BlogArmutszeugnis für Japan in Sachen Soziales Kapital

Armutszeugnis für Japan in Sachen Soziales Kapital

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Seit 2006 gibt es ihn – den „Legatum Prosperity Index“, das alljährlich erhobene Barometer des Wohlstands in der Welt, erstellt von der allgemeinnützigen, in Großbritannien angesiedelten Legatum Institute Foundation (www.li.com) – ein euroskeptischer Thinktank, gesponsert vom Milliardär Christopher Chandler, der mit seiner Investfirma Legatum viel Geld verdient.
Es gibt natürlich zahlreiche Indices, die dies und das messen, und alle haben ihre Stärken und Schwächen. Der Legatum Prosperity Index ist allerdings inteessant, weil er unter anderem versucht, sogenanntes soziales Kapital zu messen – ein Begriff mit verschiedenen Definitionen, die laut Wikipedia jedoch alle einen gemeinsamen Nenner haben: Sie bezeichnen das Konzept des sozialen Kapitals als „Blick auf den normativen Zusammenhalt von Gruppen und auf die wechselseitige Beziehung von Gruppen-Kohäsion und individueller Interaktion“.
Beim nun veröffentlichten Ranking² für 2017 landete Japan nun bei insgesamt 149 untersuchten Staaten bzw. Territorien (da Hongkong zum Beispiel extra gelistet wird) auf dem 23. Rang – da gab es seit der Ersterhebung auch keine großen Änderungen. Interessant wird das Ranking erst, wenn man sich die Teilfaktoren anschaut:

Bereich Rang
Wirtschaftliche Qualität 23
Geschäftsklima 22
Führung (Governance) 18
Bildung 18
Gesundheit 4
Sicherheit 4
Persönliche Freiheit 46
Umwelt 43
Soziales Kapital 101

Deutschland liegt im Gesamtranking übrigens auf Rang 9 (soziales Kapital: 17, die Schweiz auf Rang 6 (20) und Österreich auf der 12 (15).
Japan liegt beim sozialen Kapital damit unter den entwickelten Ländern weit abgeschlagen auf dem letzten Platz. Legatum ist mit der Einschätzung auch nicht allein – auch die OECD bemängelt den sozialen Zusammenhalt in Japan. Das betrifft vor allem Männer über 40 Jahre – mehr als anderswo leben viele Männer in Japan völlig einsam vor sich hin, ohne Freunde, mit minimaler sozialer Interaktion. Diese Einsamkeit wird von Medizinern mittlerweile als regelrechte Epidemie bezeichnet, die die Menschen genauso negativ beeinflusst wie Fettleibigkeit, Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum. Mehr dazu kann man zum Beispiel in der japanischen Kolumne „Warum sind die ojisan (Männer über 40, 50 Jahre) die Einsamsten der Welt?“² lesen.
Wer in Japan lebt, wird die Ergebnisse nicht überraschend finden: Nicht nur ist es schwerer als anderswo, Freunde zu gewinnen – richtig schwer wird es, wenn man sich treffen möchte. Im jungen Alterist das kein großes Problem, aber mit zunehmendem Alter (und bei regulären Beschäftigungsverhältnissen) wird es vor allem für Männer wirklich sehr schwer.
¹ Siehe hier
² Siehe hier

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

5 Kommentare

  1. Treffer Versenkt! Letzter Absatz. Man hat seine Freunde so zu sagen unter den Kollegen die sieht man ja eh jeden Tag bis tief in die Nacht. Geleiches gilt für Frauen die in einer Festanstellung sind die sind in Japan so verschiedenen gering da kann man keine ordentliche Statistik führen. ;-)
    Ich denke wenn man sich selber nicht nach den Freiraum für Freunde sucht wird das nichts.
    Also lass uns mal versuchen ein guten Tag für ein Treffen unter Freunden mit Familie zu finde!
    Ich schreib dir!

  2. Nicht nur als arbeitender Mann ist es schwer soziale Kontakte zu pflegen. Auch als Vollzeitbeschäftigte Mutter…
    Die Hälfte meiner vorherigen Freunde hat keine Lust ihre Freizeitbeschäftigungen nach Kinderbedürfnissen zu planen und nicht immer lässt sich das noch kleine Kind an den Vater geben.

  3. Wundert mich nicht. Letztens habe ich erst gelesen, dass in Japan 30.000 Menschen pro Jahr allein in ihren Wohnungen sterben. Beänstigend, aber da muss wohl jede(r) für sich selbst Vorsorge tragen, wenn einem das nicht passieren soll/will. Immerhin hat Großbritannien einen Schritt in die richtige Richtung getan mit dem Ministerium für Einsamkeit – ob das in Japan was nützen würde, weiß ich aber nicht.
    Japanische Freundinnen melden sich teilweise monatelang nicht bei mir, wenn ich mich melde, kommt später eine Antwort, sie wären beschäftigt. Andere Freundinnen haben sich abgewandt, als ich geheiratet habe, weil ich dann ja mit dem Mann beschäftigt wäre – so ein Quatsch, ich brauche meine Freundinnen trotz Mann, manche Themen oder Aktivitäten sind einfach nichts für ihn. Aber ich hatte auch Freundinnen, die nach der Hochzeit selbst alle Freundschaften fallen lassen haben, auch in Deutschland, obwohl noch keine Kinder da waren. Die werden sich irgendwann mal umschauen.
    Ich jedenfalls gebe mir große Mühe, meine Freundschaften aufrecht zu erhalten und ab und zu neue zu schließen – was in Japan echt nicht leicht ist, da man meist nur als Ausländer und nicht als Mensch gesehen wird und das Gespräch immer nur darum geht, wieso man denn Japanisch könne. Dummerweise ist das soziale Leben so ziemlich das einzige, was man alleine nicht hinbekommt, egal wie sehr man sich anstrengt…

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