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Kyoto-Starbucks im traditionellen japanischen Stil / Tokyo-Tirade in der "Zeit"

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Heute stellte Starbucks Japan seine neueste Niederlassung in der alten Kaiserstadt Kyoto vor¹. Die Filiale öffnet am 30. Juni 2017 ihre Pforten und befindet sich an der altehrwürdigen 二寧坂 Ninen-zaka-Gasse unweit des Kiyomizu-Tempels. Das zweigeschossige Gebäude ist mehr als 100 Jahre alt und komplett im traditionellen Stil aus Holz gebaut. Im Inneren gibt es die obligatorischen Tatami (Reisstrohmatten).
Ein geschickter Schachzug von Starbucks, das muss man den Marketingleuten lassen. スタバ sutaba, wie die Läden in Japan abgekürzt werden, hat hierzulande über 1’000 Filialen und mehr als 3’000 Angestellte. Die erste Niederlassung wurde 1996 an der Ginza eröffnet. Doch die neueste Filiale in Kyoto sollte auch etwas nachdenklich stimmen. Sicher, man kann es nicht vermeiden, dass sich globale Ketten in historischen Gassen breit machen – das geschieht überall. Auch McDonalds hat schon vor Jahrzehnten in Kyoto Filialen eröffnet und war sogar kompromissbereit: Man verzichtete auf die übliche, in der Tat sehr aufdringliche rot-gelbe Farbmischung und einigte sich mit der Stadt auf einen Braunton. Doch man kann sich jetzt schon ausmalen, dass nicht wenige Touristen (die meisten davon werden wohl nicht aus Europa sein) einen Besuch in der traditionell japanischen Starbucks-Filiale als ein Highlight ihres Kyoto-Besuches empfinden werden. Und das ist etwas traurig, verliert man doch dabei den ursprünglichen Sinn des Reisens komplett aus den Augen.

Kyoto-Starbucks-Filiale
Quelle: Fashion-press.net ( https://www.fashion-press.net/news/31621)

Das erinnerte mich ein bisschen an den Artikel Im Land der aufgehenden Langeweile erschienen bei Die Zeit und verfasst von Ulf Lippitz. Dort bedauert der Autor auch die Tatsache, dass die Globalisierung auch die japanische Hauptstadt fest im Griff hat. Mehr aber noch erinnert mich der Artikel daran, dass manche Menschen scheinbar nicht mehr die Essenz des Reisens erkennen. Vollgepumpt mit Erwartungen hat sich da der Autor auf die Reise nach Tokyo gemacht und war ganz überrascht, an den absoluten Touristenfallen nicht den Kick zu bekommen, den er erwartet hat. Wie man ein Reiseziel so absolut oberflächlich „durchrennen“ kann, ist mir ein Rätsel (genau so ist es mir ein Rätsel, wie er in ein Restaurant mit „Cover Charge“ gelangte – danach muss man eigentlich heute fast suchen). Sicher, Tokyo muss man nicht mögen – an den meisten Ecken ist es nicht schön. Aber bevor man als bezahlter Korrespondent Sätze wie „Ein Helene-Fischer-Konzert hätte es auch getan“ in einer Beschreibung über Shibuya in der Nacht von sich gibt, hätte man sich ja wenigstens ein kleines bisschen Mühe geben können…
¹ Siehe unter anderem hier (Starbucks-Pressemitteilung, Japanisch) und hier (Japan Times, Englisch).

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

6 Kommentare

  1. Den Artikel in der Zeit hatte ich auch gelesen. Eine ausgewogene Kritik ist sicherlich etwas anderes. Die Kommentarspalte war sich zu der Qualität des Artikels ja auch relativ einig. Sicherlich einer der schlechtesten Zeit Artikel die ich je gelesen habe. Dabei gibt es genug sinnvolle Kritikpunkte die man über Tokyo anbringen könnte, aber dazu müsste man sich eben Mühe geben. Daran hatte der Zeitautor wohl ebenso wenig Interesse, wie an der Reise selbst. Tokyo ist mir eben auch nicht wegen den absoluten Touristenattraktionen in Erinnerung geblieben, da gibt es so viel mehr.

  2. Mit dem Artikel gebe ich dir Recht. Generell finde ich auch, dass Städte ja nicht für die Touristen da sind, sondern für die Leute, die dort wohnen, und wenn die eben Starbucks haben wollen, kann man da nix sagen. Wobei es natürlich manchmal schon schade ist.

  3. …verliert man doch dabei den ursprünglichen Sinn des Reisens komplett aus den Augen.
    Warum denn?
    Was ist denn der Sinn von Reisen. Neue Erlebnisse und Eindrücke?
    Vielleicht hilft so ein „Attraktionsziel“ (ok, Starbucks ist in der Hinsicht schon a bissl pervers, zugegeben, aber wer´s mag) den Einheimischen ja auch eher dabei, wieder ev. – bei einem Spaziergang zufällig – die wahren kulturellen Schätze kennen zu lernen, weil sie sonst gar nicht erst gekommen wären?

  4. … ich finde das ok. Immerhin passt sich das ja doch recht gut in dortige Architektur ein, das finde ich sehr positiv.
    Und Starbucks gehört nun mal zu Japan dazu; das japanische Starbucks ist meines Erachtens quasi schon ein Teil von Japan – weil das dort halt nun mal wieder völlig anders vom Rest der Welt funktioniert (beserer Service, besseres Benehmen, andere Sorten).

  5. Ich würde das nicht so eng sehen. Solange Starbucks sich in das Stadtbild einfügt, sehe ich das durchaus als Bereicherung – sie kommen ja sowieso.
    Dadurch wird Japan seine kulturellen Wurzeln nicht verlieren und die Massentouristen sind sowieso unrettbar verloren.
    Im Gegenzug meckert ja auch niemand, wenn hier in Berlin schon wieder ein Sushiladen eröffnet (von der Qualität reden wir jetzt mal nicht) und die traditionelle Currywurst langsam ausstirbt.
    Kultur wandelt sich und Japan ist für mich ein leuchtendes Beispiel, wie man modern und traditionell gleichzeitig sein kann. Ich kann es nicht erwarten dort wieder Urlaub zu machen.

  6. Auch ich hatte den Artikel in der ZEIT gelesen und fand ihn etwas überheblich. Ich meine, heutzutage hat wirklich jeder Tokyo-Besucher die Möglichkeit, sich vorab zu informieren. Das zu unterlassen und dann die Stadt und ihre Bewohner für enttäuschte Erwartungen verantwortlich zu machen, ist einfach daneben.

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