BlogRassistische Kinderliteratur

Rassistische Kinderliteratur

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Kinderbuch "Ninjin ga akai wake"
Kinderbuch „Ninjin ga akai wake“
Als heute jemand (genauer gesagt N.H. aus D) einen Link zu einem Uralt-Artikel der Japan Times gepostet hat, fiel mir wieder ein Buch beziehungsweise eine Sache ein, über die ich schon lange schreiben wollte. Besagter Artikel der Japan Times ist von 2012 und trägt den Titel Book is behind bullying of mixed-race children. Genauer geht es da um das sehr bekannte und beliebte Kinderbuch „Ninjin-san ga akai wake“ – „Warum die Mohrrübe rot ist“. Im Buch geht es darum, dass sich eine Schwarzwurzel, eine Mohrrübe und ein Rettich waschen wollen. Der Schwarzwurzel ist das Bad zu warm, also wäscht sie sich nicht richtig. Die Mohrrübe badet länger, wird aber aufgrund des heißen Wassers ganz rot. Der Rettich ist schlau, giesst etwas heisses Wasser hinzu… und wird so schön weiß!
Man kann ahnen, woher der Wind weht. In Japan gibt es auch etliche Kinder mit japanisch-afrikanischen oder japanisch-afroamerikanischen Eltern. Diese Kinder fallen natürlich auf. Und es gab (und wahrscheinlich gibt) wohl viele Fälle, in denen diese Kinder nicht nur für Mitschülern, sondern sogar von Lehrern und Kindergärtnern gehänselt werden – mit Verweisen auf das Buch. Das verwundert natürlich nicht: Kinder sind nur allzu gern bereit, über anders aussehende Kinder herzuziehen. Ich kann ein Lied davon singen – in meiner +300-Schule war ich der einzige mit rotblonden Haaren. Dass mit der Betreuung der Kinder beauftragte Erwachsene jedoch da mitmachen, ist schockierend aber in Japan nichts Neues (jedoch zum Glück eher eine Ausnahme).
Kinderbuch Chibikuro Sambo
Kinderbuch Chibikuro Sambo
In dem Zusammenhang fiel mir ein anderes Kinderbuch wieder ein: „Chibikuro Sambo“ – ein im Original englisches Buch mit dem Namen „Little Black Sambo“ aus dem Jahre 1899, das in Japan zu einer Serie wurde und mindestens 3 Titel umfasst. Es ist etwas aus der Mode gekommen, aber die meisten kennen das Buch.
Im Falle des ersten Buches stiess sich der Vater dreier japanisch-afrikanischer Kinder an dem Buch und brachte einiges in Bewegung, um das Buch aus dem Verkehr zu ziehen. Letztendlich schrieb er ein Gegenbuch, dass Kindern beibringt, dass die einen Menschen eben so und die anderen so sind.
Aber wo zieht man die Grenze? Diese Diskussion hat in Japan bei weitem nicht die Gesellschaft in dem Umfang erreicht, wie sie das zum Beispiel in Deutschland tat bzw. noch immer tut. Soll man diese Literatur verbieten? Umschreiben? Zensieren? Ich lese meinen Kindern auf deren Wunsch oft Heinrich Hoffmann („Der Struwwelpeter“) vor:

Da kam der große Nikolas
Mit seinem großen Tintenfaß
Der sprach: „Ihr Kinder hört mir zu
Und laßt den Mohren hübsch in Ruh‘!
Was kann denn dieser Mohr dafür,
Daß er so weiß nicht ist wie ihr?“

(Es geht nicht um den Begriff ‚Mohr‘, sondern darum, dass Hoffmann die schwarze Hauptfarbe quasi als Makel bezeichnet – für den der Mohr‘ jedoch nichts kann).
Sollte ich die Seite überspringen?
Es ist ein heißes Eisen und kann und sollte eigentlich nur von denen angefasst werden, die (potentiell) betroffen sind. Aber diese Bücher, so sie nicht jüngst und mit böser Absicht geschrieben wurden, zu verbieten, halte ich für den falschen Weg – ja, für eine Sackgasse, denn es würde kein Ende nehmen. Man beginnt bei der Hautfarbe, dann um Geschlechterrollen, das Fehlen eines alternativen Geschlechts, ein Spaziergänger mit Zigarette im Mund… die Zensur würde ewig weitergehen.
Und mal ehrlich: Kinder, so nicht aufgeklärt, ziehen auf jeden Fall über anders aussehende Altergenossen her, ob sie das Buch kennen oder nicht. Dass es in Japan jedoch noch immer vorkommt, dass Lehrer nicht nur nicht eingreifen, sondern sogar mitmachen, ist unentschuldbar.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

10 Kommentare

  1. Hallo!
    Ich persönlich halte nicht viel davon, klassische Kinderliteratur zu zensieren oder Bücher ganz zu verbieten. Es würde wenig am Grundproblem des rassistischen/diskriminierenden Verhaltens ändern wenn man nach dem Motto verfährt: „Wenn ich es nicht sehe, ist es auch nicht da!“
    Vielmehr können gerade diese Klassiker meistens gut genutzt werden, um Kindern das Thema nahezubringen und sie dafür zu sensibilisieren was Rassismus eigentlich bedeutet und wie die Menschen zu anderen Zeiten damit umgegangen sind. Sollten Sie dann in der Lage sein, anhand von Büchern wie z.B. „zehn kleine Negerlein“ selbst zu erkennen und darüber nachzudenken wie diskriminierend diese Literatur eigentlich ist, würde man dadurch viel mehr erreichen.
    LG,
    Viola

  2. Weder noch und schon gar nicht! Soll heißen ich halte vom Verbieten, Umschreiben oder Zensieren gar nichts. Zumindest hierzulande sind diese Bücher in einer Zeit geschrieben, in welcher das Bewusstsein für rassistische Äußerungen nicht besonders ausgeprägt war. Damit sind diese Bücher ein wichtiges Zeitdokument und können eben helfen, den Kindern auch Geschichte näher zu bringen.
    Meine Kinder gingen bzw. gehen in eine integrative Einrichtung. Menschen mit Behinderung sind daher nichts besonderes. In der Schule wird gemeinsam mit Kindern gelernt, deren Eltern aus verschiedenen Teilen der Welt stammen. Mir ist bislang ein auffälliges Verhalten der Kinder untereinander nicht aufgefallen (was aber auch nichts zu bedeuten hat). Jedenfalls wird der Migrationshintergrund mancher Familien nicht thematisiert – die Lehrer verlangen lediglich, dass die Kinder untereinander deutsch sprechen, was wiederum eher integrativen als rassistischen Charakter hat.
    Gibt es eigentlich für die Kinder aus Familien mit afrikanischen bzw. afroamerkinanischen Eltern auch besondere Bezeichnungen wie für die europäischen Familien?

  3. Ich oute mich jetzt einfach mal als Zensierer. Ich finde es gut, daß Wörter wie „Negerkönig“ aus Pipi Langstrumpf gestrichen werden. Natürlich bin ich dafür, daß die Änderungen dokumentiert werden, und unveränderte Originale weiterhin fortexistieren. Auch traue ich es einem verantwortungsvollen Erwachsenen absolut zu, mit dieser Wortwahl umzugehen.
    Aber das Wort stammt aus einer anderen Zeit, aus einer Zeit, als es keine „Neger“ (schon wieder so ein Wort) in unserer Gesellschaft gab.
    Man stelle sich mal vor, wie das für eigene (schwarzen oder asiatischen) Kinder wäre, wenn in den Texten und Kinderbüchern unreflektiert(!) von Schlitzaugen und Negerkönigen gesprochen würde. Sorry, das geht gar nicht.
    Das Aufschreiben von „Zensur“ finde ich insofern lachhaft, als das es sich ja eben nicht um Zensur handelt. Die Originale werden niemandem vorenthalten. Es steht frei, sich dafür zu entscheiden. Aber Kinder sind eben (noch) nicht in der Lage schon Dinge kritisch zu hinterfragen und zu denken.

    • „Das Aufschreiben von “Zensur” finde ich insofern lachhaft, als das es sich ja eben nicht um Zensur handelt. Die Originale werden niemandem vorenthalten. Es steht frei, sich dafür zu entscheiden. Aber Kinder sind eben (noch) nicht in der Lage schon Dinge kritisch zu hinterfragen und zu denken.“
      In der Theorie, ja. Die Praxis wird anders aussehen: Veröffentlicht wird nur die textlich geänderte Version und höchstwahrscheinlich wird es keinen Vermerk dazu im Buch geben, dass die Texte gegenüber dem Original verändert wurden. Aufgrund mangelnder Popularität des Themas, wird sich die geänderte Version durchsetzen und früher oder später als die originale Version wahrgenommen werden. Lediglich ein paar Literaturkenner wissen es dann besser.
      In Deutschland indizierte Videospiele sind auch nicht verboten, aber kein Media Markt hat unter der Ladentheke die ursprünglichen Versionen parat. In der Regel werden diese auch gar nicht mehr für den deutschen Markt produziert und als Käufer letztendlich vor vollendeten Tatsachen gestellt. Der Spieler kann dann bei Interesse auf eine andere Sprachversion zurückgreifen oder schauen, ob es die unzensierte deutsche Version in Österreich respektive der Schweiz gibt (was nicht immer der Fall ist!).
      Bei Büchern ist die Situation umso schlimmer, als das nicht zwischen einer deutschen und österreichischen/schweizerischen Fassung unterschieden wird. Und bei original deutscher Literatur auf eine andere Sprache ausweichen… na ja.

      • Der Vergleich mit Videospielen hinkt. Bei indizierten Spielen ist gesetzlich das Bewerben verboten.
        Bei Kinderbüchern bei der in der Regel eine Handvoll Wörter ausgetauscht werden (!) wird das Bewerben der Originalversion wohl kaum gesetzlich verhindert. Mal abgesehen davon, daß gerade bei solchen altertümlichen Büchern oft das Copyright abgelaufen ist.
        Wenn das Buch kein deutsches Original ist: Bei Übersetzungen sind sowieso immer verschiedene Versionen im Umlauf. Vergleiche mal alte Übersetzungen von Jules Verne (teilweise im Kindle-Store erhältlich) mit neueren. Keiner will das uralte, antik anmutende Deutsch der ersten Übersetzungen.
        Indizierte Spiele richten sich an Erwachsene. Kinderbücher richten sich, nun ja, an Kinder, die meist nicht in der Lage sind, kritisch Dinge zu hinterfragen.
        Will sagen, für diejenigen, die das wichtig finden, werden die Originale sicher erhältlich sein. Das aber letztlich keiner danach fragt, sollte der lauten Minderheit, die „Zensur“ – es handelt sich ganz klar nicht um Zensur – schreit, aber auch mal zu denken geben.
        „Ninjin ga akai wake“ war ja für das betroffene Kind tatsächlich ein Problem. Wer mal in Japan gelebt hat, wird das sicher verstehen. Wer dann sagt, Kinder die das Buch lesen, müssen in der Lage sein reflektiert damit umzugehen, der lebt in einer Traumwelt. Das klappt vielleicht noch, wenn engagierte Eltern wie Tabibito selbst vorlesen und ggf. korrigierend einwirken, aber… Sprache und Gesellschaft ändern sich halt.

        • Wie schon erläutert ist die Situation bei den Videospielen anders, aber man kann dort erkennen wie sich sowas entwickelt. In der Theorie heißt es „Du kannst es weiterhin kaufen!“, doch die Realität sagt „Nö!“. (Ich lehne übrigens auch die Indizierungspraxis ab. Medien zu entschärfen, damit diese ein „Keine Jugendfreigabe“-Siegel bekommen, macht für mich keinen Sinn)
          „Will sagen, für diejenigen, die das wichtig finden, werden die Originale sicher erhältlich sein.“
          Ja, auf Flohmärkten. Gedruckt werden diese sicher nicht mehr.

  4. Was heute Rassismus genannt wird, war in der Vergangenheit die Tatsache, daß der Unterschied zwischen verschiedenfarbigen Völkern offensichtlich war. Man braucht nur damalige Reisebeschreibungen zu lesen. Über die unterschiedlichen Mentalitäten. Die sich nicht geändert haben.
    Menschen werden nicht automatisch dadurch intelligenter, daß sie in der Lage sind, ein Handy zu bedienen oder einen Fernseher einzuschalten. Das können auch Primaten.
    Die alten Zeitungen wimmeln nur so von „Rassismus“. Und die KInderbücher spiegeln den Zeitgeist wider.

  5. Ein Bekannter erzählte mir, dass er in den 60er Jahren Pfadfinder war und sie regelmässig Nazi Lieder gesungen hätten. Es waren keine allzu offensichtlichen BluBo Texte, weswegen ihm dies erst Jahre später bewusst wurde. Soll man zensieren oder nicht? Oder waren es am Ende bereits zensierte Versionen die so überlebten?
    Die weltweit bekannten Grimm Märchen verdanken ihren Erfolg einer “familiengerechten” Zensur. In ihrer vorherigen Form waren sie, wie viele andere Märchen/Volkserzählungen auch, ziemlich starker Tobak und alles andere als jugendfrei. Möchte man dem eigenen Kind vor dem Einschlafen von abgeschnittenen Fingern und Kannibalen im Wald erzählen, von Mädchen in roten Käppchen die Blut trinken und Menschenfleisch essen? In den Märchen kam alles vor was in der Gesellschaft nicht ausgesprochen werden durfte, und das wirklich deftig. Was nun, Zensur oder dem Volk ein Ventil lassen?
    Als ich vor einiger Zeit den Dachstock entrümpelte, fand sich der Comic Band “Tim im Kongo” aus meiner Schulzeit. Aus heutiger Sicht ist dieser Comic kolonialistisch geprägt um es milde auszudrücken, obwohl Hergé ihn bestimmt nicht in erniedrigender Absicht schrieb. Er widerspiegelt einfach die damalige einfältige Weltansicht und macht den Comic zu einem interessanten Zeitdokument. Also Comics hui, Lieder pfui?
    Dass die Originalfassung eines Werkes zu Studienzwecken erhalten bleiben soll, keine Frage. Aber spätestens wenn der Sohnemann fröhlich HJ Lieder trällernd nach Hause kommt, wird es Zeit für ein Gespräch.

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