diese lag 2018 im Schnitt bei 89%, das könnte besser sein, aber aufgrund der Art und Weise wie das Zugsystem in Deutschland funktioniert halte ich Werte weit über der 90% für unrealistisch, das liest schon daran wie diese Werte zustande kommen. Ich würde sagen, dass 95% 15-Minuten Pünktlichkeit das Maximum für so ein Zugsystem wie in DE sind.
        Es reicht schon eine einzelne Lok eines Güterzugs auf einer eingleisigen Strecke eines Unternehmens mit der die DB nichts am Hut hat, um eine Kettenreaktion von Verspätungen hervorzurufen.
        Ich denke das ganze ist auch eine Frage der Geographie, Japan ist nicht Deutschland. Beide Länder stehen vor komplett unterschiedlichen Herausforderungen.
        Die DB muss mit kostenlosen und (großteils) unbegrenzten Autobahnen konkurrieren und Großstädten die kreuz und quer, vollkommen wirr, über das ganze Land verteilt sind und trotzdem nie viele Einwohner haben.
        Nach Berlin mit 3,5 Millionen kommen noch Hamburg und München mit 1 Million und dann war es das auch schon :D
        Selbst wenn man das ganze als Metropolenregion Rechnet kommen wir mit Berlin auf 6 Millionen Einwohner und Hamburg auf 5,3 Millionen Einwohner.
        Ist also eine simple Rechenfrage wie viele Menschen zwischen Berlin und Hamburg pendeln, damit sich da eine fette Hochgeschwindigkeitsstrecke mit kurzem Takt lohnt.
        Jeder Cent der in eine Strecke investiert wird, sollte früher oder später wieder rein kommen. Zwischen Berlin und Hamburg pendeln schlicht nicht genug Menschen, als dass da das Geld für so ein System wie beim Shinkansen jemals wieder rein kommt.
        Zwischen der Metropolenregion Tokyo (36 Millionen) und der Metropolenregion Oosaka (17 Millionen) hat man da ganz andere Möglichkeiten das Geld wieder rein zu bekommen.

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