BlogAggi Aggi Aggi!!!

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Und ich schulde jedem, der ohne Nachzuschlagen weiß, was der Titel bedeutet, eine Banane. Abzuholen in Tokyo.
Seit ein paar Wochen bringt mich der neue Fahrplan meiner Bahnlinie in den Hochgenuß eines allmorgendlichen Spektakels. Zwei Stationen fahre ich mit der Bahn, bevor ich umsteige. Vorher hielt die Bahn nicht zwischendurch, doch nun hält sie. Und so tauchte er in meinem Leben auf, einfach so: Apeman [ˈeɪpmæn]. Ich bin gut erzogen, also schimpfe ich einen Mitmenschen nicht „Affe“. Also Apeman, das klingt besser. Und mal ehrlich: Wie soll man sonst ein Wesen nennen mit wulstigen Augenbrauen und nach hinten gekämmter Stirn – einem Wesen, das beim Laufen die Arme leicht anwinkelt und bei dem zugleich die Handinnenflächen nach hinten zeigen? Ein Wesen, das sich nur durch unartikuliertes Grunzen äußert?
Apeman verfolgt das gleiche Interesse wie ich: Er möchte direkt an der Treppe zum Ausgang aussteigen. Das hat seine Gründe, gerade in Japan: Wenn hunderte Leute gleichzeitig aussteigen, macht es einen Riesenunterschied, ob man vorn ist (10 Sekunden bis zum Ausgang) oder in der Mitte (2 Minuten bis zum Ausgang). 110 Sekunden hin. 220 Sekunden hin und zurück. 5 Mal die Woche, 50 Wochen pro Jahr. Macht 15 Stunden pro Jahr, die man eingepfercht zwischen hunderten anderen verbringen soll. So einfach kann Mathematik sein. Wieso Züge in Deutschland zum Beispiel nicht an einem bestimmten, immer gleichen Punkt am Bahnsteig halten, wird dabei für mich immer ein Rätsel bleiben. Was denkt sich ein Lok- oder Triebwagenführer in Deutschland, wenn er in den Bahnhof einfährt? „Och, heute ist Montag, da halte ich mir hier!“ ?? Ich weiß es nicht.
Apeman ist brachial. Steht jemand anderes an der Bahntür, wird der andere erstmal weggedrückt. Geht die Tür auf, grunzt Apeman, springt wie angestochen aus der Bahn, rennt dabei zwei, drei Leute um (und nicht selten ziemlich brutal), stürzt die Rolltreppe hinunter, durch die Schranke hindurch, vorbei an den Fahrkartenautomaten, durch die Schranke der nächsten Linie und dann wieder die Rolltreppe herunter.
Ich nehme die gleiche Route. Und ich stehe seit Jahren an der gleichen Tür. Das kann Apeman natürlich nicht wissen, da meine Linie ja vorher vorbeifuhr an seinem Bahnhof. Jetzt weiß er es. Jetzt weiß er auch, dass normalerweise zwei Leute an der Tür stehen können. Das gefällt ihm nicht, und das äußert sich in einem Grunzen. Wie ein Gecko klebt dabei seine linke Hand auf meiner Türhälfte direkt vor meinem Gesicht. Und die Tür geht auf…
Leider ist Apeman von Weitsicht (und Rücksichtnahme) weitestgehend unbelastet. Während die Treppe neben der Rolltreppe völlig frei ist (typisch Japan) und die Rolltreppe ganz offensichtlich verstopft von den Fahrgästen des vorangegangen Zuges, stürzt sich Apeman brutal die Rolltreppe herunter. Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Ich lasse Apeman beim Aussteigen den Vortritt, um seinen Stil zu bewundern. Doch ich bin schneller an der Schranke. Das versteht er nicht ganz und rammt mich. Raus aus der Schranke, und wir rennen zur nächsten Schranke. Er nimmt die Aussenkurve, und rammt mich erneut an der Schranke. Wieder Rolltreppe. Gleiches Schauspiel. Neulich hatte es mir beim vierten Mal gereicht, und ich rief ihm ein いい加減にしろ“ (ii kagen ni shiro – in etwa: „Reiß Dich zusammen!“) zu. Schön mit gerolltem „r“, wie es sich gehört. Apeman schaute mich eine Millisekunde ganz verdutzt an. Und lief weiter in seine Richtung. Danach sah ich Apeman eine ganze Woche lang nicht. Doch jetzt ist er wieder da, fit wie eh und je. Und ich steige in meine Bahn ein, setze mich hin, gehe in mich und denke mir ganz leise: 俺、何やってんだろう. Was zum Geier mache ich hier eigentlich.

tabibito
tabibitohttps://www.tabibito.de/japan/
Tabibito (旅人・たびびと) ist japanisch und steht für "Reisender". Dahinter versteckt sich Matthias Reich - ein notorischer Reisender, der verschiedene Gegenden seine Heimat nennt. Der Reisende ist seit 1996 hin und wieder und seit 2005 permanent in Japan, wo er noch immer wohnt. Wer mehr von und über Tabibito lesen möchte, dem sei Tabibitos Japan-Blog empfohlen.

19 Kommentare

    • Wenn du mal Quark selber machne willst, brauchste nur Buttermilch in eine Schüssel in den Backofen zu stellen und glaub ne Stunde drin lassen… will da aber nix falsches sagen, hab da letztens in „Raus aus Deutschland“ (TV-Serie) sowas gehört als eine Frau in Amerika wiedermal Quark essen wollte xD… ;D Aber hab grad gesehn, gibt viele Rezepte zum Quark selber machen im Internet ;)…

  1. Ich weiß auch mit Nachschlagen nicht so recht, was du meinst… Da geht sie hin, die Banane.
    Bist du sicher, dass du nicht coolio im Rammmodus über den Weg gelaufen bist? ;-)

      • Also meine Kinder hängen mir schon eine ganze Weile in den Ohren, wann wir denn endlich wieder mit dem Flugzeug fliegen. Dieses Jahr wird es leider nichts mehr. Aber man kann schon mal einen guten Vorsatz fürs nächste Jahr fassen ;-)

  2. Ich vermute, das war einer von vielen die einfach jeden Tag stur das gleich machen und einfach ein „fremder“ dann nicht stoeren darf, weil es seinen Rhythmus durcheinander bringt.
    Das sind aber auch genau die Leute, die nicht selbststaendig durch das Leben gehen und sowas von unflexibel sind…
    Deshalb mache ich mir keinen Kopf um solche Leute, diese Ignoranz muss ignoriert werden :-) Aber der scheint dich ja heftig auf die Palme gebracht zu haben, dass er sogar ein Blogeintrag verdient.

  3. Ich finde das immer sehr spannend, dass niemand Treppen steigen will, dafür dann aber auf der Rolltreppe gedrängelt wird.
    Auch ich habe eine Tür, an der ich jeden Tag aussteige. Gezankt habe ich mich da aber mit noch niemandem.

  4. Solche Mongos (sorry, ich bin wohl nicht so gut erzogen….) hats hier überall. Und dann wundern die sich auch noch, wenn sie mal einen geklatscht kriegen. Ich hab mal beim warten auf eine Freundin einen Typ gesehen, der lungerte am Gate herum und hat nur darauf gewartet, das ein Gaijin durchkommt, um ihm dann mitten zwischen die Füße zu laufen. Da war er bei mir ja genau an der richtigen Adresse. Naja, bei der Menschenkonzentration in dieser Megapolis steigt zwangsläufig auch die Idiotenkonzentration. Ihre „sprichwörtliche“ Freundlichkeit geben die Japaner am Bahnhofseingang jedenfalls ab.

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